Normal? Nein Danke!?

Heute – so scheint es – muss man beständig innovativ sein. Normalisierung ist vor dem Hintergrund der Allgegenwart von Innovationen so etwas wie Stillstand, Lähmung, in der Folge Rückstand, Erstarrung, und damit eine Gefahr für Organisationen, auch für Hochschulen, deren Entwicklung (Stichwort Hochschulentwicklung) wohl nie so stark eingefordert wurde wie im vergangenen Jahrzehnt. Interessanterweise – so scheint es ebenfalls – brauchen wir heute aber auch überall Standards. Normalisierung ist vor diesem Hintergrund eigentlich eine logische Folge, denn wenn es Standards gibt und man sich an diesen orientiert, führt das zu einem standardisierten Zustand und der ist entsprechend berechenbar, also doch eigentlich auch „normal“. Aber vielleicht liegt die Zukunft ja in einer Standardisierung der Innovation jenseits der Normalisierung? Ginge das? Ich bin mir nicht sicher. Wie auch immer: Neulich bin ich im Kontext Hochschule über den Satz gestolpert, dass Normalisierung eine Gefahr sei. Und darüber musste ich in den letzten Tagen immer wieder nachdenken. Irgendetwas an diesem knappen Satz hat mich gestört, ohne dass ich zunächst hätte sagen können, was genau.

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Pendelblick (13): Gutes Leben

Mein letzter Pendelblick im Jahr 2013 dreht sich um einen Wissenschaftler: Manfred Moldaschl – seit kurzem Professor an der Zeppelin Universität (ZU) und vorher an vielen anderen Orten mit einem beeindruckenden Hintergrund, den er selber als „alles Mögliche“ beschreibt (siehe hier). Schon länger wollten wir uns treffen – aber na ja: die vielen Termine. Und wenn der eine in Tutzing und der andere (noch) in Wolfratshausen wohnt, dann klappt ein Treffen, wenn schon nicht am Bodensee, so doch am Starnbergersee und das am besten im Freien … weil man da eh besser reden kann. Und das ist dann endlich letzte Woche bei milden Temperaturen gelungen.

Wer unter anderem Feyerabend und Vicco von Bülow als seine Vorbilder bezeichnet, hat bei mir schon mal einen Sympathiebonus. Auf die Frage, was ihn besonders umtreibt, antwortet Manfred Moldaschl: die Frage nach dem guten Leben, und daran anknüpfend kommen noch etliche weitere interessante Fragen, die mit Reflexivität, Innovation, Nachhaltigkeit und vor allem damit zu tun haben, was HINTER diesen Begriffen steckt. Eine ganze Reihe seiner Texte sind hier erfreulicherweise online abrufbar – wer also über Weihnachten noch nichts zu tun hat, kann sich ein wenig umschauen und  lesen.

Was mich nun ganz besonders freut, ist Manfred Moldaschls Begeisterung für die Lehre – eigenwillig, aber erfahrungsgesättigt und vor allem authentisch. Überhaupt wird es jetzt langsam Zeit, diejenigen Lehrenden ausfindig zu machen, die ein genuines Interesse daran haben, in der Lehre auch einmal zu experimentieren – womit auch immer: mit digitalen Werkzeugen, mit neuen Methoden oder anderen als den traditionellen Formaten … und das jenseits der tagesaktuellen Probleme, für die man in formalen Gremien um beschlussfähige Lösungen ringt – mit einem Schuss spielerischer Freude daran, die an sich große Freiheit in der universitären Lehre einfach mal zu nutzen.

Was bedeute „Pendelblick“? Siehe hier

So wird das nichts

Evaluationen in der Hochschullehre sind heute Standard. Das ist an sich ein relativ neues Phänomen. Als ich studiert habe (na ja, das ist natürlich auch sehr lange her – so in der zweiten 1980er Hälfte) gab es allenfalls eine kurze Feedback-Runde am Ende eines Seminars – vielleicht. Vorlesungen wurden gar nicht bewertet. Auch später, als ich meine eigenen ersten Veranstaltungen angeboten oder daran mitgearbeitet habe, war das Ob und Wie fast ausschließlich Sache des Dozenten. Nur an und zu gab es mal „stichprobenartig“ einen Fragebogen, der seitens des Studiendekanats verteilt wurde – alle paar Jahre.

