Scinfluencer

Es ist heute inzwischen gängig, dass politische und/oder wirtschaftlich getragene oder agierende Institutionen die Entwicklung von und den Diskurs in Hochschulen beeinflussen wollen – mit Förderprogrammen, Diskussions- und Positionspapieren, Veranstaltungen etc. Häufig wird das unter das weite und immer attraktiver werdende Feld der Wissenschaftskommunikation subsumiert. Marco Kalz hat dafür einen treffenden Begriff gefunden: Scinfluencers (als Kurzform für Science Influencers).

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Freund oder Feind

Bereits Mitte Juni hat Fritz Böhle einen Text zur „Krisenbewältigung bei der Corona-Pandemie“ (hier) veröffentlicht, auf den ich allerdings erst jetzt aufmerksam geworden bin. Fritz Böhle, den ich noch aus meiner Zeit an der Uni Augsburg kenne, setzt sich in diesem Text mit der Frage auseinander, wie es für die Politik möglich ist, trotz hoher Ungewissheit verantwortungsvoll zu entscheiden. Nun schien die Lage im Juni ja auf Entspannung hinauszulaufen – ein paar ruhigere Sommermonate standen bevor. Heute, rund vier Monate später, stehen wir wieder vor einer neuen Welle und Quasi-Lockdown-Maßnahmen. Böhles Bobachtung, dass „die Suche nach Gewissheit und Kontrolle“ selbst in einer höchst unsicheren (ungewissen) Zeit dominant ist, ist wohl nach wie vor aktuell.

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So wichtig wie lange nicht

„Hochschulen sind nicht nur Hüter wissenschaftlicher Debatten, sondern auch ein Diskursraum, in dem Meinungsfreiheit gilt – im Rahmen des Grundgesetzes und der Demokratie. Auch wenn es nun zu unangenehmen Diskussionen und Momenten kommt, die den gesellschaftlichen Wertekonsens infrage stellen, bietet das Ermöglichen einer solchen Debattenkultur Chancen für die Hochschulkommunikation. Beweist sie sich als Ort des argumentativen Austausches, stärkt sie das nach innen und außen – und nutzt ihr mehr als Hochglanzflyer und schmucke Webseiten“, so Eric Wallis in einem Beitrag (hier) im Oktober 2019 in der DUZ.

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Begriffsklapperatismus

Eigentlich bräuchte ich jetzt ganz viel Zeit, um mir gründlich Gedanken über das zu machen, was ich in der ruhigeren Zeit während meiner „Sommerpause“ (unter anderem) gelesen habe. Im Moment kann ich aber nur einen kursorischen Überblick geben – in der Hoffnung (und mit der Absicht), das eine oder andere in nächster Zeit doch noch einmal zu vertiefen.

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Werte statt Monumente

Da verblasst jede Plagiatsdiskussion um eine Bildungsministerin: Gaucks gestrige Rede (22.02.2013) zu Europa hat zumindest kurzzeitig aufhorchen lassen. Noch am selben Tag konnte man dazu viele Schlagzeilen lesen (und es ist wohl zu befürchten, dass es aufgrund der wenigen Zeit, die jeder nur noch hat, beim Lesen der Schlagzeilen bleibt). Wie nicht anders zu erwarten, sind diese Schlagzeilen unterschiedlich: Gauck sieht keine deutsche Vormachtstellung in Europa – so titelt Focus online. Bei der ZEIT online heißt es: Gauck zeigt Verständnis für Kritik an EU, bei der SZ dagegen: Gauck bekennt sich zu mehr Europa. Spiegel online folgert aus der Rede Gaucks: Der wohltemperierte Präsident. Andere Überschriften halten sich lieber an Zitate, z.B. „Nicht deutsches Europa, sondern europäisches Deutschland“ (FAZ.net) oder „Europa braucht Bannerträger, keine Bedenkenträger“ (Focus online). Die Tagesschau (online) dagegen titelt: Statt Lobeshymne Tipps für den Nobelpreisträger. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Gott sei Dank kann jeder die Rede selber lesen und sich die Passagen oder auch Zitate herausholen, die ihn am meisten überzeugen. Hier ist die Rede als pdf abrufbar.

