Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Warum DBR wichtig ist

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Es gibt einen neuen, aus meiner Sicht, interessanten DBR-Text: Hoadley, C. & Campos, F.C. (2022). Design-based research: What it is and why it matters to studying online learning. Educational Psychologist.

Der Beitrag ist thematisch in der Erforschung von Online-Lernen verankert; ich würde ihn aber keinesfalls darauf beschränkt sehen. Im Fokus stehen ein aktueller Überblick über DBR und die Frage, welche Wissenstypen aus DBR-Projekten resultieren können. Die Autoren schlagen zudem eine eigene Modellierung vor. Der Anhang enthält instruktive Informationen zu Begriffen und Methoden, die DBR ähnlich sind. Einige Aspekte aus dem Text möchte ich im Folgenden kurz besprechen:

Die Autoren verstehen DBR als einen pragmatistischen Ansatz und betonen: “As a young research approach, DBR is still under construction” (p. 6) – wobei „jung“ nicht bedeutet: ganz neu, denn DBR wird nun schon seit rund 30 Jahren diskutiert. Treffend kennzeichnet folgender Satz ein Kernanliegen von DBR: „DBR attempts to understand the world by trying to change it […]” (p. 5). Es gibt in der Literatur inzwischen viele Varianten und Facetten von DBR, aber: „[…] all agree it involves studying flexible iterations of designed interventions in a naturalistic context“ (p. 6) “ Oder anders formuliert: “Successive iterations are the key methodological feature of a DBR project” (p. 7). In letzter Zeit beobachte ich bei einigen Kollegen Zweifel daran, dass man DBR einen eigenen erkenntnistheoretischen oder paradigmatischen Status zuerkennen kann – aus diversen Gründen. Gern wird dazu als ein Argument EIN Merkmal von DBR herausgegriffen – etwas das der Iteration(en) – mit dem Hinweis, dass jede wissenschaftliche Forschung iterativ sei. Ich denke, dass ein solches Vorgehen nicht zielführend ist, denn (und das dürfte für alle methodologischen Rahmenkonzepte gelten): Es ist wohl kaum jemals ein einziges Merkmal, das den Unterschied macht, sondern, ich sage mal, die Gestalt einer Vielzahl von Merkmalen.

Hoadley und Campos schlagen in ihrem Text eine DBR-Modellierung vor, die stellenweise mit etwas anderen Begriffen hantiert als die (inzwischen zahlreichen) anderen Modellierungen. Zudem wird, wie in vielen Modellen, von Phasen gesprochen; die Anordnung in der Abbildung ist (leider, wie ich finde) linear:

Phase 1: Grounding. Grounding fasst den Start eines DBR-Projekts zusammen, also alle theoretischen, empirischen und kreativen Tätigkeiten, die sich darauf beziehen, eine Richtung festzulegen bzw. einen Weg zu finden, um die Diskrepanz zwischen dem, was ist, und dem was, sein könnte oder sollte, zu bearbeiten. Es geht also um das Grounding des Projekts selbst; bildlich trifft da eine Charakterisierung als „ein Fundament legen“ durchaus zu. Wenn ich das mit meinem eigenen Modellvorschlag (siehe hier) vergleiche, dann kommt es dem nahe, was ich als Zielfindung bezeichne – jedenfalls in Kombination mit dem „Identitätskern“.

Phase 2: Conjecturing. Hier verwenden die Autoren einen Begriff, den die meisten mit DBR-vertrauten Personen über das Conjecture Mapping kennen werden. Die erläuternden Begriffe „embodiments“ und „mediating processes“ stammen ebenfalls aus Sandovals Conjecture Mapping: Es geht hier um den ersten Entwurf und seine theoretische Begründung. In meinem eigenen Modell spreche ich einfach von Entwurf, konzipiere das aber ganz ähnlich wie Hoadley und Campos. Eine sinnvolle Übersetzung von Conjecturing, die hier passen könnte, will mir leider nicht einfallen. Wenn man ganz mutig ist, kann man vielleicht von einer abduktiven Phase sprechen?

