Unverzichtbares Instrument oder verzichtbare Gängelei?

Evaluation ist ein Thema, das in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten in der deutschen Hochschullandschaft kontinuierlich an Bedeutung gewonnen hat. Erfasst und bewertet wird alles, was sich irgendwie greifen lässt: Forschungsleistungen, Publikationen, Forschungsanträge, Reputation, und eben auch die Lehre und die Lehrenden. 2008 ist ein Buch mit dem Titel „Wissenschaft unter Beobachtung“ erschienen. Bruno Frey spricht darin von einer neuen Krankheit: der Evaluitis.

Lehrevaluationen gelten den einen als unverzichtbares Instrument der Qualitätssicherung und -entwicklung, den anderen als verzichtbare Gängelei von Lehrenden und Studierenden. Einerseits wird Transparenz in der Lehre gefordert, andererseits sind kleine Beteiligungsquoten überall ein Problem. Von nützlichen Rückmeldungen für eine bessere Lehre ist ebenso die Rede wie unnützen Befindlichkeitsmessungen. Lehrevaluationen erhitzen schnell die Gemüter und polarisieren mitunter stark.

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Schluss mit professionellem Dilettantismus

Geschichten sind eingängig und wenn sie auch noch wahr sind, regen sie besonders zum Nachdenken an. Ich hätte da eine Geschichte:

„Wie andere Produktionsbetriebe auch, war die Schuhindustrie in der Sowjetunion [Anm.: zur Zeit des Prager Frühlings] durch geringe Arbeitsproduktivität und eine gewaltige Ressourcenverschwendung geprägt. Niemand hatte einen Anreiz, sich Mühe zu geben […]. Die nächstliegende Lösung, nämlich die Einführung von Märkten, war aus ideologischen Gründen nicht möglich. So blieben nur künstlich inszenierte Wettbewerbe, um bestimmte positive Effekte einer Marktwirtschaft zu simulieren … Also begannen die Wirtschaftsexperten mit der Suche nach Leistungskriterien, um deren Erfüllung sich die Arbeiter dann einen Wettbewerb liefern sollten. Für die Schuhindustrie kamen die Experten auf die brillante Idee, einen Wettbewerb um möglichst hohen Materialverbrauch zu veranstalten und den besten Arbeitern dann entsprechende ´Leistungsprämien´ zu zahlen. Der Gedanke hinter dieser Tonnenideologie ist durchaus nachvollziehbar. Wer mehr Schuhe produziert, braucht mehr Material, dessen Verbrauch sich wiederum in Gewichtseinheiten messen lässt. Doch das Resultat war anders, als die Experten sich dies vorgestellt hatten. Im Verlauf weniger Jahre wurden die Schuhe immer schwerer. Die zuvor nur wenig motivierten Arbeiter in der Schuhindustrie zeigten sich plötzlich innovativ und entwickelten kontinuierlich neue Modelle, bei denen sie noch mehr Material verwenden konnten“ (Binswanger, 2010, S. 47 f.).

Wem kommen da nicht sofort analoge, aktuelle Beispiele aus dem eigenen Bereich der Forschung und Lehre in den Sinn? Künstlich inszenierte Wettbewerbe haben sich ja geradezu zum Leitparadigma der Hochschulpolitik und Hochschulen entwickelt. Auch dazu weiß Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ (2010 im Herder Verlag erscheinen) zu berichten. Werner Hartmann hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht und ich habe es mit Gewinn gelesen.

Insbesondere der erste Teil war für mich sehr interessant: Hier zeichnet Binswanger anhand anschaulicher Beispiele die Genese der heute allgegenwärtigen Marktgläubigkeit nach und beschreibt die Illusionen, die mit künstlichen Wettbewerben ohne echten Markt geschürt werden. Zudem begründet er nachvollziehbar, dass man qualitative Leistungen nicht mit Kennzahlen messen kann, und warum man, wenn man es dennoch macht, Unmengen von Bürokratie und perverses Verhalten erzeugt. Im zweiten Teil wendet er seine Überlegungen auf die Bereiche Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen an. Seine Folgerungen am Ende des Buches sind entsprechend konsequent. So bezeichnet es Binswanger (2010, S. 216) z.B. als kontraproduktiv, „Wissenschaftler, Professoren, Lehrer oder Ärzte unter den Generalverdacht der Leistungsverweigerung zu stellen und in jedem ein potentiell schwarzes Schaf zu vermuten, aus dem man eine gute Leistung mit einem Zuckerbrot herauskitzeln oder mit der Peitsche herausprügeln muss.“ Er plädiert dafür, wieder subjektive Verantwortung zu übernehmen, statt sich auf pseudo-objektive Zahlen zu verlassen: „Ein begründetes subjektives Urteil kann man nur abgeben, wenn man über das zu beurteilende Individuum und dessen inhaltliche Tätigkeit Bescheid weiß. Doch dieser Mehraufwand lohnt sich. Die Verdrängung des Inhalts durch Form ist nämlich eines der Hauptprobleme der Verwendung von ´objektiven Kennzahlen´. Immer mehr ´Leistungen´ und ´Qualitäten´ werden gemessen, evaluiert und beurteilt, ohne dass irgendjemand Ahnung hat, was sich inhaltlich dahinter verbirgt. Und mit diesem professionellen Dilettantismus gilt es aufzuhören“ (Binswanger, 2010, S. 223). Man ist angesichts solcher Zitate in Versuchung, das Buch allen Unileitungen zu empfehlen.