Mir hat Gaucks Rede sehr gut gefallen (eine Rede übrigens, die, wie wohl alle guten Reden, ganz ohne Visualisierung auskommt). Zwar lassen sich Gaucks Argumentation und Botschaften sicher nicht an einzelnen Zitaten vollständig festmachen. Trotzdem möchte ich ein paar Sätze und Passagen als Reflexions- und Diskussionsanker herausgreifen

Gleich im ersten Teil seiner Rede stellt Gauck fest: „Die Krise hat mehr als nur eine ökonomische Dimension. Sie ist auch eine Krise des Vertrauens in das politische Projekt Europa. Wir ringen nicht nur um unsere Währung. Wir ringen auch mit uns selbst“ (S. 2). Er mahnt ein Innehalten und die Entwicklung eines Gesamtrahmens an, den man im Zuge der vielen pragmatischen Maßnahmen vernachlässigt habe: „Weil Entwicklungen ohne ausreichenden politischen Gesamtrahmen zugelassen wurden, sind die Gestalter der Politik bisweilen zu Getriebenen der Ereignisse geworden“ (S. 3). Gestalten statt getrieben werden, ist eine Botschaft, die sich durch die ganze Rede zieht.

Ein weiteres, Gauck offenbar wichtiges, Thema ist das der Identität: „Europäische Identität löscht weder regionale noch nationale Identität, sie existiert neben diesen“ (S. 4). Diese Aussage veranschaulicht er mit einem Beispiel – mit einem aus der Hochschule: „Gerade habe ich bei meinem Besuch im Freistaat Bayern an der Universität Regensburg im Projekt Europaeum einen jungen Studenten getroffen, der als Pole in Deutschland aufwuchs, polnisch erzogen, mit Polnisch als Muttersprache und bei Sportereignissen trug er begeistert die polnische Fahne umher. Aber erst, als er ein Semester in Polen studierte und seine Kommilitonen ihn komplett als Deutschen wahrnahmen, wurden ihm auch diese, seine deutschen Anteile der Identität bewusst. Er konnte sie auch schmerzfrei bejahen. Es ging ihm wie vielen: Oft nehmen wir unsere Identität durch die Unterscheidung gegenüber anderen wahr“ (S. 4). Daraus folgt aber auch: „Mehr Europa heißt: mehr gelebte und geeinte Vielfalt“ (S. 7). Genau das aber ist schwierig, denn, so Gauck: „In Europa fehlt die große identitätsstiftende Erzählung. Wir haben keine gemeinsame europäische Erzählung, die über 500 Millionen Menschen in der Europäischen Union auf eine gemeinsame Geschichte vereint, die ihre Herzen erreicht und ihre Hände zum Gestalten animiert“ (S. 6) – kein Gründungsmythos also, an dem man sich festhalten könnte. Trotzdem, so Gauck, habe Europa eine identitätsstiftende Quelle: „Wir versammeln uns im Namen Europas nicht um Monumente, die den Ruhm der einen aus der Niederlage der anderen ableiten. Wir versammeln uns für etwas – für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Gleichheit, für Menschenrechte, für Solidarität. Alle diese europäischen Werte sind ein Versprechen, aber sie sind auch niedergelegt in Verträgen und garantiert in Gesetzen. … Die europäischen Werte öffnen den Raum für unsere europäische res publica“ (S. 6).

Aber wie bekommt man das in die Köpfe der Bürger? Wie macht man das verständlich und möglichst auch erlebbar? Wie, so Gauck, verhindert man, dass Populisten oder Nationalisten Unsicherheit und Angst für ihre Zwecke nutzen? „Dies nun geduldig und umsichtig zu vermitteln ist Aufgabe aller, die sich dem Projekt Europas verbunden fühlen“ (S. 8). Ich würde sagen: Es ist auch Aufgabe der Bildung (Schulbildung, Hochschulbildung, Berufsbildung, Weiterbildung), dies zu tun. Es kann nicht sein, dass wir uns hier immer mehr darauf beschränken, die Spitzen von Rankings zu erklimmen und die MINT-Fächer attraktiver zu machen. Am Ende seiner Rede führt Gauck eine Reihe historischer Argumente an, warum wir gerade in Deutschland mit Europa besonders verbunden sind, und warum wir uns „Europa geradezu versprochen“ haben (S. 14). Das zu vermitteln, darf nicht allein Aufgabe der Medien sein, so meine Meinung, sondern muss immer auch Aufgabe von Bildung und damit auch von Bildungsinstitutionen sein.

