Gestern hatten wir Markus Deimann zu Gast im HUL-Forschungskolloquium – gewissermaßen im „flipped“-Modus, denn statt eines Vortrags gab es vorab einen Link zum videografierten Referat oder Text (siehe hier). Das Thema war groß und umfassend: Digitalität – Bildung – Hochschule, so könnte man es umreißen (siehe dazu auch hier und hier). Die – mit Markus – insgesamt elf Teilnehmenden hatten verschiedene disziplinäre und berufliche Hintergründe ebenso wie unterschiedliche Fragen und Erwartungen an den wissenschaftlichen Diskurs mitgebracht. Da wir vereinbart haben, dass sich mehrere aus der Gruppe zum Kolloquium noch via Blogs äußern werden oder dort kommentieren, beschränke ich mich tatsächlich auf die Inhalte und Impulse, die für mich persönlich besonders wichtig waren.
Eine Frage war unter anderem die, wie man mit dem folgenden Spannungsverhältnis umgeht: Einerseits hat die digitale Bewegung (technisch, sozial, kulturell) ein großes Bildungspotenzial – man könnte auch sagen: emanzipatorisches Potenzial, Potenzial für Selbstbestimmung wie auch Mitbestimmung. Gut, das ist eine These, die kann man auch bestreiten; aber es gibt durchaus gute Gründe für sie: Man denke nur an die Artikulations-, Publikations-, Vernetzungs- und Kollaborationsmöglichkeiten in digitalen Räumen, an die letztlich zahlreichen Möglichkeiten, über das Digitale den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Andererseits zeigt sich die digitale Bewegung gleichzeitig als immenser Transformationsprozess, auf den Einfluss nehmen zu wollen, sogleich Beklemmungen auslöst, weil es sich da um (wirtschaftliche, technische, politische) Dimensionen handelt, welche die Möglichkeiten des Einzelnen übersteigen. Zum Bildungspotenzial kommtalso ein Bedrohungspotenzial und die Zahl derer dürfte steigen, die sich darum sorgen, wie viel und welche Kontrolle sie noch über ihre Daten, ihre Gewohnheiten, ihre Ziele etc. haben.
Ich denke oft über genau diese Ambivalenz des Digitalen nach. Nun könnte man zwar sagen, dass das letztlich gar nichts Besonderes für das Digitale ist: Auch Bücher und Filme z.B. können herausragende Erkenntnisse und Weisheiten verbreiten ebenso wie den schlimmsten Schrott, können zur Bildung ebenso wie zur Manipulation eingesetzt werden usw. Aber Digitalisierung (vielleicht auch Algorithmisierung) als ein sogenannter Megatrend scheint doch eigene Qualitäten mit sich zu bringen, welche die (im Prinzip vielleicht gar nicht neue) Ambivalenz von – mal plakativ ausgedrückt – Befreiung und Fremdkontrolle besonders deutlich und einen gleichzeitig besonders ratlos macht.
Wir haben darüber gesprochen, was die Konsequenz daraus für Universitäten ist – und waren uns weitgehend einig, dass sie nicht dergestalt sein kann, die Digitalisierung als Phänomen zu ignorieren, zu umgehen oder gar zu bekämpfen. Vielmehr fiel oft der Begriff des Gestaltens: Gestalten aber kann man nur, was man (zumindest ansatzweise) kennt, was man ausprobiert, womit man experimentiert. Und damit ist unumgänglich, dass das Digitale Eingang in die Lehre findet – nicht nur als Infrastruktur zur Erleichterung von (Routine-)Prozessen, sondern als Denk- und Handwerkszeug für eigene konstruktiv-kreative Leistungen, dafür, Erfahrungen sammeln und diese dann auch (für sich selbst und im Dialog) reflektieren zu können. Heutige IT-Landschaften an Universitäten laden dazu freilich genau nicht ein.
Einen zweiten Punkt aus der Diskussion möchte ich noch erwähnen – und auch der ist am Ende ambivalent: Indem die Digitalisierung eine globale und alles infiltrierende Bewegung ist, können wir sie niemals aus der Perspektive nur einer Disziplin begreifen – auch nicht mit Blick auf die Frage, welche Rolle sie in der Hochschulbildung und Hochschuldidaktik spielen kann und soll. Aus wissenschaftlicher Sicht brauchen wir also einen multidisziplinären Zugang, brauchen interdisziplinäre Annäherung – und da geht es dann schon gleich wieder los: Welchen Bildungsbegriff legt man zugrunde? Müssen wir uns auf eine „Bildungstheorie“ einigen (brauchen wir überhaupt eine)? Wie einigt man sich auf ein „Forschungsparadigma“ oder sind mehrere Zugänge gleichzeitig denkbar und ab wann wird es „unwissenschaftlich“? Was macht man mit den verschiedenen Auffassungen von Forschung und Theorie in den Disziplinen, die doch nun eigentlich eng zusammenarbeiten müssten, um die Digitalisierung nicht nur besser verstehen, sondern auch besser (mit)gestalten zu können?
Nein, wir haben keine Antworten in den drei Stunden gefunden, die nach Lösungen aussehen. Wir haben auch nicht schon wieder die nächste Tagung dazu geplant, um weiterzukommen – ich denke, an Veranstaltungen und Publikationen mangelt es im Moment auch nicht. Eher mangelt es an Zeit zum vertieften Nachdenken versus wilden Agieren und an gedanklich gut vorbereiteter Theorie, Empirie und Konzeption versus gedankenlosen Hochglanz-Broschüren zur Digitalisierung.
Liebe Gabi,
hier mein Beitrag zum Kolloquium:
https://markusmind.wordpress.com/2017/10/29/zu-gast-beim-hul-forschungskolloquium/
Viele Grüße,
Markus
Beim Kolloquium war ich nicht dabei, aber hatte mir
zum Vortrag von Markus bereits Gedanken und Notizen gemacht.
Liebe Gabi,
ich hatte ebenfalls einen Beitrag zum Kolloquium versprochen und nun hier ein paar Gedanken festgehalten:
https://www.tobias-schmohl.de/2017/10/30/digitale-hochschulbildung-warum-wir-hier-nicht-weiterkommen/
Viele Grüße
Tobias