Was man hört, aber nicht sieht

Sprache: Wie wichtig ist sie im Vergleich zum Inhalt – in einer Hausarbeit, Bachelorarbeit, Dissertation? Nicht so wichtig? Weil es doch auf den Inhalt und nicht darauf ankommt, wie man ihn darstellt? Ich maße mir nicht an, das für Disziplinen und Fächer zu beurteilen, von denen ich keine Ahnung habe. Aber für Geistes- und Sozialwissenschaften im Allgemeinen und für Bildungswissenschaften im Besonderen halte ich die sprachliche Umsetzung der eigenen Gedanken ebenso wie die Widergabe der Gedanken anderer für sehr wichtig. Ich weiß, dass viele Studierende, vielleicht auch einige Doktoranden, das entweder nicht so sehen (und mich für kleinkariert halten) oder aber den Stellenwert der Sprache anders interpretieren. Eine solche andere Interpretation ist z.B. die, dass die Sprache nicht zwingend verständlich, sondern vor allem „wissenschaftlich“ klingen müsse. Und wissenschaftlich klinge es vor allem dann, wenn der Autor als Ich im Text nicht auftaucht (weil die Inhalte dann nicht mehr „subjektiv“ sind), wenn der Text möglichst viele Substantivierungen enthält (weil das die Argumente schwergewichtiger macht), wenn Sätze bevorzugt passiv statt aktiv konstruiert werden (weil das die notwendige Distanz erhöht) und wenn man möglichst viele Botschaften in einen Satz packt und dabei ein hohes Maß an Nebensätzen und Einschüben verwendet (weil sich das dann so ähnlich anhört wie viele der Texte von Wissenschaftlern, die man schon gelesen hat).

Verständlichkeit und Lesefreude – das scheinen für viele (auch für manche Wissenschaftler) die natürlichen Gegenspieler der Wissenschaftlichkeit zu sein. Ich sehe das anders: Wenn jemand einen Text nicht versteht, kann das zwar verschiedene Ursachen haben und natürlich auch am Leser liegen. Wenn aber fortgeschrittene Studierende, die sich anstrengen, oder Wissenschaftler selbst mit Fragezeichen vor einem Text aus ihrer eigenen Domäne sitzen, mühsam das Subjekt und Verb im Satz suchen und sich vergeblich fragen, was der Autor einem wohl sagen will, dann stimmt etwas mit dem Text nicht! Und wissenschaftlich ist es auch nicht, wenn die Verständlichkeit auf der Strecke bleibt: Von Wissenschaft erwarte ich mir Klarheit im Ausdruck und keine Nebelkerzen. Leider aber lernen viele Studierende im Studium genau das: vermeintlich wissenschaftliche, an großen (schwierig zu verstehenden) Vorbildern orientierte, aber leider schlechte Texte zu schreiben.

Ich empfehle Studierenden und Doktoranden gerne, ihre Texte laut zu lesen, bin mir aber sicher, dass es kaum jemand macht (sonst würden sie anders klingen)! Das ist schade. Denn lautes Lesen der eigenen Sätze, die man aufs Papier gebracht hat, ist sehr heilsam: Man hört eher, wie schlecht ein Satz klingt, als dass man es ihm ansieht. Und man hört auch eher, wenn Sätze ihre Botschaft verloren oder eine angenommen haben, die man gar nicht im Sinn hatte. Endlich gibt es jemanden, der meinen (ernst gemeinten, aber offenbar nicht ernst genommenen) Ratschlag teil ;-): Valentin Groebner hat ein kleines Büchlein mit dem Titel „Wissenschaftssprache. Eine Gebrauchsanweisung“ geschrieben (2012). Der Buchtitel ist etwas irreführend und aus meiner Sicht nicht glücklich gewählt. Mit dem ersten Teil des Buches kann ich auch nicht so sehr viel anfangen. Der zweite aber beschreibt sehr schön die Irrungen und Wirrungen der Wissenschaftssprache und das Problem, das Doktoranden (an diese Zielgruppe wendet sich Groebner hauptsächlich) damit haben. Er plädiert für Lesbarkeit, für das „Ich“ im Text und – ja! – für lautes Lesen: „Beim Vorlesen merken Sie … rasch, wie lange es am Beginn eines neuen Absatzes dauert, bis Sie selber verstehen, wovon eigentlich die Rede sein wird. Sie merken auch, wie rasch das bedeutungstragende Substantiv am Anfang erscheint. („Von wem ist die Rede?“) Und Sie merken, wenn Sie das Verb mit lauter Einschüben und Relativsätzen so weit nach hinten geschoben haben, dass im Satz niemand irgendetwas zu tun scheint, oder einfach zu lange damit wartet („Was passiert hier eigentlich?“). Wenn Sie Ihren Text selbst vorlesen (oder noch besser: einem geduldigen Publikum), merken Sie schließlich auch, ob am Ende die Resultate Ihrer Überlegungen wirklich deutlich werden.“ (S. 101 f.) Also: Einfach mal ausprobieren!

Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit

Ich mache kein Hehl daraus, dass mir die deutsche Sprache wichtig ist. Sie ist mein Werkzeug, ich würde auch für mich persönlich durchaus behaupten: mein „Denkwerkzeug“ (um mal das englische „cognitive tool“ zu vermeiden). Klar, dass ich mir heute die Zeit gekauft habe, wenn das Titelthema wie folgt angekündigt ist: „Rettet die deutsche Sprache! Die Elite spricht Englisch, am unteren Ende der Gesellschaft verkümmert die Sprachfähigkeit. Wie können wir verhindern, dass unsere Muttersprache weiter erodiert? Und welche Zukunft hat unsere deutsche Sprache überhaupt noch?“ Nun, mehr als zwei Seiten ist die Beantwortung dieser Fragen (im Feuilleton) dann doch nicht wert und sehr viel Neues habe ich nicht gelesen. Dass in der Wissenschaft das Deutsche allenfalls in geistes- und einigen wenigen sozialwissenschaftlichen Fächern noch eine gewisse (geringe) Bedeutung hat, ist hinlänglich bekannt. Dass das auch nicht mehr zu ändern sei, kann man ebenfalls überall da lesen, wo über das Thema geschrieben wird. Der Artikel bemüht sich, die Vor- und Nachteile der Durchsetzung des Englischen als globale Sprache einander gegenüberzustellen. Dabei wird auch die wachsende Kluft zwischen Wissenschaft und Gesellschaft/Öffentlichkeit angesprochen, wenn Publikationen und andere Darstellungsmodi nur mehr auf Englisch erfolgen. Wenig vertiefend dagegen kommen in dem Beitrag Überlegungen dazu ins Spiel, welche Bedeutung die Sprache auf das Denken und damit auch auf das wissenschaftliche Denken und wissenschaftliche Kreativität hat (der Autor sieht das allenfalls auf philosophischem Gebiet als relevant an).

Wirklich neu waren für mich zwei Punkte: (1) Der Beitrag verweist auf Arbeiten, die sich der Frage stellen, wie sich das Englische verändert, wenn es denn vor allem von „Ausländern“ als „Lingua franca-Englisch“ gesprochen wird. Das sei dann auch nicht mehr die Sprache der englischen Muttersprachler, sondern eine andere – eine die allen gehöre. Das finde ich einen ganz interessanten Gedanken, aber ob das wirklich mehrheitlich so wahrgenommen wird? (2) Der Beitrag thematisiert quasi als Rahmen für die restlichen Ausführungen die Verantwortung der „Eliten“ in einer Gesellschaft gegenüber der eigenen Sprache. Und so endet der Beitrag mit folgendem Absatz: „Dass Teile unserer Eliten diese Sprache [Anm. das Deutsche in bedeutenden Werken der Literatur und Philosophie] nicht verstehen und nicht mehr sprechen, hat wenig mit globalen Zwängen zu tun und viel mit Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit. Damit verhalten sich die Eliten unverantwortlich, denn der Zustand einer Sprache hängt am meisten von jenen ab, die Macht und Einfluss haben. An ihrem Sprachverhalten richten sich jene aus, die unten sind und nach oben wollen“. Vor Wichtigtuerei und Gedankenlosigkeit ist auch die Wissenschaft nicht gefeit und ich habe schon mitunter den Eindruck, dass wenig neue und tiefe Gedanken, verpackt in einem englischen Text oder Vortrag, allein aufgrund der damit erreichten Internationalität bereits eine Menge „Bonuspunkte“ einheimsen, die dann inhaltliche Defizite kompensieren (sollen). Auch das ist letztlich unverantwortlich.