Hybrid ist derzeit ein beliebtes Wort mit mehreren Bedeutungen (siehe dazu hier). Aktuelle Texte, etwa bei „Educause Learning Initiative“ – nämlich hier – machen sich unter dem Stichwort HyFlex (steht für Hybrid-Flexible) dafür stark, dass Lehre gleichzeitig synchron online, asynchron online und in physischer Präsenz angeboten und Studierenden ermöglicht werden soll, selbst zu entscheiden, in welchem Modus sie Lehrveranstaltungen besuchen. Zugrunde liegt die Prämisse: „the learning is equivalent, regardless the mode“. Tatsächlich?
Als Didaktiker will und kann man angesichts bestehender Erkenntnisse nicht so recht glauben, dass digitale und physische Räume sowie synchrone und asynchrone digitale Räume tatsächlich keinen Einfluss auf das Lehren und Lernen nehmen – und genau das steckt ja in der Prämisse des Hyflex-Modells.
Aber vielleicht beruht es nur oder vor allem auf mangelnder Erfahrung, dürftiger Vorstellungskraft, irrationale Reaktanz oder allem zusammen, wenn sich hier offene Fragen auftun und sich Skepsis regt? Da ich um mich herum vermehrt den Ruf nach hybrider Lehre wahrnehme, auch im Sinne von HyFlex, erscheint es mir wichtig, eine Diskussion darüber zu führen.
Eileen, die bei uns am HUL die Forschungskolloquien organisiert, war schnell bereit, relativ ad-hoc ein digitales Forschungskolloquium zu diesem Thema auf die Beine zu stellen. Unter dem Titel „Von hybriden Lernräumen zur Lehre im HyFlex-Modell: Welche didaktischen Folgen hat es, gleichzeitig synchron, asynchron und in physischer Präsenz zu lehren?“ haben sich 20 interessierte Personen (Studierende und Alumni aus dem Master Higher Education, Mitarbeiterinnen am HUL, Lehrende aus der Rechtswissenschaft und Gäste von extern) für 90 Minuten zusammen gefunden, um ihre Erfahrungen zu HyFlex-Lehre ebenso wie ihre Gedanken zu dieser Form des Lehrens auszutauschen. Unser Ziel war es, zu diskutieren, (a) unter welchen Bedingungen HyFlex-Lehre funktionieren kann, (b) welche didaktischen Implikationen HyFlex-Lehre hat, (c) was HyFlex-Lehre den Lehrenden und Studierenden abverlangt und (d) wie die Prämissen und Ziele von HyFlex-Lehre zu bewerten sind. Als Grundlage zur Diskussion diente uns der oben schon genannte Educause-Text und exemplarisch der folgende Link.
Fünf der teilnehmenden Personen konnten von konkreten eigenen Erfahrungen mit Hyflex-Lehre berichten – und diese Erfahrungen waren breit gestreut. Ich versuche mal, die fünf Erfahrungsbeispiele knapp zu skizzieren:
Erfahrungsbeispiel 1: HyFlex-Lehre in der Informatik (Fachhochschule) mit sehr guter technischer Ausstattung (360 Grad Kamera: Meeting Owl) à Das klappt im Großen und Ganzen ohne große technische Probleme, vor allem wenn sich die Gruppe und wenn sich Studierende und Lehrender kennen; allerdings ist die Aufmerksamkeit online schneller strapaziert, was mehr Pausen erfordert als in physischer Präsenz, was schwer unter einen Hut zu bringen ist; als Lehrender bekommt man nicht alles mit – weder dann, wenn man selbst online ist, noch dann, wenn man selbst im physischen Raum ist; für Erstsemester, die sich erst kennenlernen müssen, wird die HyFlex-Lehre für nicht sinnvoll eingeschätzt.
Erfahrungsbeispiel 2: Nochmal HyFlex-Lehre in der Informatik (Fachhochschule) für 200 Erstsemester – 50 in physischer Präsenz, der Rest online – ebenfalls mit vorhandener technischer Ausstattung, aber ohne technische Unterstützung à Die didaktische Vorbereitung darauf, die Reflexion der Optionen und deren Umsetzung werfen so viele offene (didaktische) Fragen auf, dass das Vorhaben aus eigener Lehrenden-Entscheidung heraus eingestellt wird.
