Heute hat in München der Aktionsrat Bildung ein Gutachten vorgestellt, das sich mit dem Akkreditierungswesen in der deutschen Hochschullandschaft befasst. Der Titel des Gutachtens fasst bereits die Kernbotschaft zusammen: „Qualitätssicherung an Hochschulen: von der Akkreditierung zur Auditierung“. Das 50-seitige Gutachten kann hier abgerufen werden und es empfiehlt sich die Lektüre – nicht nur dann, wenn man selbst als Hochschullehrer oder anderweitig Beteiligter an Akkreditierungsverfahren mitwirkt(e). In einer Pressemeldung zur Vorstellung des Gutachtens (hier) wird der Vorsitzende des Aktionsrats Bildung, Dieter Lenzen, wie folgt zitiert: „In den zurückliegenden Jahren vermehrten sich die Klagen aus den Hochschulen über die Akkreditierungsverfahren im Hinblick auf ihren bürokratischen und finanziellen Aufwand. Es bedarf daher eines raschen Reformprozesses mit dem Ziel, staatliche Genehmigungsverfahren und Detailkontrolle durch qualitätsorientierte Beratung von Auditierungsagenturen zu ersetzen. Sie stellen Mindeststandards und mehr Eigenverantwortung der Hochschulen im Qualitätsmanagement sicher.“
Das Gutachten skizziert die historische Entwicklung des deutschen Akkreditierungsverfahrens und macht auf ungünstige Analogiebildungen, aber auch auf die verfassungsrechtlich unklaren Punkte der aktuellen Akkreditierungspraxis aufmerksam. Relativ detailliert werden zudem die Probleme dargelegt, die nicht nur in den Kosten und im bürokratischen Aufwand liegen, sondern auch darin, dass die Unterschiede in Vorstellungen von Qualität nicht ins Bewusstsein gerückt und auf diesem Wege die eigene Logik und die Besonderheiten von Hochschulen vernachlässigt werden. Auf mehreren Seiten (S. 53-56) gehen die Autoren des Gutachtens auch auf die enormen motivationalen Folgeschäden der Akkreditierung unter den Beteiligten ein.
Dass man (und das gehört zum Motivationspart) in den gängigen Akkreditierungsverfahren alle Energie darauf legt, (a) möglichen Einwänden zuvorzukommen, (b) vorgegebene (vor allem formale) Standards zu erfüllen, gegen die man als Wissenschaftler und Hochschullehrer womöglich begründbare Einwände hat, (c) Schwächen eines Studiengangs geschickt verpackt, damit sie nicht auffallen u. ä., kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen. Das Verfahren zu bestehen, wird wichtiger, als die Lehre faktisch zu verbessern. Das ist gegenüber den Studierenden, gegenüber sich selbst und gegenüber der Wissenschaft, für und in der man tätig ist, schon ein ganz klarer Verrat. Sicher variiert die Ausprägung dieser Probleme, und es mag Verfahren geben, in denen dies nicht so ist (also kein Verrat stattfindet). Es bleibt aber mindestens die Frage, ob die Kosten gerechtfertigt sind, denn wenn Studiengänge ohne Nachbesserungen ein „Qualitätssiegel“ erhalten, dann hat die dahinter stehende Hochschule bzw. Fakultät und Fächergruppe offenbar ihre Aufgabe gut erledigt, aber genau das könnten an sich auch die dort Studierenden und Lehrenden selbst beurteilen.
Von daher finde ich die Vorschläge des Aktionsrats Bildung alles in allem gut. Ob man mit Qualitätsaudits (und den dahinter stehenden geforderten Institutionen) keinen unangemessenen bürokratischen Aufwand erzeugt, kann ich nicht beurteilen; eine Gefahr in diese Richtung kann freilich jedes Verfahren bergen. Überzeugend finde ich jedenfalls den Hinweis, dass es an der Zeit ist, den Fokus auf die Verbesserung der Qualität in der Lehre zu legen und nicht auf die bloße Legitimierung und damit (unweigerlich) verbundene Tendenz, Schwächen zu kaschieren statt sie zu beheben.
„Motivationale Folgeschäden“ … ein (leider) treffendes Konstrukt. Lässt sich ggf. noch erweitern zu „Motivationale Kollateral- und Folgeschäden“ 😉 Denen sollte bei verschiedenen Veränderungs- und Kommunikationsmaßnahmen mehr Beachtung geschenkt werden!
Viele Grüße,
karsten