Wir haben alle dafür bezahlt

Man mag den Begriff „digitaler Humanismus“ kritisieren, etwa dahingehend, dass er falsche Assoziationen weckt (z.B. in die Richtung, dass sich die Idee des Humanismus digitalisieren ließe). Als Impuls für ein Gespräch mit Christopher Frauenberger, Professor für Human Computer Interaction (HCI) an der Universität Salzburg, und Peter Reichl, Professor für Informatik an der Universität Wien, erweist sich der Begriff als anregend. Die Schriftfassung der Unterhaltung ist lesenswert und hier zu finden:  

Frauenberger, C. & Reichl, P. (2023). Was meint der Digitale Humanismus? Ein Zwiegespräch. In G. Krause (Hrsg.), Die Praxis des digitalen Humanismus (S. 283-301). Wiesbaden: Springer.

Humanismus gibt es in verschiedenen Spielarten zu unterschiedlichen Zeiten; das Gespräch hat nicht zum Ziel, zu klären, was Humanismus ist, und im Anschluss eine Definition von „digitaler Humanismus“ zu liefern. Es geht vielmehr um „das Menschsein“ in einer von digitalen Technologien durchdrungenen Gesellschaft und um die Frage, was man tun kann, damit der Mensch in seiner Ganzheit (so könnte man sagen) nicht verloren geht. Anbei ein paar Themen und Eindrücke (mit Zitaten) aus dem Gespräch, das sich allerdings so richtig nur in der Gänze erschließt:

Wir haben uns, so die beiden Gesprächspartner, daran gewöhnt, für viele Dienste im Internet nichts zahlen zu müssen, aber: Das Digitale, das wir heute selbstverständlich alle nutzen, war nie gratis: „Wir haben alle dafür bezahlt. Wir haben mit unserer eigenen Privatsphäre, mit unserer eigenen Meinungsfreiheit dafür bezahlt, dass wir einfache Dienste wie Im-Internet-Suchen verwenden. Das ist eine Währung, die allerdings für die meisten nicht sichtbar war und ist.“ (S. 292). Es sei ein Unding, dass es Usus geworden ist, neue digitale Angebote inzwischen fraglos über Werbung zu finanzieren (wenn sie denn nichts kosten sollen). Die resultierende maßgeschneiderte Werbung bis hin zu personalisierten Nachrichten führen zu einer „Atomisierung der Öffentlichkeit“, was Menschen enorm manipulierbar macht (S. 292 f.).

Für viele ist das Digitale „nur“ ein Werkzeug. Aber: Digitalisierung hat soziale Ordnungsmacht: „Man kann nicht nur neutrale Werkzeuge bauen, sondern verschiebt damit immer Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft“ (S. 292). Wenn etwa, selbst nur im Kleinen, in einer Organisation Abläufe digitalisiert werden, verändert sich das Machtgefüge, werden soziale Praktiken und ethische Normen geprägt (S. 294). Daher sei zu beachten: „Es gibt viele Mantras in der Digitalisierung, eines davon ist, dass alles disruptiv sein muss, und das andere, dass Digitalisierung alles effektiver macht. Beide würde ich per se in Frage stellen. Es sollte nicht alles disruptiv sein. Es gibt viele wichtige Praktiken und Normen, die wir als Menschen beibehalten möchten“ (S. 294).

Langsamkeit, Langfristigkeit und ein Blick aufs Ganze (versus lokale Optimierung) seien uns heute in vieler Hinsicht abhandengekommen: „Wir sollten viel öfter darüber nachdenken, wie unsere Welt in 200 Jahren aussieht, oder vielleicht sogar in 500. Dadurch verliert sehr viel von dem, was wir heute wichtig finden, seine vorgebliche Bedeutung“. (S. 295). Zudem müsse man nicht immer und überall auf jedes Problem reflexartig mit Digitalisierung antworten.

Deep Fakes gehören zu den großen Problemen der Zukunft: „Wir werden in Zukunft einfach keine Bilder mehr anschauen dürfen, um etwas über die Welt zu lernen, da mehr oder weniger alles in den Bereich der Fiktion fällt“ (S. 296). Dass wir unseren Sinnen nicht trauen können, ist in gewisser Weise schon immer so, „aber das hat nun eine neue Qualität bekommen und es wäre fatal, sich wieder auf Technologie zu verlassen, dieses Problem für uns zu lösen“ (S. 297).

Gibt sich eine Gesellschaft Regeln in Sachen Digitalisierung, steht meist schnell der Verdacht im Raum, dass dies gegen Innovationen geht: Innovation werde gegen Verantwortung ausgespielt, „als ob man entweder innovativ sein oder verantwortlich handeln könne. […] Wenn wie jetzt gerade gegen die AI-Regulierung der EU lobbyiert wird, weil das innovationshemmend sei, dann sage ich: Gott sei Dank ist das innovationshemmend!“ (S. 297).

Ein (weiteres) Artefakt der Digitalisierung sei der Glaube, dass man alles messen könne und müsse; das Messen sei in einigen Fällen funktional, in anderen aber eben nicht: „Eine Messbarmachung ist […] immer eine Reduktion, die manchmal vielleicht ein brauchbares Modell liefert, […] aber sie hat eben auch ihre Grenzen. […] Das Denken in numerischen KPIs befriedigt Computer, aber wir sollten uns nicht damit zufrieden geben. Erfolg ist mehr“ (S. 298). Ähnliches gelte für Standards: Auch die hätten oft ihre Berechtigung, würden aber eben auch Risiken bergen – etwa auf dem Feld der (digitalen) Ethik: „Das Problem mit Zertifizierungen oder Standards ist […], dass sie eine moralische Grundhaltung externalisieren. Anders ausgedrückt: Ich lagere Verantwortung aus, damit ich nicht selbst in moralische Verantwortung kommen muss“ (S. 299).

Man komme nicht darum herum, so das Fazit gegen Ende des Gesprächs, sich zu fragen, welche Gesellschaft wir haben wollen, wie wir zusammenleben wollen, oder kurz: „Wir müssen darauf achtgeben, welche Entwicklung uns zu den Menschen macht, die wir sein wollen“ (S. 301). Das eben ist Humanismus.

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