Heute hat man in Hochschulleitungen eigene Ämter geschaffen, die dafür da sind, die Qualität der Lehre zu „sichern und weiterzuentwickeln“ und damit halt auch – ja, ich nenne es mal so – zu überwachen. Dazu sammelt man Daten. Eine wichtige Datenquelle ist die Evaluation von Lehrveranstaltungen. Das hängt natürlich auch mit den Akkreditierungen zusammen. Was davon also eine aus den Hochschulen quasi von innen kommende Entwicklung und was Reaktion auf Notwendigkeiten von außen ist, lässt sich wohl schwer abschätzen. Aber um das geht es mir an dieser Stelle nicht.

Nein, mir geht es in diesem kurzen Beitrag eher darum, mal zu explizieren, warum ich bei den aktuellen Evaluationen so ein ungutes Gefühl habe. Dabei ziehe ich nicht den Sinn in Zweifel, DASS evaluiert wird. Das ist gut so. Es ist begrüßenswert, dass man über Lehre spricht, dass man versucht, sich ein Bild über die Qualität der Lehre zu machen, und wenn man dann auch noch Anstrengungen unternimmt, diese zu verbessern – wunderbar! Früher war es definitiv NICHT besser. Aber ich glaube einfach nicht (mehr), dass uns das mit den jetzt nahezu etablierten Mitteln, insbesondere nicht mit den klassischen Studierendenbefragungen, gelingt. Warum nicht?

Das erste Problem ist schon mal Folgendes: Kommuniziert wird, dass man Veranstaltungen evaluiert. Aber wenn man sich mal die üblichen Evaluationsbögen ansieht, dann werden der Lehrende, sein Lehrkonzept und dessen Umsetzung, seine Ziele und Zielerreichung und sein Verhalten, vielleicht auch ein paar Rahmenbedingungen erfasst und bewertet bzw. evaluiert. Also da fehlen mir die Lernenden! Ob eine Veranstaltung gelingt oder nicht, hängt nicht nur vom Lehrkonzept und dessen Umsetzung ab, also von dem, was sich der Lehrende überlegt hat und wie er dann handelt. Es hängt ja wohl auch von den Studierenden und davon ab, inwieweit sie sich an dem Angebot beteiligen und wie sie selbst handeln. Niemand bestreitet in der Regel, dass für gelungene Bildungsprozesse die Interaktion zwischen Lehrenden, Lernenden und der Sache, um die es geht, entscheidend ist. Der Lehrende kann daran einen großen Anteil haben, aber die Evaluation allein des Lehrenden bleibt auf halbem Wege stehen, wenn man sich ein Urteil über Lehrveranstaltungen bilden will.

Um sich von einer Veranstaltung und deren Qualität ein Bild machen zu können, das einigermaßen valide ist, müsste man an sich ganz selbstverständlich auch die Studierenden und deren Handeln in die Evaluation mit einbeziehen: Was bringen Studierende von sich aus in die Veranstaltung ein? Wie beteiligen sie sich, wie bereiten sie etwas vor und nach, wie unterstützen sie sich gegenseitig etc.?

Es ist völlig in Ordnung, dass Studierende ein Urteil über einen Lehrenden abgeben. Aber auch Studierende müssten (als Gruppe) in dem Sinne „bewertet“ werden, wie sie zum Erfolg einer Veranstaltung beitragen. Das könnte der Lehrende machen (analog zur Lehrenden-Bewertung seitens der Studierenden); besser wäre sicher ein externes Urteil, was aber freilich organisatorische Probleme aufwirft. Ebenfalls sinnvoll wäre es, dass Studierende von Zeit zu Zeit untereinander die Dynamik einer Veranstaltung und das gemeinsame Handeln einschätzen. Das heißt aber dann letztendlich: Man muss miteinander ins Gespräch kommen! Und das ist etwas ganz anderes, als Kreuzchen auf Fragebögen zu machen.

