Wissenschaft als Hochleistungssport

Herzlichen Dank am Marc Dettler, der in einem Kommentar zum letzten Blog-Post zur „Akte Guttenberg“ auf einen aktuellen und höchst interessanten Beitrag von Manuel Scheidegger und Johannes Schneider im Tagesspiegel (Mehr als nur ein Titel) hingewiesen hat. Dieser Beitrag greift genau die Frage auf, die mich beim Lesen des Münch-Interviews eben auch sehr beschäftigt hat, nämlich: Was ist das für ein Verständnis von Wissenschaft und speziell von Dissertationen, das in der aktuellen Medienkommunikation gerade öffentlich verbreitet wird? Dieses Verständnis geht nämlich dahin, dass Wissenschaft in gewisser Weise „l´art pour l´art“ sei und eine wissenschaftliche Ausbildung im Rahmen einer Promotion mit beruflicher Tätigkeit außerhalb der Hochschulen völlig unnütz sei. „Warum denkt eigentlich kein Mensch zur Zeit umgekehrt daran, dass ein Doktor, der am Ende einer wissenschaftlichen Ausbildung steht, die ernsthaft und eben nicht blödsinnig verfolgt wurde, etwas beitragen kann zu dem, was wir von Politikern verlangen?“, fragen Scheidegger und Schneider, und ich würde ergänzen: zu dem beitragen, was wir von Menschen in Berufen erwarten, die komplexe Probleme lösen sollen (wozu Politiker eindeutig auch gehören). Und weiter heißt es in dem Beitrag: „Das Studium ist letztlich vor allem ein Training in Problemlösekompetenz, sollte das zumindest sein. Wissenschaft, wenn sie forscht und entwickelt, ist Hochleistungssport: Es braucht jahrelanges Training, mitunter in einer Doktorarbeit absolviert, sein Denken zu schulen und zu entwickeln, bis Ideen punkten und andere überzeugen“. Ja, genau so ist das – Hochleistungssport und den macht man eben auch nicht nebenbei, für den braucht man ein Höchstmaß an Motivation und Disziplin. Und zwei weitere Sätze der beiden Autoren kann ich nur unterstreichen, weil sie noch einmal auf den Punkt bringen, was mir auch in den letzten beiden Blog-Posts wichtig war: „Die Universitäten müssen Sorge tragen, dass ein Doktorstudium zu einer Qualifikation führt, die auch Nicht-Akademiker davon überzeugt, sinnvoll Geld für kompetente Problemlöserinnen ausgegeben zu haben. Die Gesellschaft muss im Gegenzug wahrnehmen und zugestehen, dass es sehr wohl Sinn ergeben könnte, wenn ein Minister die Qualifikation eines Doktors mitbringt“. Danke für die klaren Worte!

Promotionen massiv zurückfahren?

Nun hat sich auch der Soziologe Richard Münch am Wochenende zum aktuellen Plagiatsfall im Verteidigungsministerium geäußert. Da ich bereits zwei Bücher von Münch mit viel Gewinn gelesen habe (dazu in diesem Blog Einträge hier und hier), habe ich interessiert begonnen, sein Interview zu lesen, das dankeswerter Weise auch in der SZ online (hier) nachzulesen ist. Aber was Münch da von sich gibt, ist mir zum Teil ganz und gar nicht verständlich, jedenfalls nicht in der generalisierten Form, wie er das macht. Bei den mir unverständlichen Passagen handelt es sich weniger um die Plagiatsfrage, sondern um den Stellenwert und die Ausgestaltung der Promotion (die ich vor kurzem ja auch mal wieder diskutiert habe, nämlich hier):

So meint Münch z.B.: „Ich halte Plagiate grundsätzlich auch für ein Problem externer Dissertationen, die übrigens gehäuft in der Rechtswissenschaft vorkommen. … Doktoranden, die voll im Beruf stehen und den Titel nur für ihre Karriere brauchen, haben meist nicht genug Zeit und Ansporn, um sich mit ihrem Thema wirklich zu beschäftigen. Außerdem stehen sie meist nicht in so engem Kontakt zu ihrem Doktorvater wie das bei internen Doktoranden wie wissenschaftlichen Mitarbeitern, Promotionsstudenten oder Stipendiaten der Fall ist. Da fühlt man sich weniger verpflichtet. … Ich bin auf jeden Fall dafür, die externen Promotionen massiv zurückzufahren.“ Und auf die Nachfrage „Sehen Sie die Promotion in Zukunft einzig als Teil der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses?“ antwortet Münch: „Das ist der genuine Sinn der Sache. Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen einer Promotion und einem außerakademischen Beruf.“

