In den letzten beiden Jahren war viel die Rede von hybrider Lehre – mit verschiedenen Bedeutungen (siehe z.B. hier). Auch von Hyflex-Lehre konnte man lesen und hören – eine Lehre, die ein Höchstmaß an Flexibilität für die Studierenden bietet, gleichzeitig aber einen immensen Aufwand für Lehrpersonen bedeutet. Ende 2020 haben wir am HUL dazu ein Forschungskolloquium angeboten. Heute wird vereinzelt – und ich halte das für eine wichtige Entwicklung – hybrid eher so verstanden, dass das Präsentische und das Digitale verschmelzen, verschiedene Kombinationen eingehen und sich gegenseitig beeinflussen – und zwar auch schon beim Entwerfen von Lehrkonzepten. Zu letzterem hat mir Dominikus Herzberg einen kleinen Erfahrungsbericht geschickt, den ich – selbstverständlich mit seiner Zustimmung – gerne hier öffentlich zugänglich machen möchte. Der Titel des Erfahrungsberichts: Gestaltung von Präsenzlehre – inspiriert von Ideen aus der Online-Lehre.
Gestaltung von Präsenzlehre – inspiriert von Ideen aus der Online-Lehre
Die folgende Erfahrung zeigt, was ich aus der Online-Zeit als Idee in die Präsenzlehre übernommen habe. Wir hatten vor einiger Zeit, es war Ende November 2020, gemeinsam ein Online-Forschungskolloquium, in dem es eine Diskussion zur Hyflex-Lehre gab. Und da sprachen wir u.a. über die unterschiedlichen Umgänge mit dem Konzept von Raum.
Die Vorlesungszeit hat für mich am Freitag mit einer Einführungsveranstaltung für die Erstsemester zur Programmierveranstaltung gestartet. Ich habe in der Programmierveranstaltung 263 Studierende. Davon sind 214 Ersthörer*innen, die neben Vorlesung und Übung Anspruch auf einen Praktikumsplatz haben. Traditionell finden die Praktika in Seminarräumen statt mit je ca. 25 bis max. 30 Studierenden. Ich müsste also mindestens 8 Termine anbieten und bräuchte einige erfahrene Tutor*innen, da ich aus Deputatsgründen nur 3 Termine selber abdecken kann.
Nun habe ich dieses Semester nur eine Tutorin und selber volles 18 SWS-Deputat. Wir beide können nicht mehr als max. 5 Praktikumstermine pro Woche anbieten. Da wäre nur ein Zweiwochenrhythmus für die Studierenden realisierbar, aber das würde nicht den geforderten Kontaktzeiten gerecht werden. Was also tun?
In Online-Zeiten war „Masse“ kein Problem, wie ich mit Beginn der Corona-Pandemie erfreut feststellte. Die Studierenden habe ich in Gruppen in Breakout-Räume geschickt, 10 Minuten vor Schluss gab es ein Zusammenkommen aller, wo die Tutor*innen und ich vor den Studierenden unsere Eindrücke und Erfahrungen zurückspiegelten, die wir beim „Rumgehen“ gemacht hatten. Dieses „Rumgehen“ war das eigentlich Wertvolle. Die Studierenden brauchen gar nicht so viel Feedback, sie kommen oft gut in ihren Gruppen mit den gestellten Aufgaben zurecht; aber die Beobachtung, was gut läuft, wo es Probleme gibt etc., wo etwas symptomatisch ist, das brauche ich, um es in Vorlesung und Übung aufgreifen zu können.
Die Übertragung dieses Online-Vorgehens brachte mir die Lösung, allen wöchentlich einen Praktikumstermin anbieten zu können: Es gibt nur noch zwei Termine, für die ich zwei große Räume bekommen konnte mit 250 und 130 Sitzplätzen; es ist so, als hätte ich – wie damals – lediglich zwei Zoom-Termine im Angebot. Jetzt werden die Räume etwa über die Hälfte mit den Studierenden ausgelastet, so dass man zwischen einigen Bankreihen hindurchgehen kann, um jede Arbeitsgruppe (die „Breakout“-Räume) zu erreichen. Erst im Nachgang ging mir auf, dass ich so ein Experiment (allerdings mit nur der Hälfte an Studierenden) schon einmal vor vier oder fünf Jahren gemacht hatte: Man kann sehr gut in Großräumen praktische Gruppenarbeit machen; die Anregung und didaktische Ideen dazu hatte ich von Carl Wieman aus seinem Buch „Improving How Universities Teach Science“ aufgegriffen. Man kann zu den Gruppen gehen, Gespräche führen, bekommt für die Gesamtheit des Raums und die Atmosphäre einen Eindruck, kann gegebenenfalls sogar spontan Interventionen für alle anbringen, was wiederum online schwieriger zu bewältigen ist.
Selbstredend: Die Art der Gestaltung des Praktikums in der Online- bzw. Präsenzsituation ist nicht gleich, aber hier hat mich die Online-Lehre inspiriert, ein Problem mit Masse in die Präsenzwelt zu übersetzen und zu lösen. Ein Nebeneffekt: Da ich ja jetzt einen Termin „frei“ habe, gibt es einen dritten Termin in einem Seminarraum, der eine offene Sprechstunde zur Programmierung anbietet; hier haben die Tutorin und ich die Zeit, uns u.a. um Studierende zu kümmern, die gerade besondere Unterstützung brauchen und Hilfe suchen. Für die individuelle Betreuung hatte ich im Modus der Massenlehre in Präsenz bislang keine Zeit, jetzt ist auch das möglich geworden.
Dominikus Herzberg