Ernst gemeinte Exzellenz?

„Datenqualität als Schlüsselfrage der Qualitätssicherung von Lehre und Studium an Hochschulen“ – so lautet der Titel einer bereits 2008 online veröffentlichten Dissertation von Philipp Pohlenz, auf die ich vor kurzem gestoßen bin. Die Arbeit gibt einen guten Überblick über Qualitätsmanagement und Evaluation an Hochschulen und thematisiert vor allem die Gütekriterien der verwendeten Verfahren und resultierenden Ergebnisse. Online ist die Arbeit hier abrufbar.

Die Ergebnisse der Studie von Pohlenz lassen (was jetzt nicht so erstaunlich ist, aber immerhin nicht als Polemik abgetan werden kann) erhebliche Zweifel vor allem an der Validität studentischer Qualitätsurteile aufkommen – jedenfalls verglichen mit den Intentionen der Evaluierenden und im Zusammenhang mit der Art der Nutzung dieser Daten für Hochschulentwicklung und -politik! Das Interesse der Studierenden, die Studienphase, in der sie sich befinden, aber auch die Infrastruktur des Hochschulortes (um nur ein paar Beispiele zu nennen) beeinflussen das Urteil über Lehre und Studium erheblich und schränken die Aussagekraft entsprechend ein. Aber sogar die meist als objektiv geltenden Hochschulstatistiken halten, so eine Erkenntnis der Arbeit, nicht immer, was sie versprechen. Pohlenz kommt zu dem Schluss, dass vor allem die in der Praxis bevorzugten einfachen Evaluationsverfahren mit simplen Indikatoren zahlreichen Fehlerquellen ausgesetzt sind.

In den ersten Teilen der Arbeit werden auch andere Funktionen von Evaluationen thematisiert als z.B. die Leistungsbewertung von Hochschulen oder von Hochschullehrern (z.B. die Partizipation der Studierenden). Dies ist aus meiner Sicht ein ganz wesentlicher Punkt, der dann aber doch wieder in den Hintergrund rückt.

Das Abschluss-Statement in der Dissertation lautet: „Evaluation steht vor der Aufgabe, Routinen zu entwickeln, die der Vielgestaltigkeit der Qualität der Lehre sowie der Realität des Hochschulalltages gerecht werden. Nur so kann sie den Anspruch darauf erheben, als Instrument der Hochschulentwicklung ernst genommen zu werden. Insofern dies den Einsatz komplexer und verschiedene Ansätze versöhnende Verfahren und damit einen stärkeren Mitteleinsatz erfordert, ist das Hochschulwesen insgesamt gefragt, inwieweit die vielfach verkündete Formel von der Entwicklung von Exzellenz durch qualitätssichernde Verfahren ernst gemeint und mit der Bereitschaft verknüpft ist, die entsprechend notwendigen Investitionen in die Zukunft zu tätigen.“ Dem kann man nur zustimmen …

Alles gut mit Gutachten?

Einen Monat lang konnte man nun im GMW-Blog Kommentare zum Thema Peer Review bzw. Begutachtungsverfahren in der GMW (Jahrestagung bzw. Tagungsband) machen – nämlich hier. Gut – ich war mit meinem Kommentar auch spät dran. Aber dass es am Ende nur vier Personen gab, die etwas dazu zu sagen haben/hatten, ist vielleicht doch etwas wenig. Gibt es keinen Verbesserungsbedarf bzw. wird keiner gesehen? Oder war das nur zu versteckt und viele haben die Möglichkeit, ihre Meinung und ihre Vorschläge zu diesem Thema kundzutun, nicht bemerkt?