Ja, ich weiß, was jetzt für ein Einwand kommt – die Anonymität ist wichtig. Das sehe ich auch – zumindest so lange wir noch Prüfungen mit Rechtsfolgen haben. Ein Hindernis für gegenseitiges transparentes Feedback dürfte außerdem sein, wenn Evaluationen vorrangig gemacht werden, damit Akkreditierungsagenturen Ruhe gebe, wenn sie also vor allem formal das Signal aussenden sollen, dass man ja etwas für die Qualität der Lehre tut. Unter so einem Vorzeichen ist es schwierig, eine Kultur aufzubauen, die dergestalt ist, dass alle ein echtes Interesse an guter Lehre haben und jeder (!) seinen Teil dazu beiträgt: Lehrende und Studierende.

Aber ich fürchte, die Tendenz geht in eine andere Richtung: immer mehr Evaluationen – parallel dazu immer weniger Rücklauf, weil Studierenden freilich schon langsam die Nase voll davon haben, Fragebögen auszufüllen; immer mehr Daten – parallel dazu immer weniger Ideen, was man damit eigentlich genau anfangen soll; immer mehr zentrale Vorgaben – parallel dazu immer weniger gegenseitiges Vertrauen und Lust, sich an diesen Routinen zu beteiligen.

Also ich weiß nicht – so wird das doch nichts, oder?

Neun Monate Lehre

Nächste Woche beginnt bei uns an der UniBwM das neue Studienjahr. Ein Studienjahr – das bedeutet für uns Lehrende: neun Monate fast durchgängig Lehre, nämlich in Form von drei Trimestern, die weitgehend nahtlos aneinander anschließen. Ich kann nun auf zwei Studienjahre (und das erstes Trimester im Frühjahr 2010) zurückblicken und aktuell festhalten: Alle Bachelor- und Master-Module bzw. -Veranstaltungen sollten inzwischen (mit Ausnahme eines Masterseminars, das ich jetzt im Herbst zum ersten Mal anbiete) weitgehend „sattelfest“ sein, das heißt: Erste Anpassungsschwierigkeiten der mir vertrauten Lehrkonzepte auf die Anforderungen an die bildungswissenschaftlichen Studienprogramme (also BA und MA) an der UniBw sind aus meiner Sicht zumindest in einer ersten Runde überstanden. Ich habe zu diesem Thema (Lehre an der UniBw) ja des Öfteren was gebloggt. Ich stelle mal ein paar Links zusammen – beginnend mit den ersten Erfahrungen im Frühjahr/Sommer 2010 bis zum letzten Blog-Post zu diesem Thema im Juni 2012:

  • Die ersten Erfahrungen: hier
  • Anmerkungen zum Feedback: hier
  • Evaluationsseminar: hier
  • Lehrerfahrungen generell (Vortrag): hier
  • Vorlesungen: hier
  • Unterstützung der Bachelorarbeitsphase: hier

Dass Lehrentwicklungen und -anpassungen erforderlich waren, finde ich nicht schlimm. Meine Mitarbeiter, vor allem Silvia, haben mir dabei immer tatkräftig geholfen. Schade fand ich eher, dass sich viele der Studierenden, die quasi die „Pionierphase“ mitgemacht haben, benachteiligt fühlten. Diese Einstellung kannte ich aus unserem MuK-Studiengang in Augsburg nicht. Da war meine Erfahrung, dass Studierende es honoriert haben, wenn man was Neues ausprobiert hat. Wenn etwas nicht so gut lief, aber Engagement und Interesse an den Leistungen der Studierenden da war, wurde das eigentlich immer nicht nur toleriert, sondern auch als Impuls für eigene Aktivität gesehen. Das ist ganz offensichtlich eine Frage die Kultur und die entwickelt sich nun mal nur sehr langsam.

