Gabi Reinmann

Hochschuldidaktik

Schreibkompetenz oder lieber weiter im Nichtangriffspakt?

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Forschungsnahes Lehren und Lernen gehört derzeit zu den wichtigsten Themen meiner Arbeit. Unser BMBF-Projekt FideS (Forschungsorientierung in der Studieneingangsphase) ist kürzlich angelaufen (dazu bald mal mehr); das Thema Prüfungen habe ich unter dieses Dach gestellt (siehe z.B. hier) und ich hoffe, dass ich bald einen Publikationsort für einen übergreifenden Text zur „Bildung durch Wissenschaft“ finden werde, in dem ich die Hochschuldidaktik eng mit dem Anspruch verbinde, Lehren, Lernen und Forschen aufeinander zu beziehen.

Letzteres halte ich allerdings nur für möglich, wenn man nicht ausschließlich das forschende Lernen im engeren Sinne im Blick hat: Hier führen Studierende eigene Forschungen durch – und das möglichst so, dass der ganze Zyklus eines Forschungsprojekts durchlaufen wird. Andere Gruppen forschungsnaher Lernformen habe ich in den letzten Texten als „Forschen verstehen lernen“ und „Forschen üben“ bezeichnet. Unter „Forschen üben“ fallen nicht nur Methodenübungen, sondern auch das Einüben wissenschaftlichen Schreibens. Und genau dazu gibt es von Stefan Kühl einen aus meiner Sicht sehr interessanten Text zur „publikationsorientierten Vermittlung von Schreibkompetenzen“ – dankenswerter Weise online verfügbar hier.

Stefan Kühl beschreibt in diesem Beitrag ein allmählich aus praktischer Erfahrung entstandenes Konzept zur Förderung von Schreibfähigkeiten, das sich am wissenschaftlichen Veröffentlichungsprozess orientiert. Die wissenschaftliche Veröffentlichung – eine wichtige Phase im Prozess des Forschens – ist allerdings nicht das Ziel, sondern das Mittel, um das studentische Schreiben zu verbessern. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass zahlreiche typische Prüfungsleistungen schriftlicher Art, wie sie etwa in sozialwissenschaftlichen Studiengängen gefordert werden, eine analoge Struktur zu Textformen haben, die im Wissenschaftsbetrieb gängig sind: Hausarbeiten sind analog zu Fachartikeln, Zusammenfassungen analog zu Rezensionen, Abschlussarbeiten analog zu Büchern, Exposés analog zu Projektanträgen, Essays analog zu Artikeln in den Massenmedien. Nutzt man diese analogen Strukturen, dann lassen sich (so umschreibe ich das jetzt) geradezu authentische Lernkontexte herstellen – jedenfalls authentisch in Bezug zur Wissenschaft (was man ja rechtfertigen kann, wenn man eine „Bildung durch Wissenschaft“ ernst nimmt). In seinem Text liefert Stefan Kühl Beispiele und geht zudem auf den Feedback-Prozess in diesem Konzept ein – ein genuiner Bestandteil wissenschaftlichen Publizierens, der nicht einmalig ist, sondern mehrfach stattfindet, oftmals zyklisch ist und auch daraus hinauslaufen kann, dass ein Text nicht zur Veröffentlichung zugelassen wird.

Stefan Kühl weiß um die Kritik, die man einem solchen Konzept entgegenbringt: unrealistisch (sind studentische Texte doch schon auf der Ebene der Rechtschreibung und Grammatik kaum zu lesen) – zu aufwändig (auf einen Prof kommen 100 Studierende) – von Studierenden gar nicht erwünscht (eher erwarten alle Beteiligten eine Art Nichtangriffspakt) – überfordernd (die Latte hängt dann viel zu hoch) – sinnlos angesichts der „Fachhochschulisierung“ und Verberuflichung (nur 5 bis 10 Prozent der Studierenden führen später eine wissenschaftliche Tätigkeit aus) usw.

Aus meiner Sicht kontert Stefan Kühl hier richtig, indem er klarstellt, dass es an Universitäten gar nicht das Ziel sein kann, genau diejenigen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln bzw. sich anzueignen, die man genau so in einem konkreten Berufskontext braucht. „Relevant ist vielmehr, dass man beim Schreiben von Rezensionen, Artikeln oder Essays Fähigkeiten erlernt, die in ganz unterschiedlichen Berufen erwartet werden: Das Schreiben einer Rezension zwingt einen, die Essenzen eines umfangreichen Textes zu erfassen und auf einer oder zwei Seiten zusammenzufassen und zu kritisieren. Das Anfertigen eines Artikels verlangt vom Autor, ein Problem allgemeinverständlich darzustellen und dieses dann in einer Abfolge von Schritten analytisch zu bearbeiten. Das Verfassen eines Essays befähigt den Autor, ein Thema mit in der Regel einem einzigen theoretischen Zugang prägnant und allgemeinverständlich darzustellen“ (S. 20).

Mein Fazit: Ein interessantes Konzept, das sich ähnlich wie Writer´s Workshops, mit denen ich selbst schon experimentiert habe (siehe hier), einem wichtigen Thema bzw. Kompetenzbereich in der Lehre widmet und sicher auch theoretisch noch genauer ausgearbeitet und eingeordnet werden sowie empirisch untersucht werden könnte. Solche Konzepte von Fachwissenschaftlern, die damit gemachte Erfahrungen und fachspezifischen Vorschläge sollten, so meine Einschätzung,  zwingend Eingang in die hochschuldidaktische Theoriebildung und Forschung finden.

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