Hans Brügelmann hat mich auf ein aktuelles Interview mit dem Wissenschaftssoziologen Peter Weingart in spektrumdirekt hingewiesen. Dabei geht es um die Glaubwürdigkeit und das Ansehen von Wissenschaft, die öffentliche Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Beziehung zwischen Medien bzw. Journalisten und Wissenschaftlern. Im Interview wird Weingart an einer Stelle auch nach der Bedeutung von Blogs in diesem Zusammenhang gefragt – eine Frage, auf die eher Ratlosigkeit folgt: Im ersten Anlauf wird die Frage gar nicht beantwortet, im zweiten meint Weingart: „Ob die Wissenschaftskommunikation in Zukunft mehr über Blogs laufen wird, hängt auch davon ab, wer die Öffentlichkeit solcher Blogs ist. Die meisten solcher Blogs werden wohl nicht von Leuten gesehen oder gelesen, die normalerweise in die Zeitung gucken oder auch im Internet Presseerzeugnisse studieren, will ich mal unterstellen.“ Das stimmt wohl, dass z.B. die Bild-Zeitung, FAZ und SZ sowie mehr oder weniger „private“ Blogs unterschiedliche Leserschaften haben. Dennoch erscheint mir diese Antwort ein bisschen zu einfach und eher ein Zeichen dafür zu sein, dass man sich damit noch nicht so recht auseinandersetzen mag. Immerhin wird die Äußerung EINZELNER Wissenschaftler in den klassischen Medien wie z.B. der ZEIT (die sich vor allem zu Bildungsthemen in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht eher einseitig konservativ geäußert hat) stark in die Breite gestreut und verfestigt sich dann – wegen der ja hohen Glaubwürdigkeit von Wissenschaftlern – als DIE Wahrheit. Genau darum geht es auch in diesem Interviews. Blogs könnten hier sehr wohl die öffentliche Meinung prinzipiell bereichern, wie ich meine. Schade also, dass Weingart dem Thema ausweicht.
Schlagwort: Presse
Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit
Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).
Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.
Mut zur Lehre
„Die zählebigste Grundannahme ist die, der zufolge Lehren eine unverzichtbare Voraussetzung für die Initiierung und Begleitung von Lernprozessen sein soll“ – schreibt Rolf Arnold in der FAZ.net (hier) angesichts der nie endenden Klagen über die Lehre an deutschen Universitäten (danke an Sandra für den Link-Hinweis). Bologna, so Arnolds Argumentation, versuche, grundlegende Probleme des Lernens und Lehrens an unseren Unis durch „Mehr vom selben“ zu lösen, indem man z.B. den Präsenzunterricht erhöht und unter anderem auch die physische Präsenz kontrolliert. Dass dies keine sinnvolle Lösung ist, da stimme ich Arnold zu, wie ich kürzlich selbst in einem Interview (Blogbeitrag hier) erklärt habe. Meine volle Zustimmung hat Arnold auch in dem Argument, dass man im Zuge von Bologna dem Irrglaube unterliegt, dass man allein mit der Einrechnung des Selbststudiums in die Punktelogik der neuen Studiengänge sicherstellen könne, dass Studierende ein effektives Selbststudium praktizieren. Das Gegenteil dürfte (eben wegen mehr Präsenz-Anforderungen) der Fall sein.
Allerdings meine ich, dass Lehre sehr wohl etwas dazu beitragen kann, das Studierverhalten und damit das Lernen an sich (auch das Selbststudium) zu verbessern: Muss Lehre denn darauf beschränkt werden, langweile Vorlesungen zu halten, die – so Arnold – mit „aberwitzig geringen Behaltensquoten“ einhergehen und der „Verkündigungstradition der Kirche“ folgen? Nicht ganz klar ist mir außerdem, warum Arnold die Entwicklung von Selbstlernmaterialien von der Lehre abgekoppelt sieht: Vor mich besteht Lehren zum einen darin, geeignete Inhalte auszuwählen und aufzubereiten (Inhaltsdesign) und sich dann Gedanken darüber zu machen, mit welchen Methoden man Lernende darin unterstützen kann, aktiv mit diesen Inhalten umzugehen (Aufgabendesign). Wer Selbstlernmaterialien erstellt, der lehrt – finde ich! Aus dem Grund habe ich meinen Studientext (hier) auch genau so aufgebaut (nach Inhalts- und Aufgabendesign).
