Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Entdeckendes Lernen: Zombie oder Phönix?

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Darbieten und erklären oder selber entdecken lassen? Es gibt kaum ein didaktisches Thema, das so lange, so intensiv und in immer wieder neuen Schattierungen, am Ende aber um denselben Kern kreisend, im Zusammenhang mit formalen Bildungskontexten diskutiert wird. Als Ursprungskontrahenten werden gerne David Ausubel (für das darbietende bzw. erklärende Lehren) und Jerome Bruner (für das entdecken lassende Lehren bzw. entdeckende Lernen) genannt: Schon vor bald 60 Jahren haben sie zwei verschiedene didaktische Ansätze vertreten, die (meistens) nach wie vor als Dichotomie dargestellt werden. Ich hatte immer schon meine Schwierigkeiten mit der angeblichen Unvereinbarkeit dieser Denkweisen – und damit bin ich nicht alleine. Die Lektüre eines aktuellen Beitrags von Arthur Bakker mit dem Titel „Discovery learning: zombie, phoenix, or elephant“ hat mir genau das wieder in Erinnerung gerufen.

Der Beitrag ist Teil eines Themenheftes der Zeitschrift Instructional Science und bezieht sich – wie üblich – auf die Schule. Nichtsdestotrotz ist er für die Hochschule ebenso relevant – und ganz besonders auch für das derzeit so hoch im Kurs stehende forschende Lernen, denn: Es handelt sich hier um Verwandte. Wer erklärt sich der Titel? Nun, das entdeckende Lernen scheint manchem Bildungswissenschaftler wie ein Zombie – stets wiederkehrend, sozusagen nicht tot zu bekommen –, anderen wie der Phönix, der aus der Asche neu entsteht (z.B. die Uminterpretation von „discovery“ in „reinvention“), und Bakker selbst hat eher den Eindruck, dass es sich beim entdeckenden Lernen um den berühmten Elefanten handelt, den sechs Blinde ertasten, und je nachdem, was sie da ertasten, eine ganz andere Vorstellung davon haben, was vor ihnen steht.

Bakker zeichnet zunächst die Geschichte des entdeckenden Lernens nach. Er verweist auf die Kritik Ausubels, dass Bruner beim Thema Entdecken (discovery) das Ziel mit dem Mittel des Lehrens und Lernens verwechsle; und in dem Moment, in dem man das Entdecken zum Mittel macht, stelle sich die Frage nach der Effektivität. Nun kann man wohl davon ausgehen, dass beides mit „entdeckendem Lernen“ gemeint ist: erstens, dass Lernende selbst etwas entdecken (wobei es so gemeint ist, dass das zu Entdeckende für den Lernenden und nicht generell neu ist), und zweitens, dass sie dazu Tätigkeiten des Entdeckens praktizieren.

Wenn man danach sucht, was denn empirisch besser funktioniert (Darbieten und erklären oder selber entdecken lassen), dann findet man für alles einen Beleg; das wird auch in Bakkers Text deutlich. Am Ende kommt es darauf an, welche Lernziele angestrebt werden, wie geforscht wird und welche Fragestellung im Fokus steht. Alles in allem ist das mehr als unbefriedigend. Dazu kommt das Problem (auch hier ähnlich wie beim forschenden Lernen), dass durchaus Verschiedenes unter entdeckendem Lernen verstanden wird. Dass das gravierend ist, wird deutlich, wenn man z.B. Hans Freudenthals (ein niederländischer Mathematiker und Mathematikdidaktiker) Vorstellung von „guided reinvention“ mit der Ansicht etlicher Pädagogischer Psychologen vergleicht, die entdecken-lassendes Lehren mit „minimally guided instruction“ gleichsetzen – die Verwirrung ist dann in der Regel groß.

An der Stelle nun setzt Bakkers Vorschlag an, das typische Spannungsverhältnis zwischen „guidance“ und „discovery“ aufzuheben und dazu drei mögliche Wege einzuschlagen: scaffolding, inferentialism und design research (was ich hier jetzt auf Englisch belasse):

  • Scaffolding: Laut Bakker ist es eines der Probleme bei der Diskussion im entdeckendes Lernen, dass Lehrende und Lernende als getrennte „System“ betrachtet werden und eine ursächliche Beziehung zwischen Lehren und Lernen anstelle eines „dialektischen Subjekt-Objekt-Ensembles“ angenommen wird. Geht man nämlich von letzterem aus, dann stehen „discovery“ und „guidance“ in einem koordinierenden Verhältnis und bilden ein Ganzes. Das erscheint mir generell sinnvoll, auch im Zusammenhang mit dem noch grundsätzlicheren (scheinbaren) Dualismus von Konstruktion und Instruktion oder gar von „learning“ und „teaching“ (siehe dazu auch hier, hier und vor allem hier).
  • Inferentialism: Hier stellt Bakker auf eine Bedeutungstheorie von Brandom ab, in der das Schlussfolgern und vor allem soziale Regeln beim Gebrauch der Sprache eine gewichtige Rolle spielen, und versucht, diese Denkweise auf den Unterricht zu beziehen.
  • Design Research: Eine wichtige Frage, die sich Bakker stellt, ist (p. 179): Warum stilisieren Forschenden „discovery“ und „direct instruction“ so gerne zu Dichotomien? Seine eigene Antwort ist: vermutlich, weil das Kontrollgruppenexperiment solche Dichotomien braucht, um Extreme vergleichen zu können, und weil das Denken in Abhängigen und Unabhängigen Variablen Ursache-Wirkungsbeziehungen brauchen. Das aber werde der (Bildungs-)Realität nicht gerecht, für die man komplexere Vorstellungen von Wirksamkeit und Veränderung benötige. Design Research bietet sich hier als methodologischer Forschungsrahmen an.

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