Studierendenzentrierung und Constructive Alignment gelten in der heutigen Hochschuldidaktik als zentrale und wegweisende Konstrukte. Diese Konstrukte sind fachübergreifend und werden entsprechend in allen Disziplinen empfohlen; hochschuldidaktische Qualifizierungsangebote setzen entsprechend viel und gerne auf sie. Seit langem bezweifle ich, dass das in dieser weitgehenden Ausschließlichkeit eine sinnvolle Strategie ist. Mit diesem Zweifel bin ich nicht allein. Ein aktueller Beitrag von Esther E. van Dijk, Johan Geertsema, Marieke F. van der Schaaf, Jan van Tartwijk un Manon Kluijtmans in der Zeitschrift Higher Education von 2022 erachtete es ebenfalls ein Versäumnis, die Bedeutung des fachwissenschaftlichen Wissens in der Hochschullehre infolge überfachlicher Konstrukte in den Hintergrund gedrängt zu haben. Unter dem Titel „Connecting academics’ disciplinary knowledge to their professional development as university teachers: a conceptual analysis of teacher expertise and teacher knowledge” bezeichnen sie das disziplinäre Wissen als Herzstück akademischer Arbeit und fragen danach, in welchem Verhältnis das fachwissenschaftliche Wissen zur akademischen Entwicklung von Lehrpersonen an forschungsintensiven Universitäten steht.
Die Autorinnen des Textes kritisieren, dass man die Bedeutung des fachwissenschaftlichen Wissens für die Lehre und die persönliche Lehrkompetenzentwicklung tendenziell unterschätzt und zu wenig beachtet. Sie widmen sich dieser Lücke im hochschuldidaktischen Diskurs theoretisch und analysieren verschiedene bestehende Konzepte aus der Expertise-Forschung und der Forschung zu „Lehrerwissen“ bzw. didaktischem Wissen (teacher knowledge). Will man eine bessere Verknüpfung von Fachwissen und (persönlicher) Lehrkompetenzentwicklung, so das Argument der Autorinnen, muss man zunächst einmal tiefer verstehen, wie das zusammenhängt: Welche Rolle spielt disziplinäres Wissen für die Art und Weise des universitären Lehrens? Aus der bisherigen Forschung nehmen die Autorinnen mit, dass vor allem adaptive Expertise im Sinne von situativ flexiblem Können kombiniert mit „praktischem Wissen“ (hier gibt es aus meiner Sicht auch Bezug zum Buch von Neuweg, das ich im letzten Blogpost – hier – besprochen habe) für die Hochschullehre wichtig ist. Eigens besprochen wird auch das „pedagogical content knowledge“, was in etwa der Fachdidaktik im deutschsprachigen Raum entspricht – mit der Einschränkung, dass sich Fachdidaktiken an Universitäten zum überwiegenden Teil mit der Schule, nicht aber mit der Hochschule beschäftigen. Alles in allem, so meine Einschätzung, liefert der Text einige (zusätzliche) Argumente für die Erweiterung der fachübergreifenden Hochschuldidaktik zu einer Wissenschaftsdidaktik, verstanden als Dachbegriff für letztlich spezifische, nämlich fachspezifisch ausgerichtete Wissenschaftsdidaktiken.
Dazu passt vielleicht nochmal folgender Hinweis: Nachdem Band I zur Wissenschaftsdidaktik Ende Oktober bereits erschienen ist (im Open Access: hier), arbeiten wir gerade an der Fertigstellung von Band II, der sich – exemplarisch – einzelnen Disziplinen widmen wird – ganz im Sinne des Beitrags von van Dijk et al. (2022).
(Ein Dank an Alexa Brase, die mich auf den Text aufmerksam gemacht hat).