Wenn man ein solches Verständnis von Lehren hat, dann entsteht erst gar nicht eine so große Kluft zwischen Lernen und Lehren, wie Arnold sie sieht, und in der Folge empfiehlt, das Lehren besser nicht mehr so in den Vordergrund zu stellen. Bringt es uns weiter, wenn wir das Lehren zum Feind des Lernens erklären? Wollen dahin kommen, dass sich jeder alles selbst beibringen soll? Ist das ein kultureller Fortschritt? Ich würde alle drei Fragen mit nein beantworten und mich für mehr „Mut zur Lehre“ aussprechen. Mut braucht man deshalb, weil man sich mit dem Anspruch, anderen etwas beibringen zu können (und zu wollen), natürlich angreifbar macht, weil man viele Fehler machen kann, weil man mit seiner Inhalts- und Aufgabenwahl danebenliegen kann, weil man es NIEMALS allen recht machen kann …. Aber ist das ein Grund, es sein zu lassen?
Verhältnisse wie am Bau
Man versteht ja ehrlich gesagt nicht so recht, wohin eigentlich die faktischen und versprochenen Gelder fließen, die für das in letzter Zeit auch politisch wieder hoch gehaltene Gut „Bildung und Wissenschaft“ (woran man angeblich NICHT sparen will) locker gemacht werden sollen. Was man dazu von Kollegen hört, selbst erlebt und in der Presse liest, weist ja nun doch eher in die entgegengesetzte Richtung. Dazu gehört auch ein Artikel im Spiegel online (hier), der am Beispiel der TU Kaiserslautern zeigt, was passiert, wenn man die üblichen Routinen öffentlich macht – nämlich z.B. die Vergabe und Bezahlung von Lehraufträgen. Wer Universitäten von innen kennt, den dürfte der Beitrag über die extrem schlechte (oder auch ausbleibende) Bezahlung von Lehraufträgen nicht wundern und wahrscheinlich nur ein Achselzucken hervorrufen. Und in der Tat gewöhnt man sich auch schnell an solche Absurditäten. Diese werden einem immer erst dann wieder bewusst, wenn man sie mit anderen Arbeitstätigkeiten vergleicht und Sätze fallen wie: „Für das, was viele Hochschuldozenten pro Stunde bekommen, würden die meisten Handwerksmeister nicht einmal ihr Werkzeug auspacken.“ oder „ …für manche habilitierte Wissenschaftler [Anm.: z.B. Privatdozenten ohne Anstellung an der Uni] wäre Hartz IV ein finanzieller Aufstieg.“ Noch schlimmer finde ich allerdings, dass man Betroffenen in diesem Zusammenhang den Mund verbietet (Zitat Spiegel-Artikel): „Die Warnungen seiner Uni-Leitung an Journalisten, eine Berichterstattung könne der Karriere des jungen Kollegen erheblich schaden, werden vermutlich intern noch viel deutlicher formuliert.“ Was wirklich nervt, ist die aktuelle Doppelzüngigkeit: Die Loblieder auf Bildung und Wissenschaft auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite das vehemente Wegsehen bei Verhältnissen, die manchmal anmuten wie am Bau. Da würde ich mir mehr Ehrlichkeit wünschen und vor allem auch mehr Sachkenntnis und direkte Erfahrungen seitens der politisch Verantwortlichen.