Zugegeben: Den Medien kommt natürlich ebenfalls eine große Bedeutung zu, wenn es darum geht, das europäische Versprechen zu „erneuern“. Es hapert laut Gauck nämlich auch an der Kommunikation innerhalb der Europäischen Gemeinschaft: „Und damit meine ich eigentlich weniger die Ebene der Diplomatie, als vielmehr den Alltag der Bevölkerung, richtiger der Bevölkerungen“ (S. 11). Die Medienlandschaft könne, so Gaucks Vorschlag, „eine Art europafördernde Innovation hervorbringen, vielleicht so etwas wie Arte für alle, ein Multikanal mit Internetanbindung, für mindestens 27 Staaten, 28 natürlich, für Junge und Erfahrene, Onliner, Offliner, für Pro-Europäer und Europa-Skeptiker“ (S. 12). Aber: Haben wir die Möglichkeit nicht längst, dezentral und offen zu kommunizieren? Ich denke nicht, dass wir dazu einen neuen Monsterkanal brauchen. Eher brauchen wir Internet-Nutzer, die in der Lage und willens sind, die Kommunikations- und Partizipationsmöglichkeiten des Netzes auch zu nutzen (dazu mehr in meinem Vortrag vom November 2012 hier). Aber wahrscheinlich ist es bis dahin noch ein sehr langer Weg. Und sicher ist Gauck zuzustimmen, wenn er das Ziel einer besseren Kommunikation formuliert, wobei wir offenbar noch nicht genau den „Ort“ gefunden oder konstruiert haben, an dem all das stattfindet, was er in seiner Rede fordert: eine europäische Identität gestalten, Vielfalt erkennen und erhalten, miteinander sprechen, Ziele und Rahmen aushandeln etc.  Ich hoffe jedenfalls, dass sich viele Politiker Gaucks Position anschließen, wenn er sagt „Kommunikation ist für mich kein Nebenthema des Politischen. Eine ausreichende Erläuterung der Themen und Probleme, sie ist vielmehr selbst Politik“ (S. 12).

Haltet den (Text-)Dieb!

Was für eine Steilvorlage für mehr Bemühungen im Einüben wissenschaftlichen Arbeitens für Studierende der beiden Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg: Der Verteidigungsminister wird in seiner Doktorarbeit des Plagiats bezichtigt. Die Medien machen sich gierig darüber her – teilweise sogar mit dem Anspruch, der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu erklären, was denn ein Plagiat in der Wissenschaft überhaupt ist.

Das ist kein so leichtes Unterfangen, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen möchte – und in ein paar wenigen Sätzen lässt es sich schon gar nicht darstellen (eine Liste mit Büchern zum Plagiat findet sich z.B. hier): Wenn jemand eine fertige Arbeit oder ganze Kapitel einfach kopiert, ist es simpel, ein Plagiat nachzuweisen. Wenn aber Unregelmäßigkeiten beim Zitieren auftreten, einzelne Gedanken mal fast wörtlich, mal paraphrasiert an einzelnen Stellen auftauchen, die bereits in anderen Veröffentlichungen zugänglich sind, wird es schon schwieriger. Der für die Öffentlichkeit leicht verdauliche Ausdruck „abgeschrieben“ trifft es da nicht mehr.

