Gleich zwei Beiträge in der Juni-2022-Ausgabe von Forschung und Lehre drehen sich um das Thema Prüfen: meine eigener (online zugänglich hier) und ein Beitrag von Stefan Kühl (online hier). Mein Beitrag ist die (aktualisierte) Kurzform eines Textes mit Thesen zur Prüfungskultur, über den ich in einem anderen Zusammenhang schon mal berichtet habe (z.B. hier). Stefan Kühl beschäftigt sich in seinem Text mit dem oft fehlenden Feedback auf Prüfungsartefakte wie Hausarbeiten.
Seine These lautet: Campus-Management-Systeme, in denen Studienkonten verwaltet werden, verleiten dazu, ohne weiteren Kontakt nur noch über Noten zu kommunizieren (und das mehr als früher) und spricht treffend von IT-induzierter Kontaktentmutigung. In der Folge hangeln sich Studierenden von Hausarbeit zu Hausarbeit ohne nennenswerte Rückmeldungen dazu, wie man diese schreiben sollte – bis zur Bachelorarbeit, auf die es dann endlich in einem Gutachten steht, wie es hätte gehen sollen. Kompensationsangeboten zum wissenschaftlichen Schreiben wie Tutorien, Schreibwerkstätten und anderen optionalen Veranstaltungen kann Kühl wenig abgewinnen, da man das Problem damit nur auslagern würde: „Die Auslagerung des Problems in Service-Einrichtungen hat Ähnlichkeiten mit der Vorstellung, dass man Autofahren allein durch einen Theorieunterricht lernen kann. Es mag hilfreich sein, wenn man die Verkehrsregeln über Powerpoint-Präsentationen erklärt bekommt und sich Videos über typische Gefahren im Straßenverkehr anschaut, aber das Autofahren lernt man nur dadurch, dass man in praktischen Fahrstunden immer wieder korrigiert wird. Und genauso lernt man das Schreiben von wissenschaftlichen Arbeiten, nicht über die Lektüre von Handreichungen und Präsentationen über Zitationsformen, sondern nur durch die Überarbeitung von Arbeiten aufgrund der Kritik von anderen Studierenden und betreuenden Lehrenden“.
Ich denke nicht, dass Zusatzangebote grundsätzlich wenig Nutzen stiften – immerhin sind sie eine Hilfe für Studierende, die ihre Defizite erkannt haben und aktiv etwas dagegen tun wollen. Recht gebe ich Kühl allerdings darin, dass wir ein Defizit in Sache „akademisches Üben“ haben; genau das ist nämlich gemeint, wenn man ein Können erlernt, indem man es eben praktiziert – und zwar mehrfach und mit Feedback! Malte Brinkmann hat erst letztes Jahr ein weiteres Buch zum Üben herausgebracht mit dem Titel: Die Wiederkehr des Übens. Praxis und Theorie eines pädagogischen Grundphänomens (ich lese es gerade). Im Universitätskontext kann aus meiner Sicht noch nicht von einer Wiederkehr des Übens und einer Auffassung vom Üben als einer Praxis des Könnens die Rede sein, aber Kühls Beitrag unterstreicht einmal mehr, wie sinnvoll es wäre, wenn wir genau das tun würden: Möglichkeiten zum Üben in der Hochschullehre schaffen.
Das wäre vielleicht auch eine Chance dafür, dass Studierende Feedback, wenn es denn gegeben wird, auch richtig rezipieren und für sich nutzen: In unserem aktuellen Studiengang (Master Higher Education) geben wir viele und ausführliche Rückmeldungen und unsere Studierenden wissen, damit umzugehen. Doch das ist eine sehr spezielle Zielgruppe, die mit Studierenden in „normalen“ Bachelorstudiengängen nicht vergleichbar ist. Meine eigenen Erfahrungen an der Universität Augsburg wie auch an der Universität der Bundeswehr München in „normalen“ Studiengängen waren gänzlich andere: Von Ausnahmen abgesehen, lag da mein Problem eher darin, dass mein Aufwand in das Verfassen von Rückmeldungen in keinem sinnvollen Verhältnis zur Wirkung stand, weil Studierende häufig kein großes Interesse daran hatten. Ich denke, Rückmeldungen, die explizit dazu dienen, besser zu werden, weil man sich im Modus des Übens befindet, haben mehr Chancen, gelesen oder gehört und berücksichtigt zu werden – noch ein Grund für die Wiederkehr des Übens also.