Phase 3: Iterating. Die Autoren machen die Iteration zu einer Phasenbezeichnung – was relativ neu ist: Sie wollen damit die oft mehrfachen „building-testing-(re-)conjecturing“-Zyklen (p. 7) zum Ausdruck bringen. Mitgedacht sind hier schon die Erprobungen inklusive der Erhebung und Auswertung von Daten. Wenn ich wieder einen Bezug zu meinem eigenen Modellvorschlag herstelle, so würde ich sagen, dass „Iterating“ (deutsch dann einfach: Iterationen) dem „Spielfeld“ entspricht, das Entwurf-Entwicklung-Erprobung zusammen ergeben.

Phase 4: Reflecting. Gemeint ist hier die Analyse aller Daten, die anfallen, aber auch alle weiteren theoretischen Folgerungen – stets mit Blick darauf, was die Annahmen waren, mit denen man begonnen hat. Unter dieser Phase listen die Autoren unter anderem die verschiedenen möglichen Typen von Ergebnissen eines DBR-Projekts auf:

  • Domain Theories: Bereichstheorien (falls das eine treffende deutsche Formulierung ist) gelten in DBR als beschreibende Theorien (im Sinne von Verallgemeinerungen), die sich auf einen Aspekt oder Teil einer umfassenden und übergeordneten Annahme bezieht. Es geht also nicht um Wissen über die gestaltete Intervention, sondern – im ein Beispiel zu nennen – um ein damit verbundenes Phänomen im Lernprozess.
  • Design-Prinzipien oder Design-Pattern: Speziell Design-Prinzipien sind meiner Beobachtung nach ein DBR-Ergebnistyp, der in vielen DBR-Studien auftaucht. Es handelt sich um einen präskriptiven Wissenstyp, mit dem Empfehlungen zur Gestaltung von Interventionen unter bestimmten Bedingungen gegeben werden. Muster sollen dann eine ähnliche Funktion haben; diese sind bis dato aber noch weniger gebräuchlich.
  • Design-Prozesse: Unter einem Design-Prozess wird ebenfalls ein präskriptiver Wissenstyp verstanden; gemeint ist das Wissen zu Design-Tätigkeiten, die einem zu einem bestimmten Ziel (Entwurf) bringen bzw. gebracht haben.
  • Ontological Innovations: Vom Begriff der Ontologie schrecke ich immer etwas zurück, weil aus meiner Sicht nie so ganz klar wird, was genau gemeint ist. Einfacher ist denn auch die Umschreibung der Autoren, dass es hier um einen Ergebnistyp von DBR geht, bei dem bestehende Theorien oder Rahmenwerke zu einem (Inhalts-)Bereich oder zum Design in Frage gestellt werden bzw. ins Wanken kommen – fundamentale Neuerungen also.
  • New Hypotheses: Nicht DBR-spezifisch, aber dennoch (da stimme ich zu) nicht zu vernachlässigen sind neue Fragen und Annahmen als Resultat eines DBR-Projektes.
  • Design Researcher Transformative Learning (DRTL): Ich finde es anregend, dass die Autoren auch die „Aha-Erlebnisse“ und Erfahrungen der Forscherinnen als Ergebnis von DBR mit aufnehmen. Ich würde das als „Bildung durch DBR“ bezeichnen und vielleicht trifft das auch auf andere am DBR-Prozess beteiligte Personen zu (ich denke, mit „transformative learning“ wird Ähnliches zum Ausdruck gebracht, wofür wir im Deutschen den Bildungsbegriff haben).

Der Anhang des Textes liefert einen interessanten Überblick über (a) Begriffe, die mit DBR verwandt sind, was immer wieder zu Verwirrung beiträgt (das sehe ich auch so!) und (b) zu Methoden, die Merkmale mit DBR teilen – auch ein Thema, das ausgesprochen wichtig ist. In diesem Zusammenhang ein letzter Kommentar in Bezug auf deutsche und englische Begriffe: Neben den von Hoadley und Campos zusammengestellten Verwirrungspotenzialen infolge von Ähnlichkeiten, kommt noch hinzu, dass Begriffe wie „method“, „methodology“, „paradigm“, „epistemology“ u.ä. nicht immer ganz deckungsgleich mit den deutschen Pendants (Methode, Methodologie, Paradigma, Epistemology etc.) verwendet werden. Vielleicht ist das zumindest AUCH ein Grund, warum viele lieber gleich im Englischen bleiben. Für die Lehre (sofern sie auf Deutsch stattfindet) ist das allerdings keine wirklich gute Lösung – das sei aber, wie gesagt, nur am Rande mal erwähnt.

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