Und was sagen die Medien nun dazu? Die SZ macht einen interessanten Vergleich zwischen Kunst und Wissenschaft auf: In der Kunst sei es quasi erlaubt, ja vielleicht sogar schmeichelhaft, wenn sich jemand der eigenen Ideen, Gedanken und Entwürfe bediene – in der Wissenschaft aber (leider) nicht: Pech für Guttenberg? Die taz dagegen will bereits wissen, dass auch die Bewertung seiner gesamten Dissertation unangemessen, nämlich viel zu gut sei. Jeder, der weiß, wie unterschiedlich Dissertationen in verschiedenen Disziplinen und Fächern entstehen, betreut und bewertet werden, wird hier wohl schon die Stirn runzeln. Ein bisschen sachlicher behandelt man das Thema bei Spiegel online; da heißt es unter anderem (ich zitiere ein nicht genau ausgewiesenes Zitat im Zitat!!): „Es bestehe der Verdacht, dass Guttenberg mit ´eklatanten Lücken´ bei Fußnoten und Literaturliste ´mindestens gegen die guten wissenschaftlichen Sitten verstoßen´ habe“. Ein bisschen nach vorne blickend geht es schließlich in einem Interview des Handelsblattes zu. Auf die Frage „Was können Universitäten tun, um Plagiatsfälle zu vermeiden?“ sagt Debora Weber-Wulff „Aufklären! Wir müssen viel mehr unterrichten, was wissenschaftliches Schreiben ist, viel mehr betreuen und begleiten. Das kann man aber nicht, wenn es 100 Personen in einem Proseminar gibt, das geht nur in kleinen Klassen.“ „Aufklären“ – ja, das würde man sich von den Medien bisweilen auch mehr wünschen, wären doch Ereignisse wie diese eine schöne Möglichkeit, Wissenschaft und Forschung mal aus einer anderen Perspektive als unter der ökonomischen („Mehr Innovation und Wohlstand durch Forschung“) zu beleuchten. Aber was bleibt? Das Plagiat als moralischer Fehltritt neben Spenden- und Sex-Affären – ausgeschlachtet für die Politik, nicht aber für die (wissenschaftliche) Bildung.

Nachtrag (am 19.02.2011): Ist eigentlich schon jemandem aufgefallen, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht über die Betreuer/Gutachter von Guttenbergs Dissertation wundert? Ich meine, wenn man einen Doktoranden gut betreut UND dann auch ein gewissenhaftes Gutachten macht, sollte so etwas an sich früher auffallen. Oder nehmen es da manche Betreuer/Gutachter nicht so genau?

Lieber Herr Professor Lenzen

Lieber Herr Professor Lenzen,

vielen Dank für Ihre Kritik an der projektorientierten Universität (ich beziehe mich auf diese Online-Version vom 04. November 2010). Sie thematisieren damit etliche Dinge, über die sich viele von uns schon lange wundern, gegen die sich einige von uns ebenso lange gewehrt haben, und mit denen wenige von uns zu Herren über Projektimperien aufgestiegen sind. Ich stimme Ihren Analysen zu: Wir leben und arbeiten in den Hochschulen heute kurzatmig und oft am Rande des „Burn-out“. Wir beschäftigen fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet und sind auf deren Bereitschaft zur Mehrarbeit angewiesen etc.

Ich habe aber viele Fragen, was Ihre Lösungsvorschläge betrifft: (a) Wir sollen das Tempo verlangsamen, mit dem immer neue Projekte beantragt werden. Gute Idee, aber wie finanziere ich den Nachwuchs, für den ich mich verantwortlich fühle, den ich fördern und die Chance geben möchte, wenigstens die Dissertation fertigzustellen? (b) Wir sollen gründlich sein beim Analysieren und Veröffentlichen und dabei ruhig Zeit beanspruchen. Auch eine gute Idee, aber werden das die nächsten Berufungskommissionen auch so sehen, denen sich junge Wissenschaftler oder solche stellen, die nochmal wechseln wollen? (c) Sie fordern längere Beschäftigungszeiten und Konstanz einer Gruppe. Da werden Sie nur Zustimmung ernten, aber wer zahlt? (d) Sie fordern Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Wissensproduzenten statt immer neuer Prüfungen und Bewährungsverfahren. Das klingt gut und nach „guten alten Zeiten“, die wohl all die, die zwischen 30 und 45 sind, nur vom Hörensagen kennen. Aber wer hat uns das eigentlich eingebrockt? Bezeichnend nämlich ist, dass die inzwischen schärfsten Kritiker der jetzigen Zustände in der Regel der Wissenschaftlergeneration angehören, die sich für Neuerungen wie das New Public Management oder Internationalisierung (als Selbstzweck) vehement eingesetzt haben, die eine Projektkultur gefordert und gefördert haben, um die Leistungs- und Innovationsbereitschaft unserer verstaubten Universitäten auf Vordermann zu bringen.