 

Sprachliche Fehlleistungen als Kavaliersdelikt

Es liegen mal wieder mehrere Tage hinter mir, an denen ich einen Stapel Hausarbeiten gelesen, kommentiert und bewertet habe. Ich gebe es zu: Diese Tätigkeit frustriert mich. Sie frustriert mich, weil keinesfalls alle, aber viel zu viele dieser Arbeiten auch im zweiten Studienjahr nicht den Standards entsprechen, die man erwarten würde oder – noch schlimmer – auf die man meint, durchaus hingearbeitet zu haben. Was mir dabei besonders auffällt und was ich an dieser Stelle mal thematisieren möchte, ist die grundlegende Sprachkompetenz. Damit meine ich die Kompetenz, erstens einen Gedanken mittels Sprache so zu formulieren, dass der Gedanke auch tatsächlich wiedergegeben wird, dass der so formulierte Gedanke zweitens für einen Leser nachvollziehbar bzw. verständlich ist, dass die gewählte Formulierung drittens grammatikalisch korrekt und viertens ohne Komma- und Rechtschreibfehler ist. Fangen wir von hinten an: Rechtschreibfehler sind dank Rechtschreibhilfen in allen gängigen Textverarbeitungsprogrammen an sich gar nicht so das Problem – mit Ausnahme vielleicht der Klein- und Großschreibung. Kommafehler sind der reine Wahnsinn. Es geht hier nicht um die Feinheiten – wirklich nicht. Vielmehr werden Kommata nahezu flächendeckend derart wahllos gesetzt, dass daraus bereits Verständnisprobleme resultieren und man sich fast wünschen würde, die Autoren würden Kommata besser gleich ganz weglassen. Grammatikfehler sind ebenfalls häufig: Ganz oben rangieren unvollständige Haupt- wie auch Nebensätze. Nicht im eigentlichen Sinne fehlerhaft, aber extrem hinderlich für das Verstehen sind Passivkonstruktionen, Nominalisierungen und verschachtelte Sätze. Aber all das ist gar nicht das Schlimmste. Für mein Sprachempfinden viel schlimmer ist es, wenn die Sätze semantisch mitunter gar keinen Sinn ergeben, wenn ich sie gar nicht verstehe, sondern nur ahne, was sie aussagen sollen. Wie das zustande kommt? Meine These ist, dass folgende Faktoren eine zentrale Rolle spielen: oberflächliches Lesen wissenschaftlicher Literatur; nur ungefähres Verstehen dessen, was man gelesen hat; der fest verwurzelte Glaube, dass einfache und klare Sätze unwissenschaftlich sind, gepaart mit der Überzeugung, dass die oben genannten grammatikalischen Fehlleistungen (Passivkonstruktionen, Nominalisierungen, verschachtelte Sätze, unnötige Fremdwörter) zum guten wissenschaftlichen Ton gehören. Es ist naheliegend, dass Defizite auf der Sprachebene auf der nächst höheren Ebene etwa der Argumentation eine Fortsetzung finden: Es ist kaum möglich, eine konsistente Argumentation aufzubauen, wenn man schon Probleme hat, einen Gedanken in einen klaren Satz zu packen.

Ich weiß, das klingt jetzt vielleicht etwas überheblich. Ich gestehe auch, dass bei so mancher Lektüre der Zorn in mir aufsteigt und irgendein Ventil her muss, wenn ich einen ganzen Tag oder mehrere Tage damit verbracht habe, Rechtschreib- und Kommafehler, Grammatikfehler und unverständliche Sätze, Absätze und ganze Abschnitte zu markieren und zu erläutern – mit dem Wissen, dass nur wenige diese Hinweise, die mich viele, viele Stunden kosten, auch nutzen werden (aber einige halt schon, weswegen ich es immer wieder tue). Aber mal jenseits der Überheblichkeit und des Zorns: Das ist doch wirklich ein Problem, oder? Was mir hier unter anderem fehlt, ist das Problembewusstsein. Bisweilen habe ich den Eindruck, sprachliche Defizite gelten als eine Art Kavaliersdelikt – also als legitimer Regelverstoß, der nicht nur akzeptiert, sondern in gewisser Weise sogar befürwortet wird: Besser man nutzt die Zeit für was Wichtigeres! Was kann man tun? Schreibwerkstätten einrichten? Viele Maßnahmen zum „wissenschaftlichen Schreiben“ beschäftigen sich eher mit der Zitierweise, mit dem Aufbau von Texten, auch mit emotionalen Problemen wie Schreibblockaden etc. Das ist alles wichtig und richtig so. Aber wenn es ein noch viel grundsätzlicheres Problem gibt – nämlich das, welches ich hier versuche, kurz zu beschreiben? Wie kann man das beheben? Wie kann man überhaupt erst mal das Bewusstsein dafür schaffen und zu einer Haltung gelangen, dass es NICHT egal oder sekundär ist, wenn man sprachliche Defizite hat? Ich würde ja gerne helfen, aber wie in anderen Kontexten auch, bedarf es dazu erst einmal der Einsicht, dass es sich hier um ein relevantes Problem handelt!

