Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Guter Auftakt: DBR-Netzwerk

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Seit April 2021 besteht nun offiziell unser wissenschaftliches Netzwerk Design-Based Research (DBR), das drei Jahre lang (bis März 2024) von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wird. Die Anzahl der Mitglieder (hier) beläuft sich auf 19. Das DBR-Netzwerk nutzt die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus fachdidaktischer Forschung, Berufsbildungsforschung und Hochschulbildungsforschung, um DBR in der Bildungswissenschaft zu verankern und die wissenschaftstheoretische Fundierung von DBR auszubauen – so der Auftrag, den wir uns selber gegeben haben.

Nun hatten wir am vergangenen Mittwoch und Freitag – freilich nach wie vor, anders als ursprünglich geplant, nicht in physischer, sondern in digitaler Präsenz – unseren ersten Workshop: aufgeteilt in zwei vierstündige Nachmittage. Unsere Ziele waren: uns und die verschiedenen Perspektiven in der Gruppe näher kennenlernen und dabei zwei Themen über Kleingruppenarbeiten produktiv angehen. Diese beiden Themen waren: relevante Forschungsfragen für DBR sowie die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Ca. zwei Drittel der Netzwerkmitglieder konnten sich an allen beiden Nachmitttagen beteiligt. In Gruppen mit wechselnder Zusammensetzung haben wir jedes Thema in zwei Runden bearbeitet. Die Diskussionsergebnisse haben wir dokumentiert; dabei sind viele Notizen angefallen, deren Zusammenfassung ohne Kontextbezug an dieser Stelle aber wohl eher wenig aussagekräftig wären. Daher möchte ich im Folgenden lieber ein paar persönliche Eisnichten aus den verschiedenen Diskussionsrunden festhalten: Einsichten, die zugleich Anknüpfungspunkte sind, an denen ich mit einzelnen Akteuren aus dem Netzwerk gerne weiterarbeiten würde.

Die Diskussion um Forschungsfragen hat mir nochmal bewusst gemacht, wie herausfordernd es ist, Studierenden und Nachwuchswissenschaftlerinnen, die in DBR einsteigen, bei der Formulierung von Forschungsfragen Unterstützung zu geben: Was ist typisch für die Formulierung von Forschungsfragen, die sich mit DBR beantworten lassen? Wie bekommt man es hin, dass sich Forschungsfragen auch konsistent zu Spezifika von DBR verhalten? Im Gruppengespräch kamen wir schnell darauf, dass es verschiedene Forschungsfragen-Ebenen geben muss, man also für ein DBR-Vorhaben stets mehrere Fragen braucht: (a) Fragen, die sich mit den Zielen und damit auch Normvorstellungen beschäftigen, die ein DBR-Projekt antreiben, (b) gestaltungsorientierte Fragen, die sich auf den Design-Gegenstand eines DBR-Projekts beziehen, (c) theoriebildende Frage, die wesentlich für die Übertragbarkeit von Ergebnissen aus DBR-Projekten sind, (d) Wirkungsfragen, die den empirischen Anteil eines DBR-Projekts betreffen. Forschungsfragen, so ein weiterer rascher Konsens, bleiben in DBR-Vorhaben in der Regel in Bewegung, ändern sich, werden im Prozess ergänzt oder auch ersetzt – das macht es vor allem für Novizen nicht eben leichter.

Arthur Bakker gehört zu den wenigen Autoren, die sich der „Frage nach den Forschungsfragen“ in seinem Buch von 2018 [Bakker, A. (2018). Design research in education: A practical guide for early career researchers. Routledge] explizit angenommen hat – ein guter Anlass, das nochmal nachzulesen. Auf den Seiten 76 und 77 schlägt er ein paar Kriterien vor, die eine Forschungsfrage in DBR erfüllen sollte (zu verstehen ist das als heuristische Hilfe):

  • Die Frage bezieht sich auf eine Wissenslücke
  • Die Frage ist für die Praxis und die Wissenschaft relevant
  • Die Kernkonzepte in der Frage sind präzise und wissenschaftlich verankert
  • Die Frage ist handhabbar und kann realistisch bearbeitet werden
  • Die Formulierung der Frage macht den Schwerpunkt (beschreibend, evaluativ, design-orientiert, beratend) deutlich

Bakker findet in der Literatur und Experteninterviews, die er geführt hat, zwei formale Kategorien von Forschungsfragen: Was- und Wie-Fragen: (a) Was-Fragen beziehen sich auf die Merkmale einer Intervention, die bestimmte intendierte Wirkungen hat. Was-Fragen sind deskriptive Fragen und verlangen nach deskriptiven Antworten (z.B. eine Liste von Merkmalen). (b) Wie-Fragen beziehen sich auf die Wege, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wie-Fragen sind präskriptive Fragen, die nach design-orientierten Antworten mit Empfehlungscharakter verlangen (z.B. Design-Prinzipien). (c) Man kann auch beide Fragetypen kombinieren und z.B. eine Frage wie folgt formulieren: Wie kann eine Lehr-Lernstrategie mit den Merkmalen M (Intervention) Lernende darin unterstützen, Z zu lernen (Ziel)?