Die schwierige Qualitätsfrage

Verspätet möchte ich auf einen Preprint hinweisen zum Thema „Evaluation und Qualitätssicherung beim E-Learning“ – verspätet deshalb, weil ich dachte, da kämen noch Verbesserungswünsche. Der Text mit dem Titel „Kontinuierliche Qualitätsentwicklung: Von der Präsenz zur E-Lehre“ ist zusammen mit Alex und Silvia entstanden und versteht sich vor allem als Praxisbeispiel im neuen Buch von Horst Otto Mayer und Willy Kriz, das eben erschienen ist: Evaluation von eLernprozessen.

Ich werden diesen Herbst an der UniBwM mehrere Evaluationsveranstaltungen anbieten, sodass diese Neuerscheinung gerade rechtzeitig kam. Bei der Recherche zum Thema ist mir nämlich aufgefallen, dass das Interesse an Evaluationsfragen im Kontext des Lehrens und Lernens mit (digitalen) Medien offenbar schon mal größer war.

Evaluation_Kurs_QSF_2010

Nochmal Qualität … hoffentlich

Auf meinen schriftlichen Beitrag zum Zusammenhang von Kompetenz, Qualität und Assessment anlässlich der IATEL-Konferenz an der TU Darmstadt habe ich ja bereits hingewiesen (hier).  Im dazugehörigen Vortrag habe ich michbemüht, das zugegebenermaßen etwas trockene Thema noch etwas eingängiger und abgespeckter darzulegen – ich hoffe, es ist mir zumindest in Ansätzen gelungen. Gerne stelle ich das Manuskript zur Verfügung, wobei natürlich die Artikel-Fassung insofern umfassender ist, als dass ich da meine Argumente mit Quellen belege. Anbei auch die Folien, die in diesem Fall möglicherweise hilfreich sind, weil sie das Gesagte sichtbar strukturieren.  Zu Eindrücken aus der Konferenz demnächst mehr.

Vortrag_Darmstadt_Juni09

Folien_Darmstadt_Juni09

Kopfzerbrechen über Qualität, Kompetenz und Assessment

Was könnte man vor und während Ostern alles machen? Eier anmalen, Kuchen backen, Zeitung lesen, gemütliche Kafferunden …. man kann sich aber auch den Kopf über Qualität, Kompetenz und Assessment beim E-Learning zerbrechen – wenn man will. Ich habe im Eifer des Gefechts dieses Thema für die Tagung „Interdisziplinäre Zugänge zu technologiegestütztem Lernen“ bzw. da für die Session „Qualität und Kompetenz“ vorgeschlagen und wäre in den letzten Tagen fast verzweifelt daran, weil man vom Zehnten ins Tausendste kommt und sich zudem auch noch rasch im Kreis dreht. Nun habe ich einen Artikel dazu weitgehend fertig, aber es wäre zu früh, ihn online zu stellen. Zudem muss ich daraus erst noch einen Vortrag basteln, denn es ist leider ziemlich komplex geworden. Was ich aber gerne machen kann, ist schon mal die Einführung und damit auch eine Art Abstract sowie den Anhang in Form von zwei Tabellen verfügbar machen. Vielleicht regt es ja zur Diskussion an. Im Juni kommt dann ein vollständiger Preprint.

abstract_matrix_darmstadt

PS: Unsere Uni-Server sind in den letzten Tagen hoffnungslos überlastet. Darunter leidet auch mein Blog. Ich bitte das zu entschuldigen. Ich denke, ich werde in Kürze umziehen, um das in Zukunft zu vermeiden.