Der Wille würde es auch tun

Ich gebe es zu, dass ich mit den zahlreichen unter dem „Konnektivismus“ firmierenden Verlautbarungen zum selbstorganisierten und vernetzten Lernen insbesondere aufgrund des damit verbundenen missionarischen Eifers (der immer gleichen Leute) skeptisch gegenüberstehe. Das gilt auch für die im Moment durch viele Blogs und Ankündigungen laufenden Massive Open Online Courses (MOOC). Nun habe ich endlich den im Oktober 2011 veröffentlichten,  recht sachlichen Überblick über dieses Format in einem e-teaching.org-Artikel von Stefanie Panke (hier) gelesen. Der Beitrag stellt insbesondere eine Beziehung zum Konzept der „Personal Learning Environments“ her und versucht, die an MOOCs gestellten Erwartungen auf diesem Wege ein wenig zu ordnen und stellenweise auch kritisch zu hinterfragen. Als Kennzeichen für MOOCS werden Aspekte genannt, die so neu nicht sind:

(a) Es werden mehr Inhalte angeboten, als verarbeitet werden: Nun, das ist in anderen Veranstaltungen durchaus auch der Fall, wenn man Reader und Literaturlisten, Links und andere Ressourcen zusammenstellt – mir kommt das jedenfalls eher üblich vor. (b) Lernende treffen eine individuelle Auswahl und konstruieren ihren eigenen „Informationsmix“: Im Kopf der Lernenden erfolgt genau das, so würde ich behaupten, ebenfalls in jeder Seminarveranstaltung, im besten Fall auch im Hinblick auf die persönliche Gestaltung der Veranstaltungsressourcen in analoger und digitaler Form. (c) Die Inhalte überträgt jeder entsprechend seiner Ziele in eigene bedeutsame Kontexte: Seit den 1990er Jahren gibt es verschiedene didaktische Modelle, die zum einen zielgruppenspezifische, Interesse weckende Anwendungskontexte anbieten, aber natürlich auch dazu anregen, eigene Betroffenheit herzustellen, indem man Bezüge zu persönlichen Zielen und Anwendungsfeldern sucht. DASS man das macht, ist also ein alter Hut, WIE man es erfolgreich machen kann, wäre da schon interessanter. (d) Lernende sollen ihren Standpunkt öffentlich vertreten: Das hat man in klassischen Veranstaltungen (auch technologiegestützten) meistens nicht und dürfte wohl als einzige wirkliche Besonderheit gelten – mit entsprechend Vorteilen und Nachteilen.

Eher befremdlich sind die deutschen Wort-Neukreationen auf der Seite 10 im Zusammenhang mit Problemen bzw. Herausforderungen in MOOCs: „Kuration“ und „Voliation“ sind jedenfalls keine Wörter, die im Duden auftauchen und auch nicht gerade verständnisfördernd sind – muss das sein? Warum nicht „Informationspflege“ – hätte wenigstens einen netten metaphorischen Beiklang. Und was soll „voliation“ sein? Ist vielleicht „Volition“ gemeint? …, wobei ich auch dieses (bei Psychologen durchaus gängige Wort) seltsam finde – der Wille würde es auch tun.

