Gestern war ich zur Eröffnung einer neuen Graduiertenschule an der Fakultät für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft (EPB) an der Universität Hamburg eingeladen (Web-Auftritt hier). Über die Anfrage bzw. Bitte vor einigen Monaten, mich an dieser Eröffnung mit einem Vortrag zu Design-Based Research zu beteiligen, habe ich mich fast ein wenig gewundert, aber auch gefreut: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass an diesem Forschungsansatz explizit Interesse bekundet wird, und wenn das dann noch dazu im Kontext der Nachwuchsförderung der Fall, ist das besonders erfreulich. Daher habe ich natürlich zugesagt!
Ich finde es äußerst schwer, zu einem methodischen Thema dieser Art einen „Vortrag“ zu gestalten. An sich bräuchte man da eine Workshop-Reihe inklusive mehrerer Beispiele. Ich hatte zwar im Vortrag eine Reihe von Fragen und Diskussionsphasen vorgesehen (hier die dazugehörigen Folien: DBR_Vortrag_Hamburg_April13) und mit einer viel kleineren Gruppe gerechnet, die sich wahrscheinlich stärker hätte aktivieren lassen. Hätte ich gewusst, dass so viele kommen, hätte ich es wahrscheinlich etwas anders aufgezogen. In jedem Fall aber ist der Beitrag mit offenbar großem Interesse verfolgt worden und auf der anschließenden Poster-Präsentation (Poster zu Promotionsvorhaben) hatte ich die Möglichkeit, mich noch mit mehreren Doktoranden zu unterhalten. Dabei habe ich mitgenommen, dass einige zwar „Entwicklungsanteile“ in ihren Arbeiten vermuten bzw. haben, aber nicht so recht wissen, welchen Stellenwert sie diesen geben dürfen (damit es „wissenschaftlich bleibt“) und wie sie diese auch angemessen darstellen können.
Meinen auch kritischen Bemerkungen während des Vortrags zu immer noch mangelnden Förderinitiativen für entwicklungsorientierte Forschungsvorhaben haben zwei (Nicht-Nachwuchs-)Wissenschaftlern heftig widersprochen – mit Verweis auf BMBF-Programme und die neue DFG-Förderlinie zum Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung. Weil ich ein bisschen zu polemisch geworden bin, habe ich diesen Widerspruch wahrscheinlich selbst provoziert. Ich räume auch gerne ein, dass es natürlich immer irgendwie möglich ist, auch für ausgefallene Projektideen und solche, die Entwicklungsanteile haben, eine Finanzierung zu finden, und dass auch immer wieder Bemühungen sichtbar werden, die „Nutzung von Forschungsergebnissen in der Praxis“ zu unterstützen. Das geht aber letztlich an dem etwas vorbei, worum es mir geht, nämlich: den Prozess der Entwicklung an sich aus dem Reich der „Unwissenschaftlichkeit“ zu befreien und dies auch so zu tun, dass sich Nachwuchswissenschaftler an Entwicklungsarbeiten herantrauen und Unterstützung erfahren. Design Research kann und soll andere Forschungsansätze nicht (!) ersetzen; sie kann und soll – so meine Auffassung – aber ein zusätzlicher Ansatz in der Landschaft der Bildungsforschung sein.
(An der Stelle verweise ich noch einmal auf den Reader zur Entwicklungsforschung – siehe hier. Zudem möchte ich ankündigen, dass ein Beiheft der Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik in Vorbereitung ist, herausgegeben von Dieter Euler und Peter Sloane; in diesem werde ich einen Beitrag speziell zur Entwicklungsphase im Design Research-Prozess leisten).
Zur Ergänzung: Wenn „wir“ (damit meine ich jetzt diejenigen, die wie Gabi Reinmann und u.a. auch ich das Konzept einer entwicklungsorientierten Bildungsforschung stark machen wollen) von Entwicklungsorientierung sprechen, dann ist damit weder der „Transfer“ von in üblicher Forschungsmethodik entstandenen wissenschaftlichen Erkenntnissen in die Praxis gemeint noch die wissenschaftliche (z.B. empirische) Untersuchung von Entwicklungsprozessen, sondern die Erforschung von Entwicklungsprozessen, in welche die Forschung selbst involviert ist und zu denen sie einen wesentlichen Beitrag leistet. In gewisser Weise handelt es sich also um die Erforschung des Praktischwerdens von Forschung, einen selbstreflexiven Forschungsprozess. Darin ist die Annahme enthalten, dass aus der Erforschung des Praktischwerdens von Forschung Erkenntnisse besonderer Qualität gewonnen werden können, die mit den herkömmlichen empirischen und hermeneutischen Forschungsmethoden allein nicht zu erlangen sind; und dass hieraus Qualitäten von Entwicklung entstehen können, die durch „Anwendung“ oder „Transfer“ von Forschung in die Praxis allein nicht möglich werden.
Ich sehe starke Nähe zu den Ansätzen des Design-Research, hätte aber Bedenken, diesen Begriff in die Bildungsforschung zu übertragen, da er mir zu stark mit der formalen und ästhetischen Gestaltung von Objekten (Artefakten) bzw. Prozeduren assoziiert ist und die Menschen vorrangig als „User“ dieser Objekte/Prozeduren in den Blick nimmt.
Werner Sesink, Darmstadt