Das Elend mit den (Massen)Medien
Ich will jetzt nicht die Bildzeitung, die SZ und die ZEIT in einen Topf werfen, aber einen gemeinsamen Nenner gibt es natürlich schon – nämlich die Ansprache einer vergleichsweise breiten Leserschaft, für die man Komplexität reduzieren muss. Das ist bei einem Massenmedium nun einmal so (auch bei denen mit an sich höherer Qualität) – unabhängig davon, ob der Beitrag auf Papier gedruckt oder ins Netz gestellt wird. Aber Komplexitätsreduktion ist das eine. Ungenauigkeit und nachfolgende Irreführung das andere. Letzteres liegt vor, wenn man einfach schlampig mit Begriffen umgeht, schlecht recherchiert und Widersprüche produziert – in dieser Hinsicht gefährdet ist mit Sicherheit auch das E-Learning-Thema. In einem aktuellen Artikel in der ZEIT online (nämlich hier) z.B. heißt es: „Das Elend mit dem E-Lernen. Die meisten Unternehmen setzen E-Learning-Methoden in der Weiterbildung ein. Trotzdem lernen die Mitarbeiter nur wenig.“ Der Rest des Beitrags bietet leider auch keine Informationen, die sich auf einem anderen Niveau befinden: Weiterbildung, Office-Lernprogramme und lebenslanges Lernen werden bunt durcheinander gewürfelt. Die Aussagen sind stellenweise widersprüchlich, vor allem aber unangemessen generalisierend. Erkenntnisse wie die, dass man zum Lernen halt Motivation brauche, retten den Beitrag leider auch nicht. Nicht nur auf der Online Educa, wie die Autorin schreibt, herrscht Ratlosigkeit. Offenbar steht auch der Autor oder die Autorin etwas ratlos vor dem Thema.
Es lohnt sich, sich bei solchen Beiträgen auch die Kommentare anzuschauen – manchmal sind die gehaltvoller als der Beitrag, was auch für den folgenden Kommentar zum genannten ZEIT-Artikel gilt: „Wenn man sagen würde, ´Buch lesen = Zeitverschwendung´ würde sofort geantwortet: Es kommt doch darauf an, welches Buch man liest. Das ist beim e-Learning nicht anders, nur die Techniken dahinter sind vielfältiger und komplexer als beim Buch. Es gibt Leute, die verstehen unter e-Learning ein didaktisch miserables PDF-Bleiwüsten-Dokument, das irgendwo verloren im Cyperspace steht. Gutes e-Learning sieht anders aus: Präsenzveranstaltung (evtl. aufgezeichnet mit drei Streams: Folien in voller Auflösung, Video und Ton), alles Material in einem Lernmanagementsystem mit Forum und Wiki verfügbar und diskutierbar, Betreuung der Fragen durch den Referenten, Chat- und Videokonferenzmöglichkeiten, Online-Selbstlernmodule mit Selbsttest-Möglichkeiten, Einsatz von Medien wie Videos und Simulationen in didaktisch sinnvoller Weise usw. Nur das kostet Geld, bringt aber auch Erfolg.“ Ein Glück, dass einige Leser es einfach besser wissen. Natürlich müssen wir (die sich beruflich mit E-Learning befassen) uns da auch selbst an die Nase fassen. Die Diskussion im Nachklang der GMW 2009 (hier z.B.) hat ja sehr schön gezeigt, dass der „E-Learning Community“ die Problematik mit dem E-Learning-Begriff bekannt ist. Zeitungsartikel wie der hier zitierte tragen das Ihrige zur Verwirrung bei und erinnern uns daran, dass es nicht genügt, über die Schwierigkeiten mal gesprochen zu haben.
Wenn es uns gelänge, die bisherige (und hoffentlich noch wachsende) E-Learning- Community in den Bildungswissenschaften nicht auszugrenzen, sondern deren Arbeit besser in die Forschungsförderung und breitere wissenschaftliche Communities zu integrieren, hätte ICH nichts dagegen, schlichtweg von Bildung zu sprechen. So wie man sich heute kaum noch ohne digitale Medien informieren kann und ebenso die Kommunikation ohne digitale Medien zunehmend unvorstellbar wird, wird dies auch in der Bildung langsam aber sicher kommen. Warum ich aktuell an dem Begriff immer noch festhalte, ist die Hoffnung, auf diesem Wege der interdisziplinäre Gemeinschaft an Wissenschaftlern und Praktikern, die sich mit dem Lernen mit digitalen Medien beschäftigen, ein Forum bzw. eine Identität zu geben, damit sie ihre Stimme in Bildungsfragen (in Schule, Hochschule, Weiterbildung und im informellen Raum) einbringen können. Aber vielleicht ist es doch der falsche Weg?
