Schadet Lehren der Gesundheit?

Über Jochen Robes bin ich auf einen Vorabdruck eines Textes von Michael Kerres, Tobias Hölterhof und Axel Nattland aufmerksam geworden (hier). Der Text versucht eine Antwort auf die Frage nach der Zukunft klassischer Lernplattformen (LMS) vor dem Hintergrund der Entwicklungen sozialer Netzwerke und dazugehöriger Technologien. Unter anderem werden Überlegungen angestellt, ob und wie man beides auch unter einen Hut bringen könnte.

Was mich bei Texten zu solchen oder ähnlichen Themen immer wieder wundert, ist die nach wie vor praktizierte Polarisierung und mehr oder weniger implizite Wertung von informellem Lernen ohne Lehrpersonen einerseits und Lernen in Institutionen angeleitet durch Lehrpersonen andererseits. Wenn Kerres et al. (Seite 2) z.B. feststellen, dass klassische LMS an sich „Lehrplattformen“ sind, dann stimme ich zu: Sie dienen dem Lehrenden dabei, z.B. Lehrmaterialien zugänglich zu machen, Aufgaben zu verteilen, Feedback zu geben und inzwischen auch Werkzeuge u.a. für kollaborative Bearbeitungsformen von Projekten, Fällen und anderen Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Hier initiiert nicht primär der Lernende den Medieneinsatz, sondern er reagiert und erhält – je nach Konzept einer Veranstaltung – Möglichkeiten und Anregungen für rezeptive und/oder produktive, individuelle und/oder soziale Aktivitäten. Warum aber kommt dann sofort die bewertende Folgerung, dass man doch besser auf ein LMS verzichten sollte, weil es ja „nur“ eine „Lehrplattform“ sei? Greifen angeleitetes und selbstorganisiertes Lernen im Idealfall nicht ineinander? Und WENN ich mich in eine Bildungsinstitution begebe, erwarte ich denn dann nicht, dass Lehrende auch die Initiative ergreifen, mir Inhalte zumindest mit auf den Weg geben, mich unterstützen etc.?

Gegen Ende des Textes werden auch kritische Aspekte und Grenzen etwa des Lernens ausschließlich in sozialen Gemeinschaften thematisiert. Im Fokus aber bleiben der von den Autoren beobachtete „Trend hin zu sozialen Umgebungen“ und eine aus meiner Sicht mit transportierte Skepsis gegenüber Lehrtätigkeiten an sich. Aber: Warum? Ist Lehren gefährlich und schadet der Gesundheit derer, an die sich das Lehren richtet? Oder ist es vielleicht auch bequemer sich vom Lehren zu distanzieren, weil man dann auch keine Verantwortung für das hat, was am Ende herauskommt? Das jedenfalls frage ich mich immer häufiger, wenn ich Beiträge zum Lernen mit Web 2.0 lese.

Antiintellektueller Wissenschaftspopulist

Sehr schön – ich würde mir das an die Bürotür schreiben: „antiintellktueller Wissenschaftspopulist“ – so die Bezeichnung, die Christian Spannagel laut eigener Aussage bereits (unter anderem) erhalten hat. In welchem Zusammenhang er das sagt, kann man sich in einem sehenswerten kurzen Film anschauen (hier), der bereits durch diverse Blogs wandert. „Mut haben“ und „Mut entwickeln“ spielt als (berufliches und persönliches) Thema in dem Film bzw. in Christians Aussagen eine große Rolle – was freilich nicht verwundert, wenn man seine Blogbeiträge kennt. Aus meiner Sicht treffend ist auch der Satz: „Wenn man sehr präsent ist im Web 2.0 und ´öffentliche Wissenschaft´ betreibt, dann darf man zu allererst mal sich selbst nicht allzu ernst nehmen“. Vielleicht ist das der Grund, warum es so vergleichsweise wenige bloggende Professoren gibt? 😉 Und: „Man darf keine Angst vor Fehlern haben“. @Christian: da gebe ich dir Recht!

