„Begriffe sind im Wissenschaftssystem […] stets analytische Werkzeuge, die uns etwas darzustellen erlauben (Strukturen, Zusammenhänge), was ohne sie auf diese Weise unsichtbar wäre. Diese Begriffsarbeit trägt oft zur Unsicherheit und zur Frustration von Studierenden bei, da sie diese Arbeitsmittel fälschlicherweise als abgehobene Fremdbestimmungsinstrumente verstehen, ohne deren unerlässliche Bedeutung für alle Vorgänge zu verstehen, wo wir forschend in die Welt eingreifen. Die Frage dabei ist, wie diese (fach)wissenschaftliche bzw. disziplinäre Orientierung am besten zu fördern ist und wie viel an (und auch welche Art von) Vermittlung Studierende „vertragen“, um das Erkannte wieder der Korrektur durch die Wahrnehmung oder die Erfahrung auszusetzen. Weitergedacht geht es auch darum, zu bestimmen, welche Legitimität und Sinnhaftigkeit die klassische, methodisierte Form der Vorlesung innerhalb der Verbindung von Erkenntnis, Wahrnehmung und Erfahrung haben kann “ (Egger & Eugster, 2020, S. VI).
Dieser Abschnitt im Vorwort des Sammelbandes von Rudolf Egger und Balthasar Eugster fasst aus meiner Sicht gut die Intention des von ihnen herausgegebenen Buches „Lob der Vorlesung. Vorschläge zur Verständigung über Form, Funktion und Ziele universitärer Lehre“ mit insgesamt elf Beiträgen zusammen. Diese „[…] sollen – in einer dezidierten Gegenbewegung zu technokratischen, aktivistischen und postulatorischen Ansätzen – versuchen, die Spannungsverhältnisse aufzugreifen, zu untersuchen und begrifflich wie empirisch gehaltvoll auszuleuchten, die sich zwischen den Ansprüchen der Vorlesung als didaktischem Format und den Antworten der lernenden und lehrenden Subjekte, der Beharrlichkeit der universitären Struktur und den prinzipiellen Aktivitätsmodi der Medien ergeben“ (Egger & Eugster, 2020, S. VIII).
Die Fertigstellung des Bandes hatte ein Weilchen gedauert. Und so halten die Herausgeber am Ende ihres Vorworts fest: Die Texte sind alle „[…[ vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie entstanden und konnten die Dynamiken rund um das Lehren und Lernen im Jahre 2020 in keiner Weise erahnen oder vorwegnehmen. Es scheint aber, dass ihre Aktualität und ihr Gehalt für den neu zu sortierenden Diskurs über die Zukunft der Vorlesung nicht zuletzt darin bestehen könnten, manchen viralen Aufschreckungen unaufgeregt den Spiegel vorzuhalten und auf das zu verweisen, was der Vorlesung noch immer zugetraut werden darf (Egger & Eugster, 2020, S. X). An anderer Stelle (hier) hatte ich im Rahmen des Programms „Wissenschaftsdidaktik im Gespräch“ die Erfahrung gemacht, dass nicht wenige der Teilnehmenden wider Erwartungen gerade den aktuellen Verlust der Präsenz-Vorlesung beklagt haben.
Mein eigener Beitrag, den ich für das Buch beigesteuert habe (er weist einige Prallelen auf zum Text von Renkl et al. im gleichen Band), basiert im Kern auf meinem Vortrag zum Thema Vorlesung, den man hier nachhören kann.
Der folgende Abschnitt aus dem, den Band abschließenden, Text von Egger mit dem Titel „A problem raising device. Was Lehrende bei einem Verzicht auf Vorlesungen verlieren würden“ gefällt mir sehr gut, weil er auf den Punkt bringt, was mir selbst ebenfalls seit langem sehr am Herzen liegt; aber nicht immer wird es gern gehört:
„Was ein Studium zu geben vermag, Wissen und/oder Bildung, Gewissheit und/oder Neugierde, Methode und/oder Anschauung, wird mit jeder Lehrveranstaltung neu ausgehandelt. Wie wir diese universitäre Lehre dabei gestalten, ist höchst unterschiedlich. Wesentlich ist aber, dass der Zusammenhang der jeweiligen Studienrichtung und der in ihr betriebenen Forschung in der Lehre sichtbar wird. Es kommt demnach nicht auf „die“ Methode, auf ein möglichst lückenloses Selbstlernprogramm, auf Erlebniswelten, „minimally guided instructions“ oder die großflächigen Möglichkeiten der Digitalisierung an. Das Spannungsverhältnis zwischen „guidance“ und „discovery“, zwischen Konstruktion und Instruktion, „learning“ und „teaching“, kann nur dadurch fruchtbar gemacht werden, dass Lehrende und Lernende als forschungsbezogene interagierende Subjekte gesehen werden. Dabei kann jedes Lehrformat wertvoll sein. Manchmal liegt der Mehrwert der Lehrenden und Studierenden im Reden und Zuhören selbst, in der Gewissheit, jemandem beim Nachdenken zuhören zu können, sich dabei zu ertappen, das bereits Verfestigte mit neuen Bezügen und einer neuen Gegenwart zu versehen, die unsere bisherigen Erkenntnisse und Erwartungen übersteigen. Denn auch das ist Lehre, wenn wir eine Idee, Wissen und Erkenntnisse bewahren und erweitern, indem wir diese aus der ´Verpackung´ der Vermittlung herausnehmen und lebendig werden lassen. Will man die spezifischen Momente von Forschung und Wissenschaft erkenn- und lehrbar machen, sind viele Wege denk- und gangbar. Auch die Vorlesung spielt dabei (neben den vielen interaktionistischen und seminaristischen Veranstaltungen) eine bedeutende Rolle“ (Egger, 2020, S. 266).