Förderlogik – zum Mitdenken
Die DFG stellt gegenwärtig ihr „Förder-Ranking 2009“ vor (hier geht es zur Pressemitteilung und hier geht es zu dem dazugehörigen ca. 200 Seiten umfassenden Gesamtwerk). Ich will aber an dieser Stelle eigentlich nur auf den Wortlaut der Pressemittelung hinweisen, die ich mehrmals gelesen und mich gefragt habe: Was will mir das sagen?
Zitat: „Das neue DFG-Ranking macht deutlich: Die Hochschulen haben die Chancen erkannt, die sich ihnen durch einen intensiveren Wettbewerb eröffnen. Und ein ganz wesentlicher Motor in diesem Wettbewerb sind die Fördergelder der DFG und anderer Quellen“, betonte DFG-Präsident Professor Matthias Kleiner bei der Vorstellung des Berichts. Dabei hängen Fördergelder, Wettbewerb und Profilbildung in mehrfacher Weise zusammen: Die Hochschulen nutzen die eingeworbenen Drittmittel immer stärker, um ihre Forschungsprofile zu schärfen. Mit diesen wiederum verbessern sie ihre Chancen im Wettbewerb um weitere Drittmittel. Zitatende
Was heißt das das jetzt? Hochschulen werben Drittelmittel ein, um ihr Forschungsprofil zu schärfen, was wahrscheinlich wiederum so viel heißt wie: Konzentration in der Forschung auf spezielle Themen (und auch Methoden?) und passende Partner. Wenn die Hochschulen das tun, dann haben sie mehr Chancen im Wettbewerb, spricht, sie bekommen wieder Drittmittel. Die setzt man dann ein, um weiter am Profil zu schärfen usw. Hab ich das so richtig verstanden? Man bekommt das Gefühl nicht los, dass da etwas zum Selbstzweck wird, nämlich das Profil und die Drittmittel – jedenfalls, wenn man es aus der Perspektive des „Wettbewerbs“ betrachtet. Da sind Fördergelder offensichtlich an Profilschärfung zwingend gebunden. Gibt’s auch noch was anderes als die Perspektive des Wettbewerbs? Hmmm … ach, bestimmt nicht. Schärfen wir also unser Profil. Was denn ein Profil ausmacht? Ja, also … Wenn insgesamt die 20 bewilligungsstärksten Hochschulen in Deutschland zwischen 2005 und 2007 mehr als 60 Prozent aller DFG-Mittel eingeworben haben und bei 40 Hochschulen schon ein Anteil von 88 Prozent erreicht ist, dann ist mit Profil ja vielleicht das Profil der eingeworbenen Drittmittel gemeint? Jedenfalls schließt sich hier der Kreis, denn die Chancen dieser Hochschulen im Wettbewerb steigen – logisch. Noch Fragen?
Woher kommt die Netz-Phobie?
