Ob ich die Idee des „Blog Carnivals“ kenne, hat mich Andrea Back vor kurzem per Mail gefragt. Oh je, nein, klingt nach Fasching, mag ich gar nicht, kommt gleich hinter Silvester, mag ich auch nicht. Hier erklärt Andrea, was dahinter steckt, wobei die (Wikipedia-)Erklärung die nett gemeinte (bei mir eher negative Assoziationen auslösende) Metapher leider nicht so ganz rüberbringen kann. Aber egal. Besser verstanden habe ich das Thema bzw. die Fragen, die Andrea (und sicher auch viele andere) und Jochen Robes (die beiden Organisatoren) interessieren (siehe auch hier). Die übergeordnete Frage ist, was an den neuen Web 2.0-Anwendungen traumhaft und was traumatisch ist. Gerne will ich jetzt einfach mal versuchen, die darunter subsumierten Fragen wie in einem Interview zu beantworten:
Frage 1: „Kann ich mit Web-2.0-Tools effektiver mit Information und Wissen umgehen?“ Kann ich? Also in gewisser Weise ja: Ich kann Informationen durchaus rascher finden, ich bin über gute Blogs schneller und vorgefiltert informiert, und es ist eine unglaublich tolle Sache, dass ich viele Informationen inzwischen online finden kann, auch wenn man dabei natürlich an Grenzen stößt – vor allem dann, wenn man an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus aktuellen Studien interessiert ist. Hier muss man aufpassen, dass man nicht zu träumen anfängt und sich der Illusion hingibt, man könne wirklich alles online finden, was gut und wichtig ist. Das ist mit Sicherheit falsch.
Frage 2: „Verbessern sich die Produktivität und Qualität der Arbeit?“ Na ja, meine Produktivität ist eher davon abhängig, ob ich motiviert bin, weil mal ein paar Dinge gelungen sind, man ein paar Studierende hat begeistern oder einige Doktoranden zum Abschluss hat bringen können etc. Misslungene Anträge, von denen ich ja auch schon mal berichte ;-), oder bürokratischer Wahnsinn führen wohl eher dazu, dass meine Produktivität mal eine kurze Zeit etwas eingeschränkt ist. DAS sind bei mir die Treiber oder Hemmnisse und nicht irgendwelche Tools. Ich glaube nicht, das ich früher (ohne Web 2.0) weniger geschafft habe. Man hat halt ANDERS gearbeitet. Ähnliches gilt für die Qualität: Ich denke, da sind personale Merkmale schon einflussreicher als technische Werkzeuge.
Frage 3: „Werden die Vorteile der neuen Arbeitsmittel durch negative Seiteneffekte überkompensiert?“ Also, ich habe jetzt die Frage ein paar Mal gelesen … hmm „überkompensiert“ – ich weiß nicht, ist das der richtige Begriff hier? Also, wenn jetzt gemeint ist, dass die neuen Werkzeuge möglicherweise mehr Trauma sind als Träume wahr werden lassen, dann würde ich ganz klar sagen „nein“! Ich fühle mich allerdings auch nicht unter Druck, alle Blogs, die ich in meiner Blogroll-Liste habe, immer zu lesen; ich nutze dazu z.B. Zeiten, in denen ich (siehe oben) eher unproduktiv, weil müde oder angenervt bin, um ein bisschen in der Blogosphäre zu stöbern, aber ich vermeide es, mich mit News unter Druck zu setzen. Dasselbe gilt für neue Anwendungen. Ich bin oft begeistert von neu aufkommenden Themen, Fragen rund um Wissen, Lernen, Medien sind mir wichtig, meistens macht es mir Spaß, mich damit zu beschäftigen, ich habe viel Respekt vor einer ganzen Reihe von Leuten auf unserem Gebiet, aber ganz sooo wichtig, dass man dadurch in die Stressfalle tappt, darf man all das wohl auch nicht nehmen. Entsprechend sollte die Welt (für mich) nicht untergehen, wenn ich mal was nicht mitbekomme.