Erfahrungsbeispiel 3: HyFlex-Lehre an einer privaten Fachhochschule, die ihren Studierenden (kleine Gruppen von max. 20) Nähe zur Lehrenden garantiert – ein Versprechen, das auch in der Pandemie eingehalten werden soll; das Setting ist so, dass auch diejenigen, die physisch präsent sind, gleichzeitig im digitalen Raum sind à Die Erfahrung ist, dass das im Prinzip geht, aber eine relativ kleinteilige Aufarbeitung der Angebote erfordert sowie wesentlich mehr Kommunikation und einen sehr großen Planungsaufwand verlangt.
Erfahrungsbeispiel 4: HyFlex-Lehre in der beruflichen Bildung mit Lernenden, die höchst unterschiedliche Lernvoraussetzungen mitbringen ohne (!) gut funktionierende technische Ausstattung à Die Erfahrungen sind schlecht, zumal wenn technische Probleme wie Bild- und Tonschwierigkeiten das Szenario beherrschen; dazu kommt, dass viele Lernende, selbst die mit besseren Lernvoraussetzungen, mit den erhöhten Selbstorganisationsanforderungen im virtuellen Raum schlecht zu Recht kommen.
Erfahrungsbeispiel 5: HyFlex-Tagung im Kontext Sportbildung mit ca. 70 Personen in drei großen Präsenz-Räumen und 50 Online-Teilnehmenden mit einem online zugeschalteten Referenten; dieser hat seinen Vortrag vorab asynchron verfügbar gemacht zur Online-Kommentierung, was auch umfänglich gemacht wurde à die Erfahrungen sind gemischt: „irgendwie“ hat es funktioniert, auch in einer Form, mit der insgesamt hohe Zufriedenheit erzielt worden ist, aber als Referent fühlt man sich an vielen Stellen „lost“ vom Geschehen vor Ort den Aktionen in den Breakout-Räumen; geht es um Vermittlung, lässt sich mit dem skizzierten Setting arbeiten; will man soziale Interaktion anstoßen, ist man zusätzlich auf viele Helfer (vor Ort) angewiesen; sehr hoher Planungsaufwand.
Basierend auf diesen fünf Erfahrungsbeispielen zeigten die Teilnehmerinnen des Kolloquiums Interesse an mehreren Fragen (die durchaus in die Richtung unserer „Einladungsfragen“ gingen). Angesichts der Kürze des Termins konnten diese freilich nur angerissen, in Kleingruppen aber durchaus mit einigen Ergebnissen erörtert werden:
Didaktik-Fragen: Es stand die These im Raum, das HyFlex-Lehre eine Rückkehr zur „Lehrendenzentrierung“ befördert, also eher vermittelnde Anteile des Lehrens ins Zentrum rückt, weil diese mit HyFlex-Bedingungen ganz gut harmonieren (ich selber halte es für nicht sinnvoll, die Dichotomie von Lehrenden- und Studierendenzentrierung zu verwenden, da auch ein Lehrender, der sich bemüht, komplexe Sachverhalten zu erklären und Studierenden einen kognitiven Zugang zu wissenschaftlichen Domänen zu geben, indem er vermittelt, keineswegs auf sich als Lehrenden zentriert sein muss), während die soziale Interaktion mit und zwischen den Studierenden – vor allem über mehrere Modi hinweg – schwer, nur mit viel Aufwand oder je nach technischer Ausstattung auch gar nicht zu bewerkstelligen ist. Sehr gute technisches Equipment vorausgesetzt, sind die didaktische Gestaltung (a) von gruppendynamischen Prozessen in der HyFlex-Lehre sowie die (b) von Prozessen im Umgang etwa mit Gegenständen in der Lehre (in der Informatik und Physik gibt es hier bereits ein paar „Remote-Lösungen“) derzeit noch kaum bearbeitete Felder.
