Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift für Hochschulentwicklung (März 2013, 8/2) dreht sich um das Thema Qualitätsmanagement. Unter dem Titel „Vertrauen wir auf Qualität? Zwei Jahrzehnte Qualitätssicherung im europäischen Hochschulraum“ haben Oliver Vettori und Bernhard Kernegger (Wien) ein Heft mit insgesamt 15 Beiträgen herausgegeben. Ich habe bisher nur ein paar der Texte gelesen, unter anderem genauer die von Manuel Pietzonka (Hochschulinterne Instrumente zur Qualitätssicherung aus der Sicht von Hochschulangehörigen und aus der Perspektive der Programmakkreditierung: hier) und Nadine Merkator und Andrea Welger (Neue Formen der Qualitätssicherung – dialogische Evaluation in Lehre und Studium: hier).
Qualitäts- und Evaluationsfragen betreffen jeden Hochschullehrer direkt. Das Themenheft hat mich jetzt noch einmal daran erinnert, dass es in den letzten Monaten ein paar Anlässe gab, bei denen mir bewusst wurde, dass ich zu Lehrqualität und Lehrevaluation offenbar ein etwas gespaltenes Verhältnis habe. Das kann man jetzt wörtlich nehmen, denn:
Einerseits beschäftige ich mich aus didaktischer, aber auch forschungsmethodischer Sicht mit dem Thema. Das ist gewissermaßen eine Metaperspektive. Da geht es darum, ÜBER Evaluation bzw. Lehrqualität nachzudenken, die Möglichkeiten der Qualitätssicherung und -entwicklung über Evaluationen abzuwägen etc. Bin ich in dieser Rolle, sage ich ganz klar: Wir brauchen Evaluationen, es ist wichtig, dass Lehre und deren Qualität beobachtet, eingeschätzt und in der Folge verbessert wird. Studierende müssen hierzu ihr Urteil abgeben, sollen sich äußern und Kritik üben, denn nur so kann sich etwas bewegen. Lehre ist ja keine Privatangelegenheit, also muss man darüber sprechen, auch öffentlich, muss Lehrende mit Ergebnissen konfrontieren usw.; und das muss man dann natürlich auch irgendwie organisieren, läuft also nicht ohne eine gewisse zentrale Steuerung ab.
Andererseits bin ich selbst als Lehrende tätig und daher natürlich immer auch „Betroffene“. Das ist dann keine Metaperspektive mehr, die ich innehabe, sondern ich stecke mitten drin: Ich WERDE evaluiert oder werde aufgefordert zu evaluieren, ERHALTE Evaluationsergebnisse und werde (vielleicht) ermahnt, aufgrund dieser Ergebnisse etwas zu verändern. Nun ist meine aktuelle Situation faktisch so, dass wir in unserem Lehrgebiet unsere Lehre selbst evaluieren, die Ergebnisse an alle kommunizieren und selbst entscheiden, was wir damit machen. Ob das für einen Lehrende so ist oder eben anders (nämlich zentrale Instrumente und Auswertung an zentraler Stelle) hängt einfach davon ab, wo man sich gerade befindet. Aber ich kann mich natürlich sehr gut in diese Situation hineinversetzen, dass ich (bzw. meine Lehre) jenseits meiner eigenen Kontrolle evaluiert werde (bzw. wird). Und was spüre ich da? Widerstand! Und ich frage mich: Wo ist meine Metaperspektive geblieben? Warum widerstrebt mir das?
Ich kann diese Fragen nicht direkt beantworten. Ich denke auch, da muss man ein bisschen ausholen. Wissenschaftler, so meine Beobachtung und Überzeugung, sind sehr autonome Wesen – wahrscheinlich müssen sie das auch sein. Wissenschaftler haben einen sehr großen Vorteil: Sie beschäftigen sich mit dem, was sie interessiert – sehr interessiert! Deswegen kann man auch die sogenannte Freizeit von der Arbeitszeit nicht sinnvoll voneinander trennen. Natürlich gibt es „drum herum“ viele (relativ einmütig heißt es: viel zu viele und mehr werdende) Aufgaben, die inhaltsfremd sind. Offenbar empfinden einige Wissenschaftler auch die Lehre als inhaltsfremd. Und dann arbeitet man sie ab – das sind dann mit vergleichsweise hoher Wahrscheinlichkeit keine guten Lehrveranstaltungen. Die Evaluationsergebnisse sind dann mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit schlecht (oder auch nicht, weil es vielleicht eine implizite Übereinkunft zwischen Lehrenden und Studierenden gibt, den Ball einfach flach zu halten – siehe auch hier).