Zu wenig Spektakuläres

Es wird Zeit, endlich mal ein paar Worte über eines unserer neuen Projekte zu verlieren, das uns eher unerwartet „zugeflogen“ ist. Der Kommunikationswissenschaftler Michael Schenk kam im Sommer auf mich zu und fragte zwecks Kooperation zur Bewerbung auf eine Ausschreibung der Landesanstalt für Medien NRW an. Inhalt der Ausschreibung bzw. jetzt des Projekts waren bzw. sind: „Datenschutz und Persönlichkeitsrechte in Social Networks, Foren & Co. Problembewusstsein von jungen Nutzern und Konsequenzen für medienpädagogisches Handeln“. Ein Abstract zum Projekt mit allen weiterführenden Links findet sich hier. Einen dazu passenden Blog-Beitrag mit Fokus auf dem Konzept der informationellen Selbstbestimmung, der nun auch schon etwas länger zurückliegt, kann man auch bei Jan Schmidt (hier) lesen.

Ich bin sehr froh, dass wir für dieses Projekt Jan-Mathis Schnurr anstellen konnten: Er hat bei uns in Augsburg Medien und Kommunikation studiert; ich habe seine beiden Abschlussarbeiten betreut, die ihn für das Projekt sehr gut qualifizieren.

Weil das Themas „Öffentlichkeit und Privatheit“ in sozialen Netzwerken auch in den Massenmedien viel diskutiert wird, gehe ich davon, dass an der Studie großes Interesse sein wird – jedenfalls erwarte ich da mehr als dies bei unseren ansonsten eher didaktischen Themen der Fall ist, die in der Öffentlichkeit ganz offenbar nicht als so spannend empfunden werden. Das ist mir vor kurzem auch in einem Gespräch mit dem Pressesprecher der UniBwM klar geworden, der sich für das Projekt sehr interessierte, während er Didaktik-Projekte als „eher doch sehr speziell und schwer verständlich“ einschätzte. Tja – das finde ich natürlich schon SEHR schade, weil ich der Meinung bin, dass gerade Fragen der Vermittlung von Wissen, der Förderung von Kompetenzen und der Bildung generell in unserer Gesellschaft ausgesprochen wichtig sind. Aber irgendwie fehlt es den Bildungsthemen offenbar an Außenwirkung – jedenfalls jenseits von PISA-Rankings und Bologna-Studentenproteste: Da passiert einfach zu wenig Spektakuläres, zu wenig sinnlich Wahrnehmbares … (was ist schon eine persönliche Erkenntnis gegen ein Nacktfoto im Internet).

Für mich persönlich ist das LfM-Projekt unter anderem aus interdisziplinärer Sicht interessant: Neben der Kommunikationswissenschaft arbeiten wir da auch mit Rechtsexperten zusammen. Zudem sind die in der Studie zu behandelnden Fragen relevante und wiederkehrende Punkte auch für didaktisches Handeln, wenn Web. 2.0-Anwendungen zum Einsatz kommen sollen.

Weltraummüll

Christian Spannagel hat – neben einigen anderen interessanten Berichten aus Maputo – in seinem Blog am Ende des letzten Beitrags über den Einsatz von Wikis auf ein aus meiner Sicht wichtiges Problem hingewiesen, zu dem sich auch einige Leser in Kommentaren geäußert haben. Er schreibt: „Es ist zwar gut verstanden worden, wie man mit einem Wiki arbeitet und wofür das gut ist. Allerdings sind die inhaltlichen Ergebnisse nicht sonderlich überzeugend. Problem: Was macht man jetzt? Die Studierenden arbeiten nicht mehr darin, und die Ergebnisse stehen nun mehr oder weniger halbfertig und halbkorrekt im Internet. Soll ich das als Dozent verbessern? Soll ich einen Kommentar auf die Seite schreiben, der die Inhalte relativiert?“ Den Kommentaren kann man entnehmen, dass diese Erfahrung unabhängig von der Nationalität der Lernenden und von der Person des Lehrenden ist: Viele Angebote, gerade auch solche, die man mit Hilfe von Web 2.0-Anwendungen, macht, werden von wenigen oder auch mal gar keinen Studierenden aufgegriffen, sofern es nicht unmittelbar prüfungsrelevant oder sonst irgendwie „erzwungen“ ist. Für die Qualität dieser Inhalte kann man auch nicht die Hand ins Feuer legen – das kann sehr gut, okay oder auch schon mal einfach nur schlecht und/oder schlampig sein. Sind diese Dinge öffentlich zugänglich, ist Christians Frage, wie man damit umgehen soll, auf jeden Fall gerechtfertigt.