Am Ende des Beitrags wird unter anderem die fehlende Anbindung des MOOC-Konzepts an institutionalisierte Lehr-Lernformen mit Prüfungen kritisiert. Meine These ist, dass das nie zusammengehen wird: Prüfungen sind nicht dazu geeignet, dazu anzuregen, sich in ungewisse Lernprozesse zu begeben, dabei auch noch motiviert bei der Stange zu bleiben und sich an der Unabgeschlossenheit des gemeinsam konstruierten Wissens zu erfreuen. Das sind einfach zwei ganz verschiedene Modi und ich kann es keinem Studierenden verübeln, wenn er sich da lieber ganz traditionell auf die nächste Prüfung vorbereitet. Solange wir an Hochschulen prüfen wie bisher, bleiben bei MOOCs die Marketing-Effekte wohl größer als die Effekte auf das Studium.

Über den Tag hinaus denken

„Oberstes Gebot der Kommunikation in den Wissenschaften ist es, Wissen genau und unmissverständlich zu kommunizieren. Texte stellen dabei eine Art Transportmittel für Wissen dar. Das Wissen muss im Text so ´verpackt´ sein, dass es den Transport heil übersteht und vom Empfänger wieder dem Text entnommen werden kann“ (Kruse, 2010, S. 57). Dass es viel Scherben auf diesem Transport geben kann, ist mir in den letzten Tagen wieder so richtig bewusst geworden, als ich etliche Hausarbeiten von Studierenden gelesen, kommentiert und bewertet habe. Nicht bei allen, aber bei vielen dieser Arbeiten stehe ich ratlos vor einzelnen Sätzen, Abschnitten oder ganzen Kapiteln und frage mich, was wohl der eigentliche „Transportgegenstand“ war und wie es sein kann, dass ich so viele Verständnisprobleme allein auf der sprachlichen Ebene habe. Ich sitze da mitunter vor Sätzen, die ich aufschlüsseln muss wie einen lateinischen Text, erahne dann allenfalls die Botschaft, die da „verpackt“ wurde, und frage mich natürlich: Woher kommt das? Die meisten dieser Studierenden können z.B. bei mündlichen Präsentationen doch einigermaßen schlüssig formulieren, einige auch argumentieren. Die Schriftform scheint dann wie ein Katalysator für eine Entstellung dessen zu wirken, was man mitteilen möchte. Auch bei Doktoranden gibt es das bisweilen: Schachtelsätze, Nominalstil und neutrale sowie Passivkonstruktionen scheinen eine wissenschaftliche Verpackung zu signalisieren. Schlimm ist dann nur, wenn man nach dem mühevollen Auspacken erkennen muss, dass das Innere leer ist. Neben diesen Sprachproblemen, die aus meiner Sicht massiv unterschätzt werden, sind es natürlich die bekannten Hürden, über die Studierende stolpern: keine genaue Eingrenzung des Themas, zu wenig oder zu diffuse Recherche, handwerkliche Fehler beim Zitieren und Schwierigkeiten, eine klare Struktur und Argumentationslinie zu finden. Ich bemühe mich in der Regel, ausführlich Rückmeldung zu geben – immer mit dem Bewusstsein, dass dieses Feedback womöglich gar nicht gelesen, oder aber nicht verstanden, oder aber emotional abgelehnt wird (siehe zu diesem Problem auch die interessante Diskussion in Christians Blog: hier).

Nun ist mir vor kurzem ein dazu wunderbar passendes Buch in die Hände gefallen: Lesen und Schreiben von Otto Kruse, das sich an Studienanfänger richtet. Ich habe es gelesen und kann es JEDEM empfehlen – Studierenden wie auch Doktoranden (!), weil es auf einfache und klare Weise deutlich macht, dass und wie Lesen und Schreiben integraler Bestandteil jeder Wissenschaft sind, geübt werden wollen und zum Denken dazugehören! „Ich muss das jetzt nur noch runterschreiben“ – diesen Satz höre ich manchmal auch von Doktoranden und genau das deutet auf ein fundamentales Missverständnis der Funktion speziell des Schreibens für wissenschaftliches Denken und Handeln hin. Kruse bezeichnet es als „epistemisches Schreiben“ (dazu gibt es auch einen Blogbeitrag von Peter Baumgartner: hier), was ich hier meine: also ein „Schreiben zur Wissensgewinnung“. Otto Kruse gibt den Studierenden gegen Ende seines Buches einen guten Rat, den ich nur unterstreichen kann: „Wenn Sie lernen wollen, kompetent mit Sprache in Wissenschaft und Beruf umzugehen, müssen Sie über den Tag hinaus denken. Literalität ist nicht einfach Erwerb einiger Teilkompetenzen, die sich dann zu perfekter Handlungsfähigkeit verbinden, sondern Literalität ist integraler Bestandteil Ihrer intellektuellen und fachlichen Entwicklung. Lesen und Schreiben trainieren Selbständigkeit im Umgang mit Wissen, sie verhelfen Ihnen zur Entwicklung eigener Expertise und verlangen von Ihnen, eigene Standpunkte zu vertreten wie auch die anderer zu erkennen“ (S. 152).

