Machtlose Bildungspolitik?

Es bleibt in Frauenhand – das Bundesministerium für Bildung und Forschung: Bulmahn, Schavan, Wanka (auch wenn letztere vielleicht nur sechs Monate Zeit hat). Die studierte Disziplin aber wechselt: Johanna Wanka ist Mathematikerin. Spiegel Online (hier) gratuliert ihr schon mal zum „Aufstieg in die Machtlosigkeit“. Aber ist das gerechtfertigt? Wer die Wissenschaft seinen eigenen (beruflichen) Kontext nennt, weiß, dass auch die Bildungspolitik des Bundes durchaus Einfluss auf Forschung und Lehre an unseren Hochschulen nimmt.

Einen kurzen Überblick über das Wirken der letzten Bildungsministerin findet man hier; dabei wird deutlich: So ganz machtlos ist das nicht, was in diesem Ministerium möglich ist. Der Beitrag verweist unter anderem auf die politisch zumindest mit verursachte Schieflage in der deutschen Wissenschaft: „Die außeruniversitären Einrichtungen bekommen bis 2015 satte Aufwüchse über den ´Pakt für Forschung und Innovation´. Die Hochschulen hingegen müssen einen immer größeren Teil ihrer Grundfinanzierung durch im Wettbewerb eingeworbene Drittmittel stemmen. Immer mehr Personal ist prekär beschäftigt. Dabei mussten die Hochschulen in kurzer Zeit eine Rekordzahl von Studierenden aufnehmen. Der Hochschulpakt hilft, doch er ist unterfinanziert und befristet.“

In der ZEIT Online findet man hier eine Liste von Wünschen, die Studierende nun an Johanna Wanka richten. Die hier ausgesuchten Wünsche sind teils praktischer, teils aber auch höchst ideeller Natur: mehr Zeit und Muße, mehr Freiheit und Eigenverantwortung, mehr Selbstbestimmung, mehr Lehrende und weniger Drittmittelabhängigkeit und ein Klima, in dem es nicht nur darum geht „den Lebenslauf aufzupimpen“ (zu deutsch: aufzumotzen). Um diese Wünsche zu erfüllen, dürften sechs Monate wohl leider nicht reichen.

Und Schavan? Mich würde interessieren, wie denn die Betreuung ihrer Dissertation vor gut 30 Jahren abgelaufen ist. Hier gehen ja die Meinungen auseinander: Die einen sagen, man sei als Professor nicht dazu da, eine Arbeit im wörtlichen Sinne zu „betreuen“, weil das an der Idee eines selbständig forschenden Doktoranden vorbeigehe. Andere (und da zähle ich mich auch dazu) weisen darauf hin, dass auch Promotionen Qualifizierungsphasen sind, in denen man sehr wohl noch von anderen etwas lernen kann und soll (die Frage ist ja eher, wie), was dann auch eine Begleitung erforderlich macht. Nur dann nämlich kann man erkennen, wenn jemand auf einen ungeeigneten Weg gerät und die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens wissentlich oder unwissentlich aus den Augen verliert. Frank führt dazu hier die Unterscheidung von nicht-sportlich und unsportlich ein – eine treffende Analogie, wie ich finde.

Nun wird ein halbes Jahr schnell um sein. Mal sehen, wer im September das Bildungs- und Forschungszepter in die Hand nimmt und wie er oder sie die damit verbundene Macht(losigkeit) dann nutzen wird.

Bildung vom Windel- bis zum Greisenalter

Auf mehreren Blogs wurde bereits auf den neuen Bildungsbericht 2010 hingewiesen, der dieses Jahr mit dem Untertitel „Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel“ versehen ist. Es gibt eine Langfassung (hier) und eine Zusammenfassung (hier). Ich gestehe, dass ich auch nur die Zusammenfassung gelesen habe. Wie immer, wird jeder aus dem Bericht herauslesen und herauspicken, was ihn gerade umtreibt. Ein- und derselbe Sachverhalt wird mit Sicherheit für ganz unterschiedliche Argumentationen herhalten müssen. Informationen sind halt das eine; daraus abgeleitete Folgerungen und Forderungen das andere.

