Das Verfahren beschleunigen

Was in Deutschland zur Akkreditierung gesagt, gedacht und gemacht wird, ist mehr als widersprüchlich. Mal ist es Pflicht, mal verfassungswidrig, mal versucht man sich an Reformen einer Praxis, die Universitäten zu einem „Qualitätssiegel“ zwingen, dessen Qualität immer wieder Gegenstand der Kritik ist. Vor einigen Jahren habe ich hier  auf einen Text des Aktionsrats Bildung hingewiesen, der sich (also lange vor dem besagten Gerichtsurteil) mit dem Akkreditierungswesen aus meiner Sicht fundiert beschäftigt hat. Die Universität Hamburg hat sich in den letzten Jahren gegenüber Akkreditierungen zurückhaltend gezeigt. Ob die Studiengänge deswegen schlechter sind als an anderen Universitäten, mag man doch bezweifeln. Nun aber moniert der Wissenschaftsrat in seinen Empfehlungen an die Universität Hamburg (hier auch ein Blog-Beitrag dazu – aber in Bezug auf andere Aspekte) genau diese Zurückhaltung, was natürlich die Presse gerne (z.B. hier) aufgreift und der Universität ein „Hinterherhinken“ attestiert. Der Präsident kontert (ich zitiere den NDR): „“Es gibt überhaupt keinen Grund, für irgendwelche Formen von Ängsten und es ist verantwortungslos, das zu schüren“, sagte Lenzen.“ Sehe ich auch so. Trotzdem endet der Beitrag mit dem Hinweis, Ende des Monats wollten sich Vertreter von Universität, Wissenschaftsrat und Wissenschaftsbehörde treffen, um darüber zu beraten, „wie das Verfahren beschleunigt werden kann.“ Sollen jetzt im Eilverfahren alle Studiengänge akkreditiert werden? Vielleicht sollte man beim Treffen das schon genannte Gutachten zur Qualitätssicherung an Hochschulen verteilen – und möglichst auch lesen.

Fassadenkultur der Antragstellung

Gleich zwei – aus meiner Sicht völlig berechtigte – Aktionen von Wissenschaftlern gegen die die neuen Pläne der Exzellenzinitiative und die (inzwischen als verfassungswidrig erkannte) Form der bestehenden Akkreditierungspraxis sind derzeit online nachzulesen und können im Falle der Exzellenzinitiative durch digitale Unterschrift auch unterstützt werden.

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Schnauze voll von der Modulherrschaft

Bereits am 18. März hat das Bundesverfassungsgericht eine Pressemitteilung (hier) verfasst, die – wie nicht anders zu erwarten – viele Kommentare ausgelöst hat. Wörtlich heißt es da im ersten Abschnitt: „Die Regelungen über die Akkreditierung von Studiengängen des Landes Nordrhein-Westfalen, wonach Studiengänge durch Agenturen „nach den geltenden Regelungen“ akkreditiert werden müssen, sind mit dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar. Dies hat der Erste Senat mit heute veröffentlichtem Beschluss in einem Verfahren der konkreten Normenkontrolle auf Vorlage des Verwaltungsgerichts Arnsberg entschieden. Das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit steht zwar Vorgaben zur Qualitätssicherung von Studienangeboten grundsätzlich nicht entgegen. Wesentliche Entscheidungen zur Akkreditierung von Studiengängen darf der Gesetzgeber jedoch nicht anderen Akteuren überlassen. Der Landesgesetzgeber hat verfassungskonforme Regelungen mit Wirkung spätestens vom 1. Januar 2018 an zu treffen.“

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Schwächen kaschieren statt sie beheben

Heute hat in München der Aktionsrat Bildung ein Gutachten vorgestellt, das sich mit dem Akkreditierungswesen in der deutschen Hochschullandschaft befasst. Der Titel des Gutachtens fasst bereits die Kernbotschaft zusammen: „Qualitätssicherung an Hochschulen: von der Akkreditierung zur Auditierung“. Das 50-seitige Gutachten kann hier abgerufen werden und es empfiehlt sich die Lektüre – nicht nur dann, wenn man selbst als Hochschullehrer oder anderweitig Beteiligter an Akkreditierungsverfahren mitwirkt(e). In einer Pressemeldung zur Vorstellung des Gutachtens (hier) wird der Vorsitzende des Aktionsrats Bildung, Dieter Lenzen, wie folgt zitiert: „In den zurückliegenden Jahren vermehrten sich die Klagen aus den Hochschulen über die Akkreditierungsverfahren im Hinblick auf ihren bürokratischen und finanziellen Aufwand. Es bedarf daher eines raschen Reformprozesses mit dem Ziel, staatliche Genehmigungsverfahren und Detailkontrolle durch qualitätsorientierte Beratung von Auditierungsagenturen zu ersetzen. Sie stellen Mindeststandards und mehr Eigenverantwortung der Hochschulen im Qualitätsmanagement sicher.“