Dass das – wie einige Kommentatoren meinen – „nicht so schlimm“ sei und man sich „keinen Stress machen“ solle, ist mir zu einfach. Müssen wir als Lehrende wirklich auch noch dazu beitragen, dass global verstreute Inhalte, die nichts taugen, an Umfang wachsen und dann wie Weltraummüll nicht mehr eingefangen werden können? Dass man – so ein anderer Vorschlag – das Ergebnis umbenennen solle „weg vom Inhalt hin zum Prozess“ (als „work in progress“) erscheint mir schon sinnvoller, aber auch nicht optimal, denn: Wenn man eh weiß (oder erwartet), dass z.B. das Wiki ein Friedhof bleiben wird, ist dann der Hinweis auf einen wie auch immer gearteten Fortschritt wirklich gerechtfertigt? Dann also besser keine Öffentlichkeit für “Wissensprodukte“, die aus der Lehre kommen? Das wäre dann auch eine extreme Reaktion, denn es gibt sie auch – die tollen Ergebnisse, auf die man als Lehrender stolz ist. Deswegen bin ich auch ein bisschen stolz auf das immer noch existierende w.e.b.Square in Augsburg, wo wir zumindest mal EINE Lösung für einen TEIL des skizzierten Problems gefunden haben. Jedenfalls bin ich inzwischen der Meinung, dass man besser nicht alle möglichen studentischen Inhalte gleich veröffentlichen sollte, dass man als Lehrender auf die Qualität der öffentlich zugänglichen Inhalte achten oder andere Strategien einführen muss, dass so etwas wie Qualitätssicherung stattfindet, und dass halbfertige oder schlechte Inhalte zwar öffentlich reflektiert werden können, aber ansonsten (ohne Reflexion) besser den Papierkorb wandern sollten.

Peer Review auf der GMW

Für die Jahrestagung der GMW 2010 in Zürich haben Silvia Sippel, Christian Spannagel und ich einen Beitrag zum Peer Review eingereicht. Dieser wird im diesjährigen GMW-Band erscheinen, der selbst auch wieder online verfügbar sein wird. Wir haben uns dazu entschieden, die interaktiven Formate zu nutzen und ein „Learning Café“ zum Thema Peer Review anzubieten. Der Beitrag dient also nur als Aufhänger. Das Thema Peer Review ist streitbar. Welche Rolle digitale Medien, speziell Web 2.0-Anwendungen dabei spielen können, steigert die Kontroverse erfahrungsgemäß noch einmal. Von daher glauben bzw. hoffen wir, dass es viel Gesprächsstoff und Diskussionen gibt, aus denen womöglich auch ein paar neue Ideen hervorgehen.

PeerReview_GMW10

Einstieg in den Ausstieg

Von wegen keine Kommentarkultur: Es kommt eben auf die Art der Meldung an, ob und wie viele Kommentare man erhält. Persönliche Meldungen, die uns berühren, regen offenbar mehr dazu an, sich mitzuteilen, als wissenschaftliche Beiträge. Und wenn es dann noch eine Ankündigung des Einstiegs in einen weitgehenden Aussteig aus der Web 2.0-Welt ist, dann ist das auf diesem Kommunikationskanal (also Blogs) wohl nur verständlich. Christian fühlt sich im Netz verstrickt und kappt konsequenterweise etliche Verbindungen – ohne uns aber (wie er ankündigt) komplett verloren zu gehen. Ein sicher sinnvoller Schritt … und interessante zahlreiche Reaktionen – hier nachzulesen.