Wettbewerb über alles

An den Hochschulen werden weiter fleißig Studiengänge akkreditiert. Für diesen Zweck wird vor allem tonnenweise Papier produziert – dicke Wälzer, die Ausdruck von Fleißarbeiten ohne Gleichen sind. Dass das nicht sinnvoll sein kann, hat die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) schon seit längerer Zeit erkannt. Nun gibt es eine neue aktuelle Pressemeldung (hier), in der die HRK dafür plädiert, die „eklatanten Schwächen“ in der Akkreditierungspraxis zu beseitigen. Das Losungswort heißt: institutionelle Audits, in denen begutachtet wird, „ob die Strukturen und Prozesse einer Hochschule geeignet sind, die von ihr selbst gewählten Qualitätsziele in Lehre und Studium zu erreichen“.

Die Audits sollen nach international anerkannten Evaluationsprinzipien durchgeführt werden, wobei leider nicht gesagt wird, wie das genau gemeint ist. Orientieren sich aktuelle Akkreditierungen nicht danach? Die Hochschulen sollen dabei vor allem unterstützt werden, ihre Aufgaben in Studium und Lehre besser wahrzunehmen. Das wäre immerhin ein Fortschritt, wenn man an die Stelle der derzeitigen Behinderung durch Akkreditierungen eine Unterstützung anbietet. Es soll ein „Qualitätssiegel“ vergeben werden – und zwar als Nachweis für die hohe Qualität der Lehre. Das wiederum ist eine seltsame Folgerung, denn aus einem handwerklich gut gestalteten Studiengang folgt noch keine qualitativ gute Lehre auf der Veranstaltungsebene. Und dann wird natürlich wieder der „Wettbewerb der Hochschulen untereinander“ ins Feld geführt – Wettbewerb über alles, eine Art Mantra aus dem Hoffnungsland der Marktwirtschaft. Das ist mir ein Rätsel, dass man diesem Irrglauben, man könne Bildung und Universitäten nach diesen Prinzipien besser machen, so beharrlich anhängt – trotz aller gegenteiliger Erfahrungen.

Fazit: Schön, dass die HRK es anstoßen will, diesen Akkreditierungswahnsinn einzudämmen. Schön auch, dass es neue Ideen gibt, es anders zu machen. Schade aber, dass Rhetorik doch wieder wichtiger ist als Inhalte. Und schade vor allem, dass das ökonomische Primat nach wie vor ungebrochen zu sein scheint.

Hitzestau

Mein Gott, was für eine Hitze. Seit Tagen schon will ich auf diverse Dinge hinweisen, die mir interessant erscheinen, lege Notizen zur Seite und finde sie am nächsten Tag nicht mehr oder vergesse, was ich überhaupt schreiben wollte. Korrekturen und mehrere Artikel-Deadlines (ja, ich war der „Streber“ beim L3T-Lehrbuch!) tun ihr Übriges. Und dann das beliebte „mal Dazwischenschieben“ von Beiträgen, die man korrektur liest (Exposés und Entwürfen von Dissertationskapiteln) … ja, da ist der Tag weg wie nix. Unglaublich! Und dann wollte ich an sich mal meine Erfahrungen mit der ersten Bachelorveranstaltung an der UniBw München zum Besten geben – aber dafür brauche ich Muse – kommt aber bestimmt. Als Vorgeschmack kann ich schon mal sagen: Man lernt nie aus! Nicht zum ersten Mal, aber in den vergangenen Monaten ganz besonders ist mir klar geworden, wie enorm abhängig jede Lehrbemühung davon ist, ob man es schafft, die Studierende mit ins Boot zu holen. Und wenn man denkt: „Na klar, das kann ich doch, mache ich doch seit 15 Jahren!“, dann ist Vorsicht geboten: Erfahrung schützt einen nicht davor, in neuen Kontexten wieder mal umdenken zu müssen. Mehr dazu in Kürze. Jetzt schalte ich erst mal den Ventilator ein.