Das mag für die Rechtswissenschaften vielleicht eine sinnvolle Forderung und Haltung sein – ich kann das nicht gut beurteilen, deshalb lasse ich es mal. In dieser generalisierenden Art aber halte ich seine Forderungen auf keinen Fall für zielführend. Zunächst einmal ist es kein Automatismus, sondern eine Sache der Promotionsgestaltung, wie eng und qualitativ gut (oder schlecht) die Zusammenarbeit eines externen Doktoranden mit anderen Doktoranden und dem Betreuer ist. Zudem meine ich, dass die Promotion ein „Projekt“ ist, in dem man exemplarisch sein wissenschaftliches Wissen und Können unter Beweis stellt. Bei Münch liest es sich allerdings so, als sei die Promotion ein bloßer akademischer Initiationsritus – völlig wertlos für die Welt außerhalb der Universität? Warum dann übrigens auch „forschendes Lernen“? Was ist mit der immer wieder festgestellten erhöhten Wissenschaftlichkeit von Berufstätigkeiten, die man mit dem Schlagwort der Wissensarbeit in Verbindung bringt? Sind nicht gerade Personen, die aus der Berufswelt oder in Verbindung mit der Berufswelt AUCH wissenschaftlich arbeiten, ein wichtiges Bindeglied zwischen Wissenschaft und anderen gesellschaftlichen Bereichen? Was steckt da also für eine Auffassung von Promotion hinter einer solchen Einstellung?

Vielleicht findet sich ein Grund in Münchs folgender Äußerung: „Man sollte nicht vergessen, dass Promotionen für Professoren auch Statussymbole sind.“ Ja, mag sein, aber davon möchte zumindest ich mich schon distanzieren (liebe Doktoranden: Ich betrachte euch NICHT als Statussymbole!). Worin ich Münch dann allerdings wieder Recht gebe, ist Folgendes: „Wenn, wie in den USA, in Zukunft nur noch an Graduiertenschulen promoviert werden würde, stünden viele Professoren ohne Promotionen da.“ Für ihn folgen daraus „Statusunterschiede innerhalb der Professorenschaft“, die dann gewaltig wären. Mich folgen daraus vor allem ein Abschied von der Wissenschaft als Haltung und Problemlösestrategie und eine Hinwendung zur Wissenschaft als gesellschaftlicher Tummelplatz für Trophäenjäger.

Haltet den (Text-)Dieb!

Was für eine Steilvorlage für mehr Bemühungen im Einüben wissenschaftlichen Arbeitens für Studierende der beiden Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg: Der Verteidigungsminister wird in seiner Doktorarbeit des Plagiats bezichtigt. Die Medien machen sich gierig darüber her – teilweise sogar mit dem Anspruch, der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu erklären, was denn ein Plagiat in der Wissenschaft überhaupt ist.

Das ist kein so leichtes Unterfangen, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen möchte – und in ein paar wenigen Sätzen lässt es sich schon gar nicht darstellen (eine Liste mit Büchern zum Plagiat findet sich z.B. hier): Wenn jemand eine fertige Arbeit oder ganze Kapitel einfach kopiert, ist es simpel, ein Plagiat nachzuweisen. Wenn aber Unregelmäßigkeiten beim Zitieren auftreten, einzelne Gedanken mal fast wörtlich, mal paraphrasiert an einzelnen Stellen auftauchen, die bereits in anderen Veröffentlichungen zugänglich sind, wird es schon schwieriger. Der für die Öffentlichkeit leicht verdauliche Ausdruck „abgeschrieben“ trifft es da nicht mehr.

Und was sagen die Medien nun dazu? Die SZ macht einen interessanten Vergleich zwischen Kunst und Wissenschaft auf: In der Kunst sei es quasi erlaubt, ja vielleicht sogar schmeichelhaft, wenn sich jemand der eigenen Ideen, Gedanken und Entwürfe bediene – in der Wissenschaft aber (leider) nicht: Pech für Guttenberg? Die taz dagegen will bereits wissen, dass auch die Bewertung seiner gesamten Dissertation unangemessen, nämlich viel zu gut sei. Jeder, der weiß, wie unterschiedlich Dissertationen in verschiedenen Disziplinen und Fächern entstehen, betreut und bewertet werden, wird hier wohl schon die Stirn runzeln. Ein bisschen sachlicher behandelt man das Thema bei Spiegel online; da heißt es unter anderem (ich zitiere ein nicht genau ausgewiesenes Zitat im Zitat!!): „Es bestehe der Verdacht, dass Guttenberg mit ´eklatanten Lücken´ bei Fußnoten und Literaturliste ´mindestens gegen die guten wissenschaftlichen Sitten verstoßen´ habe“. Ein bisschen nach vorne blickend geht es schließlich in einem Interview des Handelsblattes zu. Auf die Frage „Was können Universitäten tun, um Plagiatsfälle zu vermeiden?“ sagt Debora Weber-Wulff „Aufklären! Wir müssen viel mehr unterrichten, was wissenschaftliches Schreiben ist, viel mehr betreuen und begleiten. Das kann man aber nicht, wenn es 100 Personen in einem Proseminar gibt, das geht nur in kleinen Klassen.“ „Aufklären“ – ja, das würde man sich von den Medien bisweilen auch mehr wünschen, wären doch Ereignisse wie diese eine schöne Möglichkeit, Wissenschaft und Forschung mal aus einer anderen Perspektive als unter der ökonomischen („Mehr Innovation und Wohlstand durch Forschung“) zu beleuchten. Aber was bleibt? Das Plagiat als moralischer Fehltritt neben Spenden- und Sex-Affären – ausgeschlachtet für die Politik, nicht aber für die (wissenschaftliche) Bildung.

