Ich bin eher der praktische Typ!

Joachim Wedekind reflektiert in einem interessanten Blog-Beitrag (hier) die Chancen einer Open-Bewegung für die Forschung und verknüpft damit die Hoffnung, dass sich in der Folge auch die Lehre ändert, der er aktuell nur einen mäßigen methodischen Standard attestiert. Neue Formen der Wissensgenerierung und Wissensdistribution (nämlich öffentlich zugänglich) sollten dann auch die Lehre positiv beeinflussen – Werkzeuge aus dem Umkreis des Web 2.0 (die wohl gemerkt noch keine Methoden sind) gibt es ja genug.

Ich teile Joachims Optimismus in dieser Hinsicht eher nicht. Vielmehr glaube oder befürchte ich, dass die Schere zwischen Forschung und Lehre noch weiter auseinandergehen wird. Nicht nur die sich etablierte Art der Umsetzung von Bologna-Rechtlinien in Deutschland und deren Verstärkung durch Akkreditierungsagenturen, sondern auch die Erwartungen der Studierenden und das Versprechen einer „Berufsausbildung“ im Studium führen von der Forschung eher weg als hin: „Das ist mir zu theoretisch!“, „Den wissenschaftlichen Background brauche ich nicht!“, „Ich bin eher der praktische Typ!“ etc. sind studentische Aussagen, die man immer häufiger hört und nicht zur Desinteresse, sondern gar Ablehnung von allzu offensichtlich „wissenschaftlichen Inhalten“ zum Ausdruck bringen. Medien und Politik waren in dieser Hinsicht erfolgreich: Das Label „praktisch – kurzzeitig – verwertbar“ haftet dem Bachelor längst an. Es gelingt durchaus, eine ganze Reihe von Studierenden im Verlauf des Studiums auch eine andere Sicht zu vermitteln, aber der Einstieg dazu ist eindeutig erschwert. Vielleicht ist das Konzept des forschenden Lernens und dessen Wiederbelebung und Aktualisierung ein kleiner Rettungsanker, den wir ins Bologna-Meer auswerfen könnten (ein Vortrag dazu hier), um Forschung und Lehre wieder zu verknüpfen. Dann könnte der Lehrbetrieb an interessanten Entwicklungen im Bereich der Forschung womöglich partizipieren.

Es fragt sich allerdings, wie sich die Forschung wirklich entwickeln wird, ob sich die Verfechter der Open-Strömungen werden durchsetzen können. Ändern müsste sich meiner Ansicht nach auch die Praxis der Forschungsförderung, die aktuell vor allem den Mainstream unterstützt. Angesichts der Tatsache, dass Wissenschaftler zunehmend das machen, was Geld bringt (unter anderem um auf eine angemessene Besoldung zu kommen, weil das in der Regel in den Zielvereinbarungen steht), und die Grundausstattung gerade mal dazu reicht, den bürokratischen Wahnsinn zu bewältigen, sehe ich auch in der Forschung erheblichen Reformbedarf.

Was in 40 Jahren alles nicht passiert

Wie vor kurzem bereits angekündigt, habe ich am 9. Juni an der Universität Hamburg im Rahmen der Ringvorlesung „Medien und Bildung“ einen Vortrag zum „forschenden Lernen und wissenschaftlichen Prüfen“ gehalten. Ausgangspunkt meines Vortrags ist eine fast 40 Jahre alte Schrift der Bundesassistentenkonferenz zum forschenden Lernen und wissenschaftlichen Prüfen, die lange Zeit vergriffen war und nun wieder neu aufgelegt wurde (Infos dazu siehe hier). Ich stelle wieder mein Redemanuskript zur Verfügung. Diesmal biete ich auch die (Text-)Folien an, weil die da zu findende Gegenüberstellung „1970 – 2009“ zum besseren Verständnis möglicherweise hilfreich ist. Ich freue mich übrigens auch über Kommentare :-).

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Mobilität als Selbstzweck?

Ich frage mich immer öfter, was ich eigentlich von der viel beschworenen Mobilität halten soll. Aktueller Anlass sind einige Pressemitteilungen über die kürzlich zu Ende gegangene Bologna-Folgekonferenz in Leuven (Belgien) – mit einem entsprechenden Kommunikee. In der Pressemitteilung des BMBF heißt es: „Die Erhöhung der Mobilität von Studierenden und akademischem Personal bleibt eines der Kernziele des Bologna-Prozesses.“ Warum ist das ein Kernziel? Wenn man sich von Mobilität erwartet, dass Studierende ihren persönlichen Horizont erweitern, Sprachen lernen, Verständnis für andere Kulturen entwickeln, dann kann ich das nachvollziehen. Allerdings kostet das Zeit, die gerade im Studium infolge des allgemeinen Gehetzes keiner mehr hat. Zudem setzt das ein hohes Maß an Reflexionsfähigkeit voraus.