2010 hatte ich mit Silvia und Christian zusammen das Thema Peer Review bereits als Beitrag eingereicht (hier). Die Resonanz war auch damals eher verhalten. Da das gegenseitige Feedback zwischen Wissenschaftlern eine zentrale Säule des Wissenschaftsbetriebs ist und infolge von Evaluationen verschiedenster Art zudem über „Karrieren“ entscheiden kann, wundert es mich doch sehr, dass dieses Thema in Diskussionen so wenig aufgegriffen wird. Peer Reviews sind aus meiner Sicht einerseits so etwas wie eine besondere Art der Kommunikation und Vermittlung von Kritik und Begründung und damit ein ganz wichtiger Schritt in Erkenntnisprozessen. Andererseits haben Peer Reviews die Funktion von „Qualitätshütern“, sind mitunter eine Art Sozialisationsinstanz (manchmal hat man auch den Eindruck: Erziehungsinstanz) in einer wissenschaftlichen Community. Mit diesen zentralen Aufgaben sollte doch das Peer Review selbst Gegenstand der kritischen Reflexion sein und bleiben. Es darf sich meiner Meinung nach durchaus auch verändern, weiterentwickeln – und zwar mit Blick auf das Ziel, die jeweilige „Sache“ weiterzubringen, um die es geht.

Wo also bleiben all die (kritischen und kreativen) Stimmen?

 

Da muss man durch

Gestern war ich an der Uni Frankfurt auf einer hochschuldidaktischen Veranstaltung für Professoren: Es ging im Großlehrveranstaltungen und ich war gebeten worden, die Teilnehmer knapp eineinhalb Stunden mit Informationen und Anregungen zu diesem Thema zu beschäftigen. Zweiter Referent war Wolfgang Effelsberg von der Universität Mannheim, der von seinen Erfahrungen mit Response-Systemen in Vorlesungen berichtete.

Anbei das Vortragsmanuskript inklusive Folien

Vortrag_Frankfurt_Nov11

Folien_Vortrag_Frankfurt_Nov_11

Positiv war, dass Professoren aus recht verschiedenen Fachgebieten vertreten waren. Dabei wurde wieder einmal deutlich, dass es doch einerseits große fachspezifische Besonderheiten gibt, dass andererseits aber ähnliche Probleme vorhanden sind. Unter anderem das Thema „Erwartungen“ auf Seiten der Lehrenden und der Studierenden sowie das Problem der oft schwierigen Kommunikation dieser Erwartungen scheinen doch vielen unter den Nägeln zu brennen. Ungewöhnlich war übrigens aus meiner Sicht die folgende Erfahrung, die Holger Horz mitteilte: Es gäbe Studierende, die würden eine trockene und schwer verständliche Vorlesung als eine Art Initiationsritus erleben, die man entsprechend besser nicht verändern soll, denn: „Da muss man durch!“

Gerne mal wieder!

Am 2. und 3. November findet an der Universität Leipzig die Herbsttagung 2011 der Sektion Medienpädagogik statt. Sie beschäftigt sich mit methodologischen und methodischen Herausforderungen und Perspektiven der medienpädagogischen Forschung. Im Programm (hier der Link) heißt es: „Ziel der Tagung ist es, sowohl einen Überblick über aktuelle Problem- und Fragestellungen als auch über die methodischen Innovationen, Designs und Techniken zu geben, mit denen die Medienpädagogik auf diese Herausforderungen reagiert.“ Zusammen mit Werner Sesink habe ich einen Beitrag verfasst, der mal wieder das Thema Gestaltung/Design/Entwicklung (wie immer man das nennen will) aufgreift. Unter dem Titel „Entwicklungsorientierte Bildungsforschung“ geht es darum, die genuin pädagogischen Begründungen für eine Entwicklungsforschung zu entfalten und dabei auch ähnliche, bereits bestehende Ansätze zu reflektieren (an anderer Stelle habe ich bereits im Zuge einer Ablehnung des Themas auf einer anderen Veranstaltung – nämlich hier – auf dieses Vorhaben hingewiesen). Die Textform des Beitrags ist in Grundzügen vorhanden, aber noch nicht fertig. Leider kann ich selbst aufgrund einer Terminüberschneidung nicht an der Tagung teilnehmen, sodass Werner Sesink unseren Beitrag allein referieren wird. Dennoch bin ich natürlich gespannt auf die Rückmeldungen, die wir dann auch noch in die Fertigstellung des Textes einfließen lassen können.