Das Gutachten skizziert die historische Entwicklung des deutschen Akkreditierungsverfahrens und macht auf ungünstige Analogiebildungen, aber auch auf die verfassungsrechtlich unklaren Punkte der aktuellen Akkreditierungspraxis aufmerksam. Relativ detailliert werden zudem die Probleme dargelegt, die nicht nur in den Kosten und im bürokratischen Aufwand liegen, sondern auch darin, dass die Unterschiede in Vorstellungen von Qualität nicht ins Bewusstsein gerückt und auf diesem Wege die eigene Logik und die Besonderheiten von Hochschulen vernachlässigt werden. Auf mehreren Seiten (S. 53-56) gehen die Autoren des Gutachtens auch auf die enormen motivationalen Folgeschäden der Akkreditierung unter den Beteiligten ein.

Dass man (und das gehört zum Motivationspart) in den gängigen Akkreditierungsverfahren alle Energie darauf legt, (a) möglichen Einwänden zuvorzukommen, (b) vorgegebene (vor allem formale) Standards zu erfüllen, gegen die man als Wissenschaftler und Hochschullehrer womöglich begründbare Einwände hat, (c) Schwächen eines Studiengangs geschickt verpackt, damit sie nicht auffallen u. ä., kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Das Verfahren zu bestehen, wird wichtiger, als die Lehre faktisch zu verbessern. Das ist gegenüber den Studierenden, gegenüber sich selbst und gegenüber der Wissenschaft, für und in der man tätig ist, schon ein ganz klarer Verrat. Sicher variiert die Ausprägung dieser Probleme, und es mag Verfahren geben, in denen dies nicht so ist (also kein Verrat stattfindet). Es bleibt aber mindestens die Frage, ob die Kosten gerechtfertigt sind, denn wenn Studiengänge ohne Nachbesserungen ein „Qualitätssiegel“ erhalten, dann hat die dahinter stehende Hochschule bzw. Fakultät und Fächergruppe offenbar ihre Aufgabe gut erledigt, aber genau das könnten an sich auch die dort Studierenden und Lehrenden selbst beurteilen.

Von daher finde ich die Vorschläge des Aktionsrats Bildung alles in allem gut. Ob man mit Qualitätsaudits (und den dahinter stehenden geforderten Institutionen) keinen unangemessenen bürokratischen Aufwand erzeugt, kann ich nicht beurteilen; eine Gefahr in diese Richtung kann freilich jedes Verfahren bergen. Überzeugend finde ich jedenfalls den Hinweis, dass es an der Zeit ist, den Fokus auf die Verbesserung der Qualität in der Lehre zu legen und nicht auf die bloße Legitimierung und damit (unweigerlich) verbundene Tendenz, Schwächen zu kaschieren statt sie zu beheben.

Wettbewerb über alles

An den Hochschulen werden weiter fleißig Studiengänge akkreditiert. Für diesen Zweck wird vor allem tonnenweise Papier produziert – dicke Wälzer, die Ausdruck von Fleißarbeiten ohne Gleichen sind. Dass das nicht sinnvoll sein kann, hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) schon seit längerer Zeit erkannt. Nun gibt es eine neue aktuelle Pressemeldung (hier), in der die HRK dafür plädiert, die „eklatanten Schwächen“ in der Akkreditierungspraxis zu beseitigen. Das Losungswort heißt: institutionelle Audits, in denen begutachtet wird, „ob die Strukturen und Prozesse einer Hochschule geeignet sind, die von ihr selbst gewählten Qualitätsziele in Lehre und Studium zu erreichen“.