Ich bezweifle, dass Mobilität an sich bzw. quasi automatisch dazu führt, dass sich Studierende persönlich und fachlich weiterentwickeln. Problematisch finde ich den Umkehrschluss: Wer NICHT mobil im Sinne von Auslandsaktivitäten ist, der hat auch eine persönliche Stagnation zu beklagen. Solche Umkehrschlüsse begegnen mir häufig und erzeugen einen gewaltigen und aus meiner Sicht ungerechtfertigten Druck. Es gibt viele Gründe, NICHT ins Ausland zu gehen, stattdessen im eigenen Land ehrenamtlich tätig zu sein, sich sozial zu engagieren etc. und dabei vergleichbare Ziele einer geistigen Mobilität und Beweglichkeit, Horizonterweiterung und persönliche Entwicklung zu erfahren. Menschen sind verschieden, so auch ihre Wege der persönlichen Bildung in diesem erweiterten Sinne. Immer ist im Zug europäischer Bewegungen von Vielfalt die Rede, während im gleichen Atemzug eine seltsam „Einfalt“ propagiert wird. So gesehen ist der Aspekt der Mobilität bei Bologna möglicherweise ein typisches Beispiel für einen beständig wiederkehrenden Mechanismus: Es gibt eine für Fragen der Bildung an sich gute Idee, die potenzielle Verbesserungen in der Bildungslandschaft verspricht. Um diese Idee auch „durchzusetzen“, wird sie formalisiert (indem z.B. „quantifizierbare Ziele“ definiert werden – was erneut ausgebaut werden soll). Im Zuge dieser Formalisierung bzw. Quantifizierung beginnen sich Indikatoren oder Teile eines Ganzen zu verselbständigen und letztlich vor allem im Zuge von Kontrollverfahren skurrile Züge anzunehmen. Nichts gegen Formalisierung und Quantifizierung – aber doch immer im Bewusstsein, dass es Indikatoren für etwas sind, was sich NICHT in der Gänze formalisieren lässt, was man ergänzen sollte durch andere Formen der Überprüfung.

Erwähnenswert ist noch, dass auch die Situation des wissenschaftliches Nachwuchses verbessert werden soll. Leider ist nicht erwähnt, dass die beste Förderung darin bestehen würde, auch Stellen im Anschluss an die wissenschaftliche Qualifizierung etwa in Form neuer Professorenstellen zu schaffen. Das wäre eigentlich die wichtigste Maßnahm, denn: Was nutzt es dem wissenschaftlichen Nachwuchs, während der Qualifizierung bessere Bedingungen zu haben, um am Ende doch auf der Straße zu stehen?

Jeans oder Anzug?

Wer ist schuld an der Bologna-Misere? Oder ist alles nur ein mieses Gerücht? Wer verbreitet es mit welcher Absicht? Die Meinungen sind geteilt, wie eine ganze Reihe von Beiträgen in der ZEIT demonstrieren – und an sich ist das ja nun wirklich nicht verwunderlich: Verschiedene Antworten kommen zustande durch verschiedene Perspektiven und dadurch, dass Lehren und Studieren in hohem Maße von einzelnen Personen abhängig ist – und die waren schon immer verschieden.