Nachtrag (08.05.2010): Christian hat seinen Ausstieg nun doch etwas näher erläutert (hier), worauf ich der Vollständigkeit halber noch kurz verweisen möchte.

Wer kümmert sich?

Dass die Masse kein Garant dafür ist, dass sich jemand für eine Sache verantwortlich fühlt, ist an sich hinlänglich bekannt. Man denke nur an die traurige Tatsache, dass ganze Menschenhorden an Unfällen oder Menschen in Bedrängnis achtlos vorübergehen oder –fahren. Dass dieses Problem auch bei weniger existenziellen Ereignissen im virtuellen Raum auftritt, darauf verweist der Spiegel Online-Artikel „Hilferuf aus dem Maschinenraum“. Der Beitrag schildert, dass und warum es bei Wikipedia keinen Mangel an neuen Einträgen, wohl aber ein Defizit bei der kontinuierlichen Pflege derselben gibt. Die Folge sind verwahrloste Einträge und ein beständiges Wiederaufflammen des „Relevanz-Streits“ (Was ist relevant genug, um in einer Enzyklopädie zu stehen?). Dagegen hilft nur das permanente „sich kümmern“ – aber wer macht es? Wer kümmert sich? Ich finde diese Frage sehr wichtig – und zwar auch deshalb, weil das keine Frage ist, die allein Wikipedia betrifft, sondern generell gilt – gerade auch in Bildungsinstitutionen. Es gibt viele Leute mit vielen guten Ideen, auch solche, die mal eben was initiieren. Wer aber kümmert sich darum, dass nach der ersten Euphorie auch etwas entsteht, das zumindest für einen nennenswerten Zeitraum erhalten bleibt und Bildungspotenziale bietet? Wer fühlt sich wofür verantwortlich? Dass man diese Frage zu wenig stellt (und ich nehme mich da gar nicht aus), ist eine meiner größten Befürchtungen, wenn wir im Zuge der Web 2.0-Bewegung darauf setzen, dass allein die Masse schon ein Gewinn ist. Aber Masse bedeutet immer auch Anonymität und das dürfte der größte Feind für persönliche Verantwortung sein. Wenn man den hier zitierten Spiegel Online-Beitrag zu Wikipedia unter dieser Perspektive liest, könnte man ihn viel grundsätzlicher verstehen – nämlich als Anstoß zum Nachdenken darüber, wofür man sich als Einzelner wirklich so verantwortlich fühlt, dass man bereit ist, sich längerfristig und intensiver darum zu kümmern.

Im Mikrobereich

Das Handbuch E-Learning kann auf einen neuen Artikel verweisen: Jochen Robes hat diesen über „Microlearning und Microteaching: Flexible Kurzformate in der Weiterbildung“ geschrieben. Erfreulicherweise kann man den Artikel hier auch online lesen. Ein Beitrag zu diesem Thema in deutscher Sprache war wohl überfällig, geistern die „Micro“-Phänomen doch durch viele Blogs und Web-Seiten, wobei vieles, was man da lesen kann, wenig reflektiert und eher reißerisch oder leicht esoterisch angehaucht daherkommt. Gut strukturiert und sorgfältig recherchiert, angereichert mit anschaulichen Beispielen führt der neue Artikel aus meiner Sicht nun verständlich in das Thema ein, liefert bekannte wie auch neue Strukturierungsvorschläge und Definitionen, aber auch eine Reihe von Thesen, die man sicher kritisch diskutieren könnte, im Text aber eher als Prämissen geliefert werden. Ein paar wenige Dinge gefallen mir nicht (So ist z.B. die „Zielgruppenmatrix nach Rosenberg“ auf Seite 14 nicht gerade überzeugend). Alles in allem aber liegt hier ein empfehlenswerter Text vor, der an manchen Stellen auch zum Nachdenken anregt und jedenfalls bei mir auch ein paar offene Fragen und Gedanken zum Thema „Microlearning“ provoziert:

  • In der Einführung wird auf Jay Cross verwiesen, der meint, dass geplante Bildungsangebote zu kurz greifen, weil der Wandel zum Alltag wird. Ich frage mich da, wer denn den Wandel bestimmt und ob es nicht genau auch Aufgabe von Bildung ist, Menschen darin zu unterstützen, an diesem Wandel zu partizipieren. Wenn dem so ist, geht es gar nicht immer nur um kurzfristige Reaktionen auf neue Anforderungen (dem formale Bildungsangebote nicht nachkommen können), sondern um sehr beständige Grundfähigkeiten, die man auch im Erwachsenenalter noch weiter ausbauen und verfeinern kann. Ich glaube nicht, dass das Heil im informellen Lernen liegt, weil man mit einer Einengung von Bildung auf das informelle Lernen viel eher Gefahr läuft, dass sich Menschen vor allem kurzfristig anpassen, was dann der Grundidee einer Partizipationsfähigkeit, die hier immer angeführt wird, sogar zuwiderläuft oder zuwiderlaufen kann.
  • Nicht ganz verstanden habe ich die vergleichsweise rasche Gleichsetzung des Microlearning mit einem Lernen, das automatisch auch aktive Produktionsprozesse des Lernenden umfasst und grundsätzlich als informell bezeichnet werden kann (Seite 6). Letzteres wird an späterer Stelle verständlicher, wenn das Microtraining eingeführt wird – quasi das angeleitete und in formale Bildungsangebote integrierte Pendant zum Microlearning. Hier könnte man sich wieder die Diskussionen einfangen, wie wir sie ja auf mehreren Blogs (auch hier) zum E-Learning-Begriff geführt haben: Jeder wird unter diesen Begriffen etwas anderes verstehen und kaum jemand wird sich an die differenzierte Begriffsverwendung halten.
  • An mehreren Stellen (z.B. auf Seite 8 ) habe ich mich gefragt, ob wir nicht einen deutlicheren Unterschied zwischen einem „Lernen als Sich-Informieren“ und einem „Lernen als Wissensaneignung“ machen müssten: Hier merkt man, wie wertvoll Lehrzieltaxonomien sind (z.B. die von Anderson und Krathwohl: hier eine gute Übersicht), die einem bewusst machen, dass es natürlich seitens eines „Anbieters“ oder Lehrenden oder des Lernenden selbst ganz verschiedene Bildungsabsichten geben kann, die man nicht auf allen Wegen erreichen kann.
  • In der zweiten Texthälfte wird das Microlearning als E-Learning 2.0 bezeichnet. Gleich im nächsten Abschnitt wird sehr schön gezeigt, dass man Microlearning durchaus auch in formale Bildungskontexte integrieren kann. Wozu also eigentliche diese unsägliche Gegenüberstellung von 1.0 und 2.0? Auf der (theoretischen) Ebene der Lernparadigmen hat man inzwischen aufgehört, verschiedene Auffassungen und Sichtweisen von Lernen als sich ausschließend gegenüberzustellen – allein zum Zwecke des Kennenlernens der verschiedenen Auffassungen erscheint es legitim, auf die Unterschiede aufmerksam zu machen. In der Praxis aber ist es äußerst unproduktiv, verschiedene „Lern-Versionen“ gegeneinander auszuspielen. Das bringt auch Robes selbst mit folgendem Satz, wie ich meine, gut zum Ausdruck: „Nutzer können … demselben Microcontent in ganz unterschiedlichen Situationen begegnen“ (Seite 14): Eben! Und es können dann natürlich auch ganz unterschiedliche Lernprozesse resultieren, die sich theoretisch unterschiedlich deuten lassen.
  • Gegen Ende des Beitrags liest man folgendes: „In wissensbasierten Arbeitszusammenhängen ist … die organisatorische Unterscheidung zwischen Lernen, Wissensmanagement, Performance Support und Kommunikation wenig sinnvoll“ (Seite 15). Vor dem Hintergrund der vorab gelieferten Argumente ist diese Folgerung nachvollziehbar. Aber: Wenn die Unterscheidung nicht mehr sinnvoll ist, wie nennt und organisiert man es dann? Vielleicht bräuchte man eine eigene Kategorie für das Lernen in Unternehmen versus Lernen in Bildungsinstitutionen? Oder gibt es neben Lernen, Wissen, Kommunikation einen ganz anderen Begriff, der besser passt? Eine schlaue Idee habe ich dazu leider auch nicht.

