Die Oktober-Ausgabe der Zeitschrift Forschung & Lehre steht unter dem Motto Konfliktkultur – ein wichtiges Thema auf ganz verschiedenen Ebenen von Wissenschaft und Hochschule, wie ich finde. Die Beiträge im Heft decken diese Ebene-Vielfalt relativ gut ab. Ein vermutlich kontroverses Thema behandelt die praktische Philosophin Maria-Sibylla Lotter, die auch als Publizistin tätig und entsprechen oft in Medien auch außerhalb der Wissenschaft anzutreffen ist: den akademischen Streit und seine potenzielle Bedrohung.
In ihrem Beitrag mit dem Titel Bekannte Schweigespirale: Über Streitkultur in der Wissenschaft wägt sie die „diskursiven Bedingungen der Wissenschaft“ ab. Zu diesen gehöre, „Überlegungen zur Diskussion zu stellen, die gängigen methodischen und inhaltlichen Annahmen widersprechen. Dabei müssen sich die Beteiligten institutionell unterstützt und geschützt fühlen können.“ Eine solche Streitkultur sei nur dort möglich, wo Forschende, Lehrende und Studierende die offene wissenschaftliche Kontroverse schätzen, unabhängig davon, ob sie mit den geäußerten Positionen übereinstimmen oder nicht. In der Theorie, so Lotter, würden hier die meisten zustimmen. In der Praxis ist es dagegen ungleich schwieriger, diesen Grundsatz zu leben: So sei etwa ein neuer Konformitätsdruck durch die Abhängigkeit von Drittmitteln wissenschaftsintern spürbar. Ein weiteres Phänomen mit Risikopotenzial für akademische Streitkultur sieht Lotter in moralischen Projekten, „die den Vorrang der Gerechtigkeit vor der Wahrheitssuche fordern“. Lotter begründet diese These aus meiner Sicht nachvollziehbar und ohne unnötige Polemik. Im Kern liefert sie gute Argumente dafür, diesen Trends entgegenzuwirken und kritische Stimmen in der wissenschaftlichen Debatte nicht auszugrenzen. Als abschließende „Vermutung“ hält die Autorin fest: „Nur wenn wir die Gerechtigkeit – was immer man sich darunter vorstellt – in den Wissenschaften nicht über die Wahrheit stellen, werden wir sie auf Dauer fördern können.“