Nachtrag (am 19.02.2011): Ist eigentlich schon jemandem aufgefallen, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht über die Betreuer/Gutachter von Guttenbergs Dissertation wundert? Ich meine, wenn man einen Doktoranden gut betreut UND dann auch ein gewissenhaftes Gutachten macht, sollte so etwas an sich früher auffallen. Oder nehmen es da manche Betreuer/Gutachter nicht so genau?

Nicht so oft so viel zu sagen

2011 habe ich mir eine gewisse Tagungsabstinenz verschrieben – und so war ich z.B. schon mal NICHT auf der Learntec, über die vor allem (mal wieder) Jochen Robes (hier) relativ ausführlich berichtet. Ich gehöre zwar ohnehin nicht zu denjenigen, die den Kalender sehr voll mit Tagungsterminen haben, aber bereits die, die da in der Regel drinstehen, bereiten mir zunehmend Kopfzerbrechen, weil ich das Gefühl habe, dass die Kommunikations- und Präsentationszeiten zahlreicher sind als die Denk-, Lese- und Produktionszeiten. Es ist ganz einfach: Ich hab gar nicht so oft so viel zu sagen – und schon gar nicht so oft was Neues.

Aber ich habe ein wenig verfolgt, was auf der Learntec so los war und bei mindestens zwei Ereignissen hatte ich auch ein persönliches Interesse:

Da ist zum einen das LT3-Lehrbuchprojekt von Martin Ebner und Sandra Schön, zu dem ich neben zahlreichen anderen Autoren auch einen Artikel beigesteuert habe. Nun ist es ja online, das Werk, und es ist schon mal (rein optisch) schön anzuschauen. Ob es auch schön zum Lesen ist, werde ich bei dieser Menge erst nach und nach feststellen können. Auf jeden Fall freue ich mich über so viele zahlreiche neue Online-Ressourcen für die Lehre, die ich mit Sicherheit gezielt nutzen werde. Dass Martin und Sandra dieses Projekt in diesem Tempo stemmen, hatte ich nicht recht glauben wollen, und bin eines Besseren belehrt worden. Herzlichen Glückwunsch dazu! Ein erster Blick in die Gesamtstruktur allerdings zerstreut meine Zweifel nicht, dass Bücher dieser Art für Novizen, die an der „Gesamtaufgabe Didaktik“ (versus nur ein spezieller Bereich) interessiert sind, schwer zu verarbeiten sind, weil eine Art Navigator fehlt, der einen durch die vielen Fragmente führt. Daher würde ich das Buch auch eher als Handbuch bezeichnen – trotz des Bemühens, einzelne Artikel mit Fragen und anderen Versuchen, das Selbstlernen zu erleichtern, anzureichern.

Zum anderen sind da auf der Learntec diverse Preisverleihungen gewesen wie z.B. der eureleA-Preis: Hier hat Frank und sein Team (und damit auch ein bisschen wir von der Uni, weil wir das Projekt wissenschaftlich begleiten) mit dem Projekt „edubreak-SportCampus: Web 2.0 gestütztes Lehr-Lernportal für die Traineraus- und Weiterbildung im organisierten Sport“ in der Kategorie „Beste Projektwirkung“ gewonnen (Franks Bericht dazu hier). Darüber habe ich mich sehr gefreut, weil ich eben weiß, wie viel Know-how und Engagement seit Jahren in dieses und verwandte Projekte zum Einsatz interaktiver Videotechnologien speziell für die Förderung von Lehrkompetenz hinein investiert wird. Jochen Robes weist in seinem Blogbeitrag zur Learntec darauf hin, dass vor allem eines nach wie vor ganz schlecht in die Köpfe reingeht: Lern- und Bildungserfolg lässt sich nicht messen wie die Verkaufszahlen von Smartphones. Was sich nicht messen lässt, gilt schon mal von vornherein in unserer Gesellschaft als minderwertig (weshalb man ja mit Gewalt auch in Schulen und Hochschulen alles möglichst betriebswirtschaftlich erfassen will). Genau das ist denn auch die große Schwierigkeit von engagierten Projekten, die den individuellen Bildungserfolg und nicht Abruf- oder sonstige Zahlen im Blick haben. Umso wichtiger sind solche Anerkennungen über Preise – auch für den edubreak-SportCampus!