Die Regierung selbst beklagt die schlechte Bildungssituation für Migranten – wahrlich keine neue Erkenntnis, weshalb es mich schon verwundert, dass man sich immer wieder von Neuem so wundert, OHNE DASS irgendwelche nennenswerten Maßnahmen ergriffen werden, dies zu ändern. Die taz macht auf die wachsende generelle soziale Kluft zwischen denen aufmerksam, „die im Windelalter pädagogisch gefördert werden“ und denen, die in einer „Risikolage“ (Achtung Frauen, dazu zählt auch bereits, wer sein Kind alleine großzieht). Den Blick auf die Berufsbildung wirft Spiegel online: „keine Ausbildung – keine Perspektive“. Auch das erscheint mir nicht gerade neu. Die Hochschulrektorenkonferenz freut sich immerhin, dass „das Bildungsniveau steigt“, weil zunehmend mehr Abiturienten ein Studium beginnen (angeblich mehr als erwartet). Ob deswegen wirklich das „Bildungsniveau“ steigt ist allerdings zumindest dann fraglich, wenn Hochschulen weiter unterfinanziert bleiben, was ja auch Auswirkungen auf das Niveau in Studium und Lehre hat.

Was habe ich mir als besonders interessant angestrichen? Ich bringe mal beispielhaft drei Punkte:

  1. „Schüler in achtjährigen Gymnasien (G8) üben seltener eine freiwillige Tätigkeit aus als G9-Schüler. Niedriger fällt im Vergleich zu Schülern an Halbtagsschulen auch die Engagementquote der Ganztagsschüler aus“. Finde ich deshalb interessant, weil es vielleicht einen Anstoß dazu gibt, ob wirklich immer die viel gelobte Ganztagsschule (die ja mit dem G8 auch faktisch wächst) aus einer Bildungsperspektive heraus wirklich IMMER der beste Weg ist.
  2. „Seit 2005 liegt der Frauenanteil bei den Hochschulabsolventen über 50%, an den Universitäten beträgt er fast 60%“. Das ist erfreulich, aber warum hat es für Aufstiegs- und Gehaltsfragen so wenig Einfluss? Was läuft da in welchen biografischen Phasen schief oder ist das gar eine falsche Interpretation, weil Bildung schließlich nicht immer unter einem ökonomischen Verwertungsaspekt gesehen werden muss? Mich wundert ja, dass diese Ausrede noch nicht politisch artikuliert wurde.
  3. „Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Bedarfs an Weiterbildung in allen Altersstufen jenseits der Erstausbildung ist ein weiterer Ausbau der Angebote mit einem steigenden Personalbedarf in der Weiterbildung anzustreben. Neben der Expansion scheint eine verstärkte Professionalisierung des Weiterbildungspersonals geboten“. Schön wäre ja, wenn das mit einer entsprechend wachsenden Wertschätzung von bildungswissenschaftlichen Studiengängen verbunden wäre, die immerhin für genau diese Professionalisierung sorgen könnten!

Ein guter Tag für exzellente Standorte

Es bleibt wohl erst mal dabei: Empirische Bildungsforschung, das ist vor allem PISA – und deswegen gibt es jetzt auch einen „PISA-Verbund“ zwischen der Technischen Universität München (TUM), dem Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) in Frankfurt am Main und dem Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) in Kiel. Drei „exzellente Standorte“, wie unter Ministern betont wird, mit denen man die „Exzellenz der deutschen Bildungsforschung“ weiter ausbauen will – so der Wortlaut der dazugehörigen Pressemeldung (hier). Large Scale Assessments und Studien zum Erreichen nationaler Bildungsstandards stehen dabei klar im Vordergrund. In der Öffentlichkeit und wohl auch in vielen Bereichen der wissenschaftlichen Community ist damit längst entschieden, was empirische Bildungsforschung heißt und was nicht: Es heißt „große Studien“, es heißt „Vergleich“, es heißt Kompetenzmessung bezogen auf Ziele, die als Standards politisch relevant sind. Da mögen Diskussionen über die empirische Bildungsforschung in kleinen Workshops, Forschungswerkstätten und in EduCamps (siehe z.B. hier) von hoher Qualität sein, sie mögen methodische und erkenntnistheoretische Argumente zusammentragen, sie mögen den wissenschaftlichen Nachwuchs zum Nachdenken anregen etc.; außerhalb derer, die sich dafür interessieren, wird das aber wohl kaum wahrgenommen oder irgendwie handlungswirksam werden.

