Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Evidenz für „teaching as design”

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Auch in der Hochschuldidaktik ist der Ruf groß, „evidenzbasiert“ bei der Gestaltung von Lehre vorzugehen. Was das genau heißt, darüber wird ebenso gestritten (siehe dazu zum Beispiel hier) wie über die Frage, welche Arten des Lehrens und Lernens denn nun „wirkungsvoll(er)“ sind. Erfahrene Lehrpersonen, so meine Einschätzung, kennen die Antwort: Es kommt darauf an. Was so lapidar klingt, wird (mit anderen Worten) in Studien, Meta-Analysen und Literatur-Reviews durchaus bestätigt: Es kommt darauf an, wer lehrt, wer lernt, was gelehrt und gelernt wird, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ziel.

Ein aktueller Text geht – mal wieder – der Frage nach, ob die „direct instruction“ (man könnte auch sagen: verschiedene Formen von Wissensvermittlung) der „inquiry-based instruction“ (im weitesten Sinne forschungsorientiertem Lernen) überlegen ist oder umgekehrt und kommt zu dem gerade skizzierten relativierenden Schluss. Unter dem Titel „Let’s talk evidence – The case for combining inquiry-based and direct instruction” reagieren de Jong et al. (online hier zugänglich) auf einen Text von Zhang et al. (hier), demzufolge die direkte Instruktion überlegen sei. Beide Texte beziehen sich auf das Lehren und Lernen von naturwissenschaftlich-technischen Inhalten. Um es vorwegzunehmen: Die Autoren de Jong et al. – wie wäre es anders zu vermuten – widersprechen Zhang et al., indem sie mit ihrem Text zeigen, dass sich „inquiry-based learning“ sehr wohl als generell wirksam für den Aufbau von Wissen erweist, sofern man dabei einige Dinge beachtet: Denn es kommt eben darauf an, wer lehrt, wer lernt, was gelehrt und gelernt wird, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ziel. Man könnte nun folgern, dass man sich nicht weiter um den Text zu kümmern braucht, weil er an sich nichts Neues präsentiert. Ich empfehle ihn aber dennoch zur Lektüre: Zum einen bringt er mit vielen Belegen auf den Punkt, warum es sinnlos ist, ständig einzelne Methoden gegeneinander ins Rennen zu schicken – auch wenn das eigentlich schon bekannt sein sollte. Zum anderen eignet er sich als „Evidenz“ für hochschuldidaktische Vorgehensweisen, die sich am Konzept „teaching as design“ orientieren.

Vor diesem Hintergrund möchte ich ein paar Aussagen aus dem Text hervorheben:

Was ich wichtig finde, ist, dass die Autoren gleich im ersten Abschnitt des Textes die Varianz („many faces“) deutlich machen, die in der Umsetzung von Konzepten wie „direct instruction“ und „inquiry-based instruction“ zu finden ist: Auch direkt vermittelnde Methoden werden oft mit Aufgaben kombiniert, die Lernende aus der Rolle der Rezeption holen; und wer problem- oder forschungsorientiert lehrt, greift in der Regel auch (in unterschiedlichem Ausmaß) auf anleitende und vermittelnde Elemente zurück. Pauschal „direct instruction“ als fremdkontrolliert und zur Passivität führend zu etikettieren, ist ebenso unzulässig wie die Charakterisierung des Konzepts „inquiry-based instruction“ als schlecht strukturiert oder unstrukturiert. Das gilt übrigens auch für das forschende Lernen im engeren Sinne (Lernende forschen selbst); in unserem Buch „Vom forschungsnahen zum forschenden Lernen an Hochschulen“ (hier) haben Ludwig Huber und ich diesem Punkt ein ganzes Kapitel gewidmet (Kapitel 5).