Gegen diesen Sinneswandel habe ich im Prinzip nichts. Im Gegenteil: Gott sei Dank werden die Stimmen der Kritiker lauter. Erfahrung macht klüger, und man kann begründet seine Meinung ändern. Aber was jetzt kommen muss, sind Taten! Und da – so meine ich – müssen die vorangehen, die zu Machtpromotoren aufgestiegen sind, die Universitäten leiten, die die Verbindung zur Politik herstellen können. Und von denen wünsche ich mir mutige Sätze und ein starkes Engagement für eine selbstverantwortliche Wissenschaft ebenso wie für die von Ihnen angesprochenen kulturellen und sozialen Innovationen, die wir neben den technischen Innovationen wohl dringender brauchen denn je.

Lieber Herr Professor Lenzen, wenn Sie es schaffen, das, was Sie sagen und schreiben, an Ihrer Universität umzusetzen, wenn Sie ein Modell liefern, wie es geht, und nicht nur eines, wie es sein könnte, dann würde wohl die Mehrheit der Wissenschaftler zu Recht mit Bewunderung und (hoffentlich) Nachahmungsdrang nach Hamburg blicken.

Viele Grüße

Gabi Reinmann

Lieber Herr Professor Lenzen,

vielen Dank für Ihre Kritik an der projektorientierten Universität (ich beziehe mich auf diese Online-Version vom 04. November 2010). Sie thematisieren damit viele Dinge, über die sich viele von uns schon lange wundern, gegen die sich einige von uns ebenso lange gewehrt haben, und mit denen wenige von uns zu Herren über Projektimperien aufgestiegene sind. Ich stimme Ihren Analysen zu: Wir leben und arbeiten in den Hochschulen heute kurzatmig und oft am Rande des „Burn-out“. Wir beschäftigen fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet und sind auf deren Bereitschaft zur Mehrarbeit angewiesen etc.

Ich habe aber viele Fragen, was Ihre Lösungsvorschläge betrifft: (a) Wir sollen das Tempo verlangsamen, mit dem immer neue Projekte beantragt werden. Gute Idee, aber wie finanziere ich den Nachwuchs, für den ich mich verantwortlich fühle, den ich fördern und die Chance geben möchte, wenigstens die Dissertation fertigzustellen? (b) Wir sollen gründlich sein beim Analysieren und Veröffentlichen und dabei ruhig Zeit beanspruchen. Auch eine gute Idee, aber werden das die nächsten Berufungskommissionen auch so sehen, denen sich junge Wissenschaftler oder solche stellen, die nochmal wechseln wollen? (c) Sie fordern längere Beschäftigungszeiten und Konstanz einer Gruppe. Da werden Sie nur Zustimmung ernten, aber wer zahlt? (d) Sie fordern Vertrauen in die Leistungsbereitschaft der Wissensproduzenten statt immer neuer Prüfungen und Bewährungsverfahren. Das klingt gut und nach „guten alten Zeiten“, die wohl all die, die zwischen 30 und 45 sind, nur vom Hörensagen kennen. Aber wer hat uns das eigentlich eingebrockt? Bezeichnend nämlich ist, dass die inzwischen schärfsten Kritiker der jetzigen Zustände in der Regel der Wissenschaftlergeneration angehören, die sich für Neuerungen wie das New Public Management oder Internationalisierung (als Selbstzweck) vehement eingesetzt haben, die eine Projektkultur gefordert und gefördert haben, um die Leistungs- und Innovationsbereitschaft unserer verstaubten Universitäten auf Vordermann zu bringen. Dagegen habe ich im Prinzip nichts. Im Gegenteil: Gott sei Dank werden die Stimmen der Kritiker lauter. Erfahrung macht klüger, und man kann begründet seine Meinung ändern. Aber was jetzt kommen muss, sind Taten! Und da – so meine ich – müssen die vorangehen, die zu Machtpromotoren aufgestiegen sind, die Universitäten leiten, die die Verbindung zur Politik herstellen können. Und von denen wünsche ich mir mutige Sätze und ein starkes Engagement für eine selbstverantwortliche Wissenschaft ebenso wie für die von Ihnen angesprochenen kulturellen und sozialen Innovationen, die wir neben den technischen Innovationen wohl dringender brauchen denn je.

