Schon schade

Seit einiger Zeit stelle ich Vortragsmanuskripte, Preprints, aber auch erste Arbeitspapiere als Vorstufe etwa von Vorträgen oder Artikeln online – oft in der Hoffnung, dass vielleicht zu dem einen oder anderen Thema ein Austausch auf Augenhöhe (also auch unter Wissenschaftlern und Hochschullehrern) stattfindet: etwa beim Thema empirische Bildungsforschung (Vorüberlegungen hier, letztendlicher Text hier) oder – wie vor kurzem – bei Fragen der Didaktik (Vorüberlegungen zu einer pfadabhängigen Didaktik hier – daraus soll natürlich noch mehr entstehen). Das klappt aber (noch) nicht, obwohl es – theoretisch zumindest – eine gute Möglichkeit wäre, außerhalb des klassischen Peer-Reviews gegenseitige Kritik und Stellungnahmen auszutauschen.

Manchmal versuche ich das auch direkt – indem ich einen anderen Wissenschaftler bitte, einen Beitrag kritisch zu lesen und Rückmeldung zu geben. Das funktioniert ab und zu, aber auch nicht immer. Irgendwie ist da die Scheu offenbar groß, denn ich glaube nicht, dass es wirklich immer Zeitargründe sind, die das verhindern – jedenfalls nicht, wenn es sich um Texte handelt, deren Umfang z.B. unter 20 oder 15 Seiten liegt. Es widerspricht wahrscheinlich eher der Karrierelogik, nach der man vor allem das tut, was einen selbst voranbringt – und ein gutes und durchdachtes Feedback bringt auf den ersten Blick ja nur den anderen voran. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass man als Feedbackgeber auch selbst eine Menge dazulernt und durchaus einen persönlichen Nutzen hat. Also: Ich weiß letztlich nicht, woran es liegt. Vielleicht ist es auch Gewohnheit, es gibt keine Kultur dafür. Ich habe stets versucht, das zumindest unter den Mitarbeitern anders handzuhaben, und ich habe den Eindruck, dass da ein reger Textaustausch mit Feedback stattfindet. Aber wenn man mal den Professorenstatus hat, scheint das anders zu werden.

Schon schade! Mit Blick auf die Qualität der Wissensgenerierung hätte ein solcher Austausch bei der Genese von Texten nämlich viele Vorteile. Und wenn man mal einen besonders engagierten Feedbackgeber hat, der dann plötzlich eigene Ideen beisteuert, könnten sich daraus ja Co-Autorenschaften entwickeln. Aber genau hier liegt vielleicht der Knackpunkt bzw. der potenzieller Streitpunkt: Ab wann ist das der Fall? Das ist übrigens ein ganz klassisches Problem beim Wissensmanagement: Das Geben fällt schwer, weil der Nutzen nicht genau kalkulierbar ist, und ein Risiko verbleibt, mehr zu geben als zu bekommen.

16 Gedanken zu „Schon schade“

  1. Liebe Frau Reimann,
    es wird Ihnen zwar nicht viel nützen, doch ich habe das selbe Problem seit Jahren. Häufig kommt die Kritik erst, wenn man den Inhalt veröffentlich hat. Woran das liegt kann ich nicht genau sagen, ich befürchte aber, dass es in der Prio der Leute sehr weit unten liegt und daher nicht gemacht wird. Denn immer wenn ich nachgefragt habe, hieß es, dass es im Alltagsgeschäft untergegangen ist. Das ein Eigeninteresse da sein sollte, wird oft nicht gesehen.
    Ich lese Ihren Blog schon eine ganze Weile, da ich mich sehr für e-learning interessiere. Mein Wunsch wäre aber, dass Sie ihre interessanten Texte etwas einfacher und weniger wissenschaftlich schreiben könnten. Nach einem langen Arbeitstag mag man nicht mehr jeden Satz dreimal lesen. Deswegen wird der Inhalt ja nicht schlechter 🙂 Vielleicht kommt dann auch mehr Feedback.
    Viele Grüße
    Jane

  2. Hallo Jane,
    na ja, wissenschaftliche Texte kommen ohne Fachterminologie nicht aus. Was anderes ist es, wenn es speziell darum geht, wissenschaftliche Inhalte in die Praxis zu tragen. Da stimme ich Ihnen dann vollkommen zu. Was ich aber gemeint habe, ist der Austausch UNTER Wissenschaftlern, die mit Fachbegriffen keine Probleme haben sollten ;-). Hier geht es eher darum, den Erkenntnisgewinn vorwärts zu bringen, indem kritische Stellungnahmen, Argumente oder Ideen ausgetauscht werden und weniger um Hinweise z.B. dazu, wie brauchbar etwas ist oder nicht. Letzteres ist auch wichtig, geht aber in eine andere, an der Stelle nicht gemeinte Richtung.
    Gabi

  3. Nachtrag: der letzte Abschnitt war allgemein gedacht und keine Antwort auf den Artikel.
    Fachterminologie ist wichtig, da gebe ich Ihnen recht. Ich würde mir aber in diesem Blog weniger davon wünschen, damit ich nicht die Lust an den Inhalten verliere, die wirklich interessant sind. Oder ist ihr Blog einzig und allein für ihre Kollegen gedacht?