Abschnitt 2 liefert eine Übersicht über empirische Befunde zur „relativen Wirksamkeit“ von „direct instruction“ und „inquiry-based instruction“ in den drei bereits von Zhang et al. (2022) unterschiedenen Forschungssettings (nicht durchgängig, aber doch zu einem erheblichen Teil bezogen auf Schule), nämlich: kontrollierte Studien, Korrelationsstudien und programmorientierte Studien (Studien, die sich auf ein Programm oder Curriculum beziehen). Trotz der eben genannten Varianz der beiden Konzepte „direct instruction“ und „inquiry-based instruction“ meinen die Autoren sagen zu können, dass deren Kernmerkmale konsistent sind – was ich wiederum nicht ganz so konsistent finde, worauf es jetzt aber nicht ankommt. Entscheidend ist aus meiner Sicht Abschnitt 3, in welchem die Autoren ausführen, was ich eingangs als „Es kommt darauf an“ erwähnt habe: die Faktoren, welche die Wirksamkeit der Konzepte moderieren. Beschrieben werden als solche Faktoren Inhalte und Ziele des Lehrens und Lernens sowie das Vorwissen und in einem separaten Abschnitt weitere Merkmale der Lernenden. Ich versuche zusammenzufassen, zu welchen Empfehlungen die Autoren bezogen auf diese „moderierenden Faktoren“ kommen:

„Inquiry-based instruction“ wird empfohlen, wenn das Ziel darin besteht, dass Lernende ein tiefes konzeptionelles Verständnis von komplexen Inhalten entwickeln, sofern diese schon über das jeweils erforderliche Vorwissen verfügen sowie grundlegende „forschende“ Fähigkeiten beherrschen. „Direct instruction“ dagegen wird empfohlen, wenn gut strukturierte und grundlegende Inhalte erworben werden sollen und Lernende noch nicht über das jeweils erforderliche Vorwissen verfügen oder noch keine grundlegenden „forschenden“ Fähigkeiten beherrschen. Zu beachten sind außerdem Merkmale der Lernenden wie Lese- und grundlegendes Mathematikverständnis (zur Erinnerung: es geht um naturwissenschaftlich-technischen Unterricht), Intelligenz, Selbstbeherrschung und Selbstkonzept. Lernende mit schwächeren Profilen in diesen Bereichen sollten, so die Autoren, explizitere Unterstützung erhalten, die auch kurze Episoden direkter Instruktion umfassen.

Eine weitere Empfehlung geht dahin, Lernumgebungen von vornherein so zu gestalten, dass im Laufe der Zeit (verschiedene) Elemente beider Ansätze („inquiry-based instruction“ und „direct instruction“) herangezogen werden. Zudem halten die Autoren fest, dass sich die beiden Ansätze gegenseitig befruchten können – in beide Richtungen: „Inquiry learning“ könne die Bereitschaft erhöhen, aus direkter Instruktion zu lernen; vorangeschaltete direkte Instruktion könne Lernende mit erforderlichem Vorwissen und Fähigkeiten ausstatten, die den Einsatz von „inquiry-based instruction“ besonders wirksam machen. Zudem könne direkte Instruktion bedarfsorientiert in forschungsorientierte Lernumgebungen (mehrfach) eingebunden werden. Schließlich werden noch für die direkte Instruktion einige Empfehlungen gegeben: Sie sei möglichst anzureichern mit (Übungs-)Aufgaben; bei deren Planung und Konzeption sei auf eine passende „Orchestrierung“ mit Blick auf die Merkmale der Lernenden zu achten.

Überraschen dürften diese Empfehlungen all diejenigen nicht, die sich schon länger mit „teaching as design“ befassen, wie es beispielsweise von Peter Goodyear vertreten wird. Auf dieser Grundlage haben auch wir am HUL einen Lehrpfad entwickelt, der darauf ausgelegt ist, verschiedene Gestaltungselemente zielbezogen miteinander zu kombinieren und zu einem kohärenten Lehrentwurf zu integrieren (zum Lehrpfad geht es hier). Es kann aber ja nicht schaden, mit dem aktuellen Text von de Jong et al. dafür auch empirische Evidenz ausweisen zu können.

Eine letzte Anmerkung zum Text von deJong et al.: In einem Artikel, der 2023 erscheint, darf das Thema Künstlicher Intelligenz (KI) nicht fehlen. Und so verweisen die Autoren noch auf das Potenzial, mit KI die Anleitung und Unterstützung von Lernenden adaptiver und personalisierter zu machen – also KI-basiertes „Scaffolding“ für „inquiry-based instruction“ in Kombination mit „direkt instruction“. Eine Nutzung von KI im Gestaltungsprozess des Lehrens wird ebenfalls erwähnt: Der Fokus liegt hier auf einem KI-Einsatz, um Lernschwierigkeiten zu diagnostizieren und automatisiertes Feedback zu geben. Auch in Bezug auf KI verrät uns der Text also wiederum nichts Neues, unterlegt dies jedoch mit ersten empirischen Befunden.

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