Kollaboratives Schreiben für Lesefaule?

Die Autorenliste ist beeindruckend lang, die Sandra Schaffert und Martin Ebner nun beisammen haben, um ihr ehrgeiziges Lehrbuchprojekt L3T (Lehrbuch für Lernen und Lehren mit Technologien) zu realisieren – hier die dazugehörige Web-Seite. Ich vermute, dass es mehreren so geht wie mir: Ich bin beeindruckt, wie rasch die Idee in der Community eingeschlagen ist. Ich finde das zugrundeliegende Ziel gut, auch wenn es natürlich durchaus bereits eine ganze Reihe von Büchern gibt, die man AUCH in der Lehre einsetzen kann. Unschlagbar ist die damit verbundene Entscheidung, dass es sich am Ende um einen Open Content handeln wird. Und WEIL das alles so ist, auch weil man der Idee eine Chance geben will, ohne natürlich von vornherein einschätzen zu können, wie gut das alles gelingt, macht man mit – auch ich. Gespannt bin ich, ob und wie sich das jetzt organisieren lässt und wie es sich innerhalb der bereits vororganisierten Teilbereiche „selbst organisiert“. Ich will nicht sagen, dass Selbstorganisation nicht funktioniert. Aber meine persönliche Erfahrung ist die, dass sie selbst unter Experten nur im Falle spezieller Bedingungen funktioniert (meist die, dass man dieselbe Arbeitshaltung hat). Deshalb finde ich das gesamte Vorhaben nicht nur inhaltlich, sondern auch aus einer Metaperspektive ausgesprochen interessant. Vielleicht sollte man nebenher eine begleitende Studie machen? Eine Studie also zum kollaborativen Schreiben?

Eine für mich noch nicht geklärte (und über das Lehrbuch-Projekt natürlich hinausgehende) Frage dabei ist, was ein Buch eigentlich zu einem „Lehrbuch“ macht: Sind es formale Kriterien, wie die direkte Ansprache des Lesers, die Tatsache, dass man nicht viel (aber sicher etwas?) voraussetzt, um das Geschriebene verstehen zu können, eingestreute Fragen, Aufgaben und Zusammenfassungen u. ä. All das aber kann ich auch in einem klassischen Handbuch finden, das eher als Nachschlagewerk dient und natürlich AUCH in der Lehre eingesetzt werden kann. Meine Erfahrung mit Novizen ist, dass sich diese schwer tun, mit Texten, die aus sehr verschiedenen Federn stammen, so zu lernen, dass sich erste belastbare mentale Modelle bilden. Aus dem Grund bin ich bei Inhalten, die mir sehr wichtig sind, zu eigenen Studientexten (als Einstieg) übergegangen. Aber das beantwortet noch nicht meine Frage, was ein Buch zu einem Lehrbuch macht, wobei fraglich ist, ob man überhaupt allein mit einem Buch lernen kann – bzw. wann man das kann. Gerade erst habe ich das kleine Büchlein von Kuckarts et al. von 2008 mit dem Titel „Qualitative Evaluation. Der Einstieg in die Praxis“ gelesen: Das darin geschilderten Beispiel aus einer Vorlesung deckt sich mit meinen Erfahrungen (siehe z.B. auch hier), dass Studierende überhaupt eher nicht so gern lesen, schon gar nicht viel Text, sondern lieber Zusammenfassungen auf Folien. Was bedeutet das für Lehrbücher? Wie gesagt: Ich habe keine abschließenden Antworten. Zumindest aber habe ich bei mir selbst festgestellt, dass Texte „aus einer Hand“ für den Einstieg mehr bewirken als z.B. Reader mit Texten verschiedener Autoren.