Wann schreiben Wissenschaftler zu welchem Zweck Texte (oder auch ganze Bücher)? Was treibt sie zum Schreiben und Publizieren an? Ich vermute, dass sich diese Frage nicht eindeutig beantworten lässt. Es kommt wohl darauf an, in welcher Phase einer wissenschaftlichen Karriere man sich befindet.
In frühen Karrierephasen dürfte es vor allem so sein, dass einem das Wissenschaftssystem indirekt die Bedingungen für das Publikationsverhalten diktiert: Wer eine Promotion oder Habilitation und/oder eine (Junior-)Professur anstrebt, orientiert sich natürlich an den damit verbundenen (tatsächlichen oder angenommenen) Erwartungen bzw. an den gerade herrschenden „Gepflogenheiten“: Welche Publikationsarten und vor allem -orte sind im eigenen Fach jeweils gerne gesehen, welche „gelten“ etwas? Das lange Warten auf Gutachten sowie die Unsicherheit, ob man mit einem Text via Review-Prozess in eine Zeitschrift „reinkommt“ oder „rausfliegt“, erzeugen darüber hinaus zeitlichen Druck mit Folgeeffekten. Wer als Wissenschaftler hingegen schon „etabliert“ ist, also beispielsweise eine unbefristete Professur hat, bräuchte sich diesem Diktat eigentlich nicht mehr zu unterwerfen – eigentlich, denn: Viele tun es dennoch, zum Beispiel aus Reputationsgründen. Was sich ebenfalls häufig beobachten lässt, ist die Tendenz, das eigene Schreib- und Publikationsverhalten an Calls auszurichten. Natürlich: Bisweilen gibt es den glücklichen Umstand und man arbeitet gerade an einem Thema, das zu einem Call passt; der Regelfall aber wird das vermutlich nicht sein.
Wie auch immer: Ich persönlich leiste mir schon länger den Luxus, dass ich Texte genau dann schreibe, wenn mich gerade etwas beschäftigt und ich eine Frage beantworten möchte, die mich bei einem wissenschaftlichen Vorhaben – ob mit oder (wie in letzter Zeit häufiger) ohne Drittmittel – umtreibt. Dabei ist mir auch egal, ob das Thema und/oder die angewendete Methode für die Bearbeitung einer Problemstellung gerade en vogue ist. Zugebenermaßen hat das bisweilen zur Folge, dass meine Texte nicht in bestehende Publikationsorgane „passen“ – und dann in meiner eigenen Impact Free-Reihe landen. Manchmal versuche ich es auch gar nicht erst, einen Beitrag irgendwo einzureichen; das passiert vor allem dann, wenn ich einen Text zeitnah und nicht erst in einem Jahr veröffentlichen möchte – ein Zeitraum, der inzwischen gar nicht so selten ist, weil Herausgeber keine Gutachter finden, Review-Prozesse monatelang dauern und im schlimmsten Fall in unmotivierte Gutachten und Ablehnung münden. Womit ich nicht sagen will, dass das Problem im Konzept des Peer-Reviews liegt – im Gegenteil: Konstruktive – auch kontroverse – Reviews, denen man anmerkt, dass sich da jemand mit einem Text wirklich auseinandergesetzt hat, sind ausgesprochen wertvoll. Daher hole ich mir stets mindestens zwei Meinungen und kritische Rückmeldungen ein, auch wenn ich Texte selbst veröffentliche.
So, jetzt habe ich lange ausgeholt, um auf einen neuen Impact Free-Artikel (hier) zu verweisen, der in die Kategorie „reiche-ich-wegen-Chancenlosigkeit-gar nicht-erst-ein“ gehört. Er beschäftigt sich mit Paradoxien als theoretisches Forschungsinstrument im Diskurs zu KI und ist – ich sage mal – explorativ. Mir geht es in diesem eher kurzen Text darum, gedanklich auszuloten, welche Rolle Paradoxien in der theoretischen Forschung zu KI in der Hochschulbildung spielen könnten. Es gibt einen gewissen Zusammenhang mit dem Instrument des Gedankenexperiments – auch diese Überlegungen waren ein Fall für Impact Free (nämlich hier und hier).
Um zum Schluss nochmal auf die Publikationspraxis von Wissenschaftlern zurückzukommen: Auch das nämlich hat etwas Paradoxes an sich; jedenfalls ist die folgende Situation doch eigentümlich widersprüchlich: Wer die Wissenschaft bzw. eine bestimmte Fachwissenschaft zum Beruf macht, hat (wenn das gelingt) das große Privileg, aber auch die Pflicht, sich der „Sache“ zu verschreiben – in der Forschung wie in der Lehre. Wer aber im Wissenschaftssystem Erfolg haben will, richtet das Publikations- (und Forschungs)verhalten oft selbst dann (mitunter „ohne Not“) an Belohnungssystemen aus, wenn diese der Wissenschaft am Ende abträglich sind.