Weihnachten, wie man es möchte

Nein, ich bin einfach kein Weihnachtsfan, aber ja, ich mag diese Tage vor und nach Weihnachten, an denen alle mit Weihnachten (IHREM Weihnachten) beschäftigt sind, weil es dann nämlich ruhiger ist. Und das ist ja ganz hervorragend! 🙂

Ich habe die letzten Tage genutzt, um mal wieder so einiges zum Thema „Kompetenzen“ zu lesen – unter anderem, weil ich dazu Anfang Februar einen Vortrag in Gießen halten werde. Das ist nicht das erste Mal, dass ich mir einerseits dabei denke: Ja, das ist sinnvoll investierte Zeit, denn man muss sich über Begriffe, aus denen auch umfänglichere Konzepte werden, Gedanken machen – zumal über solche, die in Forschung und Politik (u. a. in der Forschungsförderung) erheblichen Einfluss ausüben (und das trifft ja wohl alles auf den Kompetenzbegriff zu). Andererseits mehren sich dann mit jeder fortschreitenden Stunde alsbald andere Gedanken: Nein, also besser in den Papierkorb damit und was Vernünftigeres machen, denn wenn ich unter anderem lese, wie lange man sich da schon streitet und der Gewinner ohnehin seit mindestens 2000 feststeht, dann könnte es sich doch um eine zeitliche Fehlinvestition handeln. Nun gut, mal sehen, was bis Ende Januar dabei herauskommt.

Aber eigentlich wollte ich in diesem letzten Blogbeitrag des Jahres 2012 auf ein paar Sachen hinweisen, die ich interessant fand und noch schnell weitergeben möchte:

Da ist zum einen Rolf Schulmeisters kritischer Vortrag über MOOCS (hier abzurufen), den sicher schon viele gehört haben. Wer ihn noch nicht gehört hat: Empfehlenswert (etwa wenn man sich beim Verwandtschaftsbesuch mal absetzen möchte)!

Da ist zum anderen Christians lautes Denken über das Flipped Classroom-Konzept und die dazugehörige Diskussion (hier und hier). Wenn ich das so lese, wie sich da der Gestaltungsprozess entwickelt, habe ich schon ein wenig den Eindruck (mindestens aber die Hoffnung), dass mein Studientext zum Didaktischen Design eine gewisse praktische Relevanz hat (dessen Struktur auch eher induktiv auf der Basis eigener didaktischer Erfahrungen entstanden ist).

Außerdem möchte ich noch einen kurzen Text von Georg Hans Neuweg empfehlen: In einem fiktiven Streitgespräch denkt er laut darüber nach, was guter Unterricht ist (hier). Vor zwei Jahren saß ich über Weihnachten an einem Vortragstext, aus dem dann auch ein Artikel entstanden ist (hier), und die Ähnlichkeiten der Botschaften sind deutlich (leider habe ich mich mit Herrn Neuweg noch nie austauschen können). Neuweg hat es aber eindeutig unterhaltsamer beschrieben!

Ich denke, es ist nun Zeit für zwei Wochen Blogpause; es sind ja eh alle mit anderem als mit Blog-Lesen – nämlich mit Weihnachten und danach mit Silvester (auch so ein „Zwangsfest“, dem man nur mit viel Mühe entkommt) – beschäftigt. Ich hoffe, dass ihr alle die kommenden Tage so verbringen könnt, wie ihr das möchtet, und natürlich wünsche ich allen ein abwechslungsreiches und glückliches neues Jahr 2013.

Wichtiger als Antworten

Zwei Jahre ist es jetzt schon her, als ich kurz vor Weihnachten ein kleine „Weihnachtserlebnis“ mit einem Mädchen im Grundschulalter an der Bahnstation Haunstetter Straße in Augsburg hatte. Ihre Frage „Geht´s hier nach Italien?“ war der Aufhänger für meine kleine Geschichte zu Weihnachten 2008. Das war immerhin eine Frage, die man grundsätzlich beantworten konnte. Komischerweise habe ich in den letzten Tagen viel an eine Kinder-Frage denken müssen, die bereist 15 (!) Jahre zurück liegt – an die Frage eines Zweieinhalbjährigen, auf die ich erst mal keine Antwort wusste: „Wo war die Welt, als ich noch nicht auf der Welt war?“ Diese Frage habe ich nicht vergessen – ich kann sie gar nicht vergessen, und dennoch wundere ich mich, warum sie mir gerade im Moment wieder so häufig durch den Kopf geht. Das Interessante an dieser Frage ist ja, dass sie sich (grammatikalisch) auf die Vergangenheit bezieht und doch (inhaltlich) auf die Zukunft gerichtet ist, nach dem Motto: Ich wüsste gerne, was es vor mir gab, ob es da überhaupt was (ohne mich) gab; aber an sich interessiert mich, was jetzt und in Zukunft ist und welche Rolle ich dabei spielen werde. Aus dem Mund eines Kindes ist es eine Frage, die Zuversicht ausstrahlt: Jetzt bin ICH da und vielleicht verändere ich die Welt. Welche Frage stellt man sich wohl, wenn man vorzeitig und freiwillig wieder aus diesem Leben geht? Fragt man sich: „Wo wird die Welt sein, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin?“ Wahrscheinlich nicht – jedenfalls nicht, wenn man schon drei, vier oder fünf Jahrzehnte gelebt hat, wenn man weiß (oder zu wissen glaubt), wie klein die Rolle ist, die man in der Vergangenheit gespielt hat. Aber vielleicht ist es ja genau nicht so. Vielleicht wandelt man es nur ein wenig ab und fragt sich: „Was macht die Welt, wenn ich nicht mehr auf der Welt bin?“. Dann würde sich der Fragende womöglich weiter im Mittelpunkt wähnen – aber ohne Zuversicht und ohne Chance, damit (noch) die Welt zu verändern. Gut, da werden mir jetzt gläubige Christen (gerade zu Weihnachten) widersprechen, aber als Anhänger des Humanismus (den ich leider nie auf Formularen finde, die sich neugierig nach meiner Glaubensrichtung erkundigen) kann ich nur in lebende Menschen meine Hoffnung setzen.

