Was in zehn Jahren alles nicht passiert

Zehn Jahre ist es jetzt her, dass wir an der LMU München am Lehrstuhl Prof. Mandl unser erstes virtuelles Seminar zum Wissensmanagement angeboten haben: Das eigens entwickelte Programmpaket hieß damals CLAUDIA (Common Learning environment And User specific Desktop Integration Architecture), von dem heute natürlich nichts mehr übrig ist und das bald von anderen Systemen ersetzt wurde. Von LMS und CMS hat damals noch niemand gesprochen und für uns war es wirklich eine Pioniererfahrung, wie das ist, wenn man Studierende ein Semester lang allenfalls zu einem Abschlussworkshop zu Gesicht bekommt und ansonsten als „Tele-Dozent“ fungiert. Ich habe die ersten Jahre mit dieser Veranstaltung unglaublich viel über Hochschuldidaktik generell gelernt, also auch über Präsenzlehre, denn diese neue Form des Lehrens hat zu andersartigen Überlegungen, zu intensiven Reflexionen, warum man was macht und was nicht und zu vielen Dialogen im Team angeregt, die wir ohne diese ersten Virtualisierungsversuche wohl nie in dieser Form gehabt hätten. Das war wie ein groß angelegtes Sensibilsierungstraining für notwendige didaktische Strukturen (Inhalte, Ziele, Aufgaben, KOmmunikationsangebote) und anzustoßende Prozesse für erfolgreiches Lernen.

Das ist jetzt zehn Jahre her und umso befremdlicher erscheint es einem, dass man auch im Jahr 2008 den Nutzen und die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Medien in der Hochschule immer noch mühsam erklären muss – wie jetzt in der aktuellen Ausgabe von „Forschung & Lehre„: Mehrere Beiträge in dieser Ausgabe sind der Hochschuldidaktik gewidmet und immerhin einer der Artikel (hier) bemüht sich um Aufklärung in Sachen E-Learning.

Was ist in den letzten zehn Jahren eigentlich passiert? Warum fällt es so vielen aus der immer noch vergleichsweise kleinen E-Learning-Community offenbar so schwer, in ihren Hochschulen Gehör zu finden? Warum muss man nach wie vor erklären, was ein LMS ist und warum man damit allenfalls administrative, aber keine didaktischen Probleme lösen kann? Warum stehen die digitalen Medien auch heute noch recht weit unten auf der Agenda, selbst wenn es um Hochschuldidaktik geht? Warum kämpfen wir bis dato mit bisweilen schon lustigen Vorurteilen, wir würde nach einer leeren und leblosen Universität streben? Warum ziehen damals wie heute (vor allem für Hochschulleitungen) allenfalls ökonomische Argumente, wenn man E-Learning ins Spiel bringt? Nur um es ganz klar zu sagen: Ich finde nicht, dass es in der Hochschullehre am wichtigsten ist, über die Medien zu sprechen. Aber es ist doch wahnwitzig, wenn Medien, die zu Alltagsmedien geworden sind, nicht selbstverständlich auch Bestandteil der Information und Kommunikation in der Lehre sind, oder? Zehn Jahre! Da bekommt man mal ein Gefühl für die Geschwindigkeit der Verbreitung von Neuerungen in unseren Bildungssystemen (denn in der Schule ist es ja nicht viel anders, eher noch schlimmer).

Ich bin jedenfalls der so genannten Web 2.0-Bewegung dankbar: Ich freue mich immer wieder darüber, wie einfach es geworden ist, ein Blog aufzusetzen und dieses auch mit Studierenden zu nutzen. Zunehmend mehr kann man sich als Hochschullehrer auch seine eigene digitale Insel schaffen und dem Corporate Design (mit dem man als Wissenschaftler eh nicht viel am Hut hat) Adieu sagen und „sein eigens Ding“ machen. Vielen Rechenzentren ist das ein Dorn im Auge, vielen Hochschulleitungen auch. Ich finde das gut und es passt ja auch zur Freiheit von Forschung und Lehre – und: Es erspart einem erfolglose Überzeugungsarbeit an Stellen, wo selbst zehn Jahre nicht genug sind.