„Heute haben die Professoren die Jeans an und ihre Hiwis den Anzug“ – so die Beobachtung eines Hausmeisters an der Uni Tübingen – eine Beobachtung mit Symbolwert? Ja, das kann gut sein, wenn der „Anzug“ für Karrieredenken und die Jeans für zweckfreies Lesen, Denken und Schreiben stehen sollen. Aber so einfach ist das natürlich nicht! Sich konform zu verhalten, muss nicht Ausdruck von Denkfaulheit sein, und natürlich muss man sich hüten, sich überheblich über die Zukunftsängste junger Menschen zu erheben, keinen Job zu bekommen. Und daran ist der Bachelor schuld? Auch das wäre zu einfcah. Heinz-Elmar Tenorth findet seine Bachelor-Studierenden „wissbegierig, bildungsinteressiert und fleißig“. Eine in einem anderen Beitrag zitierte Studentin dagegen ärgert sich über Kommilitonen, die Leistungspunkte wie Rabattmarken im Supermarkt sammeln. Wer hat Recht? Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt: Jeder berichtet da aus seiner Warte und ich kenne sowohl die bildungsinteressierten Studierenden als auch die Punktejäger – je nachdem, ob sie sich für das interessieren, was ich anbiete, oder eben nicht. Neben dem Studierverhalten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die mal als kritisch, mal als unproblematisch in den neuen Studiengängen dargestellt werden: Auslandssemester und Betreuungsfragen kommen z.B. am häufigsten vor. Für jede Pro- und Contra-Sicht gibt es Beispiele und Argumente, die überall zustimmendes Nicken auslösen – auch wenn sie sich widersprechen.

Ein Studium ist allem voran von den beteiligten Personen abhängig: von den Studierenden und von den Lernenden. Die unterscheiden sich – das war schon immer so und das wird auch so bleiben. 100 Prozent Zufriedenheit auf beiden Seiten – das gibt es nicht. Wenn die Anrechnung von Leistungspunkten aus dem Ausland nicht klappt – sorry, aber da ist es eine Ausrede, wenn man die Politik dafür verantwortlich macht. Das macht der Prüfungsausschuss und der besteht aus Professoren. Das haben wir also als Hochschullehrer selbst in der Hand. Wenn man keine kreativen (und bedarfsorientierten) ad hoc-Lösungen in der Lehre mehr umsetzen kann, weil das nicht im akkreditierten Studiengang steht – ja, das ist schon schlechter: Da kann man als Hochschullehrer nicht so einfach den Weg gehen, den man inhaltlich an sich vertreten kann. Hier hat man uns bereits Handschellen angelegt. Setzen wir uns darüber hinweg und gefährden eine Akkreditierung, dann hat man Ärger am Hals – von den Kollegen und vielleicht auch von den Studierenden. Wenn die versprochene Betreuung im Bachelor nicht besser wird, dann reichen wir nochmal tiefer an tatsächlich bildungspolitische Grundsatzprobleme heran: „Schauen Sie sich den Stapel in meinem Büro an. Ich habe eine Siebentagewoche. Neun Stunden Lehrverpflichtung sind einfach nicht zu leisten, wenn man die neuen Lehr- und Lernformen ernst nimmt. Sie müssen die Mentoren und Tutoren für die Lehre betreuen, Reader mit der wichtigsten Literatur erstellen, auf studentische Kritik an den Lehrveranstaltungen eingehen. Und dann sollte man als Professor auch noch exzellent forschen, denn nach der Forschungsleistung bemessen sich der Erfolg und die finanzielle Zuweisung. Das ist irre! Man kann nicht verlangen, dass Studenten hierzulande so gut wie in Harvard betreut werden, aber kein Geld dafür investieren.“ Ternoth trifft einen wichtigen Punkt mit dieser Aussage – das kann ich nur unterstreichen!

Wir haben mit Bologna eine überfällige Reform der Hochschulen angeschoben, aber irgendwie hat man da zwei Esel vor einen langen und schweren Güterzug gespannt … und ihnen moderne Flyer umgehängt. Bei mir verursacht die ganze Exzellenz- und Wettbewerbsrhetorik im Zusammenhang mit Bologna inzwischen gewltigen Ärger, obschon ich rein gar nichts gegen Modularisierung, gegen Leistungspunkte und studienbegleitende Prüfungen habe. Und wieso sollte man als Hochschullehrer etwas dagegen haben, Studierende „berufsfähig“ zu machen – ja was sonst? Aber wieso bitteschön, sollten Wissenschaft und Forschung, auch ein forschendes Lernen, das Eindenken in eine Wissenschaft NICHT dabei helfen, einen Beruf verantwortungsvoll auszuüben? Wer um Gottes Willen hat denn in die Welt gesetzt, dass man sich Berufsfähigkeit nur in Trainings für Präsentieren und interkulturelle Kommunikation holen kann? Warum sollte man Forschungsmethoden erst im Master lernen – was ist denn das für ein Blödsinn? Wer den verzapft, der kann nie verstanden haben, was Wissenschaft, was wissenschaftliches Denken und Handeln gerade auch für praktische Problemlösungen leisten kann. Natürlich muss man dann die Brücke zur Praxis in der Lehre auch schlagen, indem man wissenschaftliche Angebote ergänzt durch Praxiskontakte und Projektseminare mit der Wirtschaft, durch Praktika und Kooperationen außerhalb der Uni.

