Erniedrigungsbürokratie

Manchmal liest man ja was und weiß sofort: Da schreibt jemand öffentlich auf, was man sich selber bisher nur getraut hat zu denken, ohne es laut auszusprechen. Kommt vor! Kam jetzt auch wieder vor, als ich ein Interview mit Reinhard Sprenger gelesen habe, der sich in der Managementliteratur einen Namen gemacht hat. Normalerweise interessiert ich das nicht sonderlich, aber da ich bin hängen geblieben: Sprenger spricht im Interview (hier) von der Entmündigung in großen Unternehmen, von Erniedrigungsbürokratie, psychosozialer Zudringlichkeit und Therapeutisierung. Ein Transfer auf Hochschulen fällt nicht allzu schwer.

Angestellte in Unternehmen – so Sprenger – würden heute pausenlos befragt, vermessen, gesteuert, optimiert und fürsorglich belagert und dadurch ihrer Frei- und Spielräume beraubt werden; vordergründig würden Mitarbeiter unterstützt, tatsächlich aber bevormundet werden. Parallelen an Hochschulen? Da fallen mir schon einige ein. Man denke nur an die immer größer werdenden Personalabteilungen mit ihren wachsenden Angeboten zu allem Möglichen bis hinein in die Sphäre der Familie.

Als unanständig zudringlich sieht Sprenger auch den Feedback-Boom. Ständig gesagt zu bekommen, was andere von einem halten, führe vor allem zu Konformität und Gleichmacherei. Das permanente Urteil vom Kunden via Befragungen sei mitunter entwürdigend. Parallelen an Hochschulen? Das dürfte nicht schwer sein, wenn man sich die zahlreichen Anlässe für Evaluationen aller Art vor Augen führt.

Das Führen mit Zielen, so Sprenger, lade zu kurzfristigem Aktionismus ein, laufe meist auf Ziel-Diktate hinaus, verenge die Verantwortung auf individuelle Ziele und mache damit Kollegen zu Gegnern. Die Aufgabe würde zum Mittel, das Ziel zum Zweck werden. „Das ist die systematische Erzeugung von Sinnlosigkeit.“ Parallelen an Hochschulen? Zielvereinbarungen sind ja sozusagen auf allen Ebenen das Instrument der Wahl geworden – natürlich abgeschaut von großen Unternehmen.

Schön auch die Beispiele der Bevormundung mit fürsorglich daherkommenden Parolen und Ermahnungen, etwa jeden Urlaubstag und jede Gesundheitsberatung auch wirklich in Anspruch zu nehmen und bloß niemals E-Mails am Wochenende zu lesen – bis hin zu Server-Abschaltungen, um die Mitarbeiter zu ihrem Glück zu zwingen. Sprenger dazu: „Es ist erniedrigend, jemandem zu unterstellen, er sei nicht in der Lage, sich abzugrenzen und Nein zu sagen. Natürlich ist es ein Problem, wenn manche Mitarbeiter nicht abschalten können oder wollen. Aber der Preis, den wir für Zwang bezahlen, scheint mir viel zu hoch zu sein.“ Parallelen an Hochschulen? Auch hier hat man längst aufgeholt, Leitlinien und Grundsätze für Führungskräfte können einen geradezu das Fürchten lehren, wenn man anfängt, darüber nachzudenken, wo man sich überall einmischen soll.

Am Ende aber ist ein Wort besonders treffend in diesem Interview, das sicher pointiert daherkommt, aber eben mit genau dieser Zuspitzung so einiges ganz wunderbar deutlich macht: das Wort Entmündigungsbürokratie. Das ist sozusagen das Antonym zu Bildung und eine Wortneuschöpfung, die auf den Punkt bringt, was auch an Hochschulen zu einem immer größer werdenden Problem wird.

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