Forschendes Lernen mit Vielen – unter diesem Motto stand unser gestriges Forschungskolloquium, das wir zusammen mit dem Team von Sandra Hofhues an der FernUniversität Hagen (online natürlich) veranstaltet haben. Wir waren fast 30 Personen (auch Studierende aus der FernUni waren dabei) und haben uns drei Stunden lang in Kleingruppen und im Plenum mit möglichen Herausforderungen und Hindernissen für forschendes Lernen in (sehr) großen Gruppen und möglichen Lösungen dafür beschäftigt.
Ich kann und will hier keine umfassende oder auch präzise Zusammenfassung geben, sondern nur ein paar Inhalte herausgreifen, die mir persönlich besonders wichtig erscheinen und diese mit ein paar weiterführenden Gedanken verbinden.
Viele Studierende zum Forschen bringen und sie darin begleiten – es ist klar, dass da als Erstes das Thema „Betreuung“ aufkommt. Wir kennen diese große Herausforderung auch in unserem Projekt SCoRe und wissen um die Möglichkeiten, aber auch Grenzen von Online-Instruktionen, Tutorials und anderen Formen der nicht-direkten personalen oder gar synchronen Unterstützung. Als eine Lösungsoption sind im Kolloquium Communities of Practices (CoPs), wie sie Lave und Wenger schon vor Jahrzehnten in die bildungswissenschaftliche Theorielandschaft eingebracht haben, ins Spiel gekommen: Vorstellbar wäre also z.B. auf der Studiengangsebene (man könnte es auch auf Fachbereichs-, oder Fakultäts- oder gar Hochschulebene denken) die Einführung von CoPs für studentisches Forschen. In diesen CoPs sollten dann Personen mit möglichst allen Expertise-Stufen Mitglieder sein – also auch z.B. Nachwuchswissenschaftlerinnen und Lehrende. Es könnte sich dann allerdings ein Rollen- oder Hierarchieproblem einstellen. Bliebe man allerdings unter Peers, hätte man kaum Mitglieder, die tatsächlich langjährige Erfahrung zum Thema einbringen, und das entspräche eigentlich genau nicht einer CoP. Aus betreuungstechnischer Sicht würden CoPs den Vorzug haben, dass sich gegenseitige Unterstützung und Lernen an Modellen auf Viele verteilen. Mitglieder, die sich länger in einer CoP engagieren, würden weitere Kompetenzen aufbauen. Man könnte diese dann ggf. in irgendeiner Form bescheinigen.
Eine weitere Herausforderung, die wir diskutiert haben, besteht darin, dass es beim forschenden Lernen mit (sehr) vielen Studierenden in der Regel schwierig ist, engeren Kontakt zu Lehrenden über eine gewisse Zeit zu haben, sodass es in der Folge an wissenschaftlichen Identifikationsfigur mangelt. Man mag der Meinung sein, dass man das gar nicht braucht. Im Kolloquium aber wurde das als ein Manko erkannt. Verschiedene Ideen, dem zu begegnen, laufen darauf hinaus, dass Studierende Forscherinnen als Persönlichkeiten erleben, die keineswegs ohne Hindernisse arbeiten, auch mal scheitern und ähnliches. Das ginge etwa über direkte Kontakte (ein Zeitproblem) oder Videos. Mich überzeugt das noch nicht so sehr, doch das damit anzugehende Problem sehe ich sehr wohl.
Selbst hatte ich noch eine weitere Herausforderung eingebracht, die es natürlich beim forschenden Lernen grundsätzlich gibt, aber im Kontext der Vielen deutlicher hervortritt, nämlich: Wie schafft man es, ein Klima der Experimentierfreude beim forschenden Lernen zu erzeugen und gleichzeitig ein Verständnis für notwendige Standards zu schaffen? Experimentierfreude und Mut, sich selbst forschend zu betätigen, macht es notwendig, dass man fehlertolerant ist, nicht sofort mit Dos und Dont´s um die Ecke kommt, manches auch mal laufen lässt. Ein Verständnis für wissenschaftliche Standards und die Bereitschaft, sich auf begründete Konventionen einzulassen, erfordern es, dass man Rahmen setzt, an bestimmten Stellen gezielt anleitet und kritisch Rückmeldung gibt. In der direkten Interaktion mit Studierenden ist das bereits schwierig, aber es kann gelingen, diese beiden Dinge auszubalancieren: Online und mit sehr vielen Studierenden ist das leider nicht so. Für mich ist dieses Problem nach wie vor ungelöst; wirklich gute Ideen fehlen.