Schließlich empfiehlt Bakker (2018, S. 81/82), in DBR-Vorhaben Haupt- und Unterfragen zu verwenden. Wenn also die Hauptfrage (wie oben) lautet: Wie kann eine Lehr-Lernstrategie mit den Merkmalen M (Intervention) Lernende darin unterstützen, Z zu lernen (Ziel)? dann könnten es folgende Unterfragen geben: (a) Was ist ein angemessenes (Lern-)Ziel für die Zielgruppe? (b) Welche Lehr-Lernstrategie (welches Design) ist geeignet, um dieses Ziel zu erreichen? (c) Wie gut wurde die Strategien (das Design) implementiert? (d) Welche Wirkungen werden mit der Implementierung der Strategie erreicht? (e) Wie könnte das verbesserte Design aussehen?

Angelika Bikner-Ahsbahs hat mich im Gespräch überzeugt, dass es wenig hilfreich wäre, so etwas wie Standards für die Formulierung von Forschungsfragen in DBR festzulegen – eine Frage, die ich mir (nicht nur bei Forschungsfragen, sondern generell in DBR) schon oft gestellt habe, bei der ich mir aber selbst nach wie vor unschlüssig bin, ob das zielführend ist und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Ich nehme also unter anderem aus dem Workshop mit, dass wir es – auch in der Unterstützung von DBR-Novizen – dabei belassen sollten, Heuristiken für die Selbstprüfung für Entscheidungen im DBR-Prozess zu verwenden. Die aber müssen gut durchdacht und hilfreich sein, und da sehe ich noch Bedarf auch bei mir selbst, das zu verbessern. Immerhin sind Bakkers Anregungen ein guter Anfang.

Eine weitere Folgerung, die ich für mich aus den Diskussionsrunden zum Thema Forschungsfragen ziehe, bestätigt eine Beobachtung, die ich schon länger bei der Beratung von DBR-Novizen mache: Es ist womöglich gar nicht immer sinnvoll, Forschungsfragen in DBR am Anfang zu formulieren. Warum? Zum einen gibt es höchst unterschiedliche Einstiegspunkte in einen DBR-Zyklus, zumal dann, wenn Design-Based Researcher nicht bei Null anfangen (diesen Umstand habe ich versucht, in meinem eigenen DBR-Modell zu berücksichtigen – siehe hier). Zum anderen habe ich die Erfahrung gemacht, dass es für DBR wichtiger ist, sich zunächst mit dem Design-Gegenstand zu beschäftigen, also derjenigen Intervention im weitesten Sinne von der man meint, dass sie eine erstrebenswerte neue Handlungsoption eröffnet (etwa ein Problem löst oder eine adäquate Antwort auf eine andere Form von Diskrepanz-Erfahrung ist).

In der Diskussion um die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis – einem wichtigen Charakteristikum von DBR – ist mir als besonders im Gedächtnis geblieben, wie relevant die Heterogenität der Bildungskontexte für die konkrete Ausgestaltung von DBR-Vorhaben ist: Alle Gruppen im Workshop sind schnell zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht „die“ Praxis gibt – und das in mindestens zweifacher Hinsicht: Erstens zeigen sich deutliche Unterschiede, wie eben angedeutet, je nachdem ob man ein DBR-Vorhaben an allgemeinbildenden Schulen, in der Berufsbildung oder an Hochschulen (um nur ein paar Beispiele zu nennen) umsetzt: Die dort jeweils tätigen „Praktikerinnen“ unterscheiden sich in ihren Handlungsspielräumen, Erfahrungen mit und Einstellungen zu Wissenschaft, ihrem Selbstverständnis etc. Eine besondere Konstellation (das war jetzt für mich kein neuer Gedanke, denn damit habe ich mich schon öfter auseinandergesetzt – z.B. hier) bildet hier die Hochschule (siehe auch unten). Zweitens kann das Wort Praxis ganz Unterschiedliches bezeichnen: Praxis als individuelles Handeln, Praxis als Modus des Handelns, Praxis als Person, mit der man in DBR als Forschender interagiert, Praxis als Kontext. Diejenige Gruppe, die sich intensiver mit den verschiedenen Lesarten von Praxis befasst hat, will sich mit dieser Ausdifferenzierung noch weiter beschäftigen.

Meine wiederum ganz persönliche Einsicht in diesen Aspekt von DBR: Es ist ausgesprochen schwer, die Wissenschaft-Praxis-Zusammenarbeit als solche zu durchdenken. Wenn ich so im Nachhinein über unsere Diskussionen nachdenke, stellt sich mir diese Frage eigentlich erst in Bezug auf konkrete DBR-Prozesse: also z.B. bei der Aushandlung von Zielen sowie bei der Bestimmung des Design-Gegenstands. Mein eigener Erfahrungshorizont beschränkt sich hier auf die Hochschule und ich denke, die verschiedenen Bildungskontexte (also eine der vielfältigen Verständnisse von Praxis) spielen hier in der Tat eine ganz wesentliche Rolle. Für die Hochschule sehe ich eine reelle Chance, dass sich Design-Based Researcher und Hochschullehrende auf Augenhöhe begegnen können (was nicht zwingend in allen Kontexten so ist). Im Falle von DBR-Projekten, die in Personalunion von Forschern und Praktikern durchgeführt werden, stellen sich im Übrigen sowieso ganz andere Fragen (z.B. die, welche Chancen und Risiken mit dieser Personalunion verbunden sind). Auch bei diesem Thema komme ich mit meinen eigenen Interessen immer wieder auf den Kern von DBR zurück: das Design und dessen Stellenwert für die Forschung (siehe dazu auch hier oder hier) – ein Interesse, das in jedem Fall schon mal einige der Mitglieder aus dem Netzwerk teilen.

Mein Fazit: ein guter Auftakt auch unter Pandemie-Bedingungen.

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