Nicht wenige Journalisten der sogenannten Qualitätspresse scheinen sich sehr bedroht zu fühlen vom gemeinen Web-User, von den Bloggern und sonstigen „Ideologen des Internets“, die sich – so das Feindbild – in einem gigantischen rechtsfreien Raum tummeln und kriminelle Machenschaften in anarchistischer Grundstimmung billigend im Kauf nehmen. Mir ist die letzte ZEIT-Ausgabe fast aus der Hand gefallen, als ich den Artikel „Wider die Ideologen des Internets!“ von Heinrich Welfing gelesen hatte: Gehöre ich als intensiver Nutzer des Internets zu einer wachsenden Gruppe von Personen, die nach dem Motto lebt „Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert“? Nur der nebenstehende kürzere Beitrag über die „Geistesaristokratie“ von Gero von Randow, der sich zu einer differenzierteren Argumentation aufgerafft hat, hat dazu geführt, dass die ersten Seiten der ZEIT nicht sofort im Mülleimer der Bahn gelandet sind. Die hier deutlich werdende „unerträgliche Seichtigkeit der deutschen Internet-Debatte“ hat Marcel Weiss in einem längeren Kommentar zu diesem absolut verunglückten Artikel sehr gut auf dem Punkt gebracht. Ich empfehle die Lektüre dieses Beitrags sehr, dem erst mal nicht viel hinzuzufügen ist.
Anders als Weiss interessiert mich allerdings schon, wie es dazu kommt, dass man bei der Lektüre von Zeitungen wie der ZEIT bei diesen Themen zunehmend das Gefühl hat, dass das Internet zu einem Feind und Gegner (jetzt: Gegner des Rechts) hochstilisiert wird: Wovor genau hat man Angst? Was steckt hinter der Polemik, die inzwischen beleidigende Züge annimmt? Wie kommt es, dass sich hier ansonsten gut recherchierende Journalisten mit Politikern verbünden, denen nicht mehr als Stammtisch-Vorschläge zur Lösung gesellschaftlicher (nicht technischer!) Probleme einfallen? Überhaupt kann ich nicht verstehen, warum man hier in der Politik nicht offensiver ist und ein paar alte an Netz-Phobie leidenden Herren (und Damen) mit Vertretern aus internetaffinen und -erfahrenen Bereichen der Ökonomie, Kultur und Wissenschaft ersetzt, die echte Lösungen für neue Gefahren und Risiken erarbeiten, die eine wohl noch lange nicht abgeschlossene digitale Entwicklung für unsere Gesellschaft ohne Zweifel mit sich bringt. Pseudo-Lösungen wie Internet-Sperren und Kriegserklärungen gegen aktive Netz-User sind wirklich fehl am Platz. Und die mediale Unterstützung solcher Tendenzen ist schon ziemlich enttäuschend.
Wilde Vorschläge
Eine Studie – die ich nirgendwo finde, auch nicht auf den Seiten des Ifo Instituts, wo sie eigentlich sein sollte – sorgt für Wirbel: Lehramt studieren nur, so heißt es in den Schlagzeilen (z.B. hier), diejenigen, die vergleichsweise schlechte Noten haben. Annette Schavan schlägt darauf hin vor, Unternehmen sollten ihre besten Leute in die Schule schicken, damit die mal den Laden ein wenig umkrempeln (ja, so hat sie es nicht gesagt, aber es läuft darauf hinaus). Als Reaktion auf diesen immerhin medienwirksamen „unkonventionellen“ Vorschlag protestieren jetzt alle – also fast alle: Was die Schüler dazu sagen, wissen wir nicht. Unrealistisch ist es ohnehin. Ludger Wößmann selbst, der sich für die Studie verantwortlich zeichnet, hat (in einem Interview) einen anderen Vorschlag: Die Aufstiegschancen von Lehrern verbessern (denn das würde motivieren) und vor allem leistungsorientiert denken. Auf diese Idee gibt es meines Wissens noch keine Reaktion. Was sollte man schon gegen Leistung haben – wie man die genau feststellt, das sagt er allerdings nicht. Da dürfte (das kennen wir aus der Hochschule – leistungsfähig ist der, der viel Drittmitteln ranschafft – egal wie: Was wäre das Pendant in der Schule?) schon mal die eigentliche Hürde liegen, die man erst mal nehmen müsste. Der Bildungsserver Blog zitiert eine Studie bzw. einen dazugehörigen Text (hier), in dem bessere Beratung und Eignungsprüfungen für angehende Lehrer verlangt werden. Das klingt in meinen Ohren schon vernünftiger, aber halt weniger spektakulär – da kann man sich in der Presse entsprechend weniger wirkungsvoll darauf werfen, also bleibt es eher im Hintergrund. Und dass die Ausbildung der Lehrkräfte mitunter mehr als zu wünschen übrig lässt, das sagt man schon gar nicht mehr, weil: Das hat man schon so oft gesagt, und wer will schon immer dasselbe hören.
