Ethos des Gehorsams

Akademische Freiheit und das Prinzip Schule – das hört sich erst einmal nach einem Widerspruch an. Im einem Text von Jan Masschelein mit diesem Titel (Untertitel: Öffentliche Begegnungsorte als Voraussetzung für Autonomie) aber ist das ganz und gar nicht als Gegensatz gemeint. Der 2016 in der Zeitschrift die hochschule (2/2016, 37-53) erschienene Artikel (hier Einblick in den Inhalt) geht vom griechischen Begriff „scholé“ als „freie Zeit und Muße“ aus – als einer Zeit, die nicht schon vorab auf bestimmte Lernergebnisse, sondern im Gegenteil ergebnisoffen angelegt ist. Das Credo des Textes lautet, die „Universität als pädagogische Form zurückzufordern, also als Hochschule“ (S. 38) – aber eben mit einer ganz anderen Idee von Schule im Hintergrund als man sie üblicherweise heute im Sinn hat.

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Wissensfeldchen in böhmischen Dörflein

Die ZEIT hat im August (2015) eine neue Serie begonnen: „Wo seid ihr Professoren?“ (ganz politisch unkorrekt ohne die Professorinnen und ich fühle mich trotzdem angesprochen und finde es nicht schlimm ;-)). Die ersten vier Beiträge stammen von Bernhard Pörksen, Sandra Richter, Stefan Sinzinger und Fritz Breithaupt – alles selbst Professor/innen, die entsprechend auch ihre persönlichen Wahrnehmungen schildern. Ich hoffe, dass noch mehr interessanter Lesestoff kommt; die ersten vier Beiträge lohnen sich schon mal die Lektüre.

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Zu wenig Spektakuläres

Es wird Zeit, endlich mal ein paar Worte über eines unserer neuen Projekte zu verlieren, das uns eher unerwartet „zugeflogen“ ist. Der Kommunikationswissenschaftler Michael Schenk kam im Sommer auf mich zu und fragte zwecks Kooperation zur Bewerbung auf eine Ausschreibung der Landesanstalt für Medien NRW an. Inhalt der Ausschreibung bzw. jetzt des Projekts waren bzw. sind: „Datenschutz und Persönlichkeitsrechte in Social Networks, Foren & Co. Problembewusstsein von jungen Nutzern und Konsequenzen für medienpädagogisches Handeln“. Ein Abstract zum Projekt mit allen weiterführenden Links findet sich hier. Einen dazu passenden Blog-Beitrag mit Fokus auf dem Konzept der informationellen Selbstbestimmung, der nun auch schon etwas länger zurückliegt, kann man auch bei Jan Schmidt (hier) lesen.

Ich bin sehr froh, dass wir für dieses Projekt Jan-Mathis Schnurr anstellen konnten: Er hat bei uns in Augsburg Medien und Kommunikation studiert; ich habe seine beiden Abschlussarbeiten betreut, die ihn für das Projekt sehr gut qualifizieren.

Weil das Themas „Öffentlichkeit und Privatheit“ in sozialen Netzwerken auch in den Massenmedien viel diskutiert wird, gehe ich davon, dass an der Studie großes Interesse sein wird – jedenfalls erwarte ich da mehr als dies bei unseren ansonsten eher didaktischen Themen der Fall ist, die in der Öffentlichkeit ganz offenbar nicht als so spannend empfunden werden. Das ist mir vor kurzem auch in einem Gespräch mit dem Pressesprecher der UniBwM klar geworden, der sich für das Projekt sehr interessierte, während er Didaktik-Projekte als „eher doch sehr speziell und schwer verständlich“ einschätzte. Tja – das finde ich natürlich schon SEHR schade, weil ich der Meinung bin, dass gerade Fragen der Vermittlung von Wissen, der Förderung von Kompetenzen und der Bildung generell in unserer Gesellschaft ausgesprochen wichtig sind. Aber irgendwie fehlt es den Bildungsthemen offenbar an Außenwirkung – jedenfalls jenseits von PISA-Rankings und Bologna-Studentenproteste: Da passiert einfach zu wenig Spektakuläres, zu wenig sinnlich Wahrnehmbares … (was ist schon eine persönliche Erkenntnis gegen ein Nacktfoto im Internet).

Für mich persönlich ist das LfM-Projekt unter anderem aus interdisziplinärer Sicht interessant: Neben der Kommunikationswissenschaft arbeiten wir da auch mit Rechtsexperten zusammen. Zudem sind die in der Studie zu behandelnden Fragen relevante und wiederkehrende Punkte auch für didaktisches Handeln, wenn Web. 2.0-Anwendungen zum Einsatz kommen sollen.

Wissenschaft 2.0?