Web 2.0 auch für Wissenschaft im Dialog?

Wissenschaft im Dialog (existent seit 1999/2000 und initiiert vom Stifterverband für die deutsche Wissenschaft) versteht sich als Kompetenzzentrum mit dem Ziel, den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu stärken. Dahinter stehen die großen deutschen Forschungsorganisationen (wie DFG), das Bundesforschungsministerium und eben der Stifterverband.

Neu ist hier nun eine Rubrik, die sich Wissenschaftskommunikation nennt und dabei speziell auch dem Bloggen und Publizieren im Internet widmen will. Wörtlich heißt es: „Der Umgang mit neuen und klassischen Medien will gelernt sein. In der Rubrik Wissenschaftskommunikation geben wir Tipps für die zeitgemäße Vermittlung von Forschungsergebnissen, berichten über Symposien und informieren über Preise, die für gute Wissenschaftskommunikation vergeben werden.“ Steht ein bisschen im Widerspruch zu meinem Beitrag zur Schwierigkeit des Publizierens im Netz, wenn man gleichzeitig in wissenschaftlichen Journalen mit Peer-Review veröffentlichen will (wozu es auch einige interessante Kommentare gab – hier nochmal zum Nachlesen). Vielleicht sind das ja die ersten Steine für die Pflasterung eines neuen Wegs – der aber sicher lang sein wird und für den eine Web-Seite allein freilich nicht ausreicht.

Auch auf bloggende Wissenschaftler wird in der neuen Wissenschaftskommunikation-Rubrik (hier) hingewiesen, u.a. auf Scienceblogs – ein Angebot, über das ich erst kürzlich mit meinen Mitarbeitern diskutiert habe. Es stand die Frage im Raum, bestehende Blogs von uns oder ein neues gemeinsames Blog unter diesem Dach fortzuführen oder zu starten. Es siegte der Freigeist der Blogger – mit allen Vor- und Nachteilen, die uns durchaus bewusst sind ;-).

(N)ONLINER Atlas 2008

Über 50.000 Telefon-Interviews (wie schon im Jahr zuvor) mit zufällig ausgewählten Personen ab 14 Jahren liegen den Daten des (N)Online Atlas zugrunde. Ziel ist eine umfassende Erhebung der Internetnutzung in Deutschland, wobei vor allem Geschlechterunterschiede, Altersunterschiede und Unterschiede in den Bundesländern, aber auch Einflüsse von Bildung und Einkommen interessieren. Die Studie kann online (hier) abgerufen werden. Auf der dazugehörigen D21-Seite finden sich auch eine ganze Reihe von Presseberichten für die eiligen Leser – aber Achtung: Da werden dann natürlich nur einzelne Ergebnisse herausgegriffen. Interessant fand ich u.a. die Tatsache, dass bei der jungen Generation die Mädchen keineswegs mehr im Hintertreffen sind – im Gegenteil: Seit 2007 gibt es bei den 14- bis 19-Jährigen nicht nur eine fast flächendeckende Internet-Nutzung von fast 95 Prozent, sondern die Mädchen liegen dabei sogar ein wenig vorne. Das ist wichtig, auch wenn es letztlich natürlich noch wenig aussagekräftig ist, denn was genau mit dem Netz gemacht wird, bleibt bei solchen Studien ja eher außen vor.

Als Ergänzung sind daher Studien interessant, die auch den Funktionen nachgehen, die Medien für Jugendliche erfüllen. Dazu kann man z.B. die JIM-Studie von 2007 (hier) heranziehen, die ebenfalls mit repräsentativen Stichproben arbeitet, oder das aktuelle Medienkonvergenz Monitoring 2008, das mit wesentlich kleineren Stichproben arbeiten kann, weil die Fragen hier spezifischer sind. Beide Studien belegen, dass es zwischen Mädchen und Jungen in der Nutzungsform und in den Nutzungsmotiven deutliche Unterschiede gibt. Ich denke, hier muss man auch ansetzen, wenn man mehr Mädchen für Technik- und Informatik-Tätigkeiten, -Studiengänge und -berufe motivieren will. Statt immer nur nach den „Defiziten“ bei den Mädchen (mit den Jungen als Maßstab) zu suchen, sollte man mal genauer hinschauen, welche Potenziale in den bestehenden Arten und Gründen für die Nutzung des Internets bei den Mädchen vorhanden sind. Interessante Dinge laufen diesbezüglich z.B. an der Universität Bremen (in der Arbeitsgruppe für digitale Medien (dimeb) unter Leitung von Prof. Dr. Heidi Schelhowe.

