Bildungspsychologie

Im Heft 4 der Psychologischen Rundschau aus dem vergangenen Jahr (2005) findet sich ein Vorschlag zur Konzeptionierung einer eigenen Bildungspsychologie von Christiane Spiel und Ralph Reimann. Sieben kurze Kommentare setzen sich (im selben Heft) teils stark befürwortend, teils zurückhaltend, teils skeptisch mit diesem Vorschlag auseinander. Leider ist das nicht online zu haben; da muss man sich in die Bibliothek begeben – wer Interesse hat, für den lohnt es sich aber.

Knapp zusammengefasst soll sich die Bildungspsychologie mit Bildungsprozessen (sowie mit den Bedingungen und Maßnahmen, die Bildungsprozesse beeinflussen können), beschäftigen. Der Bildungsbegriff selbst wird recht formal definiert. Die Bedingungen von und Maßnahmen für Bildung sind eher breit zu verstehen und werden aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet: Erstens sollen mehrere alterspezifische Bildungsphasen eines Individuums unterschieden werden (beginnend vom Kindergartenalter und Familienkontext über Kinder, Jugendliche und Erwachsene in Schule, Aus- und Weiterbildung bis zum hohen Alter). Zweitens sollen abgrenzbare Aufgabenbereiche unterschieden werden (Forschung, Beratung, Prävention, Intervention, Controlling). Drittens soll zwischen verschiedenen Abstraktions- und Handlungsebenen unterschieden werden (Mikro-, Meso-, Makroebene).

Meine Meinung? Grundsätzlich gut finde ich, dass sich die Psychologie mit Fragen der Bildung beschäftigen will – auch wenn das natürlich die Pädagogische Psychologie ebenfalls (ansatzweise) tut. Da Bildung in unserer Gesellschaft immer wichtiger wird, kann es nicht schaden, dass sich neben den genuin pädagogischen Disziplinen und Fächern sowie der Pädagogischen Psychologie ein weiterer Zweig auftut, der eventuell andere Akzente setzt und traditionelle Bereiche auf diese Weise ergänzt. Skeptisch bin ich, wie die seit je her am naturwissenschaftlichen Ideal ausgerichtete Psychologie den Spagat zwischen ihrem doch eher engen Wissenschaftsbegriff und Wertefragen hinbekommen wird, die sich aus der Beschäftigung mit Bildung aus meiner Sicht zwangsläufig ergeben.

Nun ist ein Lehrbuch zur Bildungspsychologie geplant; es richtet sich an Lehrende und Studierende der Psychologie und verwandter Studienrichtungen, an Lehramtsstudierende aller Richtungen sowie an interessierte Personen, die in Bildungseinrichtungen arbeiten oder sich allgemein mit psychologischen Aspekten des Bildungsgeschehens auseinandersetzen wollen. Ich bin um einen Beitrag gebeten worden: Ich werde mich gerne beteiligen – schon allein, weil ich neugierig bin, ob und inwieweit dieser Vorstoß sozusagen „das Geschäft“ in den „Bildungswissenschaften“ im weitesten Sinne belebt, also in allen Disziplinen und Fachrichtungen, die sich mit Aspekten der Bildung beschäftigen.

Universitäre Lehre ohne Wandel?

Eigentlich sollte es ein Vortrag werden auf einem gemeinsamen Symposium der ETH und UNIVERSITÄT Zürich (Universitäre Lehre im Wandel III) am 17. März 2006. Da ich dummerweise meine Vorträge immer sehr sorgfältig und von daher auch zeitlich gesehen früh vorbereite, hat mich die Absage des Symposium zwei Wochen vorher schon überrascht. Zu wenige Anmeldungen – na ja, universitäre Lehre ist in Zeiten der Drittmitteleinwerbung (ich gehe mal davon aus, dass es in der Schweiz auch nicht anders ist) einfach nicht sonderlich populär.

An unserer Universität (Augsburg) ist es ja nicht anders – eher noch schlimmer: Da wird zunehmend sogar ein ganz bestimmter Typus von Forschung zum heiligen Gral gemacht – die DFG-Forschung. Was das genau ist? Nun ja, das kommt natürlich auf den Fachbereich und die Gutachter an; in der Psychologie und damit auch in der Pädagogischen Psychologie ist es bevorzugt eine experimentelle Forschung. Dass das gelinde gesagt eine etwas einseitige Ausrichtung für ein angewandtes Fach ist, wird jeder bestätigen, der mit seiner Forschung auf pädagogisch relevanten Gebieten neben wissenschaftlichen Erkenntnissen in der Praxis auch etwas verändern will. Immerhin machen Buch- und Artikelankündigungen mit Titeln wie „Anwendungsorientierte Grundlagenforschung“ (z.B. von Rainer Bromme) ein wenig Hoffnung, wobei mir nicht klar ist, warum man sich so sehr an das Wörtchen „Grundlagen“ klammert und die Forschung als Begriff nicht ausreichen soll.

