Auch in der Hochschuldidaktik ist der Ruf groß, „evidenzbasiert“ bei der Gestaltung von Lehre vorzugehen. Was das genau heißt, darüber wird ebenso gestritten (siehe dazu zum Beispiel hier) wie über die Frage, welche Arten des Lehrens und Lernens denn nun „wirkungsvoll(er)“ sind. Erfahrene Lehrpersonen, so meine Einschätzung, kennen die Antwort: Es kommt darauf an. Was so lapidar klingt, wird (mit anderen Worten) in Studien, Meta-Analysen und Literatur-Reviews durchaus bestätigt: Es kommt darauf an, wer lehrt, wer lernt, was gelehrt und gelernt wird, unter welchen Bedingungen und mit welchem Ziel.
Schlagwort: Evidenzbasierung
Unorthodoxe Denkanstöße
„Educational Research. An Unorthodox Introduction“: Das Buch mit diesem Titel von Gert Biesta, in diesem Jahr (2020) erschienen, liegt schon einige Wochen auf meinem Schreibtisch. Nun habe ich es endlich gelesen – mit Gewinn. Im Vorwort betont Biesta, dass er seine unorthodoxe Einführung in die Bildungsforschung nicht geschrieben hat, um Lehrwerke zur Bildungsforschung zu ersetzen oder zu kritisieren. Vielmehr gehe es ihm darum, Fragen und Themen, die er in den „orthodoxen“ Einführungsbüchern vermisst, zusammenzustellen. Er rät daher dazu, sein Buch nicht statt, sondern neben anderen zu lesen.
Ungeeignet
Evidenz ist neben Exzellenz (und adere E-Wörtern wie Effizienz, Effektivität, Expertise, Evaluation) im Rahmen der Hochschullehre ein ganz wichtiger Begriff. Es stellt sich die Frage, wie er im Kontext der hochschuldidaktischem Forschung bzw. der Hochschulbildungsforschung zu verstehen und einzusetzen ist. Was als als „evidenzbasiert“ gelten kann und darf, wenn es um Lehren und Lernen geht, darüber lässt sich – ja darüber muss man wohl – streiten. Das sehen nicht alle so. Der neueste Impact Free-Artikel (hier abrufbar und im Rahmen dieses Blogs auch gerne kommentierbar) ist ein Text von Ines Langemeyer und mir, der im Rahmen eines Themenheftes leider nicht publiziert werden durfte und als ungeeignet eingestuft worden war.
Verbotene Wörter
Das ist so eine Sache mit der Evidenzbasierung in den Bildungswissenschaften. Gerne ist man da ausgesprochen dualistisch unterwegs: Bist du für oder gegen Evidenzbasierung? Aber das ist freilich Unsinn. Als mit dem Regierungswechsel in den USA die Wissenschaft plötzlich bangen musste, ob ihre Erkenntnisse noch ernst genommen werden und Relevanz haben (auch für praktische, das heißt ebenfalls: politische Entscheidungen), war das auf den ersten Blick ein starkes Argument für eine „evidenzbasierte Bildungspraxis“, denn: Wer mag sich als Wissenschaftler schon in einen Topf geworfen sehen mit denen, die „gegen Fakten sind“, die wider besseres (wissenschaftliches) Wissen lieber einer „gefühlten Wahrheit“ folgen?
Zum dritten Mal
Zum dritten Mal (nach 2012 und 2014) hatte das BMBF zur „Bildungsforschungstagung“ am 17. und 18. November 2016 eingeladen. Ziel dieser Veranstaltungsreihe ist es (so auf der Webseite hier zu lesen), „Wissenschaft, Praxis und Politik zusammenbringen“. Es geht um eine „Standortbestimmung der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Bildungsforschung“. Allerdings – das muss man einschränkend dazu sagen – stand doch die Schulbildung ganz deutlich im Vordergrund. Es gab nur ein paar wenige Akzente in Richtung Hochschulbildung, die aber letztlich keine nennenswerte Rolle spielten. Ein wichtiges (sicher auf alle Bildungskontexte erweiterbares) Schlagwort für dieses Jahr lautete: „Zukunftsfähigkeit der Bildungsforschung“ und das angesichts komplexer, nicht eben leicht vereinbarer Forderungen wie: „Bildungsforschung soll zugleich wissenschaftlich exzellent, praxisorientiert und anwendungsnah sein.“ Die Tagung Bildungsforschung 2020 wollte genau dafür Diskussionsforen bieten.
Selbstbewusste Expansion
Die Zeitschrift für Erziehungswissenschaft hat im Oktober ein Sonderheft herausgegeben mit dem Titel „Empirische Bildungsforschung. Der kritische Blick und die Antwort auf die Kritiker“ (Volume 19, Issue 1 Supplement, October 2016). Das Editorial beginnen Klaus-Jürgen Tillmann und Jürgen Baumert mit der Feststellung, dass die Entwicklung der empirischen Bildungsforschung in Deutschland seit den 1990er Jahren eine Erfolgsgeschichte sei – bis hin zu einer gestiegenen öffentlichen Aufmerksamkeit. Es ist von einer selbstbewussten Expansion die Rede, die aber auch kritische Stimmen hervorgerufen hat – polemische ebenso wie ernsthafte, so Tillmann und Baumert. Ungewöhnlich an der wissenschaftstheoretischen und wissenschaftspolitischen Kritik seien nun weder ihre Existenz noch die Schärfe und Zuspitzung, die man beobachten könne. Ungewöhnlich sei eher der Verlauf: „Während die erziehungswissenschaftlichen Kritiker der empirischen Bildungsforschung […] ihre Positionen in einer Vielzahl von Büchern und Aufsätzen formuliert haben, hat es bisher bei den Akteuren der empirischen Bildungsforschung nur eine eher verhaltene Reaktion auf diese Kritik gegeben“. In der Folge habe sich kein wissenschaftlicher Disput entfalten können. Eine Feststellung, der ich mich nur anschließen kann.