Also manche Diskussionen, die man da in Schule und Hochschule führt, sind sich bisweilen ähnlicher als man meinen sollte: Vergleichbar ist die Klage über die schlechte Lehre. Vergleichbar sind die oft vergeblichen Bemühungen, beispielsweise über digitale Medien (als EINEN Weg) auch methodische Verbesserungen herbeizuführen. Ich beobachte auch Parallelen, was die Leidenschaft am Unterrichten betrifft, die sich – aus sicher verschiedenen Gründen – an Schule und Hochschule oft nicht oder nicht mehr so recht einstellen will. Ähnlich ist die Unlust von Schülern und Studierenden, von denen sich viele gehetzt zu fühlen scheinen (nein, ich habe keine Studie dazu): Angetrieben, in möglichst kurzer Zeit möglichst umfassend ausgebildet zu werden für … ja für was? Für Arbeitsleben und Wirtschaft natürlich, für einen guten Job, für Geld. Bildung – ob Schule oder Hochschule – das ist eine Durchgangsstation für das eigentliche Leben (geworden). Lasst uns doch Schule und Hochschule wieder ihre eigene Berechtigung geben, nicht nur die Berechtigung als „Mittel, um zu“. Lehrer und Hochschullehrer müssen sich im Übrigen auch nur allzu oft anhören, dass sie nicht wüssten, was in der „eigentlichen Welt da draußen“ vor sich ginge. Da schwingt eine gesellschaftliche Geringschätzung mit, die sicher auch ihren Beitrag zu den zahlreichen Problemen im Bildungsbereich leistet. Auch das – eine klar kommunizierte Daseinsberechtigung von Bildungsinstitutionen und deren Wertschätzung – könnte doch in den Reigen der Vorschläge aufgenommen und ernsthaft geprüft werden. Wenn wir dann alles zusammen nehmen: Kooperationen mit der Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Einrichtungen, Aufstiegschancen und Anreize für Lehrer, berufliche Eignungsverfahren und Beratung, eine vor allem auch pädagogisch intensive und gut durchdachte Ausbildung von Lehrern sowie ein höherer gesellschaftlicher Stellenwert nicht nur der Bildungsinstitutionen, sondern auch der darin verbrachten Zeiten, die nicht bis ins Kleinste instrumentalisiert werden, dann … kommt vielleicht auch die Freude am Lernen und Lehren (zurück).
Unsichere Elite
Die prekäre Lage von Nachwuchswissenschaftlern wird immer wieder mal beklagt – leider ohne, dass sich deswegen bisher etwas geändert hätte. Trotzdem sind Meldungen wie diese über die unerträgliche Unsicherheit, die den wissenschaftlichen Nachwuchs begleitet, wichtig, aber eben nicht genug. Ist das Phänomen neu? Na ja, so neu eher nicht, würde ich sagen: Nach meinem Diplom in Psychologie (1990) war ich stets nur auf halben Stellen beschäftigt – mitunter hatte ich Halb-Jahres-Verträge, zwischendurch mal ein Stipendium, dann kam mein Sohn auf die Welt und das Sicht-Entlanhangeln auf unsicheren Posten ging weiter (bis ich 34, also Gott sei Dank noch nicht 40 war). Mir war damals schon bewusst, dass dies nicht ein schlechtes Management meines Vorgesetzten, damals Prof. Mandl, war, sondern eine Folge der Tatsache, dass sich Universitäten immer mehr über letztlich unsichere Drittmittel finanzieren müssen. Heute kann ich noch mehr nachfühlen, dass es auch für Herrn Mandl sicher nicht leicht war, einigen seiner Mitarbeiter/innen diese Unsicherheit zuzumuten: Denn es ist weniger das Streben nach Reputation, das einen auf die Jadg nach Drittmitteln schickt, sondern eher das Bemühen, fähige Leute zu fördern – Beeren sammeln für den Nachwuchs sozusagen. Das Schlimme ist, dass man dabei manchmal Wege geht, die man eigentlich nie gehen wollte, also sich mit Themen beschäftigt, die man nicht so sonderlich wichtig findet, sie aber nicht ignorieren kann, wenn man Drittmittel braucht – nämlich für den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Dass man den wissenschaftlichen Nachwuchs dabei ausnutzt – das ist eine Feststellung in der oben genannten Meldung, die man so pauschal sicher nicht machen kann. Das dürfte wohl doch stark von den jeweiligen Professoren abhängig sein. Sicher wird es einige geben, die z.B. den erhöhten Druck infolge von Bologna direkt an den wissenschaftlichen Mittelbau weiterleiten, aber diesem Reflex verfallen sicher nicht alle (ich hoffe, ich nicht).