Kampfansage gegen die Netzgeneration

Rolf Schulmeister hat mit seinem fast schon Buchumfang erreichenden Beitrag zur Netzgeneration (inzwischen in der zweiten Version: online hier zugänglich) bereits Furore gemacht und bleibt dran am Thema – auch auf der diesjährigen GMW: „Studierende, Internet, E-Learning und Web 2.0“ lautet sein Beitrag (im Tagungsband auf den Seiten 129 bis 140). Für Weihnachten 2009 ist die Version 3 des oben genannten „Werkes“ angekündigt. Berichtet werden im Beitrag zentrale Ergebnisse, allem voran Übereinstimmungen und Diskrepanzen zwischen drei aktuellen Studien, die die medialen Nutzungsgewohnheiten von Studierenden untersuchen. Interessant sind die methodischen Hinweise zur Befragung in der von Schulmeister selbst unterstützten Studie, die ich sehr wichtig finde, um typische Artefakte bei Befragungen auf diesem Feld in den Ergebnissen zu vermeiden. Auch die Entscheidung für den Modus (der am häufigsten gewählte Wert) statt des Mittelwerts bei der Auswertung ist mehr als überfällig – es sollte uns ein Vorbild sein.

Zusammenfassend kommt Schulmeister zu dem Schluss, dass die inzwischen vorliegenden empirischen Ergebnisse sehr ernüchternd sind: Die befragten Studierenden erweisen sich weitgehend NICHT als Enthusiasten der konstruktiven Netz-Nutzung. Natürlich ist der Beitrag keine „Kampfansage an die Netzgeneration an sich“, denn laut Schulmeister gibt es die in der postulierten Form gar nicht. Es ist also eine Kampfansage an die Mystifizierung einer Generation, die mit dem Netz aufwächst, dieses aber letztlich nur als erweitertes Telefon oder Suchwerkzeug nutzt – mal überspitzt formuliert.

Im Vortrag wurden weitere Gedanken und Thesen formuliert, so z.B. die, dass die Web 2.0-Nutzung aus der Freizeit keinen Transfer auf Bildungskontexte erlebt, dass das „Web 2.0“ womöglich für das formale Lernen gar nicht geeignet sei und sich Lernen und Bewerten wohl eher ausschließen (wobei die Rolle des Web 2.0 bei Letzterem diffus bleibt).

Neben mir rutscht Tom Sporer bei solchen Worten unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Warum? Weil Schulmeisters Worte für manche Ohren resigniert und danach klingen, dass wir es besser bleiben lassen sollten, „partizipative Web-Anwendungen“ in Lehrveranstaltungen einzuführen? Das kränkt jeden „Erneuerer“ und die, die sich engagieren. Oder weil unklar bleibt, was aus solchen empirischen Befunde denn jetzt folgt, die man nun mal nicht wegdiskutieren kann? Im Text stellt Schulmeister einfach nur fest, dass die Ergebnisse der Studie „ein negativer Spiegel unserer Anstrengungen“ (S. 140) seien, E-Learning einzuführen. Der Leser kann und soll seine Folgerungen selbst ziehen. Entsprechend spannend wäre es gewesen, hier eine längere Diskussion anzuschließen.

PS: Auch in diesem Beitrag werden übrigens Aktivitäten wie Lesen, Zuhören und Anschauen als „passiv“ bezeichnet, was ich nicht teilen kann. Ich plädiere für die Bezeichnung „rezeptiv“ (versus produktiv), weil vor allem Lesen und Zuhören sehr wohl „aktiv“ in dem Sinne sind, dass sie sich nicht auf mentale Reaktionen beschränken.