Die Schwierigkeiten, die sich durch eine einseitige, nach naturwissenschaftlichem Vorbild gestaltete Forschung für ein Fach wie die Pädagogik ergeben, beschreibt sehr schön und anregend Joachim Kahlert in der Zeitschrift für Pädagogik (51. Jahrgang 2005, Heft 6) unter dem Titel „Zwischen den Stühlen zweier Referenzsysteme“. Ein lesenswerter wichtiger Artikel. Vor gut einem Jahr habe ich in der Unterrichtswissenschaft in eine ähnliche Richtung argumentiert (Reinmann, G. (2005). Innovation ohne Forschung? Ein Plädoyer für den Design-Based Research-Ansatz in der Lehr-Lernforschung. Unterrichtswissenschaft, 1, 52-69), aber Joachim Kahlert hat eindeutig die schöneren Beispiele.

Doch wir waren ja bei der universitären Lehre, deren Wandel im Moment an sehr, sehr vielen Universitäten halt einfach nicht so aktuell und dringlich zu sein scheint. Also, damit die ganze Arbeit für diesen Vortrag nicht ganz umsonst war, habe ich daraus einen Arbeitsbericht gemacht (Arbeitsbericht_11.pdf). Vielleicht finden sich ja ein paar interessierte Leser. Allerdings habe ich den Titel geändert: Für Zürich gab es einen Kompromiss: Statt (wie es jetzt auch wieder heißt) „Story. Game und Scripting: Analoge und direkte Impulse für die Hochschullehre“ hatten wir uns auf „Jenseits der Langeweile: Neue Konzepte für eine zeitgemäße Didaktik“ geeinigt. Die potentiellen Zuhörer sollten mit Begriffen wie „Story“ und „Game“ nicht gleich verschreckt werden. Aber ob beim jetzigen Titel vielleicht nicht doch mehr Anmeldungen gekommen wären? 😉

Die Schwierigkeit der Lehrevaluation

Wir haben dieses Jahr eine kurze Evaluation in StudIP in allen unserer Veranstaltungen gemacht (siehe Weblog-Eintrag). Nun haben wir die Ergebnisse. Vorweg: Die Beteiligung war mäßig, in manchen Veranstaltungen aber durchaus okay. Auch die Ergebnisse waren aus meiner Sicht völlig in Ordnung angesichts der Tatsache, dass es wohl eine Illusion ist, dass man Veranstaltungen machen kann, die allen Studierenden mit ihren unterschiedlichen Interessen, Vorlieben und Erfahrungen gerecht werden können. Also: Was jetzt kommt, ist in gewissem Sinne „Kritik auf hohem Niveau“. Aber wenn man das mal alles außen vor lässt, dann haben mich einige Ergebnisse doch nachdenklich gemacht (auch wenn es nur Tendenzen sind, denn wir haben keine ordentliche statistische Auswertung gemacht, sondern nur mal die Häufigkeitsverteilungen angeschaut).

Also: Interessant ist, dass die Veranstaltungen, in denen besonders viele Studierende sagen, sie waren insgesamt sehr zufrieden und würden Dozent und Veranstaltung weiterempfehlen, nicht diejenigen sind, bei denen auch der persönliche Lernerfolg am höchsten eingeschätzt wird. Das heißt: Es gibt Veranstaltungen, da meinen die Studierenden zwar, sie hätten viel gelernt, trotzdem äußern sie sich unzufriedener als mit Veranstaltungen, in denen sie ihren Lernerfolg als nicht sonderlich hoch einschätzen. Ich denke, das wäre ein Fall für die explorative Datenanalyse; werde unserem Experten in Sachen explorativer Datenanalyse – Ulrich Fahrner – den Datensatz mal geben.