Unter dem Titel „Forschen und Lehren in der Öffentlichkeit“ hat Christian Spannagel vor knapp zwei Wochen in Hamburg einen Vortrag in der Ringvorlesung „Medien und Bildung“ gehalten. Dabei hat er ein aus meiner Sicht sehr spannendes Thema aufgegriffen, das an anderer Stelle (nämlich hier) auch als „Öffentliche Wissenschaft“ bezeichnet wird. Ich habe mir Christians Vortrag angehört, dann auch dank Googles verwerflicher (?) Digitalisierungswut in Peter Faustichs Herausgeberband „Öffentliche Wissenschaft“ herumgeblättert und mir ein paar Gedanken dazu gemacht. Ich komme momentan auf mindestens fünf verschiedener Lesarten bzw. Intentionen von „öffentlicher Wissenschaft“:

  • Erstens kann der klassische Wissenstransfer als Ziel im Fokus stehen, also der Versuch, wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar zu machen, wofür es natürlich zahlreiche Wege gibt: von der wissenschaftlichen Weiterbildung bis zur Wissenssendung.
  • Zweitens kann man primär den öffentlichen Zugang im Sinne von Open Access im Blick habe, wenn man für eine öffentliche Wissenschaft plädiert – mit allen Streitpunkten, die wir dazu aktuell haben.
  • Drittens kann man (wenn auch verknüpft mit dem ersten Punkt) vor allem die persönliche Bildung durch Wissenschaft anstreben – und das eben nicht nur bezogen auf Studierende, sondern auch bezogen auf alle anderen interessierten Bürger, die über die Beschäftigung mit Wissenschaft ihren Horizont erweitern.
  • Viertens – und jetzt kommen wir zu dem, was Christian allem voran vorschwebt – kann man eher eine „partizipative Wissenschaft“ , also vielleicht eine Wissenschaft 2.0, als Ziel einer öffentlichen Wissenschaft definieren: Interessanter Weise wird hier von Christian der „mode 2“ ins Feld geführt, was Erinnerungen in mir wach ruft, nämlich z.B. die Rede von Franz Weinert zu Heinz Mandls 60. Geburtstag. In dieser Rede (die es leider nirgends schriftlich gibt) drückte Weinert sowohl seine Skepsis gegenüber dieser partizipativen Form der „Wissensproduktion“ aus als auch seine Hochachtung vor Mandl, der es immer verstanden habe, solche neuen Trends mit der klassischen Grundlagenforschung zu verknüpfen.
  • Fünftens gibt es immer mehr Leute, die meinen, „öffentliche Wissenschaft“ heiße vor allem öffentlichkeitswirksames Wissenschaftsmarketing. Nun sind die Grenzen zwischen informativen und motivierend gemachten Darstellungen von Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und anbiedernder Exzellenz- und Qualitätsrhetorik im Hochglanzformat auf der anderen Seite sicher fließend und von mir aus kann eine „MS Wissenschaft“ auch mal eine Zeitlang durch die Flüsse schippern. Aufpassen aber muss man da schon, dass man wissenschaftliches Denken und Handeln nicht nur als Unterhaltensangebot und Anreiz für mögliche Sponsoren nutzt, sondern als ernst zu nehmende Chance zur technischen, wirtschaftlichen UND kulturellen und humanen Weiterentwicklung von Gesellschaften … und als Wert an sich.

Nächsten Dienstag (am 9. Juni) bin ich übrigens auch in Hamburg – mein Thema dreht sich aber um eine andere Frage, nämlich um die Herausforderung des forschenden Lernens.

Wann kommt die Aufklärung 2.0?

Wird das Web 2.0 „entmündigte“ Mitarbeiter zu kreativen Intrapreneuren und den gelangweilten Schüler zum selbständigen Denker machen? Wenn es nach den Beiträgen zum Thema Web 2.0 in der taz seit Anfang des Jahres geht, dann ist das so. In loser Folge beleuchtet das Blatt das „Lernen 2.0 … mit Reportagen aus Laptop-Klassen, Porträts vom Lernen mit Blogs und Wikis, Interviews mit Vordenkern des neuen Lernens“. Das ist erst einmal gut und die bisherigen Artikel mit den Titeln „Die Entmündigten lernen, kreativ zu sein„, „Blogs – die Zukunft des Lernens“ und „Blogs geben Lernen wieder Sinn“ sind denn auch dazu geeignet, der vielleicht noch nicht in allen Punkten so Web 2.0-affinen Öffentlichkeit interessante Infos, Erfolgsbeispiele (die ja auch tatsächlich existieren) und spannende Visionen zu liefern. So weit so gut. Aber Leute! Wie kommt es, dass man alle Namen kennt? Natürlich sind da Thomas Rau, Lisa Rosa, René Scheppler und Martin Riemer – wer würde diese Namen nicht kennen, wenn er/sie sich für ein wie auch immer geartetes „Lernen 2.0″ interessiert. Was hat das zu bedeuten? Dass wir nur zu zehnt sind? Oder vielleicht zu 30? Und selbst wenn wir 100 oder sogar 300 sind – wie weit sind wir dann noch vom kreativen Intrapreneur im Unternehmen und vom selbständigen Denker in der Schule entfernt? Vielleicht kommt das von den Blogs: Da wir uns da vernetzen und uns – von kleineren Differenzen einmal abgesehen – so gut verstehen, bauen wir uns womöglich eine eigene Wirklichkeit und nehmen „die anderen“  gar nicht mehr richtig war? Ob unser holländischen Wohnzimmer gar Einwegscheiben haben? Gut, ich übertreibe jetzt ein bisschen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir so langsam mehr werden müssten, wenn die Hoffnung aufgehen soll, dass digitale Re- und Evolutionen so etwas wie Ermöglicher für ein sinnvolleres und aktiveres Lernen in Richtung von mehr Selbständigkeit, Partizipation und kritischem Denken gehen soll. Wann kommt die „Aufklärung 2.0″?