„Heute ist ein guter Tag für die Bildungsforschung“, so die Bildungsministerin anlässlich der neuen Allianz und des neuen Geldsegens. Und natürlich ist es gut, wenn zusätzliche Mittel in die Bildungsforschung fließen und Vergleichsstudien sind ohne Zweifele EINE wichtige Säule in der Forschungslandschaft. Warum aber macht man nicht viel deutlicher, wozu diese Forschung taugt und wozu nicht? Was sie leisten kann und was sie außen vor lassen muss? Warum die Exzellenz-Rhetorik für eine Forschungsrichtung, die ohnehin die Vormachtstellung längst erlangt hat? Nun, vielleicht sollte man sich angesichts der Milliarden für andere Projekte wegen 2,6 Millionen, die zusätzlich in den „PISA-Verbund“ fließen, nicht groß aufregen …

Jeans oder Anzug?

Wer ist schuld an der Bologna-Misere? Oder ist alles nur ein mieses Gerücht? Wer verbreitet es mit welcher Absicht? Die Meinungen sind geteilt, wie eine ganze Reihe von Beiträgen in der ZEIT demonstrieren – und an sich ist das ja nun wirklich nicht verwunderlich: Verschiedene Antworten kommen zustande durch verschiedene Perspektiven und dadurch, dass Lehren und Studieren in hohem Maße von einzelnen Personen abhängig ist – und die waren schon immer verschieden.

„Heute haben die Professoren die Jeans an und ihre Hiwis den Anzug“ – so die Beobachtung eines Hausmeisters an der Uni Tübingen – eine Beobachtung mit Symbolwert? Ja, das kann gut sein, wenn der „Anzug“ für Karrieredenken und die Jeans für zweckfreies Lesen, Denken und Schreiben stehen sollen. Aber so einfach ist das natürlich nicht! Sich konform zu verhalten, muss nicht Ausdruck von Denkfaulheit sein, und natürlich muss man sich hüten, sich überheblich über die Zukunftsängste junger Menschen zu erheben, keinen Job zu bekommen. Und daran ist der Bachelor schuld? Auch das wäre zu einfcah. Heinz-Elmar Tenorth findet seine Bachelor-Studierenden „wissbegierig, bildungsinteressiert und fleißig“. Eine in einem anderen Beitrag zitierte Studentin dagegen ärgert sich über Kommilitonen, die Leistungspunkte wie Rabattmarken im Supermarkt sammeln. Wer hat Recht? Die Frage ist aus meiner Sicht falsch gestellt: Jeder berichtet da aus seiner Warte und ich kenne sowohl die bildungsinteressierten Studierenden als auch die Punktejäger – je nachdem, ob sie sich für das interessieren, was ich anbiete, oder eben nicht. Neben dem Studierverhalten gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Aspekte, die mal als kritisch, mal als unproblematisch in den neuen Studiengängen dargestellt werden: Auslandssemester und Betreuungsfragen kommen z.B. am häufigsten vor. Für jede Pro- und Contra-Sicht gibt es Beispiele und Argumente, die überall zustimmendes Nicken auslösen – auch wenn sie sich widersprechen.