  4. Hallo,
    ich muss leider sagen, dass selbst auf Mitarbeiterebene hier oftmals Hemmungen bestehen ein konstruktives Feedback zu geben. Oftmals kommt gar keine Antwort oder eben ein simples „passt so“ (Gott sei Dank gibt es hier aber auch positive Ausnahmen). Finde ich auch schade, denn auch als Feedbackgeber lerne ich in der Regel dazu bzw. bekomme wieder neue Anregungen um mir Gedanken zu machen.
    Ich finde die Praxis auf jeden Fall super und als regelmäßiger Blogleser kann ich nur dazu ermutigen diese beizubehalten.
    Viele Grüße,
    Christian

  5. @Jane: Nein, „einzig und allein“ sicher nicht, aber einzelne Beiträge, die sich auf spezielle Dinge beziehen, durchaus. Für mich ist das kein „entweder-oder“.

  6. …ich habe mal vor Jahren unaufgefordert! zwei Bücher von Sven Güldenpfennig gelesen (Sport: Kunst oder Leben?) und eine Art kritische Zusammenfassung geschrieben- Dauer 6 Monate, 15 Seiten. Diese habe ich dem mir (persönlich) unbekannten Autor mit der Bitte um Durchsicht/Gegenlesen geschickt. Was ist dabei rausgekommen? Rein äußerlich eine Einladung nach Berlin ins DOI, ein wunderbares Gespräch mit dem Autor mit ein paar anerkennden Worten. Innerlich? Die beiden Bücher liegen immer noch bei mir im Regal (in Sichtweite), das Gespräch klingt immer noch nach und der Autor stellt mir manchmal noch Fragen. Ganz egoistisch gedacht hätte ich mir diesen verschwenderischen Luxus viel öfter antun sollen :-).

  7. Hallo Gabi,
    ich bin im Moment noch in der glücklichen Situation, dass meine Arbeiten „begutachtet“ werden. Doch diese Zeit wird sehr bald vorbei sein. Dann sollte ich mir schon die Frage nach der Wissenschaftlichkeit meiner Aktivitäten stellen. Aus diesem Grund versuchte und versuche ich mit anderen Wissenschaftlern Kontakt zu knüpfen. Die erste Schwelle war die Hochachtung vor den Namen, wie z.B. Reimann, Kerres, Schiefer oder Bremer. Darf man als „junger“ Bildungs- oder Erziehungswissenschaftler überhaupt diese Persönlichkeiten kontaktieren. Natürlich darf man und ich finde es ist manchmal auch recht interessant eine ganz persönliche Meinung zu hören. Was die Auseinandersetzung mit deinen Texten betrifft, da bin ich auch schon etwas mutiger geworden. Warum soll man nicht, als Praktiker mit wissenschaftlichen Grundwissen, seine Meinung sagen. Das war die zweite Hemmschwelle. Die dritte und für mich traurigste Erfahrung ist, dass man von einem Kollegen eigentlich im Vorfeld gar keine richtige Meinung erwarten kann (z.B. bei mir im Schulbetrieb) und ich vermute in der wissenschaftlichen Arbeit ist es ebenso. Grund dafür wird ein gewissens Konkurenzverhalten sein, doch damit entfernen wir uns doch eher von der eigentlichen Sache, dem Forschen.
    ZUm Abschluss noch die Frage nach der Länge der Rückmeldungen: Müssen es immer 15 bis 20 Seiten sein oder reicht auch mal ein kleiner Kommentar?

  8. Hallo André,
    erst mal das Missverständnis ausräumen: Ich meine 15 bis 20 Seiten LESEN (also die Textlänge, die auch bei einem vollen Alltag ab und zu Platz hat) ;-), nicht rückmelden. Letzteres kann man auch – das ist dann ein sog. Co-Referat – auch eine spannende Sache, aber natürlich was anderes: Autor A schreibt einen Artikel und Autor B verfasst ebenfalls einen Artikel, in dem er kritisch, vielleicht sogar konträr Stellung nimmt und die eigene Position dastellt. In der Psychologischen Rundschau gibt es so etwas ab und zu. Ich denke allerdings, man muss differenzieren zwischen einem kurzen Feedback, das potenziell von jedem Leser möglich wäre, und einem informellen Peer-Review. Mein Blogbeitrag, der jetzt gerade kommentiert wird, bezog sich primär auf dieses „Peer-Review“, das ja üblich ist bei guten Zeitschriften sowie oft bei Kongressbeiträgen, aber eben informell (z.B. über Blogs) kaum stattfindet.
    Gabi