Die schönsten Gebäude den Schulen und Universitäten

Ja, schon richtig: Wertschätzung kann, muss sich auch im Äußeren zeigen und das wäre doch mal was, wenn die schönsten Gebäude eines Ortes die Schulen und die Universitäten wären und – ich ergänze – die fähigsten Leute in den Lehrberufen zu finden wären. Wo das steht? In einem „offenen Brief an Bildungspolitiker“ in der SZ (entdeckt von Tanjev Schultz – danke an Alex für den Hinweis – abrufbar online hier).  Am besten gefällt mir der Schlussappell an die Minister:

„Dann hauen Sie doch mal richtig auf den Putz! Stellen Sie sich vor: Sie, die Kultusminister aller 16 Länder, Sie alle treten gemeinsam vor die Presse. Sie halten ein Programm hoch, in dem steht, wie Sie aus den Schulen und Universitäten die glanzvollsten Orte des Landes machen. Und dann präsentieren Sie die Rechnung. Sie bestehen darauf, dass sie beglichen wird. Sonst treten Sie kollektiv zurück. Sie könnten Geschichte schreiben!“

Das passt übrigens gut zur Diskussion, die sich in Mandys Blog hier anlässlich eines Beitrags über Lehrer und Internet entwickelt hat. Ich finde das übrigens auch für die Wirtschaft ein elementares Thema, denn: Beklagt man sich nicht ständig überall, dass Absolventen aller möglichen Schulen wie auch Universitäten den heutigen Ansprüchen in Unternehmen nicht gewachsen seien? Aber – wie es auch im oben verlinkten offenen Brief heißt – wir tun doch schon so viel, um die jungen Menschen „fit“ zu machen für Wirtschaft und Wettbewerb! Ob sich da der vorauseilende Gehorsam etwa in eine Richtung entwickelt, die am Ende noch nicht einmal die Wirtschaft haben will, weil das Ergebnis (die erhoffte Leistung) ausbleibt?

Stuss von Medienpädagogen

Viele netzaffine ZEIT-Leser werden in den letzten drei Wochen die drei Ws in Form der Beilage „ZEIT Internet spezial“ gesammelt haben. Ich habe nicht genau nachgeschaut, ob alle Artikel auch online sind; der Artikel, zu dem auch Herr Spitzer wieder Beiträge geliefert hat (in Form eines offenbar im Hintergrund gehaltenen Interviews) aber schon: Unter dem Titel „Verzettelt im Netz“ (online hier) wird diskutiert, wie die Online-Welt unsere Sprache und unser Denken verändert. Eine durchaus sinnvolle Frage, denn natürlich ändern sich Menschen (sowie ihr Denken, Sprechen, wohl auch Handeln) auch mit technischen Entwicklungen. Leider aber schwingt sofort die kulturpessimistische Frage mit, ob am Ende nicht mehr wir den Computer beherrschen, sondern er uns (eine alte Angst, welche die Hüter z.B. von Kirche und Moral ja bekanntlich schon bei Büchern hatten).

Heute fragt man bei solchen Herausforderungen keineswegs mehr Soziologen, die die Gesellschaft beobachten, schon gar keine Pädagogen, wenn sie nicht dem PISA-Konsortium angehören, und Psychologen nur, wenn sie sich zur biologischen Psychologie bekennen. Nein, man fragt vor allem die Neurowissenschaftler, weil die auf harte Daten zurückgreifen und uns endlich erklären können, warum der Mensch ist, wie er ist und was man dagegen tun kann, dass ihn die Technik nicht auffrisst. Also zunächst mal sollte man laut Spitzer keinesfalls auf Medienpädagiogen hören, denn – wie man da lesen kann: „Diese sogenannten Medienpädagogen reden fast alle Stuss, weil sie von Softwarekonzernen finanziert werden.“ Oh Treffer – auch wir haben seit vier Jahren ein Projekt mit Intel laufen. Gut, das ist zwar kein Software-Hersteller, aber Chips braucht man ja auch für die Teufelsdinger. Alle Medienpädagogen sind also gekauft? Immerhin heißt es „fast alle“ … na dann.

