Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Keine hektische Paper-Präsentationskultur

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Gestern war ich in Berlin an der Humboldt Universität und habe dort das Symposium „Praxistheoretische Perspektiven auf Forschendes Lernen“ besucht. Ich schätze, dass wir alle zusammen rund 20 bis 25 Personen waren. Der Fokus lag auf der Lehrerbildung, und das muss man dazu sagen, denn es bedingt einen deutlichen Unterschied zu anderen Formen akademischen Lehrens und Lernens. Vier der fünf Vorträge haben das forschende Lernen für mich denn auch aus einer etwas anderen Perspektive beleuchtet als es in der hochschuldidaktischen Diskussion vorzugsweise der Fall ist (den fünften Vortrag lasse ich daher außen vor, weil mir da die Inhalte vertraut waren). Alle vier Vorträge stammten von erfahrenen Forschern und das war auch der Grund, warum ich dieses Symposium besucht habe: Georg Hans Neuweg (da finde ich leider keine genauere Web-Präsenz im Moment), Johannes Bellmann, Michael Schratz und Malte Brinkmann. Die Diskussionen bereichert hat zudem Dietrich Benner.

Georg Hans Neuweg ist ja bekannt für seine Arbeiten zur Könnerschaft und zum impliziten Wissen. Sein Vortrag war im Verhältnis zum forschenden Lernen eher rahmend zu verstehen, hatte also keinen direkten Bezug zum forschenden Lernen. Im Zentrum stand eine kritische Analyse der Lehrerkompetenzforschung aus der Perspektive des „tacit knowing“ mit dem Ergebnis, dass Könnerschaft über die gängigen pädagogisch-psychologischen Verfahren der Kompetenzerfassung genau genommen nicht zugänglich ist. Diese Folgerung ist aus meiner Sicht insofern auch für das forschende Lernen wichtig, weil zunehmend gefordert wird, die „Wirkungen“ forschenden Lernens über Kompetenzmessungen zu belegen. Zudem lässt sich freilich das Konzept der Könnerschaft (platziert zwischen Wissensanwendung und Routine) sehr gut mit dem Forschen in Verbindung bringen: Das Wissen erfahrener Forscher dürfte in vielen Fällen implizit sein. Die Frage ist, ob bzw. unter welchen Bedingungen man im Studium mit forschendem Lernen tatsächlich Könnerschaft in der Forschung anstrebt bzw. anstreben kann. Aufgefallen ist mir, dass Neuweg an sich gut ohne den Kompetenzbegriff ausgekommen wäre (er brauchte ihn vorzugsweise für die Kompetenzforschungsmethoden). Auf meine Frage, wie er diesen in seine theoretischen Konstrukte einordnet, war die Antwort (sinngemäß), dass man diesen ganz gut pragmatisch nutzen könne. Zufrieden war ich damit nicht 😉 Neuwegs Vortrag hat mich wieder erinnert, dass seine Themen es wert sind, sie auch im Zusammenhang mit dem forschenden Lernen genauer zu durchdenken. Das werde ich auch tun.

Johannes Bellmann hat sich mit dem Konzept „teacher as researcher“ auseinandergesetzt, das dem forschenden Lernen im Rahmen der Lehrerbildung meist zugrunde liegt. Er hat seine Überlegungen dazu auf das Praxissemester in der Lehrerbildung eingegrenzt, das ganz spezifische Bedingungen für das forschende Lernen mit sich bringt. Ähnlich wie Neuweg kritisierte auch Bellmann die dominante psychologische Ausrichtung etwa von Forschungsmethoden und machte darauf aufmerksam, dass das Konzept des forschenden Lernens (das begrifflich zu unscharf verwendet werde) leider auch dazu beitragen kann, unkritisch bestimmte Methoden zu übernehmen und über diesen Weg ganz bestimmte Formen einer forschenden Haltung zu fördern. Sein Plädoyer geht also dahin, auch beim so hoch geschätzten forschenden Lernen innezuhalten und genau hinzusehen, was da praktiziert wird. In der Diskussion zu Bellmanns Vortrag ist mir wieder mal aufgefallen, dass forschendes Lernen in der Lehrerbildung tatsächlich mit anderen Akzenten eingesetzt und erörtert wird als im allgemeinen hochschuldidaktischen Kontext. Größer scheint mir auch hier noch die Verunsicherung hinsichtlich verschiedener Begriffe zu sein – wohl auch die Neigung (so war Bellmans Darstellung zu entnehmen), alles Mögliche unter „forschendes Lernen“ zu subsumieren und die bereits bestehenden Differenzierungen noch nicht so zur Kenntnis zu nehmen.

Die Spezifika der Lehrerbildung wurden dann auch nochmal besonders deutlich im Vortrag von Michael Schratz. Er hat das forschende Lernen als einen Weg beleuchtet, um Studierende nachhaltig dazu zu motivieren und zu befähigen, sich mit der Unterrichtspraxis forschend zu beschäftigen und darüber hinaus stärker die Perspektive der Lernenden zu berücksichtigen. Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass Schratz auf den üblichen „shift from teaching to learning“ abstellt. Aber seine Ausführungen haben sich denn doch als sehr viel differenzierter herausgestellt. Am Beispiel der Vignettenforschung (siehe z.B. hier) wurde veranschaulicht, wie eine Forschungsorientierung in der Lehrerbildung die „lernseitige und lehrseitige Orientierung“ im Unterricht in eine Balance bringen kann.

Im letzten Vortrag hat Malte Brinkmann das „Beispielverstehen“ in das forschende Lernen eingeführt. Es handelte sich hier um einen explizit erfahrungstheoretischen Beitrag, der für mich nicht an allen Stellen in der Tiefe verständlich war, was aber eher an meinen Wissenslücken denn am Vortrag liegen dürfte. In jedem Fall leuchtete mir ein, dass das Prinzip des Exemplarischen auch beim forschenden Lernen eine wichtige Rolle spielt und bislang wohl als unterbelichtet gelten darf. Interessant fand ich unter anderem die Unterscheidung von Lernen an Fällen und Lernen an Beispielen. Instruktiv erschien mir zudem der Vorschlag, die gleichen Beispiele mehrfach aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Am Ende hat Brinkmann das Beispielverstehen mit dem „Urteilen-Üben“ beim forschenden Lernen in Verbindung gebracht. Das geht nun schon eindeutig – und wieder sind wir ja in der Lehrerbildung – in eine etwas andere Richtung als die klassische Definition von forschendem Lernen, in der unter anderem die auch für Dritte interessante Erkenntnis eine wichtige Rolle spielt, welche jedoch hier, so wie ich es wahrgenommen habe, nicht eben im Zentrum steht. Aber auch über diesen Vortrag muss ich wohl erst noch ein wenig nachdenken. Die Rolle des Übens beim forschenden Lernen jedenfalls interessiert mich sehr (siehe zum Üben auch hier).

Es war warm in Berlin und die Luft im Raum war für die Konzentration eine Herausforderung, aber es hat sich gelohnt. Ich bin mit interessanten Eindrücken von belesenen und erfahrenen Wissenschaftlern wieder nach Hause gefahren – und das kann man ja allzu oft gar nicht (mehr) erleben in der hektischen Paper-Präsentationskultur auf den zahlreichen Tagungen mit hunderten von Teilnehmern. Die Referenten brachten etwas zum Nachdenken mit, haben nicht primär Forschungsergebnisse präsentiert, sondern teilweise neue Vorschläge und laufende Reflexionen vorgestellt und dazu eingeladen mitzudenken. So ein kleines, dichtes Symposium hat am Ende gar mehr zu bieten als riesige Kongresse.

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