„Wo war die Welt, als ich noch nicht auf der Welt war?“ Ich glaube, ich habe damals keine Antwort geben können. Aber das ist womöglich gar nicht wichtig gewesen. Wichtiger als Antworten erscheint mir ohnehin, dass man Kindern und allen, die noch jung genug sind, daran zu glauben, dass sie die Welt verändern können, darin bestärkt, dass dies möglich ist – egal wie klein die Rolle letztlich ist oder sein wird, die man dafür zur Verfügung hat.

Ich wünsche allen (aller Glaubensrichtungen) ein schönes Weihnachtsfest. Ich melde mich wieder im neuen Jahr 2011.

Gehts hier nach Italien?

Bald ist Weihnachten und vielleicht war das gestern am späten Nachmittag ein Weihnachtserlebnis?

Es ist Freitag und ein dunkler Nachmittag in Augsburg an der Haunstetter-Straße: Ich steige aus der Straßenbahn und gehe die Treppen hoch zum Bahngleis in der Hoffnung, dass die Regionalbahn nach München bald kommt. Aber ich bin wie immer zu früh dran, es ist unangenehm nasskalt – Schneeregen, der Bahnsteig ist ohne Dach. Ich gehe wieder runter und warte lieber an der Straßenbahnhaltestelle, die unter den Bahngleisen und daher überdacht ist. Eine Bahn aus der Stadtmitte kommt und ein Mädchen steigt aus – Grundschulter – mit einem überdimensionalen Schulranzen – jedenfalls im Verhältnis zur Größe des Mädchens. Sie wirkt unschlüssig und geht in Richtung Treppe, schaut hoch, geht zwei Stufen hinauf und blickt neugierig nach oben, geht zurück und mustert die umstehenden Leute. Dann entdeckt sie mich, schaut mich kurz an und kommt auf mich zu: „Weißt du, was da oben ist?“ fragt sie und deutet die Treppen hinauf zum Bahnsteig. Ich denke erst, sie hat sich vielleicht verirrt: „Der Bahnsteig ist da oben. Wieso? Wo musst denn hin?“ „Ich will nur wissen, was da oben ist“, gibt sie mir zur Antwort, „ … ich bin jetzt schon neun Jahre alt und war noch nie da oben.“ Sie geht wieder ein paar Schritte zur Treppe und blickt nach oben:“Kannst du mit mir da mal raufgehen?“ „Ja, natürlich, ich muss sowieso da hoch“, und schon läuft sie vor, nicht ohne sich zu vergewissern, ob ich auch hinter ihr bin. Schnell ist sie oben und fragt: „Und was fährt hier?“ „Züge fahren hier. Manche fahren nur vorbei, aber die Regionalbahnen, die halten hier.“ Sie schaut mich ungewöhnlich begeistert an und will es genauer wissen:“ Wohin fahren die?“ Ich zeige nach rechts: „Hier fahren sie weiter zum Augsburger Hauptbahnhof. Und hier …“, ich zeige nach links, „nach München“. „Und nach Italien? Gehts hier nach Italien?“ Ich muss ein wenig lachen: „Nach Italien? Also …, nicht direkt. Aber du kannst nach München fahren und von da aus dann direkt ab nach Italien!“ „Toll!“ , die Begeisterung der Kleinen steigert sich. Ich bin jetzt ein wenig besorgt; hoffentlich steigt sie nicht einfach in den nächsten Zug: „Musst du nicht nach Hause. Vielleicht nimmst du lieber deine nächste Straßenbahn?“ „Ja“, sagt sie und macht schon kehrt: „Tschüss!“, sie läuft die Treppe runter, dreht sich nochmal um und winkt: „Tschüss!“ „Tschüss“, ich winke auch. Ein Mann blickt mich mürrisch an, die Frau dahinter verzieht keine Miene. Na ja, es ist halt kalt und der Schneeregen ist nicht schön … ich hatte es aber ein paar Minuten vergessen.