Anbei, wen es interessiert, ein Kurzkommentar, um den mich vor einigen Wochen der Südkurier (gut, die Zeitung kannte ich vorher auch nicht, weil ich in Oberbayern südlich von München wohne) gebeten hatte: Anlass war mal wieder Spitzers legendäre Ausspruch, dass Computer dumm machen (hier der Text: machen-computer-dumm). Als Gegenseite sollte Herr Spittzer einen Kommentar liefern. Hat dann aber wohl (erheblich gemäßigter) eine Mitarbeiterin gemacht – das Blatt war wohl doch zu popelig.

Na sowas … oder: Was macht man mit einem Ranking-Platz?

Gestern flatterte mir eine Zeitung ins Haus, die ich – hätte Frank nicht den Briefkasten geleert – wahrscheinlich in gewohnter Manier gleich als Werbung wieder in den Papierkorb geworfen hätte, womit ich zugegebenermaßen manchmal zu schnell bin. Es handelte es sich um ein Belegexemplar der Zeitschrift wirtschaft + weiterbildung mit dem Titelthema „ich blogge, also bin ich“ und dem Versprechen, 10 Bildungs-Blogger auszumachen, „die Sie kennen sollten“. Ohne Zweifel verdient steht Jochen Robes mit seinem Weiterbildungsblog an Platz 1: Auch ich kenne niemanden, der derart konsequent, umfangreich und informativ ein Blog mit Bildungsinformationen führt und ich habe schon viele interessante Quellen dank seines Blogs gefunden.

Was mich dann aber schon erstaunt hat ist, dass mein E-Denkarium in dieser „Hitliste“ auftaucht (wenn auch nur auf Platz 8, aber immerhin ;-)), denn: Für Leute aus der Wirtschaft schreibe ich an sich ja eher nicht (wobei das bei mir schon auch die Frage auslöst: Für wen schreibe ich eigentlich?). Während die drei „Gewinner“ (Jochen Robes, Fritz Simon und Johannes Tönneßen) im Leitartikel genauer skizziert sind, erhalten die anderen sieben eine Kurzbewertung mit Stärken- und Schwächen-Analyse, wobei mir als Schwäche „ … zu viele Themen aus dem Bereich Pädagogik und Schule“ attestiert wird. Ja logisch – ich komme natürlich aus dem Bereich der Pädagogischen Psychologie, und es ist sogar was dran an der Formulierung, denn zumindest für die Schule habe ich in gewisser Weise eine „Schwäche“: Ohne dafür unbedingt einen offiziellen Auftrag zu haben, sind mir Bildungs- und Medienfragen in der Schule einfach wichtig!! Denn wo fängt denn Bildung in systematischer Form an? Doch in der Schule, oder? Und überhaupt meine ich ja, dass das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Bildung (wer will kann ja mal auf dem Portal unseres Vereins vorbeischauen, nämlich hier) gerade in der Schule besonders gut beobachtet werden kann und dringend auf neue konzeptionelle Vorschläge wartet.

Jedenfalls find eich es sehr positiv, wenn ein nicht auf Wirtschaft und Weiterbildung explizit ausgerichtetes Blog eben mit vielen Schul- und Hochschulthemen mit aufgeführt wird – das ist ja vielleicht auch ein kleiner (weiterer) Schritt der Annäherung. Wenn jetzt noch das Lehrerzimmer-Blog von Herrn Rau dabei wäre, wäre es perfekt, damit „umtriebige Experten und Forscher“ (so eine andere Formulierung in der Bewertung) auch von umtriebigen Lehrern ergänzt werden. 🙂