Die Zusammenarbeit mit Werner Sesink war bzw. ist für mich eine herausfordernde, aber äußert interessante Erfahrung. Bei der gemeinsamen Texterstellung habe ich viel gelernt und vor allem auch Einblick in Literatur erhalten, mit der ich mich bisher wenig beschäftigt habe. Als nicht einfach, aber als möglich hat sich dabei herausgestellt, dass man sich auch bei Unterschieden in der gewohnten sprachlichen Artikulation zusammenraufen und voneinander lernen kann. Von daher kann ich nur sagen: So ein Experiment wiederhole ich gerne einmal wieder!

Sich gegenseitig in Ruhe lassen

Wenn man ein bestimmtes Bild von der Universität zeichnet, z.B. in die Richtung, dass Studierende besonders engagiert in ihrem Studium oder im Gegenteil besonders lethargisch und gleichgültig sind oder in die Richtung, dass Lehrende besonders einfallsreichreich in der Lehre oder im Gegenteil besonders ignorant sind, dann erntet man in jedem Fall Widerspruch, weil es immer Gegenbeispiele zu dem gibt, was man gerade darstellt. Und das ist auch nicht verwunderlich, denn Universitäten sind voll von engagierten und lethargischen Studierenden, von einfallsreichen und ignoranten Lehrenden; und sie sind voll von Studierenden und Lehrenden, auf die eine Vielzahl anderer und dabei auch gegensätzlicher Eigenschaften zutrifft – mitunter auch mehrere gegensätzliche bei einer Person je nach Situation. Wenn also variable Bilder von erfolgreichem und misslungenem Lehren und Studieren gezeichnet werden, dann treffen sie wahrscheinlich stets zu und zwar gleichzeitig und machen zusammen die Vielfalt aus, die wir im Universitätsalltag antreffen.

Sind Lehrende UND Studierende engagiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass zwar beide Seiten einen großen Aufwand, aber ähnliche Erwartungen haben und ihre jeweilige Investition als lohnend empfinden. Umgekehrt gilt (leider) auch, dass im Falle wenig engagierter und interessierter Lehrender UND Studierender die Erwartungen ebenfalls weitgehend übereinstimmen, man den Aufwand auf beiden Seiten klein hält und sich schlicht gegenseitig in Ruhe lässt. Probleme und Herausforderungen ergeben sich allerdings in besonderem Maße überall dort, wo infolge der Verschiedenheit die Erwartungen seitens der Studierenden und die der Lehrenden auseinanderdriften: Studierende, die etwas lernen wollen, sich engagieren und auf Lehrende treffen, das das Minimum erfüllen, keine Rückmeldungen anbieten und kein sonderliches Interesse an der Lehre und den Studierenden haben, sind enttäuscht, bei günstigen personalen Bedingungen werden sie selbst aktiv und im ungünstigen Fall ziehen sie sich demotiviert zurück. Umgekehrt gilt aber auch: Lehrende, die in der Lehre mehr sehen als eine Pflicht, sich viel einfallen lassen und auf Studierende treffen, die das Minimum erfüllen, Rückmeldungen eher als lästig empfinden und letztlich das Studium aus anderen Gründen als aus Interesse an der Sache absolvieren, entwickeln ebenfalls unterschiedliche negative Reaktionen: Ärger, Resignation und Zeitinvestition in andere Dinge als Lehre.

Noch einmal komplexer wird die Situation, wenn man die Möglichkeit hinzuzieht, dass die verschiedenen Konstellationen sowohl bei den Studierenden als auch bei den Lehrenden zum einen unreflektiert „passieren“, zum anderen aber auch bewusst wahrgenommen und mit Kalkül praktiziert werden können. An dieser Stelle werden dann auch von beiden Seiten vielfältige Gründe angeführt, die das eigene Verhalten (scheinbar) legitimieren.

Wie ich da jetzt darauf komme? Nun, das Trimester (wir beginnen Anfang Oktober) ist noch im ersten Drittel, aber sowohl aktuelle Erlebnisse mit Studierenden als auch solche mit Kollegen/innen führen dazu, dass ich über solche Dinge im Moment gerade (mal wieder) nachdenke. Ich empfinde die Situation jedenfalls als vertrackt, denke mir oft, dass alle „am Spiel Beteiligten“ ihre Erwartungen und Aufwandsbereitschaft eigentlich transparenter machen müssten, wohl wissend, dass das infolge von sozialer Erwünschtheit und anderen Gründen eine utopische Vorstellung ist. Aber selbst WENN man den Versuch macht, die eigenen Erwartungen zu explizieren, steht in den Sternen, wie das der jeweils „andere“ interpretiert, ob er/sie die Erwartungen als legitim empfindet etc. Denkt man das weiter, landet man unweigerlich bei den Erwartungen an die Universität als eine gesellschaftliche Institution und stellt auch da eine hohe Diskrepanz fest, sodass es wiederum nicht verwunderlich ist, wenn wir auch zwischen Lehrenden und Studierenden auf diese teils ausgesprochenen, teils unausgesprochenen Erwartungsdiskrepanzen treffen.

Ich freue mich über Kommentare mit Ideen oder Erfahrungen, wie man damit konstruktiv(er) umgehen kann.

Hilfreich oder nicht?

Die Frage, welchen Einfluss das Fach bzw. die Domäne, man könnte auch sagen: der Gegenstand oder die Inhalte, auf didaktische Entscheidungen beim Medieneinsatz in der Hochschullehre haben, ist wichtig und keineswegs neu. Nun beschäftigen sich gleich mehrere Texte bei e-teaching.org mit der „Fachspezifik in E-Learning-Support & Praxis“. In einem Überblicksartikel gibt Simone Haug (hier) einen Überblick über vor allem empirische Befunde zu dieser Frage und kommt unter anderem zu dem Schluss, dass es so etwas wie eine Schnittmenge zwischen verschiedenen Fächern gibt, etwa wenn es um die Online-Verfügbarkeit von Lehr-Lernmaterialien und klassische Funktionalitäten von Lernplattformen geht. Daneben aber zeigen sich – mal mehr, mal weniger ausgeprägt – durchaus fachspezifische Besonderheiten, die allerdings wenig verwunderlich sind: mehr (interaktive) Multimediaproduktion bis hin zu aufwändigeren Dingen wie Simulationen in eher naturwissenschaftlich orientierten Disziplinen und mehr Nutzung von Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge in den textlastigen Geistes- und Sozialwissenschaften. Aber auch auf Unterschiede zwischen dem verfügbaren Budget mit entsprechenden Folgen für den Medieneinsatz weist der Beitrag von Haug hin. Eine eigene Studie von e-teaching.org (siehe hier) kommt auf ähnliche Ergebnisse, wobei allerdings die Beteiligung gering und fachbezogen unausgewogen war. Da aber ohnehin die Tendenzen aus anderen Studien belegt wurden, scheint das gar nicht sonderlich ins Gewicht zu fallen.

Nun stellt sich für mich die Frage, was man mit diesen „evidenzbasierten Einsichten“ (sprich: man hat jetzt auch Zahlen zu dem, was ohnehin schon jeder ahnte, der sich mit E-Learning beschäftigt) anfängt. Folgerungen wie „Austausch ist wichtig“ sind sicherlich richtig, aber mich würde an sich mehr interessieren, ob und wenn ja welche konkreten didaktischen Gestaltungsziele und -aufgaben daraus resultieren könnten. Eher wenig hilfreich finde ich hierfür die auch bei diesem Thema dominierende Zweiteilung von Ansätzen und Überzeugungen seitens der Lehrenden, die man aus den Ergebnissen zum Medieneinsatz in der Hochschullehre scheinbar herauslesen kann. In beiden zitierten Texten wird die Einteilung in einen „inhaltsorientierten bzw. lehrendenzentrierten Lehransatz“, der sich auf die Materialversorgung der Studierenden konzentriere, und einen „lernorientierten bzw. studierendenorientierte Lernansatz“, der durch aktivierende Aufgaben die eigene Erfahrung der Lernenden fördere, favorisiert und mit den erzielten Ergebnissen in Verbindung gebracht. Genau damit aber werden die vorher ins Zentrum gestellten Fachunterschiede wieder ausgeblendet – also Unterschiede, die sich aus der Sache heraus (möglicherweise unabhängig vom Lehrenden und seinen impliziten oder expliziten Überzeugungen) ergeben könnten. Im Gegensatz zu früher erscheint mir diese Zweiteilung heute als zu einfach. Warum, das habe ich an anderer Stelle bereits genauer ausgeführt: Siehe hier sowie passend dazu an der Stelle auch gleich der dazugehörig Preprint:

Artikel_Instruktion versus Konstruktion_preprint

Gut entschieden

Am Mittwoch war ich in Bonn beim Deutschen Volkshochschul Verband (dvv). Ich hatte mich bereit erklärt, als Mitglied im Beirat des Projekts „ich-will-deutsch-lernen.de“ mitzuarbeiten. Das Projekt zur Entwicklung und Implementation eines Lernportals zur Unterstützung speziell der sprachlichen Integration von Zugewanderten hat mich von seiner Intention her überzeugt, sodass ich das Projekt gerne unterstützen möchte. Für mich ist die Zielgruppe in punkto Lehren und Lernen mit Medien völlig neu und so konnte ich bereits beim ersten Treffen nicht nur ein paar wenige Dinge einbringen, sondern vielmehr bereits eine Menge neuer Informationen sammeln – über die besonderen Umstände des Zweitspracherwerbs ebenso wie über Probleme etwa bei der infrastrukturellen Ausstattung sowie bei den Lehrenden, die sehr heterogen sind und in der Regel nur geringe Honorare für ihre Arbeit erhalten. Für das Projekt suchen die Verantwortlichen viele Experten aus verschiedenen Bereichen auf, abeiten für narrative Elemene z.B. mit Drehbuchautoren zusammen und bemühen sich, möglichst viele Fakten und Erfahrungen aus Bildungangeboten für die Zielgruppe Zugewanderter zu integrieren. Das hört sich für mich erst mal sehr positiv an. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es mit dem Projekt weitergeht, und froh, mich trotz Zeitknappheit dafür entschieden zu haben, Beiratsmitglied zu werden. Erste Infos finden sich hier.

Angststeigernd, schreckenerregend und ernüchternd

Unter dem Titel „Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung. Analysen und Impulse für die Praxis“, herausgegeben von Sigrun Nickel (erfreulicherweise online hier), gibt es eine aktuelle Zusammenstellung von insgesamt 21 Beiträgen, die aus einer Veranstaltung im Dezember 2010 hervorgegangen sind. Gruppiert sind die Text in fünf Kapitel: (1) Deutschland und Europa im Vergleich, (2) Studiengestaltung und Studierverhalten, (3) Lehrkompetenz und Kompetenzentwicklung bei Studierenden, (4) Institutionelle Rahmenbedingungen und (5) Qualitätsentwicklung und -steuerung.

Ziel des Bandes ist es, vor allem empirische Erkenntnisse zu den genannten Bereichen im Zuge des Bologna-Prozesses zusammenzutragen, um die aufgeheizten Diskussionen, in denen auch zahlreiche Wertfragen (Zweck der Universität, Beziehung zum ökonomischen System etc.) zur Sprache zu kommen, zu versachlichen. Diesem Kernanliegen kann nur zugestimmt werden, allerdings trägt die polemische Kritik an den Kritikern von Bologna eher zur weiteren Frontenbildung bei. So heißt es etwa auf Seite 3: „Wer die bisherigen Veröffentlichungen zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in Deutschland sichtet, stößt fast ständig auf apokalyptisch-reißerisch klingende Titel wie ´Humboldts Alptraum´ (Schultheis et al. 2008), ´Endstation Bologna?´ (Keller et al. 2010) oder ´Akademischer Kapitalismus´ (Münch 2011). In zahllosen Büchern und Artikeln wird der Untergang der Universität beschworen, ausgelöst durch die Einführung gestufter Studienstrukturen, durch Kreditpunktsysteme, der Modularisierung des Curriculums, durch Qualitätssicherungsinstrumente sowie die stärkere Ausrichtung der Lerninhalte auf die Vermittlung beruflich relevanter Kompetenzen. … Während die Hochschulen für angewandte Wissenschaften die Bologna-Reformen offenbar pragmatisch-unauffällig umsetzen, ist im Universitätsbereich ein laustarker Kulturkampf zwischen Bologna-Gegner(inne)n und Bologna-Befürworter(inne)n ausgebrochen“. Dazu ist zum einen zu sagen, dass in den von der Herausgeberin genannten Büchern (z.B. dem von Münch) durchaus auch empirische Erkenntnisse berücksichtigt werden. Zum anderen frage ich mich, warum es nicht möglich sein sollte, neben der Analyse des Ist-Zustands (die in der Tat zwingend erforderlich ist) auch einen Diskurs über den erwünschten Soll-Zustand (der sich auch aus der Kritik am Bestehenden ergibt) zu führen – selbst wenn da nicht alle einer Meinung sind. Letztendlich sind dann die Beiträge aber keineswegs so, wie man auf den ersten beiden Seiten der Einführung vermuten möchte: Sie liefern ein durchaus vielfältiges empirisches Bild über den Ist-Zustand. Dazu kommt, dass die in den Texten referierten bzw. meist kurz zusammengefassten Resultate unter Nutzung sehr verschiedener empirischer Methoden zustande gekommen sind. Die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall.

Bei drei Beiträgen bin ich aus verschiedenen, aber jeweils durch persönliche Erfahrungen angestoßenen Gründen etwas länger hängen geblieben:

(1) Der Beitrag von Metz-Göckel, Kamphans, Ernst und Funger beschäftigt sich mit dem „Mythos guter Lehre“ und der Notwendigkeit individueller Unterstützung von Lehrenden. Der Text beginnt narrativ mit folgender Episode: „´Sie waren immer das Schreckgespenst für mich´, sagte Sigrid Metz-Göckel ein kürzlich emeritierter Kollege unverblümt ins Gesicht, als sie ihm anlässlich einer akademischen Feier vorgestellt wurde, und weiter: ´Ich habe immer gegen die Hochschuldidaktik gewettert´. Diese schroffe Direktheit war verblüffend, eröffnete aber ein sehr aufschlussreiches kollegiales Gespräch. Mit ihrem Namen verband der Kollege aus den Naturwissenschaften eine ungemein angststeigernde, ja schreckenerregende Kontrolle seiner Lehre. … Seit Sigrid Metz-Göckel aus dem aktiven Hochschuldienst ausgestiegen ist, haben ihr mehrere Kollegen in informellen Gesprächen ungefragt erzählt, wie ungern sie lehren und wie schwierig es für sie sei, insbesondere die großen Vorlesungen und Pflichtveranstaltungen zu halten.“ Das bedarf keinen weiteren Kommentars: Wer sich um Hochschuldidaktik bemüht, weiß, dass diese Episode keineswegs ein Einzelfall ist.

(2) Bargel reflektiert (allerdings relativ kurz und entsprechend oberflächlich) verschiedene Fragen von Studienqualität vor und nach Bologna. Dabei macht er auf das „Problem Citizenship (öffentliche Verantwortung)“ aufmerksam. Er schreibt: „Es vollzieht sich eine nachweisbare Verarmung an sozialer, politischer und kultureller Betätigung und Verantwortlichkeit. Aber diese Entwicklung hat mehr mit dem Aussterben des Magisters und dem Verblassen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fachkulturen zu tun, weshalb Eigenwilligkeit und Engagement immer mehr verschwinden, seit der Jahrtausendwende sogar verstärkt. Durch das Bachelorstudium wird dieser allgemeine Trend dann verstärkt, wenn einseitig auf die Berufsbefähigung gesetzt wird und die Fachkultur der Wirtschaftswissenschaften das dominierende Modell abgibt. Es war daher überfällig, dass von der Konferenz der zuständigen Minister aus den 47 beteiligten Nationen nunmehr auch die ´Citizenship´ als allgemeines Bildungsziel von gleichem Rang wie ´Employability´“. Ob die Ursachenzuschreibung nun so stimmt oder nicht, kann ich nicht beurteilen, aber unabhängig davon, finde ich das Thema im Rahmen eines Hochschulstudiums wichtig – als Aufgabe sowohl der curricularen als auch der methodischen Gestaltung von Studiengängen. Schade, dass es nur in diesem Text und nur so knapp behandelt wird.

(3) Und schließlich habe ich im Text von Becker, Wild, Tadsen und Stegmüller noch gelernt, was „Inplacement“ bei Neuberufenen an einer Hochschule ist. Die Autoren stellen nämlich fest, dass die meisten Hochschulen kein Inplacement-Konzept haben – will heißen, dass Neuberufene keine besondere Unterstützung erhalten, es sei denn, es erbarmt sich einer der Kollegen/innen und nimmt sich dem Neuen an. „Ob Neuberufene eine solche ´unverhoffte Unterstützung´ erfahren oder in den ersten Arbeitstagen mit chaotischen Zuständen und anderen, ernüchternden Eindrücken konfrontiert werden, hängt von zufälligen (personellen) Konstellationen und historisch gewachsenen Gepflogenheiten ab.“ Meine „Inplacement-Erfahrungen“ gehören eindeutig in die zweite Kategorie – und das fing jeweils bereits bei der räumlichen Unterbringung an: Die erste Uni, deren Ruf ich 2001 angenommen hatte, stellte mir einen Raum gefüllt mit Plunder aus dem 1970er Jahren zur Verfügung und sah sich nicht imstande, diesen zu entsorgen. Dafür habe ich dann am Ende meine Ikea-Möbel großzügig ebenfalls an Ort und Stelle gelassen. Die zweite Uni, deren Ruf ich angenommen hatte, toppte dies damit, dass ich zwei Monate gar keine Räume hatte und nur mit großer Mühe welche ergattern konnte. Im Moment liegen diese (EG-)Räume inzwischen auf einer umzäumten Baustelle, sodass die Bauarbeiter immer was zu sehen haben, denn: Auf Vorhänge oder Jalousien warten wir nun schon über ein Jahr vergeblich. Aber okay – das liegt wohl einfach am fehlenden Inplacement-Konzept! Ein Glück, dass ich auf repräsentative Räume eh keinen großen Wert lege. 😉

Schadet Lehren der Gesundheit?

Über Jochen Robes bin ich auf einen Vorabdruck eines Textes von Michael Kerres, Tobias Hölterhof und Axel Nattland aufmerksam geworden (hier). Der Text versucht eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft klassischer Lernplattformen (LMS) vor dem Hintergrund der Entwicklungen sozialer Netzwerke und dazugehöriger Technologien. Unter anderem werden Überlegungen angestellt, ob und wie man beides auch unter einen Hut bringen könnte.

Was mich bei Texten zu solchen oder ähnlichen Themen immer wieder wundert, ist die nach wie vor praktizierte Polarisierung und mehr oder weniger implizite Wertung von informellem Lernen ohne Lehrpersonen einerseits und Lernen in Institutionen angeleitet durch Lehrpersonen andererseits. Wenn Kerres et al. (Seite 2) z.B. feststellen, dass klassische LMS an sich „Lehrplattformen“ sind, dann stimme ich zu: Sie dienen dem Lehrenden dabei, z.B. Lehrmaterialien zugänglich zu machen, Aufgaben zu verteilen, Feedback zu geben und inzwischen auch Werkzeuge u.a. für kollaborative Bearbeitungsformen von Projekten, Fällen und anderen Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Hier initiiert nicht primär der Lernende den Medieneinsatz, sondern er reagiert und erhält – je nach Konzept einer Veranstaltung – Möglichkeiten und Anregungen für rezeptive und/oder produktive, individuelle und/oder soziale Aktivitäten. Warum aber kommt dann sofort die bewertende Folgerung, dass man doch besser auf ein LMS verzichten sollte, weil es ja „nur“ eine „Lehrplattform“ sei? Greifen angeleitetes und selbstorganisiertes Lernen im Idealfall nicht ineinander? Und WENN ich mich in eine Bildungsinstitution begebe, erwarte ich denn dann nicht, dass Lehrende auch die Initiative ergreifen, mir Inhalte zumindest mit auf den Weg geben, mich unterstützen etc.?

Gegen Ende des Textes werden auch kritische Aspekte und Grenzen etwa des Lernens ausschließlich in sozialen Gemeinschaften thematisiert. Im Fokus aber bleiben der von den Autoren beobachtete „Trend hin zu sozialen Umgebungen“ und eine aus meiner Sicht mit transportierte Skepsis gegenüber Lehrtätigkeiten an sich. Aber: Warum? Ist Lehren gefährlich und schadet der Gesundheit derer, an die sich das Lehren richtet? Oder ist es vielleicht auch bequemer sich vom Lehren zu distanzieren, weil man dann auch keine Verantwortung für das hat, was am Ende herauskommt? Das jedenfalls frage ich mich immer häufiger, wenn ich Beiträge zum Lernen mit Web 2.0 lese.

Inhouse-Party

40 Jahre Institut für Wirtschaftspädagogik an der Universität St. Gallen – klar dass das eine Art „Inhouse-Party“ wird, wo sich Ehemalige und Aktuelle des IWP sowie „Insider“ der Community treffen und austauschen. Im Zentrum standen genuin wirtschaftspädagogische Fragen, allem voran (ähnlich wie in der E-Learning-Community rund um die GMW) auch solche, die die Zukunft des Faches betreffen. Da ich in diese Community nicht primär gehöre, war ich eher Zaungast und konnte die verschiedenen, aus meiner Sicht in jedem Fall interessanten und zum größten Teil auch inhaltlich und handwerklich gut gemachten Vorträge aus einer gewissen Distanz heraus verfolgen. Deutlich aber war für mich, dass viele Wirtschaftspädagogen eine sehr ähnliche Auffassung wie die aus verschiedenen Disziplinen stammenden Vertreter der Community zum Lehren/Lernen mit digitalen Medien vertreten – unter anderem auch, was methodische Fragen und die Problematik der Einengung von Empirie auf bestimmte empirische Verfahren betrifft. Das war mir zwar nicht an sich neu, aber die Tagung hat mir das mal wieder deutlich gemacht.

Besonders interessant war für mich der Workshop „Gestaltungsorientierte Forschung – ein Weg zu einer besseren didaktischen Praxis?“ Zwar habe ich da jetzt nichts gänzlich Neues gehört, aber neu war die Diskussion des Themas mit anderen Personen und die damit verbundene künftige Möglichkeit, den Kreis der Austauschpartner über das Thema „Entwicklungsforschung“ zu erweitern (zum eher schweren Stand der Entwicklungsforschung siehe u.a. auch hier).

Endlich mal persönlich kennengelernt habe ich bei dieser Gelegenheit Peter Sloane, dessen Schriften zur Modellversuchsforschung während meiner Habilitationsphase einen wichtigen Stellenwert hatten (und zwar als eine „deutsche Variante“ der um 2000 viel diskutierten „Modus-2-Forschung“). In seinem Vortrag wies er unter anderem auf die immer häufiger zu beobachtende Verkürzung von Wissenschaft auf Forschung (bzw. eine spezielle Auffassung von Forschung) und darauf hin, dass in der Folge Wissenschaft als gesellschaftlicher Auftrag (z.B. in Richtung Bildung und Gestaltung) verloren geht. Da fühlt man sich doch gleich ganz wohl – selbst als Zaungast bei der „Inhouse-Party“.