Glückspilze im Wettbewerb

Denkt man an Lostrommeln und Tombolas, drängen sich Bilder von Volksfesten und Kindergeburtstagen auf – an Wissenschaft denkt man in der Regel nicht. Und doch spielt für den Kontext Hochschullehre das Losglück seit einiger Zeit eine nicht unerhebliche Rolle, wenn man auf der Suche nach Fördergeldern für Lehrprojekte ist – etwa bei der Stiftung für Innovation in der Hochschullehre. Gerade ist es wieder so weit, dass sich einige über ein gezogene Los freuen, das ihnen ermöglicht, einen Förderantrag bei der Stiftung einzureichen und dann in den Wettbewerb mit den anderen Glückspilzen zu treten, während sehr viele andere verärgert oder achselzuckend ihre Nieten entgegennehmen.

Dazu passt ein aktueller Beitrag von Stefan Kühl (hier) zum Thema Mittelvergabe über Wettbewerbe. Kühls Diagnose: „Immer mehr setzt sich ein Verständnis von Wissenschaft durch, demzufolge Forscher nicht vorrangig aufgrund ihrer wissenschaftlichen Neugier arbeiten, sondern durch zusätzliche Geldmittel motiviert werden müssen“ – was inzwischen auch für Lehre, deren Entwicklung und Erforschung gilt. Die Folgen der fortschreitenden „Verwettbewerblichung der Wissenschaft“: wachsende Bürokratisierung mit immer mehr Personen, die nur dafür arbeiten, das bürokratische Systeme am Laufen zu halten, und – so wäre zu ergänzen – wachsende Kreativität in Sachen Auswahl etwa über Lotteriesysteme. Mit seinem Beitrag verweist Kühl auf das altbekannte Problem, dass man in der Wissenschaft zunehmend auf eine Logik aus der Wirtschaft setzt: auf Wettbewerbe in der Annahme, dass der „Markt“ Vorteile hat gegenüber einer zentralen Steuerung und beim Bürokratieabbau helfen könne. Doch, so Kühl, das Gegenteil sei der Fall: „Das Problem ist, dass durch staatliche Stellen simulierte Wettbewerbe keine funktionierenden Märkte sind. Im Gegenteil: Weil öffentliche Mittel verteilt werden, müssen sich alle Teilnehmer an die bürokratischen Regeln halten.“

Was wäre die Lösung? Als erstes nennt Kühl die „Verringerung der organisierten Wettbewerbe zugunsten einer ausreichenden Grundfinanzierung“. Das wäre wohl in der Tat die einfachste Möglichkeit. Als zweites stellt Kühl die Idee einer „Umstellung der Wissenschaftsförderung auf ein Preissystem“ vor: Für wissenschaftliche Leistungen, so seine Vorstellung, gäbe es Preisgelder, mit denen die prämierten Personen weiter forschen können – beginnend schon auf der studentischen Ebene. Die Vorzüge in Kühls Worten: „Wissenschaftler müssten nicht mehr Energie in das Verfassen und Optimieren von Plänen, die Pflege von auf die Ausschöpfung von Fördertöpfen ausgerichtete Beutegemeinschaften und die permanente gegenseitige Begutachtung von Antragsprosa stecken, sondern Wissenschaft im engeren Sinne betreiben. Diese Verschwendung von wissenschaftlicher Energie für die Begutachtung anderer wird auch in einem Preissystem nicht völlig verschwinden, aber immerhin würde man dann nicht die auf die Förderbürokratielogik hin optimierten Pläne lesen, sondern die von Kollegen produzierten Forschungsergebnisse.“

Zu Kühls Beitrag gibt es einige Kommentare, die es sich lohnt zu lesen: Natürlich sind die Einschätzungen zu Kühls Vorschlag unterschiedlich – das ist wohl auch nicht anders zu erwarten, weil die dahinterstehende Herausforderung mehrdimensional ist und kaum mit einem simplen Rezept bewältigt werden kann. Ich selbst fände die erste einfache Lösung am besten: Es muss doch möglich sein, Universitäten so auszustatten, dass die Menschen das vernünftig machen können, wofür sie angestellt oder berufen wurden. Das ließe sich dann immer noch kombinieren – in weitaus geringerem Maße als jetzt – mit Ausschreibungen und, ja warum nicht, auch mit Preisgeldern: eine mehrdimensionale Antwort auf eine vielschichtige Herausforderung eben.

Ein Losverfahren, um nochmal auf den Anfang zurückzukommen, das per Zufall bestimmt, wer überhaupt in den Wettbewerb um Fördergelder einsteigen darf, ist in meinen Augen eigentlich ein anschaulicher Beleg dafür, dass die „Verwettbewerblichung“ längst an ihre Grenzen geraten ist: Wenn auf eine überschaubare Summe an Fördergeldern ein derartiger Run ausgelöst wird, dass man sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als das Los entscheiden zu lassen: Hat sich das derzeitige System damit nicht schon selbst ad absurdum geführt?

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