Frage 4: „Wie verläuft der persönliche Lernprozess, sich diese Arbeitspraktiken anzueignen?“ Ich frage Frank oder meine netten wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter/innen; ich schaue, wie es die anderen machen; ich lasse es sein, wenn ich es nicht gleich kapiere und mache dann lieber etwas später einen neuen Anlauf; ich achte darauf, dass neue Werkzeuge zu meinem Arbeitsstil passen (so weit käme es noch, das ich meinen Arbeitsstil an eine neue Mode oder ein neues Tool anpasse); ich ermahne mich, nicht zu faul zu sein und auch mal was Neues auszuprobieren (finde es dann aber doch meistens besser, wenn einige andere es vor mir ausprobieren 😉 )… ja, so in der Art ungefähr. Damit oute ich mich als Mitglied der „early majority“ und gebe offen zu, dass ich kein „early adopter“ bin – jedenfalls in technischen Fragen; anders dürfte es in pädagogisch-didaktischen Fragen sein … da scheue ich selten vor einem Experiment zurück – außer es raubt mir allzu viel meiner Zeit.
Fazit: Traumatische Wirkung haben auf mich eher Ideologen aller Art; meine Träume enden hoffentlich nicht im Cyberspace und viele der neuen Web 2.0-Anwendungen sind einfach unglaublich praktisch und eine große Hilfe für Information und Kommunikation – und sie ermöglichen eine ganze Menge Lehr-Lernszenarien, die noch vor gar nicht so langer Zeit sehr, sehr mühsam und/oder viel zu teuer waren.
Und noch was: Es kann übrigens jeder mitmachen – bei einem solchen Blog Carnival – auch Faschingsmuffel.
Sehr geehrte Frau Prof. Reinmann,
ein sehr interessantes Fazit. Wir realisieren seit 2005 kontinuierlich Marktbefragungen zur Verbesserung unseres Angebotes. Dabei spielen die kognitiven Fähigkeiten, wie Wille, Kreativität, Gefühle oder Organisation, eine Rolle.
Lehrende und Lernende haben ganz sicher eins gemeinsam, Wissen zu lehren und zu lernen ist nicht über den Tag konstant und beginnt nicht jeden Tag früh 8.00 Uhr und hört z.B. 21.00 Uhr auf. Jeden Tag ändern sich Einflüsse, die das Lehren und Lernen beinflussen und sei es ein positives Ergebnis in einer Klausur oder das Verpassen der S-Bahn.
Lehr- und Lerntypen zu definieren ist in der Regel eine Momentaufnahme, da alle Menschen Mischtypen beim Lernen sind, geprägt durch momentane und situative Einflüsse.
Es ist also sehr schwer (wohl eher unmöglich) genau das richtige Lehrmittel zu definieren. Deshalb gewinnt nach unseren Untersuchen das mehrkanalige und flexible Lehren und Lernen sehr an Bedeutung.
Präsenz-Vorlesungen oder -Seminare sind genau so wichtig, wie das mobile Lernen unterwegs oder das Lernen in einer (gefühlsmäßig) angenehmen Umgebung.
Kommunikation, Handeln, Sehen, Hören, Gefühle und das Verknüpfen im Zusammenhang mit dem Lehren und Lernen sind wichtige Punkte, die wir versuchen in und mit einem Lehr-Hörbuch im DAISY-Format zu integrieren. Herkömmliche Hörbücher im mp3- oder wav-Format, die sich zum Teil auch als Lehrhörbuch bezeichnen, sind nur bedingt geeignet zum Lehren und Lernen, da sie nur im geringen Umfang die Mehrkanaligkeit im Vordergrund haben.
Deshalb auch unser Fazit, Web 2.0-Anwendungen sind ein Baustein beim Lehren und Lernen. Lehrmittel müssen mehrkanalig und flexibel nutzbar sein, da man nur so den täglichen Schwankungen bei der Wissensaufnahme die Spielräume geben kann, die unser Gehirn braucht.
Schöne Grüße nach Augsburg
Uwe Pfütze
Lieber Herr Pfütze,
das ist es jetzt schon ein bisschen Werbung – aber na gut, natürlich kann und soll man mit Bildung auch Geld verdienen können, daher habe ich Ihren Kommentar nach kurzer Überlegung freigeschalten.
Ich bitte die Blogleser, den Kommentar als Hinweis zum Thema Hörbuch (sicher eine gute Sache) zu verstehn und möchte durchaus auch Unternehemnsvertreter zu Wort kommen lassen. Ich bitte aber zu berücksichtigen, dass dieser Blog eher ein – wie kann man es sagen – „Meinungsblog“ ist :-).
Gabi Reinmann