Ein Studium ist allem voran von den beteiligten Personen abhängig: von den Studierenden und von den Lernenden. Die unterscheiden sich – das war schon immer so und das wird auch so bleiben. 100 Prozent Zufriedenheit auf beiden Seiten – das gibt es nicht. Wenn die Anrechnung von Leistungspunkten aus dem Ausland nicht klappt – sorry, aber da ist es eine Ausrede, wenn man die Politik dafür verantwortlich macht. Das macht der Prüfungsausschuss und der besteht aus Professoren. Das haben wir also als Hochschullehrer selbst in der Hand. Wenn man keine kreativen (und bedarfsorientierten) ad hoc-Lösungen in der Lehre mehr umsetzen kann, weil das nicht im akkreditierten Studiengang steht – ja, das ist schon schlechter: Da kann man als Hochschullehrer nicht so einfach den Weg gehen, den man inhaltlich an sich vertreten kann. Hier hat man uns bereits Handschellen angelegt. Setzen wir uns darüber hinweg und gefährden eine Akkreditierung, dann hat man Ärger am Hals – von den Kollegen und vielleicht auch von den Studierenden. Wenn die versprochene Betreuung im Bachelor nicht besser wird, dann reichen wir nochmal tiefer an tatsächlich bildungspolitische Grundsatzprobleme heran: „Schauen Sie sich den Stapel in meinem Büro an. Ich habe eine Siebentagewoche. Neun Stunden Lehrverpflichtung sind einfach nicht zu leisten, wenn man die neuen Lehr- und Lernformen ernst nimmt. Sie müssen die Mentoren und Tutoren für die Lehre betreuen, Reader mit der wichtigsten Literatur erstellen, auf studentische Kritik an den Lehrveranstaltungen eingehen. Und dann sollte man als Professor auch noch exzellent forschen, denn nach der Forschungsleistung bemessen sich der Erfolg und die finanzielle Zuweisung. Das ist irre! Man kann nicht verlangen, dass Studenten hierzulande so gut wie in Harvard betreut werden, aber kein Geld dafür investieren.“ Ternoth trifft einen wichtigen Punkt mit dieser Aussage – das kann ich nur unterstreichen!

Wir haben mit Bologna eine überfällige Reform der Hochschulen angeschoben, aber irgendwie hat man da zwei Esel vor einen langen und schweren Güterzug gespannt … und ihnen moderne Flyer umgehängt. Bei mir verursacht die ganze Exzellenz- und Wettbewerbsrhetorik im Zusammenhang mit Bologna inzwischen gewltigen Ärger, obschon ich rein gar nichts gegen Modularisierung, gegen Leistungspunkte und studienbegleitende Prüfungen habe. Und wieso sollte man als Hochschullehrer etwas dagegen haben, Studierende „berufsfähig“ zu machen – ja was sonst? Aber wieso bitteschön, sollten Wissenschaft und Forschung, auch ein forschendes Lernen, das Eindenken in eine Wissenschaft NICHT dabei helfen, einen Beruf verantwortungsvoll auszuüben? Wer um Gottes Willen hat denn in die Welt gesetzt, dass man sich Berufsfähigkeit nur in Trainings für Präsentieren und interkulturelle Kommunikation holen kann? Warum sollte man Forschungsmethoden erst im Master lernen – was ist denn das für ein Blödsinn? Wer den verzapft, der kann nie verstanden haben, was Wissenschaft, was wissenschaftliches Denken und Handeln gerade auch für praktische Problemlösungen leisten kann. Natürlich muss man dann die Brücke zur Praxis in der Lehre auch schlagen, indem man wissenschaftliche Angebote ergänzt durch Praxiskontakte und Projektseminare mit der Wirtschaft, durch Praktika und Kooperationen außerhalb der Uni.

Nicht die Grundidee von Bologna nimmt uns die Luft zum Atmen, sondern die bürokratische Umsetzung, der Unsinn mit den Akkreditierungsagenturen und die wiederholten Versuche, Studierende und Hochschullehrer gegeneinander auszuspielen – was auch die Medien gerne tun, die ja von den Schlagzeilen-tauglichen dummen Studierenden ebenso leben wie von den faulen Professoren. Ich hätte gerne Professoren in Jeans UND Anzügen; mir ist es völlig egal, ob Studierenden grüne Haare haben (haben sie aber nie – warum eigentlich nicht?) oder im Business-Kostüm herumlaufen. Das muss doch jeder selber wissen. Ich habe eher Angst vor Uniformität und davor, dass wir allesamt verlernen, selbst zu denken, einen eigenen Standpunkt zu entwickeln und einen persönlichen Weg zu finden, dass wir uns nicht mehr trauen, blödsinnige Regeln schlichtweg NICHT zu befolgen.

Mitmach-Akkreditierung

Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber wenn – wie aktuell – mal wieder eine Anfrage kommt, sich an der Arbeit von Akkreditierungsagenturen etwa als Gutachter zu beteiligen, dann kreisen meine Gedanken erneut um das Thema. Ich finde es jedenfalls unglaublich, was man da für ein „Monster“ geschaffen hat. Man muss sich das mal vorstellen: Die Akkreditierung von Studiengängen kostet eine große Summe Geld, das die Universitäten aufbringen müssen. Gleichzeitig funktionieren die Akkreditierungsagenturen nur, indem Hochschullehrer sich als Gutachter und Mitarbeitende beteiligen. Dafür bekommen sie ein wenig Geld, ja, aber allem voran investieren sie Zeit, die ihnen an der eigenen Hochschule wieder fehlt. Der Staat zahlt also doppelt: für die Akkreditierung und dafür, dass Hochschullehrer daran mitarbeiten (mit der Folge, dass die entstandenen Bürokratisierung in der Hochschule nochmal kostet). Wie kann man sich das eigentlich erklären? Was sind die „Treiber“ dieser Situation?

