Blogs sind etwas für Menschen, die die Autonomie lieben – so meine These und meine ganz persönliche Erfahrung. Wenn das stimmen sollte (und für mich stimmt es), folgt daraus, dass kollektivistische Formen des Arbeitens und Lernens eher ans andere Ende der Präferenzskala rutschen – so auch eine kollektive Rezension. Die kann, so meine ich, allenfalls als eine Art Brainstorming fungieren und in dieser Funktion höchst hilfreich sein. Zu einer kohärenten Argumentation führt das sicher nicht. Warum ich das schreibe? Weil ich mir gerade Gedanken zu Rolf Schulmeisters „Replik“ auf den Web-Wirbel um seinen Aufsatz zur Kommentarkultur in Blogs geschrieben und ganz ohne Blog 😉 online zugänglich gemacht hat, nämlich hier. In diesem Replik stellt Rolf vier Fragen:
Frage 1: Hat das Rezensentenkollektiv genauer gelesen als der Einzelne?
Meine Antwort: Genauer nicht, aber jeder anders und das ergibt eine neue Form der „Genauigkeit“. Anders gelesen hat jeder in Abhängigkeit von seiner emotionalen Befindlichkeit (stolz, beleidigt, verletzt, gleichgültig etc.), seiner Erfahrung und seinem Vorwissen (neuer Blogger, alter Hase im Bloggen, Experte für Blog-Literatur etc.).
Frage 2: Demonstriert das Rezensentenkollektiv eine rationale Textkritik?
Meine Antwort: Sicher nicht – wieso auch? Seit wann erhöht ein Kollektiv die Rationalität? Ist es nicht eher so, dass Gruppendynamik (wie man sich auch in Kirchen oder politischen Parteien kennt) zu irrationalen Prozessen verführt? War das nicht schon immer so?
Frage 3: Führt eine kollektive Rezension zur Vermeidung von Fehlern und irrelevanten Abweichungen?
Meine Antwort: Sagen wir es mal so – es kann dazu führen, dass Fehler aufgedeckt, dass Aussagen relativiert und Abweichungen „eingefangen“ werden. Im Ergebnis aber werden eher einzelne Ansichten nebeneinander gereiht als zu einem neuen Ganzen verschmolzen, weil letzteres aufgrund gegenteiliger Einschätzungen gar nicht geht: Wenn einer sagt, man hätte einen Blogger fragen müsse, ob man ihn analysieren darf, und ich entgegne, dass das der Logik eines öffentlichen Blogs widerspricht, dann kann man das nur nebeneinander stehen lassen – also zwei Meinungen.
Frage 4: Führt die kollektive Überarbeitung zu einer stringenten und fokussierten Argumentation?
Meine Antwort und beginnt mit einer Frage: Ist die kollektive Überarbeitung der kollektiven Rezension gemeint? Wenn ja, dann ist das eher keine „Überarbeitung“, sondern eine Fortsetzung. Eine Überarbeitung wäre es für mich, wenn sich eine Einzelperson oder eine kleine überschaubare Gruppe die Mühe machen würde, die Brainstorming-Ergebnisse zu einem Ganzen zusammenführen. Das Resultat würde dann aber garantiert nicht mehr jedem am Brainstorming-Beteiligten gerecht werden und/oder in den Kram passen.
Hat man als Blogger Lust auf eine kollektive Rezension? Also ich eher nicht: Ich bin neugierig auf die Meinung der anderen, finde darin neue Gedanken, die mir eher nicht durch den Kopf gingen und mir etwas Neues aufzeigen, treffe auf Meinungen, die ich nicht nachvollziehen kann, die mir aber helfen, den eigenen Standpunkt zu schärfen etc. Es ist also eher ein kollektives lautes Denken, keine kollektive Argumentation – letzteres habe ich ehrlich gesagt noch nicht erlebt. Denken will ich selber, aber die Ergebnisse teile ich gerne mit anderen.