Aber gehen wir jetzt einfach mal davon aus, dass es so ist, wie ich es beschrieben habe. Dann stellt sich natürlich die Frage: Woran liegt das? Da habe ich natürlich ein paar Annahmen:

  • Also einmal gibt es sicher Studierende, die es schlichtweg nervt, wenn viel oder auch nur Ungewohntes verlangt wird. Und wenn man verärgert ist, äußert man sich logischerweise unzufrieden. Bei offiziellen Lehrevaluationen ist das natürlich eine nicht unerhebliche Gefahr: Dozenten, die sich bemühen und einen hohen Standard setzen wollen, oder auch Dozenten, die Neues ausprobieren und sich dabei in der Regel mehr engagieren als solche, die jedes Jahr dasselbe Programm abspulen, können regelrecht „angestraft“ werden. Wenn wir – wann wohl? – mal Zustände haben, dass der Studierende nur noch als zahlender Kunde betrachtet wird, kann es durchaus zu solchen Szenarien (der Dozent verlangt zu viel und macht nicht, was ich mir vorstelle, also erteile ich ihm schlechte Noten) kommen – meine ich. Und das hört sich für mich eher gruselig an.
  • Aber unterstellen wir das mal nicht. Dann gibt es einen weiteren möglichen Grund, warum erlebter Lernerfolg und das Gefühl der Zufriedenheit nicht oder weniger zusammenhängen als erwartet: Ich meine ja, dass negative Gefühle nicht zwangsläufig schlecht für das Lernen sein müssen (siehe Arbeitsbericht 1). Ärger, Anspannung, vielleicht auch mal Wut u. ä. sind für das Lernen möglicherweise besser als Gleichgültigkeit oder das Gefühl der Langeweile (wobei Angst und Misstrauen sicher nicht zu dieser Form von „Eu-Stress“ zählen). Das Problem dabei: Man müsste als Lernender mit solchen, vielleicht nützlichen, negativen Emotionen umgehen können, man müsste sie „richtig“ attribuieren etc. Vielleicht hilft es ja schon, wenn man eine Evaluation nicht unmittelbar am Semesterende, sondern erst zu Beginn des nächsten Semesters durchführt. Im Bereich des E-Learning experimentieren wir in diesem Zusammenhang mit einem Online-Barometer. Dazu aber an anderer Stelle später mal mehr. Jedenfalls:Wenn das zu den Problemen gehört, dann weiß ich im Moment auch noch keine sinnvolle Lösung.

Ja, und was mir sonst noch durch den Kopf geht, wenn ich mir unsere Ergebnisse ansehe: Interesse – und da gibt es ja genug Studien und Literatur dazu – ist halt ein wesentlicher Faktor für erfolgreiche Lernergebnisse und wohl auch Lernerlebnisse. Didaktische Maßnahmen können sehr wohl einige Interessensdefizite kompensieren – immerhin sind unsere Studierenden dafür, dass sie sich zu einem sehr großen Teil leider überhaupt nicht für pädagogische Fragen interessieren – recht zufrieden mit unseren Veranstaltungen. Aber das hat freilich seine Grenzen: Ich fürchte, als Lehrende verschleißt man sich, wenn man ständig für das Interesse (der anderen) am eigenen Fach kämpfen, wenn man regelrecht Marketing betreiben oder sich beständig verbiegen muss. Vielleicht ist das einer der Hauptgründe für das Burnout bei Lehrern an der Schule: Diese haben ja ständig genau das Problem, denn Kinder und Jugendliche interessieren sich nun mal eher selten für das, was im Lehrplan steht. An der Hochschule – sollte man meinen – müsste das anders sein. Ich freue ich auf Zeiten, in denen es anders wird!

Individuelles Wissensmanagement – eine größere Aufgabe

Heute morgen (recht früh) bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass es keine Neuauflage des Buches „Individuelles Wissensmanagement“ geben wird – trotz aller Planungen und trotz der Tatsache, dass ca. zwei Drittel des Buches (fast jedenfalls) in einer Rohfassung fertig sind. Zum einen ist der Zeitplan (Ende März) nicht zu halten, zum anderen muss schlichtweg ein neues Buch geschrieben werden.

Wie ich darauf komme? Nun, im Zuge des Versuchs, verschiedene vor allem kognitive Strategien sowie (technische und nicht-technische) Tools verschiedenen individuellen Wissensmanagement-Zielen oder -Aufgaben zuzuordnen, kommen mir immer mehr Zweifel an der „Richtigkeit“ bzw. Nützlichkeit meiner bisherigen Kategorien der Repräsentation, Nutzung, Kommunikation und Generierung von Wissen (siehe z.B. Arbeitsbericht 5. Im Prinzip stecke ich im Moment in einem Kategorisierungsproblem, mit dem sich z.B. auch Peter Baumgartner derzeit im Rahmen seines neuen (gerade entstehenden) Buches herumschlägt – nur dort geht es um die Kategorisierung von didaktischen Interaktionen und Szenarien.