Danke an Nina, die mich auf die Pressmitteilung aufmerksam gemacht hat. Alex hat das gleich ergänzt durch ein paar Links zu früheren Blog-Einträgen (nämlich hier, hier und hier), in denen das Thema bei uns bereits diskutiert wurde.
Die Universität als Lernfabrik
Ist gerade ein Nachrichtenloch? An sich doch nicht: Israel führt Krieg, die Staatsverschuldung wächst, weil man den Banken helfen und die Konjunktur ankurbeln muss, und die ersten Grippefälle gibt es auch schon. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Presse dem Thema Lehre und Universität einiges an Platz widmet:
In der FAZ berichtet (hier) ein Theologieprofessor, warum er seinen Lehrstuhl räumt: Weil der Umwandlung der Universität in eine Lernfabrik nicht mehr ertragen kann (siehe hierzu auch Franks Beitrag). Ich kann den Mann verstehen, viele seiner Sätze kann ich unterstreichen (habe ja auch in diesem Blog schon öfter mal über die Bologna-Probleme berichtet). Gegenstand des Anstoßes ist allem voran die Lehre, die einem Kontroll- und Effizienzdiktat unterworfen wird, die den „Geist“ ersticke.
Auch die SZ beklagt heute (hier), dass es für Studierende nicht gerade einfacher wird, „selbst zu denken“. Nicht von ungefähr (Stichwort iTunes U) hat man die Vorlesung zum Gegenstand eines längeren Artikels gemacht, deren Virtualisierung nicht eben sehr positiv wegkommt. Statt dessen wird die „persönliche Begegnung“ gefordert und gelobt, die – auch da kann man ja wirklich nur zustimmen – für Lernen und Studierende eben essenziell seien.
Ja … schön, dass man sich in der Presse für Universität und Lehre interessiert, dass die Öffentlichkeit ein bisschen mehr davon erfährt, was an Universitäten geschieht. Ich finde es auch gut, dass Professoren selbst zu Wort kommen, wie im Fall des oben genannten Theologieprofessors, denn diese Beiträge sind ohne Zweifel besonders gehaltvoll – das sollte öfter geschehen, dass man Betroffene (also auch die Studierenden) zu Wort kommen lässt! Denn diese Beiträge zeichnen ein viel besseres Bild von den Schwierigkeiten, die eine zeitgemäße Universitätsbildung mit sich bringt. So bleibt der SZ-Bericht in hohem Maße an der Oberfläche und jeder, der ein bisschen Ahnung von E-Learning hat, wundert sich, warum man immer und immer wieder dieselben Vorurteile und falschen Erwartungen wie auch kulturpessimistischen Befürchtungen von Neuem aufwärmt. Der FAZ-Bericht dagegen macht das Dilemma, in der sich z.B. Professoren in letzter Zeit oft befinden, viel besser deutlich. Dem sollte man jetzt noch eine Darstellung aus Studierendensicht gegenüberstellen.