Lieber Herr Lenzen, wenn Sie es schaffen, das, was Sie sagen und schreiben, an Ihrer Universität umzusetzen, wenn Sie ein Modell liefern, wie es geht, und nicht nur eines, wie es sein könnte, dann würden alle Wissenschaftler zu Recht nach Hamburg blicken.

Viele Grüße

Gabi Reinmann

Verhältnisse wie am Bau

Man versteht ja ehrlich gesagt nicht so recht, wohin eigentlich die faktischen und versprochenen Gelder fließen, die für das in letzter Zeit auch politisch wieder hoch gehaltene Gut „Bildung und Wissenschaft“ (woran man angeblich NICHT sparen will) locker gemacht werden sollen. Was man dazu von Kollegen hört, selbst erlebt und in der Presse liest, weist ja nun doch eher in die entgegengesetzte Richtung. Dazu gehört auch ein Artikel im Spiegel online (hier), der am Beispiel der TU Kaiserslautern zeigt, was passiert, wenn man die üblichen Routinen öffentlich macht – nämlich z.B. die Vergabe und Bezahlung von Lehraufträgen. Wer Universitäten von innen kennt, den dürfte der Beitrag über die extrem schlechte (oder auch ausbleibende) Bezahlung von Lehraufträgen nicht wundern und wahrscheinlich nur ein Achselzucken hervorrufen. Und in der Tat gewöhnt man sich auch schnell an solche Absurditäten. Diese werden einem immer erst dann wieder bewusst, wenn man sie mit anderen Arbeitstätigkeiten vergleicht und Sätze fallen wie: „Für das, was viele Hochschuldozenten pro Stunde bekommen, würden die meisten Handwerksmeister nicht einmal ihr Werkzeug auspacken.“ oder „ …für manche habilitierte Wissenschaftler [Anm.: z.B. Privatdozenten ohne Anstellung an der Uni] wäre Hartz IV ein finanzieller Aufstieg.“ Noch schlimmer finde ich allerdings, dass man Betroffenen in diesem Zusammenhang den Mund verbietet (Zitat Spiegel-Artikel): „Die Warnungen seiner Uni-Leitung an Journalisten, eine Berichterstattung könne der Karriere des jungen Kollegen erheblich schaden, werden vermutlich intern noch viel deutlicher formuliert.“ Was wirklich nervt, ist die aktuelle Doppelzüngigkeit: Die Loblieder auf Bildung und Wissenschaft auf der einen Seite und dann auf der anderen Seite das vehemente Wegsehen bei Verhältnissen, die manchmal anmuten wie am Bau. Da würde ich mir mehr Ehrlichkeit wünschen und vor allem auch mehr Sachkenntnis und direkte Erfahrungen seitens der politisch Verantwortlichen.

Soziale Innovationen Fehlanzeige

Die Schweizer haben abgestimmt: Der Export von Waffen bleibt erlaubt, der Bau weiterer Minarette wird verboten (Meldung z.B. hier). Neben dem Ergebnis schockieren vor allem die Werbeplakate, bei denen man irgendwie noch hofft, dass es Satire ist, um gleich darauf betroffen festzustellen, dass diese ziemlich ernst gemeint sind. Es werden schon die ersten Stimmen laut (z.B. hier), dass es in der deutschen Bevölkerung ähnliche Ängste vor einer Islamisierung gäbe – in der Bildungsrepublik Deutschland. Für mich ist das ein wichtiges Beispiel, an dem man aufzeigen kann, dass Bildung eben nicht nur Ausbildung für den globalen Arbeitsmarkt sein darf, sondern dass Bildung mehr ist und auch damit zu tun haben muss, Fähigkeiten für ein demokratisches und solidarisches Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Der permanente Ruf nach mehr naturwissenschaftlicher Bildung drängt – so meine Befürchtung – dieses wichtige Ziel von Bildung gerne in den Hintergrund. Ohnehin kann ich es nicht verstehen, dass man in den letzten Jahren mit einer solchen Ausschließlichkeit auf technische Innovationen setzt (die sich vermarkten lassen) und dabei vergisst, dass wir ein Jahrhundert haben, das auch soziale Innovationen mehr als nötig hat.

