Vom qualifizierten zum quantifizierten Selbst

Die Meldung, dass der Horizon Report 2014 nun auch auf Deutsch (hier) erschienen ist, ist schon einige Tage alt. Aber es dauert natürlich ein wenig, bis man die knapp 70 Seiten gelesen hat, und das wollte ich dann doch erst tun, bevor ich darauf hinweise. Großartige Überraschungen hält der Bericht nicht bereit, was aber auch nicht zu erwarten ist, wenn man die technologischen Trends jährlich fortschreibt. Vergleicht man die Berichte, die etwas weiter auseinanderliegen, fallen einem allerdings schon einige Veränderungen und Besonderheiten auf: Man fragt sich z.B., wo das Internet der Dinge geblieben ist und wann die ersten genug vom Spielen haben. Weiß man um die seit vielen Jahren bzw. fast schon Jahrzehnten anhaltenden Bemühungen, digitale Medien dazu zu nutzen, wertvolle Präsenzzeit für anderes als die Vermittlung von Inhalten frei zu halten, mutet der Trend „flipped classroom“ irgendwie anachronistisch an (aber vielleicht hat es einfach nur an flippigen Bezeichnungen gefehlt).. Erstaunlich schnell sind die MOOCs wieder verschwunden und konsequent schnell haben sich Trends wie „Learning Analytics“ auf der Basis des Kerntrends „Big Data“ ausgeweitet. „Vom qualifizierten zum quantifizierten Selbst“ weiterlesen

Professor Meier von nebenan

Wir wissen ja: Immer dann, wenn Wochen-Zeitungen oder -Zeitschriften wie Focus, Spiegel und die ZEIT sich einem Bildungsthema annehmen, ist es auch wichtig – jedenfalls wichtig genug, um darüber nachzudenken, auch wenn man kein Bildungswissenschaftler ist. Digitale Medien geben hier gerne einen Anstoß – sei es über den Weg der digitalen Demenz oder den selbstbestimmt handelnder Edupunks. In der Spiegel-Ausgabe 3/2013 (dankenswerterweise hier ein Link zum Artikel) geht es aktuell um die Online-Vorlesung – inklusive Übungen, unter Umständen auch Prüfungen und Zertifikate. Nicht selbstverständlich ist, dass der Beitrag vergleichsweise ausgewogen auf die Chancen und Risiken der gegenwärtig viel diskutierten Massenlehrveranstaltungen im Internet verweist. Natürlich werden die bekannten Player genannt (Udacity, edX und Coursera), aber auch zwei deutsche Profs kommen zu Wort, die nicht nur über digitale Medien reden, sondern damit auch eigene Erfahrungen sammeln. Jürgen Handke etwa weist darauf hin, dass es vor allem für große und renommierte Unis interessant werden könnte, in die Online-Bildung via Massenveranstaltungen zu investieren. Immerhin hat man da am ehesten die Chance, die Stars unter den Wissenschaftlern quasi unter Online-Vertrag zu nehmen, die dann als Studentenmagneten wirken. Das klappt natürlich nicht mit „Professor Meier von nebenan“ (Handke). Neu sind die Pro- und Contra-Argumente, die da genannt werden, freilich alle nicht. Aber immerhin kommen sie öffentlich zur Sprache. Was mir allerdings hier und in den meisten anderen Artikeln dieser Art fehlt, ist der deutliche Hinweis, dass es auch bei diesen öffentlichkeitswirksamen Medienthemen um Hochschuldidaktik und darum geht, die Qualität der Hochschulbildung zu verbessern. Die Medien sind da selbstverständlicher Bestandteil.

Übrigens: Dass es immer wieder Personen und Hochschulen gibt, die sich hier trauen zu experimentieren, finde ich sehr wichtig, denn: Nur so können wir mittel- und langfristig erkennen, was für wen unter welchen Bedingungen einen Mehrwert hat. Und dafür brauchen wir dann auch Professor Meier von nebenan.

Hellseher gesucht

Vor kurzem habe ich an einer Expertenumfrage teilgenommen, bei der man zwar nicht hellsehen, aber doch irgendwie in die Zukunft schauen und seine Einschätzung abgeben muss, wie sich eine bestimmte Technologie bis zu einem bestimmten Jahr in einem bestimmten Bereich entwickeln wird. Gut ist ja schon mal, dass es dabei schon lange nicht mehr digitale Technologien an sich geht, sondern dass verschiedene Technologiegruppen unterschieden werden. Auch werden die Bereiche eingegrenzt: z.B. Schulen, Hochschule, Unternehmen.

Trotzdem: Mir ist da nie wohl dabei. Erstens ist auch die genannte Differenzierung immer noch viel zu grob. Kann man z.B. Mittelstandsfirmen mit großen Konzernen in einen Topf werfen, eigentümergeführte Betriebe mit AGs vergleichen? An den Hochschulen wissen wir, wie groß die Unterschiede zwischen den Disziplinen sind sowohl in Bezug auf die Lehre als auch in Bezug auf die Forschung – ist es sinnvoll, das in einem Atemzug zu behandeln bzw. zu bewerten? Zweitens mischen sich bei Antworten innerhalb von Umfragen ja doch immer wahrscheinliche und erwünschte Szenarien. Wenn ich mich da selbst beobachte, merke ich, dass ich das beim Antworten nicht immer ganz auseinanderhalte – ja vielleicht auch gar nicht auseinanderhalten will, denn: Wenn etwas zwar unwahrscheinlich, aber immerhin wünschenswert ist, können ja die Wünsche einer kritischen Masse von Experten auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen oder? Meinungen konstruieren Wirklichkeit zumindest mit. Drittens frage ich mich, was das eigentlich bringt: Ist das verkappte Marktforschung, damit zur rechten Zeit die rechten Produkte platziert werden? Oder glaubt jemand im Ernst, dass anhand solcher Ergebnisse Curricula umgeschrieben und Lehrende fortgebildet werden?

Meine Skepsis gegenüber diesen Studien nimmt auch den „Horizon Report“ nicht aus, der – einige Blogger haben bereits darauf verweisen – auch in deutscher Sprache vorliegt (kann man hier abrufen). Positiv ist, dass der Report am Ende eine recht genaue Beschreibung des Vorgehens liefert, also zumindest Transparenz schafft, wie die Ergebnisse zustande kommen. Die Resultate dieses Berichts wirken nicht eben sonderlich überraschend: Open Content und mobile Rechnernutzung – so die Vorhersage – werden sich kurzfristig in Lehre und Forschung durchsetzen. Elektronische Bücher und einfache Formen der „augmented reality“ (will heißen: Verschmelzung digitaler und realer Aktivitäten) werden mittelfristig wichtiger werden, und die visuelle Datenanalyse sowie gestenbasiertes Computing (im Unterhaltungsbereich bereits existent) stehen am langfristigen Zeithorizont. Mal ungeachtet davon, dass es meines Wissens schon eine ganze Reihe von Forschern gibt, die mit der visuellen Datenanalyse in Forschung und Lehre arbeiten, kann ich mir eher nicht vorstellen, dass sich Hochschulen in zwei bis drei Jahren (das gilt heute schon als langfristig) mit spielkonsolenähnlichen Geräten ausstatten werden. Vielleicht sollten wir uns manchmal mehr um die Gegenwart und darum kümmern, wie wir die aktuellen Probleme lösen könnten.