Nun, ich habe das Gefühl, dass es da vor allem drei Treiber gibt: Da ist erstens eine Art „Logik des Misstrauens“: Seitens der Politik hat man beobachtet, dass Hochschulen Kolosse sind, dass in vielen Bereichen tatsächlich jahrzehntelang keine Reformen und Änderungen auf den Weg gebracht wurden. Das schmälert das Vertrauen in die Änderungsfähigkeit und -bereitschaft. Also beauftragt man externe Stellen und Personen (ähnlich wie in Hochschulräten), den Wissenschaftlern auf die Finger zu schauen – und zwar gleich mal ganz grundsätzlich – ähnlich einem Mehdornschen Kollektiv-Verdacht. Zweitens scheint es eine Art „Logik des Gütesiegels“ zu geben: Hier spielen sicher internationale Vorbilder eine Rolle – es klingt irgendwie gut und beruhigend „akkreditiert zu sein“. Man denkt vielleicht an den TÜV und an die Stiftung Warentest und wiegt sich dann in der Gewissheit, dass es jetzt „richtig“ ist. Und drittens handelt es sich wohl um eine ganz klare „Logik der Steuerung“: Hochschulen sollen autonom sein, also funktioniert ein direkter Zugriff des Staates auf die Lehre eher nicht besonders gut, obschon es der direkteste Weg wäre. Ein indirekter Weg würde eigentlich unmittelbar über den nationalen Akkreditierungsrat laufen – aber auch das vermeidet man und schaltet lieber Akkreditierungsagenturen dazwischen, die ausführen, was man politisch beschließt: Der längste Weg wird letztlich zum effektivsten Zugriff.

Interessant an der Sache ist, dass man sich „gegen staatlichen Zugriff“ gerne und schnell auch unter den Professoren wehrt. Wenn aber doch so viele Kollegen inzwischen an der Arbeit der Akkreditierungsagenturen so fleißigen mitwirken, dann funktioniert dieses „Ingroup-Outgroup“-Denken nicht mehr. Ja, es ist ja fast wie beim Web 2.0 (dem Mitmach-Web): Wir stehen vor einer „Mitmach-Akkreditierung“, nur dass die Folgen ganz andere sind.

Nun häufen sich ja inzwischen die Klagen von Professoren über Professoren, dass man dem Bologna-Prozess so widerstandslos gefolgt ist, sich nicht gewehrt hat etc. Und nun sei es zu spät. Aber halt: Ist das nicht eine Ausrede? Denn wenn man sich mal überlegt, dass das ganze Akkreditierungssystem nur funktioniert, weil sich Professoren daran als Gutachter u.ä. beteiligen und mitmachen, dann liegt ja eigentlich auf der Hand, dass NICHTS mehr funktionieren würde, wenn sie das NICHT mehr täten. Man würde sich also gar nicht weigern (müssen), den Akkreditierungswahnsinn über sich ergehen zu lassen, sondern nur eben NICHT mitmachen, wenn es darum geht, sich beim Akkreditieren der jeweils anderen zu beteiligen. Also nur mal so als Gedankenspiel …

Wichtig: Ich bin NICHT gegen Bologna in dem Sinne, dass man mit Blick auf Europa schaut, wie man Übergänge und Mobilität verbessern kann. Auch inhaltlich sinnvolle Modularisierungen und ECTS sind an sich NICHT das Problem. Auch gut ist, dass dank Bologna das Thema Lehre überhaupt wieder mehr auf den Tisch kommt. Zudem ist es völlig richtig, dass man sich überlegt, wie man Qualität sicherstellt und entwickelt. Aber mir konnte noch niemand überzeugend erklären, was dieses Akkreditierungssystem sachlich bringen soll! Also bleibe ich erst mal bei meinen Vermutungen, dass Misstrauen, ein fester Glaube an Gütesiegel – und seien sie noch so konstruiert – sowie letztlich Steuerungsmacht die eigentlichen Treiber dahinter sind.

