Gestalten oder reagieren?

Wie erzielt man für eine hochschuldidaktische Online-Veranstaltung in der eigenen Universität (also als internes Angebot) eine Anzahl teilnehmender Personen von über 200? Indem man im Titel ChatGPT ankündigt! Am Freitag haben wir, vom Hamburger Zentrum für Universitäres Lehren und Lernen aus, zusammen mit dem Projekt DDLitLab eine zweistündige Websession zu ChatGPT in Lehre und Prüfungen angeboten – und das Interesse war groß (zum Vergleich: zu anderen Angeboten können wir im besten Fall mal 10 oder 15 Personen erreichen). Zum Glück hatten wir das ansatzweise antizipiert und waren ein Team von sechs Personen, die aktiv in die Umsetzung der Veranstaltung eingebunden waren.

Unser Input war knapp – Grundlage war ein kürzlich verfasster Text (siehe hier) –, denn im Zentrum stand der Austausch. Im Anschluss an den einführenden Überblick hat sich die Großgruppe zunächst in drei etwas kleinere Gruppen verteilt, um (1) ChatGPT näher kennenzulernen oder (2) zu ChatGPT in Lehre und Wissenschaft oder (3) in Prüfungen zu diskutieren. Nach einer kurzen Pause und einer Sammlung und Gewichtung von Fragen via Particify (siehe dazu hier) ging es dann in eine Plenumsdiskussion. Zugegeben ist das nicht ganz einfach bei so vielen Personen, aber ich hatte zumindest den Eindruck, dass die, die etwas sagen wollten, auch zu Wort gekommen sind. Meiner Beobachtung zufolge dominierten drei Themencluster.

Erstens: Ganz praktische und akute Fragen zu Datenschutz und Nutzungsmöglichkeiten des KI-Chatbots, dazu, wie sich die Universität als Organisation zum Einsatz von KI positioniert, sowie Fragen zu potenziellen Problemen in der demnächst anstehenden Prüfungsphase (Täuschungsversuche etc.) und adäquaten Reaktionen.

Zweitens: Grundsätzliche Fragen, wie die massentauglich gewordene KI Lehren, Lernen und Prüfen wie auch Lehr-Lernziele verändert. Deutlich wurden hier durchaus unterschiedliche Bewertungen je nach Disziplin/Fach. Interessant waren unter anderem Hinweise auf Veränderungen in der Berufswelt mit ihren Auswirkungen auch auf Anforderungen an Lehre und Studium. Diese Themen behandelt übrigens auch ein aktueller Beitrag von Christian Spannagel (siehe hier).

Drittens: Neben unmittelbar auf Lehren, Lernen und Prüfen bezogene Fragen kamen auch solche auf, die die Wissenschaft und Forschung betreffen – etwa die Frage danach, ob ChatGPT Autor eines wissenschaftlichen Beitrags sein kann. Angesichts der Tatsache, dass man mindestens an Universitäten bemüht sein muss, Forschung und Lehre zu verzahnen, ist es richtig und wichtig, auch diesen Diskussionsstrang zu verfolgen.

Alles in allem wurde in der Veranstaltung deutlich, dass es derzeit ganz verschiedene Einschätzungen gibt. Einige wirken (auf mich) gelassen, andere doch eher beunruhigt; manche scheinen sich sicher in ihrem Urteil, was sich noch alles entwickeln wird, andere zeigen offen ihre momentane Ratlosigkeit; nicht wenige haben schon begonnen, sich selbst explorierend, forschend mit ChatGPT als Repräsentant einer neuen KI-Generation auseinanderzusetzen, andere, so mein Eindruck, versuchen noch einzuordnen, was da gerade vor sich geht. Ich selbst würde mich zu den noch Nachdenkenden zählen, mit Interesse an den grundsätzlichen Fragen. Anders als Christian Spannagel habe ich zumindest aktuell den Eindruck, dass wir es im Vergleich zu bisherigen Neuerungen im Bereich des Digitalen mit einer neuen Dimension speziell für die akademische Welt zu haben. Mich persönlich bewegt zunehmend die Frage, was uns als Menschen besonders auszeichnet und von der Maschine (noch) unterscheidet und wir das selbst jetzt und für die Zukunft gestalten versus (nur) reagierend bearbeiten wollen.

2 Gedanken zu „Gestalten oder reagieren?“

  1. Liebe Gabi, vielen Dank für diesen interessanten Artikel, und krass, wie groß die Nachfrage nach eurer Veranstaltung war!

    Ich glaube auch wie du, dass es sich um eine neue Dimension handelt, ich habe nur nicht den Eindruck, dass dies zu einer „Revolution“ führen wird (wie dies an vielen Stellen proklamiert wird). Die Hochschullehre und auch die wissenschaftliche Praktiken werden sich ähnlich weiterentwickeln wie vor 20 Jahren mit der „Web-2.0-Welle“ und vor 10 Jahren mit der „MOOC-Welle“. Es gibt jetzt halt die „KI-Welle“ :). Es wird natürlich spannend werden, wie sich das akademische Arbeiten weiterentwickeln wird, und ich sehe große Chancen in der Unterstützung z.B. des wissenschaftlichen Schreibens durch KI. Ich finde nur, dass es keinen Grund für eine größere Besorgnis oder für keinen Anlass für einen „Umsturz“ des Bildungssystems gibt.

  2. Lieber Christian,
    danke für deinen Kommentar. Die Frage wäre, was du unter „Umsturz“ verstehst ;-). Ich denke, die Fortschritte der KI und deren Einfluss auf die Wissenschaft können (müssen?) ein gewichtiger Anlass sein, um (ich bleibe jetzt mal auf dem hochschulischen Feld) wissenschaftliche Lehre an Hochschulen zu hinterfragen, da, wo es nötig ist, besser zu machen, und – um nur ein Beispiel zu nennen – auf einen Wandel etwa der Prüfungskultur hinzuwirken. Neben kurzfristigen und pragmatischen Fragen des Einsatzes von KI in Studium und Lehre (auf die man Antworten finden muss) werden in diesem Fall, so meine Einschätzung, Diskussionen um Werte notwendig – Fragen also, was uns in Wissenschaft und Bildung wichtig ist, was gegebenenfalls durch „immer mehr KI“ auch in Gefahr geraten kann. Das ist alles weniger gut und schnell zu erfassen, wird länger dauern, ist schwerer vorherzusehen. Das hat nichts mit einem revolutionären Akt zu tun. Wünschen würde ich mir allerdings mehr proaktives Handeln – im Moment befinden wir uns (mal wieder) stellenweise zumindest in einer relativ reaktiven Haltung …

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert