Ernüchterndes Ergebnis

Joachim Wedekind beklagt in seinem Blog (hier), dass es mit der Nachhaltigkeit von E-Learning-Förderungen im Hochschulbereich nicht weit her ist: Zu viele Anforderungen seien wie Hürden auf der Laufbahn im Stadion aufgestellt, sodass unklar bleibt, wie viel Energie noch da ist, wenn man die ersten drei oder vier Hürden (wie z.B. Bologna und Exzellenzinitiativen) genommen hat. Nun, man könnte natürlich einfach eine Hürde auslassen und daran vorbeilaufen oder man kann sie alle umrennen (womit man sich dann aber disqualifiziert hätte) oder – na ja – ein bisschen Doping vielleicht? Aber im Ernst: Joachims Hinweise sind wichtig und erinnern mich an einen eigenen Beitrag, den ich anlässlich eines doch eher mickrigen E-Learning-Artikels in der Zeitschrift Forschung & Lehre vor einiger Zeit (hier) gepostet hatte.

Schon öfter habe ich mir gedacht, dass wir an dem Phänomen, mit unseren „Lernen mit Medien“-Themen auf der Agenda immer wieder auf die hinteren Plätze rutschen, nicht ganz unschuldig sind. Wir sprechen von den digitalen Technologien, haben aber – natürlich! – die Schul-, Hochschul- oder Weiterbildung im Blick – je nachdem, in welchem Kontext wir uns befinden. Unsere Zuhörerschaft aber hört „Technologie“, nicht Bildung, und schon sind wir wieder im Erklärungsnotstand. Wir sehen digitale Technologie sowohl als Werkzeug als auch als Impulsgeber und „Ermöglicher“ pädagogisch-didaktisch alter wie neuer Ideen. Aber das zu erklären, ist nicht immer so einfach. Je mehr digitale Technologien selbstverständlicher Bestandteil des Informations- und Kommunikationsverhaltens eines Großteils der Bevölkerung werden, umso überflüssiger dürfte es werden, das Lernen und Lehren mit digitalen Medien zu vertreten, weil auch das „normal“ ist, denn Lernen ohne Information und Kommunikation funktioniert nicht. Da sind wir aber noch nicht. Vielmehr stehen sich hier diejenigen gegenüber, für das bereits so ist, und diejenigen, die bei denen genau das nicht der Fall ist. Damit sind Missverständnisse und gegenseitige Verständnislosigkeit zwischen diesen beiden Gruppen vorprogrammiert. Vielleicht ist das das eigentliche Problem für die nach wie vor geringe Breite und Nachhaltigkeit verschiedener E-Learning-Initiativen?

Übrigens: In den Kommentaren von Joachims Beitrag finden sich ein paar interessante Links, wie man z.B. an der Kaplan University versucht, mit kleinen (Marketing-)Filmen (hier und hier) die durch digitale Medien angestoßene „neue“ Lehr-Lernkultur zu verdeutlichen. Das ist ganz nett anzusehen – allerdings bleibt es natürlich an der Oberfläche, denn jeder der ernsthaft Lehre macht – mit Medien verschiedenster Art – weiß, dass der Teufel im Detail steckt.

Mitmach-Akkreditierung

Es ist nicht das erste Mal, dass ich darüber nachdenke, aber wenn – wie aktuell – mal wieder eine Anfrage kommt, sich an der Arbeit von Akkreditierungsagenturen etwa als Gutachter zu beteiligen, dann kreisen meine Gedanken erneut um das Thema. Ich finde es jedenfalls unglaublich, was man da für ein „Monster“ geschaffen hat. Man muss sich das mal vorstellen: Die Akkreditierung von Studiengängen kostet eine große Summe Geld, das die Universitäten aufbringen müssen. Gleichzeitig funktionieren die Akkreditierungsagenturen nur, indem Hochschullehrer sich als Gutachter und Mitarbeitende beteiligen. Dafür bekommen sie ein wenig Geld, ja, aber allem voran investieren sie Zeit, die ihnen an der eigenen Hochschule wieder fehlt. Der Staat zahlt also doppelt: für die Akkreditierung und dafür, dass Hochschullehrer daran mitarbeiten (mit der Folge, dass die entstandenen Bürokratisierung in der Hochschule nochmal kostet). Wie kann man sich das eigentlich erklären? Was sind die „Treiber“ dieser Situation?

Nun, ich habe das Gefühl, dass es da vor allem drei Treiber gibt: Da ist erstens eine Art „Logik des Misstrauens“: Seitens der Politik hat man beobachtet, dass Hochschulen Kolosse sind, dass in vielen Bereichen tatsächlich jahrzehntelang keine Reformen und Änderungen auf den Weg gebracht wurden. Das schmälert das Vertrauen in die Änderungsfähigkeit und -bereitschaft. Also beauftragt man externe Stellen und Personen (ähnlich wie in Hochschulräten), den Wissenschaftlern auf die Finger zu schauen – und zwar gleich mal ganz grundsätzlich – ähnlich einem Mehdornschen Kollektiv-Verdacht. Zweitens scheint es eine Art „Logik des Gütesiegels“ zu geben: Hier spielen sicher internationale Vorbilder eine Rolle – es klingt irgendwie gut und beruhigend „akkreditiert zu sein“. Man denkt vielleicht an den TÜV und an die Stiftung Warentest und wiegt sich dann in der Gewissheit, dass es jetzt „richtig“ ist. Und drittens handelt es sich wohl um eine ganz klare „Logik der Steuerung“: Hochschulen sollen autonom sein, also funktioniert ein direkter Zugriff des Staates auf die Lehre eher nicht besonders gut, obschon es der direkteste Weg wäre. Ein indirekter Weg würde eigentlich unmittelbar über den nationalen Akkreditierungsrat laufen – aber auch das vermeidet man und schaltet lieber Akkreditierungsagenturen dazwischen, die ausführen, was man politisch beschließt: Der längste Weg wird letztlich zum effektivsten Zugriff.

Interessant an der Sache ist, dass man sich „gegen staatlichen Zugriff“ gerne und schnell auch unter den Professoren wehrt. Wenn aber doch so viele Kollegen inzwischen an der Arbeit der Akkreditierungsagenturen so fleißigen mitwirken, dann funktioniert dieses „Ingroup-Outgroup“-Denken nicht mehr. Ja, es ist ja fast wie beim Web 2.0 (dem Mitmach-Web): Wir stehen vor einer „Mitmach-Akkreditierung“, nur dass die Folgen ganz andere sind.

Nun häufen sich ja inzwischen die Klagen von Professoren über Professoren, dass man dem Bologna-Prozess so widerstandslos gefolgt ist, sich nicht gewehrt hat etc. Und nun sei es zu spät. Aber halt: Ist das nicht eine Ausrede? Denn wenn man sich mal überlegt, dass das ganze Akkreditierungssystem nur funktioniert, weil sich Professoren daran als Gutachter u.ä. beteiligen und mitmachen, dann liegt ja eigentlich auf der Hand, dass NICHTS mehr funktionieren würde, wenn sie das NICHT mehr täten. Man würde sich also gar nicht weigern (müssen), den Akkreditierungswahnsinn über sich ergehen zu lassen, sondern nur eben NICHT mitmachen, wenn es darum geht, sich beim Akkreditieren der jeweils anderen zu beteiligen. Also nur mal so als Gedankenspiel …

Wichtig: Ich bin NICHT gegen Bologna in dem Sinne, dass man mit Blick auf Europa schaut, wie man Übergänge und Mobilität verbessern kann. Auch inhaltlich sinnvolle Modularisierungen und ECTS sind an sich NICHT das Problem. Auch gut ist, dass dank Bologna das Thema Lehre überhaupt wieder mehr auf den Tisch kommt. Zudem ist es völlig richtig, dass man sich überlegt, wie man Qualität sicherstellt und entwickelt. Aber mir konnte noch niemand überzeugend erklären, was dieses Akkreditierungssystem sachlich bringen soll! Also bleibe ich erst mal bei meinen Vermutungen, dass Misstrauen, ein fester Glaube an Gütesiegel – und seien sie noch so konstruiert – sowie letztlich Steuerungsmacht die eigentlichen Treiber dahinter sind.

Unsichere Elite

Die prekäre Lage von Nachwuchswissenschaftlern wird immer wieder mal beklagt – leider ohne, dass sich deswegen bisher etwas geändert hätte. Trotzdem sind Meldungen wie diese über die unerträgliche Unsicherheit, die den wissenschaftlichen Nachwuchs begleitet, wichtig, aber eben nicht genug. Ist das Phänomen neu? Na ja, so neu eher nicht, würde ich sagen: Nach meinem Diplom in Psychologie (1990) war ich stets nur auf halben Stellen beschäftigt – mitunter hatte ich Halb-Jahres-Verträge, zwischendurch mal ein Stipendium, dann kam mein Sohn auf die Welt und das Sicht-Entlanhangeln auf unsicheren Posten ging weiter (bis ich 34, also Gott sei Dank noch nicht 40  war). Mir war damals schon bewusst, dass dies nicht ein schlechtes Management meines Vorgesetzten, damals Prof. Mandl, war, sondern eine Folge der Tatsache, dass sich Universitäten immer mehr über letztlich unsichere Drittmittel finanzieren müssen. Heute kann ich noch mehr nachfühlen, dass es auch für Herrn Mandl sicher nicht leicht war, einigen seiner Mitarbeiter/innen diese Unsicherheit zuzumuten: Denn es ist weniger das Streben nach Reputation, das einen auf die Jadg nach Drittmitteln schickt, sondern eher das Bemühen, fähige Leute zu fördern – Beeren sammeln für den Nachwuchs sozusagen. Das Schlimme ist, dass man dabei manchmal Wege geht, die man eigentlich nie gehen wollte, also sich mit Themen beschäftigt, die man nicht so sonderlich wichtig findet, sie aber nicht ignorieren kann, wenn man Drittmittel braucht – nämlich für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Dass man den wissenschaftlichen Nachwuchs dabei ausnutzt – das ist eine Feststellung in der oben genannten Meldung, die man so pauschal sicher nicht machen kann. Das dürfte wohl doch stark von den jeweiligen Professoren abhängig sein. Sicher wird es einige geben, die z.B. den erhöhten Druck infolge von Bologna direkt an den wissenschaftlichen Mittelbau weiterleiten, aber diesem Reflex verfallen sicher nicht alle (ich hoffe, ich nicht).

Danke an Nina, die mich auf die Pressmitteilung aufmerksam gemacht hat. Alex hat das gleich ergänzt durch ein paar Links zu früheren Blog-Einträgen (nämlich hier, hier und hier), in denen das Thema bei uns bereits diskutiert wurde.

Zweifel an Begriffen und der Versuch, einen Haufen Fragen zu beantworten

Ich bin in Zürich: Eingeladen hat mich Heinz Moser, der an der Pädagogischen Hochschule den Fachbereich „Unterrichtsprozesse und Medienpädagogik leitet“. Heute Abend habe ich einen Vortrag mal wieder zum Persönlichen Wissensmanagement gehalten. Das war explizit so gewünscht und folglich habe ich eine Art „Remix“ aus zwei verschiedenen Vorträgen erstellt (aus Vorträgen, die ich im April 2008 an der Auto-Uni in Ingolstadt und im Oktober 2008 beim Wissensmanagement-Kreis in Karlsruhe gehalten habe). Wer die beiden Vorträge kennt, wird sich vielleicht ein bisschen langweilen; eventuell sind dann nur Anfang und Ende interessant, denn da thematisiere ich mein inzwischen wachsendes Unbehagen mit dem Begriff des persönlichen Wissensmanagements ein wenig. Hier das Vortragsmanuskript: vortrag_zuerich_februar09

Morgen geht es dann weiter. Ich bin gebeten worden, auf einem Workshop der Mitarbeiter der Abteilung „Input“ zum problemorientierten Lernen zu liefern. Oh je, noch ein Vortrag? Nein wollte ich eher nicht. Daher habe ich mich mit Herrn Moser auf sieben Fragen geeinigt, die ich heute erst einmal an die Workshop-Teilnehmer stelle, um deren Vorwissen und Meinungen zumindest kurz zu erfahren, um dann meine Antworten zu bringen, wie ich sie vorbereitet habe. Es handelt sich um folgende Fragen:

  1. In welchem Verhältnis stehen Wissen und Erfahrung beim Lernen?
  2. Welche Gewichtung kommt der Kognition, der Motivation und Emotion sowie der sozialen Interaktion beim Lernen zu?
  3. Was bedeutet das für die Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen?
  4. Welchen Stellenwert hat in problemorientierten Lernumgebungen eine „Wissensbasis“?
  5. Wie kann man diese Wissensbasis gestalten?
  6. Welche Bedeutung hat bei all dem das mediengestützte Lernen?
  7. Welche Balancen muss man bei der Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen erreichen?

Ja, das war gar nicht so leicht, darauf Antworten zu geben. Ich habe mein bestes versucht, man kann es hier nachlesen: fragen_zuerich_feb09

Wann kommt die Aufklärung 2.0?

Wird das Web 2.0 „entmündigte“ Mitarbeiter zu kreativen Intrapreneuren und den gelangweilten Schüler zum selbständigen Denker machen? Wenn es nach den Beiträgen zum Thema Web 2.0 in der taz seit Anfang des Jahres geht, dann ist das so. In loser Folge beleuchtet das Blatt das „Lernen 2.0 … mit Reportagen aus Laptop-Klassen, Porträts vom Lernen mit Blogs und Wikis, Interviews mit Vordenkern des neuen Lernens“. Das ist erst einmal gut und die bisherigen Artikel mit den Titeln „Die Entmündigten lernen, kreativ zu sein„, „Blogs – die Zukunft des Lernens“ und „Blogs geben Lernen wieder Sinn“ sind denn auch dazu geeignet, der vielleicht noch nicht in allen Punkten so Web 2.0-affinen Öffentlichkeit interessante Infos, Erfolgsbeispiele (die ja auch tatsächlich existieren) und spannende Visionen zu liefern. So weit so gut. Aber Leute! Wie kommt es, dass man alle Namen kennt? Natürlich sind da Thomas Rau, Lisa Rosa, René Scheppler und Martin Riemer – wer würde diese Namen nicht kennen, wenn er/sie sich für ein wie auch immer geartetes „Lernen 2.0″ interessiert. Was hat das zu bedeuten? Dass wir nur zu zehnt sind? Oder vielleicht zu 30? Und selbst wenn wir 100 oder sogar 300 sind – wie weit sind wir dann noch vom kreativen Intrapreneur im Unternehmen und vom selbständigen Denker in der Schule entfernt? Vielleicht kommt das von den Blogs: Da wir uns da vernetzen und uns – von kleineren Differenzen einmal abgesehen – so gut verstehen, bauen wir uns womöglich eine eigene Wirklichkeit und nehmen „die anderen“  gar nicht mehr richtig war? Ob unser holländischen Wohnzimmer gar Einwegscheiben haben? Gut, ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir so langsam mehr werden müssten, wenn die Hoffnung aufgehen soll, dass digitale Re- und Evolutionen so etwas wie Ermöglicher für ein sinnvolleres und aktiveres Lernen in Richtung von mehr Selbständigkeit, Partizipation und kritischem Denken gehen soll. Wann kommt die „Aufklärung 2.0″?

In der Wüste feiert man sich am besten selbst

Ausgeprägter kann ein Gegensatz wohl kaum mehr sein:

In einer aktuellen Pressemeldung des bmbf kann man Folgendes lesen: „Zehn Jahre nach seinem Beginn hat der Bologna-Prozess zu einer erfolgreichen Modernisierung der deutschen Hochschulen beigetragen. Die Umstellung bietet die Chance, die Qualität von Studienangeboten zu verbessern, mehr Beschäftigungsfähigkeit zu vermitteln und die Zahl der Studienabbrüche zu senken. Diesen Innovationsschub wollen wir weiter erfolgreich nutzen.“ Mit diesen Worten eröffnete der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Andreas Storm (MdB), am Freitag ein vom BMBF und der Kulturministerkonferenz (KMK) in Berlin veranstaltetes Symposium.

Vor genau einem Jahr kam Professor Brenner von der Universität zu Köln in einem Vortrag mit dem Titel „Die Wüste wächst“ zu einer komplett gegenteiligen Diagnose, was die Erfolge des Bologna-Prozesses betrifft: Er beobachtet eine „Selbstzerstörung der deutschen Universität“ und geht mit Hochschulrektoren, Professoren und Studierenden gleichermaßen ins Gericht, weil sie sich alle unfähig und unwillig gezeigt hätten, dem teuren Bürokratisierungsprozess im Zuge von Bologna die Stirn zu bieten – noch dazu, weil damit die schon Jahrzehnte vorher bestandene „Überfüllungskrise“ noch dramatischer geworden sei.

Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen: Dass ich meine Arbeit nur noch mit einer 7-Tage-Woche schaffe, spricht eher für zweit genannte Diagnose. Dass ich zusammen mit ein paar Leidensgenossen/innen aktuell vor der schizophrenen Aufgabe stehe, erfolgreiche und sinnvolle Konzepte für die Lehre zurückzufahren, weil uns neue Stellen einen überdimensionalen Zuwachs an neuen Studierenden verschaffen, geht auch eher in Richtung von Diagnose 2. Dass wir eine geringe Abbrecherquote in unserem Studiengang haben, dass wir eine ganze Menge sehr guter Absolventen entlassen und die auch noch eine beachtliche Auslands- und Praktikumstätigkeit an den Tag legen, scheint dagegen – in unserem Fall – für Diagnose 1 zu sprechen. Aber für welchen Preis? Ist das wirklich ein Verdienst von Bologna? Oder doch „nur“ das Engagement Einzelner, die immer wieder (wie ich) ein bisschen naiv darauf hoffen, dass das mal belohnt wird? Einen Teil des Lohns habe ich schon kassiert: Die Zeit für Forschung (und Nachdenken!) schrumpft. Es mag ja viele Gründe haben, warum wir z.B. in Bezug auf Fördergelder für das Jahr 2009 weitgehend leer ausgegangen sind. Aber natürlich hat es AUCH damit zu tun, dass mein Zeitbudget für Anträge rapide geschrumpft ist.

Aber es gäbe da natürlich noch eine Einsparmöglichkeit: Ich schließe mein Blog – das würde mir sicher zwei Stunden pro Woche Zeit sparen – das wäre 1 SWS mehr für die Lehre oder eine halbe Seite Forschungsantrag … so ungefähr vielleicht.

Holländische Wohnzimmer

Gestern hatten wir Jan Schmidt (mit dt) bei uns in Augsburg zu Gast:  Vor unseren wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeitern am Institut, Doktoranden und auch einer ganzen Reihe von Studierenden hat er einen Vortrag zum Thema „Persönliche Öffentlichkeiten im Web 2.0“ gehalten und dabei – so der Untertitel des Vortrags – „Merkmale und Konsequenzen des onlinegestützten Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagements“ erläutert.  Der Begriff der „persönlichen Öffentlichkeit“ wurde allem voran über die Merkmale und Prozesse bei der Nutzung von Social Networks verdeutlicht, wobei ein interessanter Hinweis darin bestand, dass man – wie im „echten Leben“ – in verschiedenen virtuellen Netzwerken natürlich auch verschiedene Rolle (Identitäten?) haben kann. Blogs, so eine der Botschaften, scheinen ihre Multifunktionalitäten langsam zu verlieren: die Netzwerkbildung verschiebt sich auf Xing, StudiVZ oder Lokalisten; das Micro-Blogging findet auf Twitter statt – es bleibt der längere, reflektierte Beitrag auf dem Blog? Das sind natürlich nur Thesen, aber mir leuchten diese durchaus ein.

Am Ende seine Vortrags brachte Jan Schmidt eine interessante Analogie – nämlich die von holländische Wohnzimmern, deren Fenster traditionell keine Vorhänge haben: Ein Foto zeigte nun ein Haus, das kompletten Einblick in die Wohnzimmer ließ – nicht nur über ein kleines Fenster (ohne Vorhänge), sondern über eine große Glasfront. Der Holländer – so Jan Schmidt – bliebe nun aber auf der Straße nicht stehen und schaue den anderen unverhohlen ins private Zimmer, denn das mache man einfach nicht. Was damit schön deutlich wird: Es gehören immer zwei zum viel diskutierten „Entblößungsproblem“: der, der zeigt, und der, der sucht und schaut. Wir haben, weil es ein schöner Einstieg in die Diskussion war, natürlich erst einmal durchaus kontrovers diskutiert, inwiefern dieser Vergleich passend, aber eben auch schief ist (was ja das Geniale an einer guten Analogie ist, dass man mit ihr arbeitet und eben Parallelen UND Unterschiede sucht). Beispiel: Spricht es gegen den Bewerber, wenn er neben einem sachlichen Profil in Xing auch in StudiVZ ein Profil mit vielleicht nicht immer ganz glücklichen Schnappschüssen für sein informelles Netzwerk hat, oder spricht es eher gegen den Personaler, der in Communities, die nicht für ihn bestimmt sind, nach zusätzlichen Informationen sucht?

Ich sage danke an Jan Schmidt und die interessierten Zuhörer und Diskutanten für den anregenden Nachmittag (PS: Wir haben zuhause auch keine Vorhänge).

Auslaufmodell Vorlesung oder Chance einer Renaissance?

iTunes U – das war ein Beitrag in diesem Blog, der vergleichsweise viele Kommentare provoziert hat, weshalb ich an der Stelle mal zusammenfassen will, welche Aussagen mir aufgefallen sind, und überlegen will, welche Folgerungen ich daraus ziehe.

Ausgangspunkt ist die Vorlesung, die in aller Regel in einem Monolog besteht, den man heute mit Folien begleitet, die allerdings nicht wenigen Studierende inzwischen auch schon zum Hals raushängen (was ich verstehen kann). Die erste Grundsatzfrage ist nun die, ob wir diese Veranstaltungsform überhaupt noch wollen oder ob wir sie mangels deutlich erkennbarer Wirkungen nicht ganz einstellen sollten. Wenn ich mir die Modulhandbücher von neuen BA- und MA-Studiengängen ansehe und an den Zustrom der Studierenden in den kommenden Jahren denke, bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob wir uns diese Grundsatzfrage überhaupt noch stellen können, oder ob nicht die Realität ohnehin schon den Weg in Richtung „mehr Monologe“ geebnet hat – schlicht aus Ressourcengründen. Man kann diese Grundsatzfrage aber auch nutzen, um zu überlegen, unter welchen Bedingungen Zuhören doch einen Lerneffekt haben kann. Warum sollte ich nicht etwas lernen können, wenn mir jemand was erzählt, der mehr Wissen und Erfahrung hat? An sich ist das ein alltäglicher Vorgang – ich lerne von anderen, und zwar durchaus auch, wenn andere mir etwas erklären. An der Stelle kann man sich fragen, ob das Zuhören denn einen Vorteil gegenüber dem Lesen hat: Warum nicht gleich ein gutes Lehrbuch statt einer Vorlesung? Nun ja, oft genug ist es ja so, also dass Studierende, falls es passend zur Vorlesung ein Lehrbuch gibt, dieses vorziehen. Von daher gilt für mich: Wenn es einen guten Studientext, ein Lehrbuch oder ähnliches gibt, dann ist es wohl wenig sinnvoll, das Ganze nochmal „vorzulesen“. Und wenn das nicht gibt? Ja, wenn es das nicht gibt, wenn man statt dessen z.B. eine Sammlung verschiedener Texte aus verschiedenen Quellen hat (also das, was man gemeinhin einen „Reader“ nennt), dann kann es natürlich wieder extrem nützlich sein, wenn ein Lehrender mit dem, was er erzählt, die Lernenden durch diese Inhalte führt, ihnen Orientierung gibt in der Fülle an verfügbaren Informationen, die ein Reader und natürlich überhaupt Bibliotheken und digitale Ressourcen zu einem Themengebiet hergeben. Dann kann ein Vortrag quasi navigieren und der Lernende nutzt dann die Texte, um das Gehörte zu elaborieren. Hier nun stellt sich die Frage, wie man das macht, damit auch zugehört wird. Die meisten Kommentatoren waren sich einig, dass ein 90-minütiges aufmerksames Lauschen mehr als unwahrscheinlich sein dürfte. Ob es nun unbedingt die 15 bis 20 Minuten Podcast-Länge sein muss, oder ob auch 30 oder 40 Minuten möglich sind, wenn es sich um ein LERNangebot handelt, sei mal dahingestellt. Ich denke, das müsste man ausprobieren. Wenn man das ausprobiert, ja, dann kostet das eine ganze Menge Zeit und dann kann man sich als Lehrender NICHT auch gleichzeitig noch in den Hörsaal stellen und dasselbe nochmal in 90 Minuten erzählen. Es würde wohl ohnehin kaum jemand kommen.

Eine weitere Frage ist die, ob man solche Audio-Angebote als Nutzer „bearbeiten“ können soll: also verschlagworten, Fragen stellen (und dann logischerweise auch Antworten bekommen), kommentieren, natürlich auch beliebig anhalten und zu bestimmten Stellen „springen“ usw. Das hört sich zunächst einmal sinnvoll an, denn ein aktiver Umgang mit den Inhalten ist selbstverständlich gegenüber der reinen Rezeption zu bevorzugen. Aber vielleicht ist es doch nicht so einfach? Meine Beobachtung ist, dass es offenbar gar nicht so selbstverständlich ist, zusammenhängende Argumente zu verstehen, richtiggehend „mitzudenken“ und für sich nachzuvollziehen, worum es geht und was wichtig ist etc. (das ist schlicht anstrengend!). Um das aber hinzubekommen, muss man mal an einem Stück zumindest eine Zeitlang zuhören. Springen kann ich ja nur zwischen „Informationshappen“, bei denen es egal ist, was jeweils vorher war und was nachher kam. Aber genau das ist bei komplexeren Gedankengängen ja durchaus nicht immer der Fall. Man müsste also schon sehr genau überlegen, wo man das will und wo es zielführend ist: Das Springen von einer Stelle zur nächsten. Ähnlich ist das mit dem Fragen und Kommentieren – mal unabhängig davon, dass man bei einem frei zugänglichen Angebot von keinem Lehrenden verlangen kann, dass er Fragen von einer nicht kalkulierbaren Menge an Zuhörern beantwortet. Da bleibe ich bei der Position, die ich bereits in einem der Kommentare versucht habe deutlich zu machen: Man muss da verschiedene Strategien, von mir aus auch „Kanäle“ haben: offene Kanäle, auf denen man nur distribuiert, und geschlossene Kanäle, auf denen man mit einer begrenzten Anzahl an Personen auch kommuniziert. Dieser begrenzte Anzahl an Personen kann ich als Lehrende dann auch geeignete Anlässe bieten, um zu kommentieren, zu verschlagworten oder zu Inhalte zu erweitern – denn dass das komplett selbstorganisiert von vielen ohnehin gemacht wird – na, mal ehrlich: Wir wissen, dass das NICHT der Fall ist.

Die letzte Gruppe an offenen Fragen und Argumenten betrifft dann letztlich den Anbieter, von dem wir hier ausgegangen sind: iTunes U ja oder nein? Nutzt man den „Ort“, wo sich junge Menschen ohnehin tummeln, oder verweigert man sich, ein Unternehmen bei seiner Marketingstrategie zu unterstützen? Ja, das ist natürlich auch eine Grundsatzfrage (ähnlich wie bei Google-Angeboten) und für beide Seien gibt es gute Argumente. Im Moment würde ICH das eher pragmatisch sehen und sagen: Ja, klar, lasst es uns nutzen. Aber ich sehe schon auch, dass man wachsam sein und genau verfolgen muss, wie sich das entwickelt und an welcher Stelle negative Effekte auftreten könnten.

Sorry, es ist ein bisschen lang geworden – aber es geht halt nicht alls in Info-Happen 😉

WissensWert Blog Carnival Nr. 1: Träume und Traumata

Ob ich die Idee des „Blog Carnivals“ kenne, hat mich Andrea Back vor kurzem per Mail gefragt. Oh je, nein, klingt nach Fasching, mag ich gar nicht, kommt gleich hinter Silvester, mag ich auch nicht. Hier erklärt Andrea, was dahinter steckt, wobei die (Wikipedia-)Erklärung die nett gemeinte (bei mir eher negative Assoziationen auslösende) Metapher leider nicht so ganz rüberbringen kann. Aber egal. Besser verstanden habe ich das Thema bzw. die Fragen, die Andrea (und sicher auch viele andere) und Jochen Robes (die beiden Organisatoren) interessieren (siehe auch hier). Die übergeordnete Frage ist, was an den neuen Web 2.0-Anwendungen traumhaft und was traumatisch ist. Gerne will ich jetzt einfach mal versuchen, die darunter subsumierten Fragen wie in einem Interview zu beantworten:

Frage 1: „Kann ich mit Web-2.0-Tools effektiver mit Information und Wissen umgehen?“ Kann ich? Also in gewisser Weise ja: Ich kann Informationen durchaus rascher finden, ich bin über gute Blogs schneller und vorgefiltert informiert, und es ist eine unglaublich tolle Sache, dass ich viele Informationen inzwischen online finden kann, auch wenn man dabei natürlich an Grenzen stößt – vor allem dann, wenn man an wissenschaftlichen Erkenntnissen aus aktuellen Studien interessiert ist. Hier muss man aufpassen, dass man nicht zu träumen anfängt und sich der Illusion hingibt, man könne wirklich alles online finden, was gut und wichtig ist. Das ist mit Sicherheit falsch.

Frage 2: „Verbessern sich die Produktivität und Qualität der Arbeit?“ Na ja, meine Produktivität ist eher davon abhängig, ob ich motiviert bin, weil mal ein paar Dinge gelungen sind, man ein paar Studierende hat begeistern oder einige Doktoranden zum Abschluss hat bringen können etc. Misslungene Anträge, von denen ich ja auch schon mal berichte ;-), oder bürokratischer Wahnsinn führen wohl eher dazu, dass meine Produktivität mal eine kurze Zeit etwas eingeschränkt ist. DAS sind bei mir die Treiber oder Hemmnisse und nicht irgendwelche Tools. Ich glaube nicht, das ich früher (ohne Web 2.0) weniger geschafft habe. Man hat halt ANDERS gearbeitet. Ähnliches gilt für die Qualität: Ich denke, da sind personale Merkmale schon einflussreicher als technische Werkzeuge.

Frage 3: „Werden die Vorteile der neuen Arbeitsmittel durch negative Seiteneffekte überkompensiert?“ Also, ich habe jetzt die Frage ein paar Mal gelesen … hmm „überkompensiert“ – ich weiß nicht, ist das der richtige Begriff hier? Also, wenn jetzt gemeint ist, dass die neuen Werkzeuge möglicherweise mehr Trauma sind als Träume wahr werden lassen, dann würde ich ganz klar sagen „nein“! Ich fühle mich allerdings auch nicht unter Druck, alle Blogs, die ich in meiner Blogroll-Liste habe, immer zu lesen; ich nutze dazu z.B. Zeiten, in denen ich (siehe oben) eher unproduktiv, weil müde oder angenervt bin, um ein bisschen in der Blogosphäre zu stöbern, aber ich vermeide es, mich mit News unter Druck zu setzen. Dasselbe gilt für neue Anwendungen. Ich bin oft begeistert von neu aufkommenden Themen, Fragen rund um Wissen, Lernen, Medien sind mir wichtig, meistens macht es mir Spaß, mich damit zu beschäftigen, ich habe viel Respekt vor einer ganzen Reihe von Leuten auf unserem Gebiet, aber ganz sooo wichtig, dass man dadurch in die Stressfalle tappt, darf man all das wohl auch nicht nehmen. Entsprechend sollte die Welt (für mich) nicht untergehen, wenn ich mal was nicht mitbekomme.

Frage 4: „Wie verläuft der persönliche Lernprozess, sich diese Arbeitspraktiken anzueignen?“ Ich frage Frank oder meine netten wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiter/innen; ich schaue, wie es die anderen machen; ich lasse es sein, wenn ich es nicht gleich kapiere und mache dann lieber etwas später einen neuen Anlauf; ich achte darauf, dass neue Werkzeuge zu meinem Arbeitsstil passen (so weit käme es noch, das ich meinen Arbeitsstil an eine neue Mode oder ein neues Tool anpasse); ich ermahne mich, nicht zu faul zu sein und auch mal was Neues auszuprobieren (finde es dann aber doch meistens besser, wenn einige andere es vor mir ausprobieren 😉 )… ja, so in der Art ungefähr. Damit oute ich mich als Mitglied der „early majority“ und gebe offen zu, dass ich kein „early adopter“ bin – jedenfalls in technischen Fragen; anders dürfte es in pädagogisch-didaktischen Fragen sein … da scheue ich selten vor einem Experiment zurück  – außer es raubt mir allzu viel meiner Zeit.

Fazit: Traumatische Wirkung haben auf mich eher Ideologen aller Art; meine Träume enden hoffentlich nicht im Cyberspace und viele der neuen Web 2.0-Anwendungen sind einfach unglaublich praktisch und eine große Hilfe für Information und Kommunikation – und sie ermöglichen eine ganze Menge Lehr-Lernszenarien, die noch vor gar nicht so langer Zeit sehr, sehr mühsam und/oder viel zu teuer waren.

Und noch was: Es kann übrigens jeder mitmachen – bei einem solchen Blog Carnival – auch Faschingsmuffel.

Die Universität als Lernfabrik

Ist gerade ein Nachrichtenloch? An sich doch nicht: Israel führt Krieg, die Staatsverschuldung wächst, weil man den Banken helfen und die Konjunktur ankurbeln muss, und die ersten Grippefälle gibt es auch schon. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Presse dem Thema Lehre und Universität einiges an Platz widmet:

In der FAZ berichtet (hier) ein Theologieprofessor, warum er seinen Lehrstuhl räumt: Weil der Umwandlung der Universität in eine Lernfabrik nicht mehr ertragen kann (siehe hierzu auch Franks Beitrag). Ich kann den Mann verstehen, viele seiner Sätze kann ich unterstreichen (habe ja auch in diesem Blog schon öfter mal über die Bologna-Probleme berichtet). Gegenstand des Anstoßes ist allem voran die Lehre, die einem Kontroll- und Effizienzdiktat unterworfen wird, die den „Geist“ ersticke.

Auch die SZ beklagt heute (hier), dass es für Studierende nicht gerade einfacher wird, „selbst zu denken“. Nicht von ungefähr (Stichwort iTunes U) hat man die Vorlesung zum Gegenstand eines längeren Artikels gemacht, deren Virtualisierung nicht eben sehr positiv wegkommt.  Statt dessen wird die „persönliche Begegnung“ gefordert und gelobt, die – auch da kann man ja wirklich nur zustimmen – für Lernen und Studierende eben essenziell seien.

Ja …  schön, dass man sich in der Presse für Universität und Lehre interessiert, dass die Öffentlichkeit ein bisschen mehr davon erfährt, was an Universitäten geschieht.  Ich finde es auch gut, dass Professoren selbst zu Wort kommen, wie im Fall des oben genannten Theologieprofessors, denn diese Beiträge sind ohne Zweifel besonders gehaltvoll – das sollte öfter geschehen, dass man Betroffene (also auch die Studierenden) zu Wort kommen lässt! Denn diese Beiträge zeichnen ein viel besseres Bild von den Schwierigkeiten, die eine zeitgemäße Universitätsbildung mit sich bringt. So bleibt der SZ-Bericht in hohem Maße an der Oberfläche und jeder, der ein bisschen Ahnung von E-Learning hat, wundert sich, warum man immer und immer wieder dieselben Vorurteile und falschen Erwartungen wie auch kulturpessimistischen Befürchtungen von Neuem aufwärmt. Der FAZ-Bericht dagegen macht das Dilemma, in der sich z.B. Professoren in letzter Zeit oft befinden, viel besser deutlich. Dem sollte man jetzt noch eine Darstellung aus Studierendensicht gegenüberstellen.