Die vermeintliche Politikferne der Wissenschaft

Niels Taubert vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung (IWT) an der Universität Bielefeld hat mir in einem Kommentar auf den Blogbeitrag „Den Jackpot knacken“ einen höchst interessanten Linktipp auf einen Text von Stefan Hirschauer mit dem Titel „Die Innenwelt des Peer Review. Qualitätszuschreibung und informelle Wissenschaftskommunikation in Fachzeitschriften“ (aus dem Jahr 2002) gegeben, für den ich mich an der Stelle noch einmal herzlich bedanke. Der (soziologische) Beitrag beschäftigt sich mit der Forschung zum Peer Review, gibt einen Überblick über bisherige empirische Strategien und setzt sich kritisch mit den bislang gestellten Fragen wie auch Methoden auseinander. Ich habe darin viele mir bereits aus einigen anderen Texten bekannte Erkenntnisse zum Peer Review gefunden, aber auch eine ganze Reihe neuer Einsichten vor allem zur Forschung zu diesem Thema selbst. So weist der Autor z.B. darauf hin, dass man im Zuge von Reliabilitätsüberprüfungen von Gutachten im Peer Review durchaus einmal die Frage stellen sollte, ob Gutachterübereinstimmung denn überhaupt Zweck eines Peer Reviews sein kann. Zudem wird aufgedeckt, dass es auf der Ebene der Herausgeberentscheidungen in Zeitschriften fast gar keine empirischen Erkenntnisse gibt. Eine der Hauptaussagen des Textes aber ist, dass es in der Peer Review-Forschung ein paar gravierende Schwächen gibt, die zum einen mit der Erwartungshaltung (und den damit verbundenen Prämissen im Kontext des Peer Review) und zum anderen mit dem Theoriedefizit dieser Forschung zusammenhängen. Bemängelt werden auch methodische Vorgehensweisen etwa bei Reliabilitätsmessungen oder auch bei Inhaltsanalysen von Gutachten. Hitschauer plädiert vor diesem Hintergrund dafür, bisherige meist nur quantitative Forschungsmethoden durch qualitative zu ergänzen. Am Ende des Beitrags fasst Hirschauer seine Position zusammen, die ich an der Stelle gerne ausführlicher zitieren möchte, weil sie meiner Ansicht nach ein paar ganz zentrale Punkte sehr prägnant auf den Punkt bringt:

„Ich habe eingangs festgestellt, daß der Peer Review nicht nur ein wissenschaftsinternes Instrument ist, er wird auch zur externen Evaluation von Forschung (in Finanzierungsfragen) instrumentalisiert. Dies kann auf zwei Weisen problematische Effekte im Sinne einer Fehlsteuerung von Mitteln haben. Zum einen auf Seiten der Rezeption von Gutachten: Außerhalb der Wissenschaft werden Gutachten tendentiell nicht mehr als Äußerungen-im-wissenschaftlichen-Meinungsstreit aufgefasst, sondern als autoritative Expertenäußerungen ‚der Wissenschaft‘ und diese Verkürzung gelingt umso eher, je geringer die Zahl der Gutachter (d.h. je geringer die Dissenschancen). Zum anderen können solche Erwartungen der Politik auch entsprechende Sprecherpositionen in der Wissenschaft hervorbringen. Eben dies scheint das Gros der Peer Review Forschung wie auch der quantitativen Wissenschaftsevaluation zu bestätigen: Wenn etwa Dissens als ‘Random’ gilt, übernimmt eine für Zwecke politischer Evaluation eingesetzte Wissenschaftsforschung ein Fremdstereotyp von Wissenschaft – daß diese sicheres und objektives Wissen generiere – in ihre Selbstbeschreibung. Diese bestätigt dann wiederum die Erwartungen (und Hoffnungen) der Politik, daß Wissenschaft politikferner sei als sie es tatsächlich ist; daß es in ihr nicht auch um Öffentlichkeit und das Gelingen von Kommunikation, um Diskursivität und um Politik ginge: um Parteilichkeit und ihre Neutralisierung durch Verfahren, die Legitimität für hierarchiebedürftige Entscheidungen unter Gleichen beschaffen müssen.“ (Hirschauer, 2002, S. 20)