Woran ich auf jeden Fall festhalten will, ist das strukturgenetische Wissensverständnis: Die Unterteilung in personales Wissen (mit verschiedenen unterschiedlich bewusst zugänglichen Komponenten) und öffentliches Wissen (im Sinne von Information und Daten) erscheint mir nach wie voll sinnvoll und zeigt, dass man im Umgang mit Wissen stets entweder einer Objektivierungsproblem hat (wie veräußere ich mein Wissen, wie mache ich es andere zugänglich, wie kann es mir selbst für später zugänglich erhalten?) oder ein Subjektivierungsproblem (wie mache ich mir Information oder auch das Wissen andere zu eigen bzw. zu nutze?). Zudem ist mir aufgefallen, dass die Idee, das individuelle Wissensmanagement analog zum Prozess des Problemlösens aufzuziehen, nur eine Seite der Medaille ist: Es ist eine defizitorientierte Sichtweise („ich habe jetzt ein Wissensproblem und möchte es lösen“). Es gibt aber auch eine potenzialorientierte Sichtweise, die man aus der Sicht der Problemlösepsychologie allenfalls mit künftigen Problemen in Verbindung bringen könnte. Noch mehr aber denke ich bei „Potenzialorientierung“ an Bildung – und was Wissensmanagement mit Bildung zu tun haben könnte, auch darüber habe ich mir ja schon mal Gedanken gemacht (Artikel).

Leider habe ich im Moment viele Baustellen, sodass ich in den nächste Tagen das Ganze nicht zu Ende denken kann. Es wird noch dauern, aber ich bin froh um die Entscheidung, eine Neuauflage sein zu lassen, und werde mich bemühen, ein neues Buch auf die Beine zu stellen, das praktischen und theoretischen Ansprüchen genügen kann.

Semesterende

Letzten Freitag war es geschafft: Das Wintersemester 2005/06 ist zu Ende, und das heißt: die Lehrveranstaltungen sind zu Ende. Studierenden haben da ja manchmal falsche Vorstellungen – nach dem Motto: Jetzt müssen die Dozenten nichts oder nicht viel machen. Das ist freilich aus zwei Gründen falsch: zum einen beginnt das große Korrigieren von Abschlussarbeiten und Hausarbeiten u. ä.; zum anderen beginnt man mit den Vorbereitungen für das nächste Semester; und schließlich macht man sich ans Abarbeiten all der vielen liegen gebliebenen Dinge – angefangen bei Vorträgen und Artikeln über Projekte und Entwicklungsarbeiten.

In der Lehre haben wir diesmal bei allen unseren Veranstaltungen über StudIP eine knappe Online-Evaluation durchgeführt bzw. führen sie gerade durch (läuft noch bis Freitag). Es handelt sich um eine kurze Sache, die lediglich grundlegende Dinge klären und ein globales Zufriedenheitsmaß liefern soll. Dafür aber wollen wir es standardmäßig bei allen Veranstaltungen künftig immer machen. Die nächste Version von StudIP verspricht eine grafische Auswertung – das wäre natürlich komfortabel. Leider hält sich die Rückmeldequote der Studierenden bis dato in Grenzen. Das ist schade – und macht mich aggressiv, wenn es dann aber Klagen hinter meinem Rücken gibt.

Bin ich zufrieden mit dem Semester und der gelaufenen Lehre? Habe ich etwas dazugelernt? Ich bin soweit zufrieden – sagen wir mal: Es ist okay gelaufen. Dazugelernt habe ich wieder mal eine Menge sowohl was Details in einzelnen Veranstaltungen betrifft (die ich konkret umsetzen kann) als auch was grundsätzliche Dinge angeht. Zum Grundsätzlichen: Ich schaffe es nach wie vor nur begrenzt, Studierende zum aktiven Mitdenken anzuregen,; ich stelle immer wieder fest, dass entweder meine Erwartungen zu hoch sind oder die Studierenden mit so vielen Fächern, wie in unserem MuK-Studiengang, einfach überfordert sind – oder beides. Auf jeden Fall nehme ich neue Gedanken und Ideen mit ins nächste Semester.