Teilhabe-Fragen: Inklusion über flexible Zugänge ist ein starkes Argumente für HyFlex, das auch im oben verlinkten Text genannt ist – ein Argument, das als politscher Wert eigentlich keinen Widerspruch erfahren kann. Umso wichtiger erscheint es, zu klären, ob der flexible Zugang über mehrere Modi (präsent, online-synchron, online-asynchron) tatsächlich, wie behauptet, gleichwertig ist und nicht nur Zugang zu Inhalten, sondern Teilhabe an Bildungsprozessen ermöglicht. Ist also Zugang gleich Teilhabe? Schwierig scheint hier zu sein, dass politische und didaktische Argumente insofern kombiniert werden, als dass eine didaktisch fragwürdige Prämisse („the learning is equivalent, regardless the mode“) mit dem Ziel der Inklusion möglichst diversere Studierendengruppen ungefragt verknüpft wird. Zu klären ist daher vorab, welche Formen von Teilhabe die verschiedenen Modi tatsächlich ermöglichen.
Raum-Fragen: Mit dem letztgenannten Aspekt ist eng die Raum-Frage verbunden, also die Frage, was eigentlich einen physischen und was einen virtuellen Raum kennzeichnet, wofür diese Räume stehen, was sie unterscheidet und inwiefern sie sich (nicht) überlagern oder gar ausschließen. Interessanterweise erleben Lehrende durchaus einen Unterschied selbst im Setting des Vermittelns (z.B. in einer Vorlesung), wenn sie vor 200 Studierenden im gemeinsamen physische Raum oder im virtuellen Raum vor weitgehend schwarzen Kacheln in Videokonferenzsystemen sprechen: Es gibt offenbar durchaus auch eine Form der Interaktion mit dem „Kollektiv“ im physischen Raum, die in dieser Form virtuell kaum möglich ist. Es fehlen die „echten Körper“ und infolge der kleinen Bildausschnitte (oder eben gar keine) auch Zeichen über Körpersprache, auf die der Lehrenden reagieren kann; auch Zeichen, die Studierend dadurch setzen, wie sie den physische Raum füllen (wer setzt sich nach vorne, wer nach hinten), fallen im virtuellen Raum weg. Ob ein dreidimensionaler „weißer“ Raum, in den man sich in der Gänze projizieren kann, diese aktuell noch bestehenden Beschränkungen im virtuellen Raum kompensieren und den physischen (fast) vollständig simulierten kann, ist eine offene Frage. Dazu kommt: Für den physischen Raum haben Lehrende und Studierende Verarbeitungsroutinen aufgebaut; vieles funktioniert implizit und ohne großen kognitiven Aufwand; diese Routinen und Gewohnheiten brechen im virtuellen Raum erst einmal weg; Routinen als Entlastung zum Umgang mit komplexen Interaktionsherausforderungen entfallen. Interessanterweise aber zeigen sich im virtuellen Raum auch Vorzüge für manche kognitive Prozesse: Eine Fokussierung auf die Audiospur z.B. kann für Lehrende wie Studierende neue Vorzüge bieten, die aber spezifisch sind für bestimmte Lehr-Lernziele, und eben nicht für alle (was hier nur als Beispiel von mehreren zu verstehen ist).
Natürlich waren 90 Minuten zu kurz. Wir wussten auch nicht, wie viele Interessierte bei einer so knappen Vorankündigung von einer Woche Zeit und Lust haben würden, sich an einer doch eher spontanen Diskussion um HyFlex-Lehre zu beteiligen – es hätten ja auch nur drei oder vier sein können. Aber 90 intensiv ausgeschöpfte Minuten, die freilich am Ende die Anzahl der Fragen erhöht und noch keine fertigen Antworten gebracht haben, sind durchaus in Ordnung – man kann, so meine ich, daran anknüpfen. Dass uns Hybrid- und HyFlex-Lehre weiter begleiten werden, dürfte sicher sein. Umso wichtiger ist eine nicht nur technische und politische, sondern ebenso didaktische Auseinandersetzung über Möglichkeiten und eben auch Grenzen oder gar Risiken. Dazu wollten wir beitragen!