Ein großes Dankeschön an die Bildungspolitik

Auf der Web-Seite der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wird u.a. in den FAQs die Frage beantwortet, ob alle, die einen Bachelor haben, in einen Master-Studiengang wechseln können. Da heißt es: „Grundsätzlich berechtigt der Bachelor zur Aufnahme eines Master-Studiums. Zusätzlich zu einem ersten berufsqualifizierenden Studienabschluss kann die Hochschule weitere Zulassungskriterien festsetzen, zum Beispiel ein Test oder ein Auswahlgespräch. Der Bachelor gilt zunächst als Regelabschluss, d.h. sicherlich werden nicht alle Studierenden direkt im Anschluss einen Master-Studiengang beginnen. Ein Teil der Studierenden wird zunächst in das Berufsleben eintreten und unter Umständen nach oder begleitend zu einer Berufstätigkeit ein Masterstudium aufnehmen.“ Soweit die Theorie oder sollten wir besser sagen: die unbestimmte Ahnung der HRK?

In einer bereits einige Jahre zurückliegenden Befragung der HIS GmbH wird deutlich, dass immerhin 4/5 der Bachelor-Absolventen einen Master machen wollen. Das entspricht auch in etwa unserer Erfahrung im Studiengang Medien und Kommunikation. Davon, dass der Bachelor also Regelabschluss ist, kann keine Rede ist. Interessanter Weise erkennt nicht mal die Universität (jedenfalls die unsrige) einen BA-Abschluss als Voraussetzung dafür an, z.B. als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Drittmittelprojekt arbeiten zu können (gleichzeitig wird diskutiert, ob und wann man gleich nach dem BA promovieren könnte – wie absurd!)

Zwei Probleme tun sich aus meiner Sicht aktuell besonders stark auf:

  1. Investitionen seitens der Länder konzentrieren sich komplett auf den Bachelor: Es zählen neue Studienplätze, aber ausschließlich Bachelor-Plätze (damit die Abiturienten versorgt werden können)! Diesen Studierenden suggeriert man zwar, dass sie nachher einen Master dranhängen können, man verschweigt ihnen aber, dass es in vielen Fächern viel zu wenige Master-Plätze gibt, denn dafür dürfen neue Ressourcen, die man den UNiversitäten gibt, gar nicht verwendet werden (vielleicht hofft man darauf, dass vielen nach einem Klausur-bestückten BA-Studiengang die Lust auf Uni ohnehin vergangen ist). Das ist nicht nur eine üble Täuschung der Studierenden, sondern das nimmt uns auch die Chance für eine vernünftige Nachwuchsförderung.
  2. Selbst auf der operativen Ebene hat man irgendwie alles nur zur Hälfte, aber bestimmt nicht zu Ende gedacht: Wer wie wir als Einzelperson im Schnitt ca. 30 Erstgutachten pro Semester zu erstellen hat und wer, wie wir alle, ganz offiziell drei Monate Zeit für Gutachten erhält, der kann innerhalb weniger Wochen nicht alle Abschlussarbeiten gelesen und korrigiert haben – aber genau das wäre für die Studierenden nötig, um anschließend an den Bachelor- in einen Master-Studiengang übergehen zu können. Diese Studierenden hängen komplett in der Luft – sowohl an der eigenen Uni und noch mehr, wenn sie nach dem Bachelor in den Master einer anderen Uni wechseln wollen. Selbst die Mobilität im eigenen (Bundes-)Land wird da schnell zum Spießrutenlauf. Die Studentenkanzleien und Prüfungsämter scheinen mir allerorten überfordert zu sein – und überrannt von Beschlüssen, die keine praktische Grundlage haben.

Vielen Dank an die Bildungspolitik, kann ich da nur sagen: Vielen Dank für die sorgfältigen Planungen und realistischen Einschätzungen. Vielen Dank auch, dass es völlig egal zu sein scheint, welche Erfahrungen sich aktuell an vielen Universitäten anhäufen, ohne dass diese auch nur irgendwie zur Kenntnis genommen werden!