Aber das ist ja keinesfalls bei allen Lehrenden so! Wissenschaftler lehren immerhin IHR Fachgebiet und auch wenn man immer nur zu einem keinen Teil seines Fachgebiets forscht (wo dann wohl das größte Interesse liegt – vielleicht aber auch nur die besten Geldquellen – man weiß es nicht so genau), ist es darin doch eingebettet. Lehre – so meine These – darf ruhig anstrengend sein, aber sie muss einen mit Befriedigung erfüllen und im Großen und Ganzen Freude bereiten. Und das tut sie in der Regel dann, wenn man in Veranstaltungen erfolgreich mit Studierenden ZUSAMMENarbeitet, will heißen: wenn es einem gelingt, Studierende für die Inhalte des Lehr- und Forschungsgebiets zu begeistern oder dafür zumindest erstes Interesse zu wecken und Fragen zu provozieren, wenn man in einen Dialog kommt, wenn Neues entsteht, wenn man dabei auch von den Studierenden lernen kann, wenn man aber auch sieht, wie Studierende besser werden, wie sie etwas annehmen und Eigenes daraus machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lehrende nicht auch genau dahin wollen. Und warum sollten dann nicht auch Instrumente willkommen sein, die einem helfen, dahin zu kommen?
Lehre macht aber dann keinen Spaß, wenn die Studierenden (oder die Mehrheit von ihnen) lustlos sind, offen Desinteresse bekunden und nach dem bequemsten Weg suchen, Credit Points zu bekommen. Natürlich: Lust und Unlust in der Lehre sind ein Wechselspiel: Es ist praktisch völlig irrelevant, was da Ursache und was Folge ist. Praktisch relevant ist die Frage, was BEIDE Seiten tun könne, damit Lehre keine Aneinanderreihung von Frusterlebnissen ist, sondern (a) Lernprozesse bei den Studierenden bewirkt, die davon entsprechend profitieren, und (b) den Lehrenden darin unterstützt, das eigene Lehr- und Forschungsgebiet weiter und tiefer zu durchdringen. Was am Ende herauskommt, ist ein Gemeinschaftsprodukt. Klassische Evaluationen aber betrachten gar nicht dieses Gemeinschaftsprodukt, sondern fragen danach, was Studierende im Prozess einer Veranstaltung wahrgenommen haben und wie sie das bewerten. Das ist wichtig, aber nur ein Puzzleteil! Und es für die Lehrqualität wirkungslos, wenn es ein Puzzleteil bleibt.
Eigentlich brauchen wir nicht primär Evaluationen, sondern eine gemeinsame Reflexion der Lehre. Der Text von Merkator und Welger (hier) bringt ein Beispiel für eine „dialogische Evaluation“, die in die Richtung geht, die ich meine. Was mir hier allerdings noch fehlt, ist die Reflexion der Studierenden über IHREN Lernprozess (wie man es in Portfolios anzuregen versucht, was aber auch nicht immer gut gelingt). Die Verbesserung der Lehre hat ja ein Ziel – nämlich, dass Studierende besser lernen, um es mal ganz einfach zu formulieren. Eine hohe Lehrqualität ist so gesehen „nur“ ein Mittel zum Zweck, oder man sollte besser sagen: eine in der Regel notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um den Zweck zu erreichen. Dazukommen muss das Engagement der Studierenden – deren Neugier und Motivation, deren Selbstdisziplin und Mitarbeit, deren kognitive Aktivität und kognitiven Konflikte, deren Interaktion mit dem Lehrenden und anderen Studierenden etc. Und dann kommt es auf das Wechselspiel dessen an, was der Lehrende anbietet, und was die Studierenden damit machen, wie der Lehrende wiederum darauf reagiert etc. Wenn es um die Qualität der Lehre geht, muss man DIESES Wechselspiel im Blick haben, formativ oder auch summativ zu fassen versuchen und es dann gemeinsam bewerten, um daraus Folgerungen zu ziehen. Und das kann man nicht top-down mit einem Online-Fragebogen. Mit letzterem kann man sicher einige wichtige Einschätzungen über einen Studiergang und dessen Elemente erfassen, aber da reden wir dann von anderen Aspekten der Qualität an einer Hochschule.
Beantwortet sich damit meine Frage, wie es dazu kommt, dass ich dem Thema „Evaluation der Lehre“ offenbar gespalten gegenüberstehe? Habe ich eine Antwort auf die Frage, warum Hochschullehrer oft mit Widerstand reagieren, wenn es um Lehrevaluation geht? Na ja, nicht direkt, aber ein Ansatzpunkt wäre ja vielleicht, dass man darüber nachdenkt, wie man Lehrende in ihrer Autonomie ernst nehmen kann und nicht prinzipiell von ausgeht, das man sie und ihre Lehre kontrollieren muss, und wie man gleichzeitig den riesigen Vorteil nutzen kann, dass sie als Wissenschaftler ihre Lieblingsthemen zum Beruf gemacht und daher an sich ein genuines Interesse daran haben, dass ihnen die Lehre selber Spaß macht, was wiederum an ein erfolgreiches Lernen bei den Studierenden gekoppelt ist. Ich bitte die Leser dieses Beitrags, meine Ausführungen eher als „lautes Denken“ zu verstehen – nicht als ausgearbeitetes Konzept!