Die Audits sollen nach international anerkannten Evaluationsprinzipien durchgeführt werden, wobei leider nicht gesagt wird, wie das genau gemeint ist. Orientieren sich aktuelle Akkreditierungen nicht danach? Die Hochschulen sollen dabei vor allem unterstützt werden, ihre Aufgaben in Studium und Lehre besser wahrzunehmen. Das wäre immerhin ein Fortschritt, wenn man an die Stelle der derzeitigen Behinderung durch Akkreditierungen eine Unterstützung anbietet. Es soll ein „Qualitätssiegel“ vergeben werden – und zwar als Nachweis für die hohe Qualität der Lehre. Das wiederum ist eine seltsame Folgerung, denn aus einem handwerklich gut gestalteten Studiengang folgt noch keine qualitativ gute Lehre auf der Veranstaltungsebene. Und dann wird natürlich wieder der „Wettbewerb der Hochschulen untereinander“ ins Feld geführt – Wettbewerb über alles, eine Art Mantra aus dem Hoffnungsland der Marktwirtschaft. Das ist mir ein Rätsel, dass man diesem Irrglauben, man könne Bildung und Universitäten nach diesen Prinzipien besser machen, so beharrlich anhängt – trotz aller gegenteiliger Erfahrungen.

Fazit: Schön, dass die HRK es anstoßen will, diesen Akkreditierungswahnsinn einzudämmen. Schön auch, dass es neue Ideen gibt, es anders zu machen. Schade aber, dass Rhetorik doch wieder wichtiger ist als Inhalte. Und schade vor allem, dass das ökonomische Primat nach wie vor ungebrochen zu sein scheint.

Bananenverordnung

Michael Kerres berichtet in seinem Blog (hier) von den wundersamen Wandlungen bei den Vorgaben im Akkreditierungsverfahren. Ihm fallen z.B. die wachsenden Details in den Vorgaben auf: „So darf es nach neuesten Vorgaben keine Abschlussprüfung mehr geben. … Der europäische Standardisierungsprozess sieht eine solche Prüfungsleistung nicht mehr vor. Ähnliche Vorgaben gibt es jetzt für die vorgeschriebene Modulgröße, für den Umfang von Masterarbeiten, für die Dauer von Prüfungen etc. Dabei gelten wesentliche Vorgaben von vor fünf Jahren jetzt nicht mehr. Vor fünf Jahren MUSSTE der Studiengang z.B. englisch firmieren (was ich damals für falsch hielt), nun MUSS er deutsch heißen“. Letzteres belegt zum einen, welche Nichtigkeiten da ins Visier geraten, was wohl anzeigt, dass wir uns offenbar in Richtung Bananenverordnung der EU bewegen. Zum anderen wird deutlich, dass man Dinge zur Vorschrift macht, für die es wenig stichhaltige und vor allem offenbar kaum lange haltbare Argumente gibt.

Rückendeckung auf Verbandsebene

Im aktuellen Newsletter des Deutschen Hochschulverbands (DHV) heißt es: „Der Deutsche Hochschulverband (DHV) will seinen Forderungen nach einer grundlegenden Umgestaltung des Akkreditierungswesens in Deutschland notfalls dadurch Nachdruck verleihen, dass er seine 24.000 Mitglieder aufrufen wird, sich als Gutachter für Programmakkreditierungen zukünftig nicht mehr zur Verfügung zu stellen.“ (Pressemeldung) Wieso „notfalls“? Wieso überhaupt ein Aufruf? Wenn man selbst drüber nachdenkt (siehe hier), kommt an sich auch allein drauf, dass an diesem System etwas nicht stimmen kann. Aber klar: Es wäre schon gut so ein Aufruf vom DHV, denn sowohl der Newsletter als auch die Zeitschrift „Forschung und Lehre“ werden viel gelesen. Und mein Vorschlag in der Kleinst-Community der bloggenden Hochschullehrer hätte Rückendeckung auf Verbandsebene. Das wär doch was 🙂

Mitmach-Akkreditierung

Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber wenn – wie aktuell – mal wieder eine Anfrage kommt, sich an der Arbeit von Akkreditierungsagenturen etwa als Gutachter zu beteiligen, dann kreisen meine Gedanken erneut um das Thema. Ich finde es jedenfalls unglaublich, was man da für ein „Monster“ geschaffen hat. Man muss sich das mal vorstellen: Die Akkreditierung von Studiengängen kostet eine große Summe Geld, das die Universitäten aufbringen müssen. Gleichzeitig funktionieren die Akkreditierungsagenturen nur, indem Hochschullehrer sich als Gutachter und Mitarbeitende beteiligen. Dafür bekommen sie ein wenig Geld, ja, aber allem voran investieren sie Zeit, die ihnen an der eigenen Hochschule wieder fehlt. Der Staat zahlt also doppelt: für die Akkreditierung und dafür, dass Hochschullehrer daran mitarbeiten (mit der Folge, dass die entstandenen Bürokratisierung in der Hochschule nochmal kostet). Wie kann man sich das eigentlich erklären? Was sind die „Treiber“ dieser Situation?

