Kausalität in Bewegung

Kann man in der Bildungsforschung kausal argumentieren? Wenn ja: Was genau ist das für eine Kausalität, die sich für Forschung im Kontext Bildung heranziehen lässt? Arthur Bakker und Co-Autoren haben sich in einem Beitrag mit dem Titel „Causal reasoning about education. What is it and what should it be?“ mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Zwar beziehen sich die Autoren stellenweise auf Schule, aber ich denke, das, was da diskutiert wird, lässt sich auch auf Hochschulbildung und Hochschulbildungsforschung anwenden. Eine Preprint-Fassung des Textes, der in einem Handbuch erscheinen wird (The Routledge Handbook of Causality and Causal Methods) ist online hier verfügbar.

Im Kern machen sich die Autoren dafür stark, in der Bildungsforschung eine „intentionale Auffassung“ von Kausalität gegenüber einer solchen zu bevorzugen, wie sie in den Naturwissenschaften Anwendung findet; ausgenommen seien etwa Fragen, die sich auf biologische Grundlagen des Lernens (zum Beispiel im Zusammenhang mit Beeinträchtigungen) beziehen. Als zentrales Argument für dieses Votum wird angeführt, dass „education“ (ich würde das jetzt mal mit „Erziehung und Bildung“ übersetzen) ein offenes, bedeutungsgenerierendes und rekursives System ist, das sich einer kausalen Logik nach naturwissenschaftlichem Vorbild widersetzt, ja widersetzen muss. Daraus wiederum folgt: Was Bildungsforschung zu erfassen und zu verstehen versucht, sei stets in Bewegung und wird bewegt – und zwar von Menschen, die verschiedene Standpunkte haben (weil sie sich in ihrem Weltausschnitt jeweils unterschiedlich positionieren), verschiedene Ziele und Zwecke verfolgen und unterschiedliche Potenziale für die Zukunft haben. Im Englischen bringen Bakker et al. das auf die kompakte Formel: „meaningful movement in motion“ und „position, purpose, and potential“.

Und trotzdem, so das Autorenteam, habe sich eine Bildungsforschung, die nach naturwissenschaftlichem Muster mit einem „natürlichen“ Kausalitätsbegriff arbeitet, an die Spitze gesetzt, was wissenschaftliche Reputation, finanzielle Förderung und Publikationserfolg betrifft. Bildungsforscher, die das anders sehen, wenden sich vom Kausalitätsbegriff tendenziell ab. Bakker et al. ermutigen dazu, das Verständnis dessen, was kausales Argumentieren ist, zu erweitern, also quasi auch in Bewegung zu bringen: hin zu einer intentionalen Auffassung von Kausalität, die dem oben genannten Verständnis von Erziehung/Bildung eher gerecht werden kann.

An mehreren Stellen beziehen sich die Autoren unter anderem auf Biestas Buch „Educational Research. An unorthodox introduction“, das ich ebenfalls für sehr lesenswert halte. Ich habe darin selbst einige wertvolle Impulse auch für Hochschulbildungsforschung gefunden; der dazugehörige Blogbeitrag (hier) ist schon ein paar Jahre alt.

Ich kann die Lektüre des Textes von Bakker et al. empfehlen – auch mit Blick auf die Hochschulbildungsforschung, obschon diese nicht explizit erwähnt wird. Etwas vermisst habe ich, dass Design-Based Research als ein methodologisches Instrumentarium im Zusammenhang mit einer intentionalen Auffassung von Kausalität keine Erwähnung findet, zumal da Bakker ja auch hierzu publiziert hat – gepasst hätte es allemal. 🙂

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