Jetzt ist die Technik da und wo bleibt nun die Didaktik? Im Moment scheinen gar nicht wenige Hochschuldidaktikerinnen im Zusammenhang mit hybrider Lehre (sinngemäß) auf solche Fragen zu stoßen. Viele Hochschulen haben nachgerüstet und Technik beschafft, die Hörsäle und/oder Seminarräume „hybrid-tauglich“ machen – also geeignet für die doppelte Präsenz: vor Ort und gleichzeitig online.
In einem aktuellen Vortrag macht Christian Kohls (hier) sehr schön klar, dass diese Lesart von hybridem Lehren ganz offensichtlich eine Folge der Pandemie ist, denn vorpandemisch war das Verständnis von Hybridität in der Gestaltung von Lehre durchaus offener (und besser, wie ich denke). Im Juli (siehe hier) hatte ich zum Thema Hybridlehre für das Hochschuldidaktik Zentrum (HDZ) Baden-Württemberg einen Vortrag mit Diskussion angeboten; Zielgruppe waren Angehörige der Hochschulleitung. Nun, ein paar Monate später, habe ich kürzlich mit den Hochschuldidaktikerinnen (ja, es waren alle Frauen) des HDZ erneut über das Thema gesprochen. Dabei ist mir sehr deutlich (unter anderem) Folgendes aufgefallen:
In Gesprächen mit engagierten Lehrenden nehme ich oft Experimentierfreude in Sachen Hybridlehre (im engen Sinne der doppelten Präsenz) wahr; Hochschulleitungen haben dabei – logischerweise – immer auch politische Forderungen im Hinterkopf. Die Hochschuldidaktikerinnen, mit denen ich nun im Gespräch war, zeigten sich – mit guten Gründen – zunächst verhalten und berichteten gleichzeitig von wachsenden Forderungen, man solle doch jetzt die didaktischen Szenarien für hybride Lehre liefern. Warum verhalten? Die zwei wichtigsten Argumente waren: die Überforderung und der Zweck einer hybriden Lehre im Sinne der Gleichzeitigkeit von Präsenz- und Online-Lehre. Das waren exakt auch meine eigenen Reaktionen zu Beginn des Jahres 2021. Diejenigen, die Lehrende beraten, unterstützen, Angebote zur Qualifizierung machen oder Lehre beforschen denken nicht in erster Linie an Technik oder Politik; sie sind nah bei denen, die mit und für die Studierenden ihre Lehre gestalten. Und da sind genau diese Argumente völlig berechtigt. Zudem zeigte die Diskussion, abweichend zu der mit anderen Akteursgruppen, dass auch die Fragehaltung eine andere ist, wenn es um Hybridität geht: Welche bisherigen Lehrprinzipien und -konzepte eignen sich dafür, welche nicht? Was müssen Lehrende dafür mitbringen und welche Unterstützung brauchen sie? Welche Ziele werden damit besser oder eben auch schlechter erreicht? Nur: Das wissen wir alles noch nicht. Woher auch? Erst langsam lassen sich erste Erfahrungen dazu einsammeln, reflektieren und hoffentlich auch beforschen.
Und wo bleiben jetzt die didaktischen Szenarien? Jetzt, wo doch alles technisch da ist? Klar schwingt in der Frage ein Vorwurf mit, und es fällt nicht leicht, eine gute Antwort darauf zu geben – zumal, da die Technik in der Regel keineswegs reibungslos funktioniert, nur vereinzelt da ist und schon überhaupt gar nicht selbsterklärend ist (aber das wäre eine schlechte Antwort). Ich kann mir letztlich (vorerst) nur eine Reaktion darauf vorstellen: Wir müssen das erst einmal gemeinsam (er-)finden, ausprobieren und dann möglichst ehrlich – zusammen mit den Studierenden – bewerten!
Vielen Dank für diesen Beitrag. Eine synchrone hybride Lehre ist in der Lage verschiedene Lern- und Kommunikationsformen zu verbinden. Dafür müssen die Beteiligten klare Aufgaben haben. Eine Studie aus Coburg hat die ersten Erkenntnisse dazu zusammengefasst:
https://ijier.net/ijier/article/view/2689
Vielen Dank für den schönen Kommentar, Gabi.
Die Unterscheidung / Dichotomie zwischen Hochschulleitung und ihren (vielleicht auch technokratischen) Erwartungen an die hybride Lehre und die tatsächliche (Care-)Arbeit der Menschen in der Hochschuldidaktik ist wichtig und sollte stärker thematisiert werden.
Der Punkt „fehlende empirische Evidenz“ ist ebenso wichtig. Auch wenn es viel an Literatur und Modellen zur Hochschuldidaktik gibt, so ist das keine abgesicherte Naturwissenschaft mit überall gleichen Effekten, sondern muss im jeweiligen Kontext erprobt werden. Diese Botschaft ist – glaube ich – auch nicht so präsent bei Hochschulleitungen, oder?
Den Punkt mit der Evidenz sehe ich auch so, und viele andere ebenfalls (z.B.: Scharlau, I. (2018). Sich verständigen: Überlegungen zur Frage der Evidenzbasierung. In: T. Jenert, G. Reinmann & T. Schmohl (Hrsg.), Theorie und Praxis der Hochschulbildungsforschung: Für eine offene Zukunft der Hochschuldidaktik. Wiesbaden: Springer VS.). Und ja, das ist sicher in Hochschulleitungen kaum präsent …