Konservativ im Web 2.0?

In den letzten beiden Wochen habe ich viel gelernt – nämlich im Austausch mit einigen Mitgliedern unserer „Versuchs-Community“ mit dem vielleicht etwas groß aufgehängten Titel „Wissenschaftler 2.0“. Wie meine ich das bzw. was genau habe ich gelernt?

  • Ich habe erstens gelernt, dass ich auf Polemik im unmittelbaren Dialog empfindlich reagiere: Ich verliere dann offenbar die Freude an der Diskussion. Ich bin schon auch ganz gern mal polemisch – z.B. in Vorträgen, wenn ich niemanden direkt anspreche, quasi als rhetorische Figur. Im Dialog bin ich konservativ – ich versuche, dem anderen Respekt zu zollen, fordere das aber offenbar auch ganz massiv ein.
  • Ich habe zweitens gelernt, dass es schwer ist, zwei Logiken oder Paradigmen, oder wie immer man das bezeichnen will, zusammenzubringen. Also, eigentlich weiß ich das, denn ich habe mir an solchen Dingen schon öfter die Zähne ausgebissen, aber nun habe ich ein Beispiel mehr: Der Versuch, überhaupt die Idee zu verbreiten, Vorteile eines klassischen Peer-Reviews mit Vorteilen neuer Formen des digital unterstützen Wissensaustausches zu verknüpfen, gelingt zumindest nicht auf Anhieb.
  • Ich habe drittens gelernt, dass die verschiedenen Wege, etwas Neues anzustoßen, auf unterschiedliche Gegenliebe und Interpretationen stoßen: Vom Primat des Tuns über das Nachdenken (im Sinne von Theorien Aufstellen) über die Vorrangstellung des Nachdenkens vor dem Tun bis zum Versuch, beides parallel oder zumindest in sehr kurzen Zyklen zu betreiben. Da gibt es persönliche Vorlieben und Überzeugungen (ich neue zu letzterem).
  • Ich habe viertens gelernt, dass sich schnell Gemeinschaften – ich hätte jetzt fast gesagt „zusammenrotten“, aber vielleicht sage ich besser: zusammentun, ohne dass an sich klar ist, welchen Beitrag man da als Einzelner leisten könnte. Ich bin unerfahren, was Online-Communities außerhalb der Lehre betrifft, und war der irrigen Annahme, dass man diesen nur beitritt, wenn man einen unmittelbaren Zweck damit verfolgt (z.B. Feedback einholen und geben in Bezug auf Artikel oder Ideenskizzen, wie es die Grundidee oder erste Idee der oben genannten Community ist). Welche Folgen es hat, dass das offenbar anders läuft, weiß ich noch nicht.

Der für meine Arbeit wichtigste Lerneffekt (den ich wohl gemerkt ohne die Community NICHT hätte!)  ist aktuell der, den ich an zweiter Stelle genannt habe: Ich sehe es als große Herausforderung, die Vorteile des bisher praktizierten Peer-Reviews mit den neuen Chancen eines öffentlichen Peer-Reviews unter Nutzung aktueller digitaler Medien und der damit mitschwingenden „2.0-Philosophie“ genauer zu beleuchten, Lösungsideen zu entwickeln und natürlich auch zu erproben. Ich sehe hier auch eine Parallele zur momentanen Assessment-Diskussion, denn in gewisser Weise ist ein Review ja auch ein Assessment, nämlich bisher eines, das stark auf Selektion ausgerichtet ist, während ich mir eines vorstelle, das viel stärker auch einen Lerneffekt hat. Da werde ich nächster Zeit (bald ist Urlaub!) mal intensiver drüber nachdenken. Ich hoffe dann natürlich auch, dass ich das Ergebnis des Nachdenkens in konstruktiver Weise in unsere Wissenschaftler 2.0-Community einfließen lassen kann.