Nun, ich habe das Gefühl, dass es da vor allem drei Treiber gibt: Da ist erstens eine Art „Logik des Misstrauens“: Seitens der Politik hat man beobachtet, dass Hochschulen Kolosse sind, dass in vielen Bereichen tatsächlich jahrzehntelang keine Reformen und Änderungen auf den Weg gebracht wurden. Das schmälert das Vertrauen in die Änderungsfähigkeit und -bereitschaft. Also beauftragt man externe Stellen und Personen (ähnlich wie in Hochschulräten), den Wissenschaftlern auf die Finger zu schauen – und zwar gleich mal ganz grundsätzlich – ähnlich einem Mehdornschen Kollektiv-Verdacht. Zweitens scheint es eine Art „Logik des Gütesiegels“ zu geben: Hier spielen sicher internationale Vorbilder eine Rolle – es klingt irgendwie gut und beruhigend „akkreditiert zu sein“. Man denkt vielleicht an den TÜV und an die Stiftung Warentest und wiegt sich dann in der Gewissheit, dass es jetzt „richtig“ ist. Und drittens handelt es sich wohl um eine ganz klare „Logik der Steuerung“: Hochschulen sollen autonom sein, also funktioniert ein direkter Zugriff des Staates auf die Lehre eher nicht besonders gut, obschon es der direkteste Weg wäre. Ein indirekter Weg würde eigentlich unmittelbar über den nationalen Akkreditierungsrat laufen – aber auch das vermeidet man und schaltet lieber Akkreditierungsagenturen dazwischen, die ausführen, was man politisch beschließt: Der längste Weg wird letztlich zum effektivsten Zugriff.

Interessant an der Sache ist, dass man sich „gegen staatlichen Zugriff“ gerne und schnell auch unter den Professoren wehrt. Wenn aber doch so viele Kollegen inzwischen an der Arbeit der Akkreditierungsagenturen so fleißigen mitwirken, dann funktioniert dieses „Ingroup-Outgroup“-Denken nicht mehr. Ja, es ist ja fast wie beim Web 2.0 (dem Mitmach-Web): Wir stehen vor einer „Mitmach-Akkreditierung“, nur dass die Folgen ganz andere sind.

Nun häufen sich ja inzwischen die Klagen von Professoren über Professoren, dass man dem Bologna-Prozess so widerstandslos gefolgt ist, sich nicht gewehrt hat etc. Und nun sei es zu spät. Aber halt: Ist das nicht eine Ausrede? Denn wenn man sich mal überlegt, dass das ganze Akkreditierungssystem nur funktioniert, weil sich Professoren daran als Gutachter u.ä. beteiligen und mitmachen, dann liegt ja eigentlich auf der Hand, dass NICHTS mehr funktionieren würde, wenn sie das NICHT mehr täten. Man würde sich also gar nicht weigern (müssen), den Akkreditierungswahnsinn über sich ergehen zu lassen, sondern nur eben NICHT mitmachen, wenn es darum geht, sich beim Akkreditieren der jeweils anderen zu beteiligen. Also nur mal so als Gedankenspiel …

Wichtig: Ich bin NICHT gegen Bologna in dem Sinne, dass man mit Blick auf Europa schaut, wie man Übergänge und Mobilität verbessern kann. Auch inhaltlich sinnvolle Modularisierungen und ECTS sind an sich NICHT das Problem. Auch gut ist, dass dank Bologna das Thema Lehre überhaupt wieder mehr auf den Tisch kommt. Zudem ist es völlig richtig, dass man sich überlegt, wie man Qualität sicherstellt und entwickelt. Aber mir konnte noch niemand überzeugend erklären, was dieses Akkreditierungssystem sachlich bringen soll! Also bleibe ich erst mal bei meinen Vermutungen, dass Misstrauen, ein fester Glaube an Gütesiegel – und seien sie noch so konstruiert – sowie letztlich Steuerungsmacht die eigentlichen Treiber dahinter sind.