Über Jochen Robes bin ich auf einen Vorabdruck eines Textes von Michael Kerres, Tobias Hölterhof und Axel Nattland aufmerksam geworden (hier). Der Text versucht eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft klassischer Lernplattformen (LMS) vor dem Hintergrund der Entwicklungen sozialer Netzwerke und dazugehöriger Technologien. Unter anderem werden Überlegungen angestellt, ob und wie man beides auch unter einen Hut bringen könnte.
Was mich bei Texten zu solchen oder ähnlichen Themen immer wieder wundert, ist die nach wie vor praktizierte Polarisierung und mehr oder weniger implizite Wertung von informellem Lernen ohne Lehrpersonen einerseits und Lernen in Institutionen angeleitet durch Lehrpersonen andererseits. Wenn Kerres et al. (Seite 2) z.B. feststellen, dass klassische LMS an sich „Lehrplattformen“ sind, dann stimme ich zu: Sie dienen dem Lehrenden dabei, z.B. Lehrmaterialien zugänglich zu machen, Aufgaben zu verteilen, Feedback zu geben und inzwischen auch Werkzeuge u.a. für kollaborative Bearbeitungsformen von Projekten, Fällen und anderen Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Hier initiiert nicht primär der Lernende den Medieneinsatz, sondern er reagiert und erhält – je nach Konzept einer Veranstaltung – Möglichkeiten und Anregungen für rezeptive und/oder produktive, individuelle und/oder soziale Aktivitäten. Warum aber kommt dann sofort die bewertende Folgerung, dass man doch besser auf ein LMS verzichten sollte, weil es ja „nur“ eine „Lehrplattform“ sei? Greifen angeleitetes und selbstorganisiertes Lernen im Idealfall nicht ineinander? Und WENN ich mich in eine Bildungsinstitution begebe, erwarte ich denn dann nicht, dass Lehrende auch die Initiative ergreifen, mir Inhalte zumindest mit auf den Weg geben, mich unterstützen etc.?
Gegen Ende des Textes werden auch kritische Aspekte und Grenzen etwa des Lernens ausschließlich in sozialen Gemeinschaften thematisiert. Im Fokus aber bleiben der von den Autoren beobachtete „Trend hin zu sozialen Umgebungen“ und eine aus meiner Sicht mit transportierte Skepsis gegenüber Lehrtätigkeiten an sich. Aber: Warum? Ist Lehren gefährlich und schadet der Gesundheit derer, an die sich das Lehren richtet? Oder ist es vielleicht auch bequemer sich vom Lehren zu distanzieren, weil man dann auch keine Verantwortung für das hat, was am Ende herauskommt? Das jedenfalls frage ich mich immer häufiger, wenn ich Beiträge zum Lernen mit Web 2.0 lese.
Die Problematik betrifft wohl eher die universitäre Lehre. In der schulischen Lehre sind die Verhältnisse klarer: SuS verlangen klare Vorgaben, Hilfen, Belehrungen, Anleitungen, Unterstützungen, Coaching, Training, Streicheleinheiten, etc. Und gerade da sind LMS sehr hilfreich, aber eben in Verbindung mit dem normalen Präsenzunterricht. Was Kerres et. al. anstreben, ist aber auch da sehr sinnvoll: onlinecampus ist ein LMS, das sehr facebookaffin ist, sehr kommunikativ und kooperativ, auch auf PLE angelegt. Solche Systeme kommen den Kommunikationsgewohnheiten von jungen Leuten sehr entgegen. Wenn man diese Möglichkeiten gut ausschöpft, kann man die Lehre im Präsenzunterricht (in allen üblichen Formen) sehr gut mit individualisierten Formen des angeleiteten (!)selbstorganisierten Lernens und des kooperativen Lernens verbinden. Der scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man als Lehrender physisch präsent ist im Regelunterricht, physisch kooperiert, und im virtuellen Raum gleichzeitig präsent ist, 24 Stunden am Tag erreichbar, individuell „geheim“ in der Beratung, öffentlich in der allgemeinen Beratung, verfolgbar in professionellen Aktivitäten, bedingt verfolgbar in privaten Interessen, etc.:
Ja, richtig, ich ergänze: Auf Schule habe ich mich primär nicht bezogen. Ich kritisiere auch gar nicht einzelne Ziele, die im Text dargelegt werden (!), sondern mir fällt die „Angst“ auf, Lehraktivitäten als solche würden quasi naturgesetzlich zu einer „Lehrerorientierung ohne Blick auf die Lernenden“ führen – und zwar generell in vielen Texten zum Web 2.0, sodass ich den hier verlinkten nur als Beispiel sehe.
Gabi