Was wir in den drei Stunden nicht geschafft haben, ist eine Klärung, was eigentlich alles unter „viele Studierende“ fällt. Das war auch nicht das Ziel, aber im Nachhinein denke ich, dass man da eine Heuristik bräuchte, weil eine Ausdifferenzierung von „Viele“ wohl Einfluss darauf hat, welche Probleme besonders groß und wichtig sind und wie Lösungsideen aussehen könnten. Ich denke mal laut:
Beim forschenden Lernen, das traditionell eher über Lehrveranstaltungen mit einer überschaubaren Anzahl von Studierenden (z.B. 20-25) angeboten wird, könnte ich mir drei Stufen von „Viele“ vorstellen:
- Mehr als 25/30 bis 50 oder 60 Studierende wären eine Großgruppe für forschendes Lernen, bei der man vielleicht noch nah an den didaktischen Möglichkeiten des „traditionellen“ forschenden Lernens bleiben könnte, wenn man z.B. im Co-Teaching oder mit geschulten Tutorinnen arbeiten kann.
- 60 bis über 100 Studierende wäre bereits eine Zahl, die vermutlich angepasste Konzepte forschenden Lernens erfordern. Vielleicht könnte man diese zweite Stufe zahlenmäßig auch noch höher ansetzen, wenn man zusätzlich noch das Merkmal „Teilnehmende EINER Veranstaltung“ ergänzt.
- 100 oder mehr Studierende und/oder Studierende, die gar nicht mehr alle Mitglieder einer bestimmten Veranstaltung sind, wären dann vielleicht eine Definition von „Crowd“. Hier kämen Änderungen des Konzepts forschenden Lernens zum Tragen, wie wir sie etwa in unserem SCoRe-Projekt umsetzen: Dort haben einzelne Studierenden nur mehr an einem ganzen Forschungszyklus teil, ohne selbst im gesamten Zyklus aktiv zu sein.
Fazit: Die gemeinsame Veranstaltung zwischen HUL und Sandras Team fand ich gelungen. Aus meiner Sicht kamen fast alle sehr gut damit zurecht – auch online –, dass wir uns zum Teil nicht kannten. Wenn einen ein gemeinsames Interesse eint und man neugierig ist auf die Erfahrungen und Einschätzungen von Lehrenden und Studierenden aus einem jeweils anderen Kontext, dann kann das gut klappen – ähnlich wie auf Tagungen. Ich habe jedenfalls eine ganze Menge Anregungen mitgenommen.
Liebe Gabi,
wir hatten in unserer Kleingruppe noch eine andere Perspektive auf „Viele“ gefunden, die ich gern teilen möchte: Nämlich, dass es garnicht unbedingt auf die Anzahl ankommt, sondern auf die Anonymität. Auch 4 Personen können das Gefühl haben „Viele“ zu sein, wenn sie nicht wissen, wie viele sie sind; wenn sie kein Team haben, mit dem sie sich identifizieren (können) und sich unsicher in einem anonymen digitalen Raum aufhalten. Ebenso ist es für Lehrende so, dass sie „Viele“ anleiten können, wenn es ein recht anonymes Setting ist und unklar, wie „viele“ letztlich teilnehmen. Der digitale Raum kann den persönlichen Kontakt erschweren, der natürlich bei einer hohen Anzahl an Teilnehmenden ebenso schwer – bis hin zu unmöglich – ist. Eine:r von Vielen also manchmal mehr als Selbstwahrnehmung, denn als Realität? Die didaktischen Herausforderungen sind womöglich ähnlich? Ich bin gespannt auf weitere Gedanken dazu 🙂