Nicht die Grundidee von Bologna nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern die bürokratische Umsetzung, der Unsinn mit den Akkreditierungsagenturen und die wiederholten Versuche, Studierende und Hochschullehrer gegeneinander auszuspielen – was auch die Medien gerne tun, die ja von den Schlagzeilen-tauglichen dummen Studierenden ebenso leben wie von den faulen Professoren. Ich hätte gerne Professoren in Jeans UND Anzügen; mir ist es völlig egal, ob Studierenden grüne Haare haben (haben sie aber nie – warum eigentlich nicht?) oder im Business-Kostüm herumlaufen. Das muss doch jeder selber wissen. Ich habe eher Angst vor Uniformität und davor, dass wir allesamt verlernen, selbst zu denken, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und einen persönlichen Weg zu finden, dass wir uns nicht mehr trauen, blödsinnige Regeln schlichtweg NICHT zu befolgen.

In der Wüste feiert man sich am besten selbst

Ausgeprägter kann ein Gegensatz wohl kaum mehr sein:

In einer aktuellen Pressemeldung des bmbf kann man Folgendes lesen: „Zehn Jahre nach seinem Beginn hat der Bologna-Prozess zu einer erfolgreichen Modernisierung der deutschen Hochschulen beigetragen. Die Umstellung bietet die Chance, die Qualität von Studienangeboten zu verbessern, mehr Beschäftigungsfähigkeit zu vermitteln und die Zahl der Studienabbrüche zu senken. Diesen Innovationsschub wollen wir weiter erfolgreich nutzen.“ Mit diesen Worten eröffnete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Andreas Storm (MdB), am Freitag ein vom BMBF und der Kulturministerkonferenz (KMK) in Berlin veranstaltetes Symposium.

Vor genau einem Jahr kam Professor Brenner von der Universität zu Köln in einem Vortrag mit dem Titel „Die Wüste wächst“ zu einer komplett gegenteiligen Diagnose, was die Erfolge des Bologna-Prozesses betrifft: Er beobachtet eine „Selbstzerstörung der deutschen Universität“ und geht mit Hochschulrektoren, Professoren und Studierenden gleichermaßen ins Gericht, weil sie sich alle unfähig und unwillig gezeigt hätten, dem teuren Bürokratisierungsprozess im Zuge von Bologna die Stirn zu bieten – noch dazu, weil damit die schon Jahrzehnte vorher bestandene „Überfüllungskrise“ noch dramatischer geworden sei.

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Dass ich meine Arbeit nur noch mit einer 7-Tage-Woche schaffe, spricht eher für zweit genannte Diagnose. Dass ich zusammen mit ein paar Leidensgenossen/innen aktuell vor der schizophrenen Aufgabe stehe, erfolgreiche und sinnvolle Konzepte für die Lehre zurückzufahren, weil uns neue Stellen einen überdimensionalen Zuwachs an neuen Studierenden verschaffen, geht auch eher in Richtung von Diagnose 2. Dass wir eine geringe Abbrecherquote in unserem Studiengang haben, dass wir eine ganze Menge sehr guter Absolventen entlassen und die auch noch eine beachtliche Auslands- und Praktikumstätigkeit an den Tag legen, scheint dagegen – in unserem Fall – für Diagnose 1 zu sprechen. Aber für welchen Preis? Ist das wirklich ein Verdienst von Bologna? Oder doch „nur“ das Engagement Einzelner, die immer wieder (wie ich) ein bisschen naiv darauf hoffen, dass das mal belohnt wird? Einen Teil des Lohns habe ich schon kassiert: Die Zeit für Forschung (und Nachdenken!) schrumpft. Es mag ja viele Gründe haben, warum wir z.B. in Bezug auf Fördergelder für das Jahr 2009 weitgehend leer ausgegangen sind. Aber natürlich hat es AUCH damit zu tun, dass mein Zeitbudget für Anträge rapide geschrumpft ist.

Aber es gäbe da natürlich noch eine Einsparmöglichkeit: Ich schließe mein Blog – das würde mir sicher zwei Stunden pro Woche Zeit sparen – das wäre 1 SWS mehr für die Lehre oder eine halbe Seite Forschungsantrag … so ungefähr vielleicht.