  9. Liebe Gabi,
    viele unserer Kollegen sind noch dem „alten Paradigma der Wissensgenerierung“ verhaftet. Artikel online zu stellen und zur Diskussion aufzufordern – das machen noch nicht viele, und viele kennen den Gedanken des Kommentierens und gemeinsamen Austauschs im Web auch noch nicht.
    So ist es eben, wenn man „Pionier“ ist – Pioniere gibts immer nur wenige. Aber davon dürfen wir uns nicht abschrecken lassen. Im Gegenteil: Wir müssen weiter und immer weiter zeigen, wie man es machen sollte, ohne dabei entmutigt zu werden.
    Mir kommt gerade eine Idee: Entmutigung tritt dann mit größerer Wahrscheinlichkeit auf, wenn man sich „alleine“ damit fühlt. Wie wärs, wenn wir eine Online-Community von „Web-2.0-Wissenschaftlern“ gründen, die sich gegenseitig unterstützen, pushen, motivieren?
    Liebe Grüße,
    Christian

  10. Liebe Gabi, lieber Christian,
    Christian hat in seinem Kommentar sehr schön ausgedrückt, was uns alle vor Entmutigung bewahrt: unser Netzwerk von Leuten, die in die gleiche Richtung arbeiten und sich gegenseitig immer wieder Mut machen. Gabi, du kannst dich sicher an deine abschliessenden kritischen Worte zu den Workshops auf dem letztjährigen Intel Symposium in Dillingen erinnern. Da warst du es, die uns Mut gemacht hat, trotz aller widrigen Umstände und Rückschläge in unseren Bemühungen als Pioniere nicht nachzulassen und uns Mitstreiter zu suchen, um unser Netzwerk auszubauen- über Grenzen von Hochschulen, Schulen , Hierarchien hinweg. Das hat mir damals sehr viel Mut gemacht und Christian hat recht: wir sind dabei nicht alleine und lassen uns daher auch nicht entmutigen! Und das gilt ganz gewiss auch für dich, die an einer anderen Bildungsfront Bewegung anschiebt. Zum Glück seid ihr noch jung und habt noch die Perspektive, die Früchte eurer bemühungen auch mal zu ernten, das wünsche ich euch und unserem Bildungssystem von ganzem Herzen! Wenn das alles so langsam in Gang kommt, liegt das vieleicht auch daran, das viele Ängste da sind, eine wie immer geartete Art von Macht zu verlieren, wenn man sich auf solch offene Formen des Austauschs einlässt…und sich dazu auch noch auf ungesichertes Terrain wagt ..?
    Liebe Grüße
    Sigi

  11. Hallo zusammen,
    ja, also ich bin jetzt nicht depressiv wegen des fehlenden digitalen Peer-Austausches ;-). Mir ist es nur aufgefallen, dass trotz der hohen Bedeutung des „Peer-Reviews“ diese fruchtbare Chance wenig genutzt wird.
    @Sigi: Klar, das heißt nicht, dass man das Handtuch wird.
    @Christian: Gute Idee – kingt ja schon mal ganz gut „Web 2.0-Wissenschaftler“ – manch einer wird sich allerdings darüber lustig machen, aber was solls. Wie könnte so etwas konkret aussehen? Ein gemeinsamer „Stempel“ auf dem Blog ;-)?
    Gabi

  12. Ich habe mit mixxt.de noch nicht gearbeitet, wusste nur, dass ihr euer „Maschendraht“-Projekt dort habt. Kann also keine Erfahrung vorweisen, aber es wäre ein logischer Schritt. Ein möglicher Startpunkt könnte eben das Peer-Review sein, das ja neben dem klasischen Double-Blind-Peer-Review noch andere Formen umfassen kann, die stärker unterstützend und formativ und weniger selektionsorientiert und summativ sind. Dann hätte man eine konkrete inhaltliche Idee, mit der man „Wissenschaftler 2.0“ beginnen könnte – was mir vom Namen am besten gefällt; allerdings begrenzt man sich dann erst mal auf den deutschsprachigen Raum, was aber zum Einstieg möglicherweise sogar sinnvoll wäre.
    Gabi

  13. Ja, die Begrenzung auf den deutschsprachigen Raum würde ich auch erst mal für sinnvoll halten.
    Ich setz mal eine Community auf. Ich bin ab heute auf ner Tagung, aber am Ende der Woche richte ichs ein. Und dann rocken wir die Wissenschaftlslandschaft, oder? 😉

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