Weltraummüll

Christian Spannagel hat – neben einigen anderen interessanten Berichten aus Maputo – in seinem Blog am Ende des letzten Beitrags über den Einsatz von Wikis auf ein aus meiner Sicht wichtiges Problem hingewiesen, zu dem sich auch einige Leser in Kommentaren geäußert haben. Er schreibt: „Es ist zwar gut verstanden worden, wie man mit einem Wiki arbeitet und wofür das gut ist. Allerdings sind die inhaltlichen Ergebnisse nicht sonderlich überzeugend. Problem: Was macht man jetzt? Die Studierenden arbeiten nicht mehr darin, und die Ergebnisse stehen nun mehr oder weniger halbfertig und halbkorrekt im Internet. Soll ich das als Dozent verbessern? Soll ich einen Kommentar auf die Seite schreiben, der die Inhalte relativiert?“ Den Kommentaren kann man entnehmen, dass diese Erfahrung unabhängig von der Nationalität der Lernenden und von der Person des Lehrenden ist: Viele Angebote, gerade auch solche, die man mit Hilfe von Web 2.0-Anwendungen, macht, werden von wenigen oder auch mal gar keinen Studierenden aufgegriffen, sofern es nicht unmittelbar prüfungsrelevant oder sonst irgendwie „erzwungen“ ist. Für die Qualität dieser Inhalte kann man auch nicht die Hand ins Feuer legen – das kann sehr gut, okay oder auch schon mal einfach nur schlecht und/oder schlampig sein. Sind diese Dinge öffentlich zugänglich, ist Christians Frage, wie man damit umgehen soll, auf jeden Fall gerechtfertigt.

Dass das – wie einige Kommentatoren meinen – „nicht so schlimm“ sei und man sich „keinen Stress machen“ solle, ist mir zu einfach. Müssen wir als Lehrende wirklich auch noch dazu beitragen, dass global verstreute Inhalte, die nichts taugen, an Umfang wachsen und dann wie Weltraummüll nicht mehr eingefangen werden können? Dass man – so ein anderer Vorschlag – das Ergebnis umbenennen solle „weg vom Inhalt hin zum Prozess“ (als „work in progress“) erscheint mir schon sinnvoller, aber auch nicht optimal, denn: Wenn man eh weiß (oder erwartet), dass z.B. das Wiki ein Friedhof bleiben wird, ist dann der Hinweis auf einen wie auch immer gearteten Fortschritt wirklich gerechtfertigt? Dann also besser keine Öffentlichkeit für “Wissensprodukte“, die aus der Lehre kommen? Das wäre dann auch eine extreme Reaktion, denn es gibt sie auch – die tollen Ergebnisse, auf die man als Lehrender stolz ist. Deswegen bin ich auch ein bisschen stolz auf das immer noch existierende w.e.b.Square in Augsburg, wo wir zumindest mal EINE Lösung für einen TEIL des skizzierten Problems gefunden haben. Jedenfalls bin ich inzwischen der Meinung, dass man besser nicht alle möglichen studentischen Inhalte gleich veröffentlichen sollte, dass man als Lehrender auf die Qualität der öffentlich zugänglichen Inhalte achten oder andere Strategien einführen muss, dass so etwas wie Qualitätssicherung stattfindet, und dass halbfertige oder schlechte Inhalte zwar öffentlich reflektiert werden können, aber ansonsten (ohne Reflexion) besser den Papierkorb wandern sollten.

Fragen lernen ist (nicht) schwer

Es ist Zeit für einen ersten Erfahrungsbericht zu meiner „Podcast-Vorlesung“, wobei zunehmend klar wird, dass das an sich die falsche Bezeichnung ist, denn zentral ist ja die Kombination aus Podcast, Textlektüre, Wiki-Arbeit und Tutorium. Wie das Konzept im Einzelnen aussieht, habe ich hier bereits beschrieben.

Am Anfang der Konzeption habe ich mir vor allem Gedanken über die Funktion und die Art des Podcasts gemacht. Das war/ist auch wichtig – insbesondere muss man den Studierenden genau sagen, welche Funktion der Podcast in diesem Konzept hat: Er hat rahmende und (hoffentlich) motivierende Funktion für die Textlektüre und soll zudem dabei helfen, bei der Textlektüre besser zu erkennen, was wichtig und was weniger wichtig ist. Dass genau das nämlich gar nicht so leicht ist, zeigte die erste Runde in der Wiki-Arbeit. Die se Wiki-Arbeit gerät jetzt bei der Durchführung der Veranstaltung zunehmend in den Fokus meiner Aufmerksamkeit, weshalb ich darüber kurz bercihten möchte.

Mit der Wiki-Arbeit betrete ich das zweite Neuland im Rahmen dieser Veranstaltung: Mein Ziel ist es, dass die Studierenden für insgesamt acht Themenblöcke in einem (geschlossenen) Wiki ihre Klausurfragen und dazugehörige Musterantworten selbst generieren! Dabei werden sie natürlich unterstützt. Wie diese Unterstützung genau aussieht, das war mir zu Beginn auch noch nicht klar, weil ich überhaupt nicht einschätzen konnte, wie das funktioniert. Nun liegen die ersten Erfahrungen vor. Erfreulich ist, dass die Kernzielgruppe der Veranstaltung (Studierende des Studiengangs Medien und Kommunikation) sich zu ca. 70% an der Wiki-Arbeit (in Partnerarbeit) bislang beteiligt haben. Wie zu erwarten war, erwies sich die erste Wiki-Runde allerdings noch in vielen Dingen als verbesserungswürdig: Trotz Instruktionen und Hinweise vorab wurden z.B. viele ähnliche Fragen doppelt oder mehrfach gestellt (und beantwortet). Mitunter passten die Antworten nicht oder zu wenig zu den Fragen. Manche Fragen waren so gestellt, dass sehr viele Antworten möglich wären, was in einer Klausur nicht funktionieren kann. Verschiedene Fragetypen zu produzieren, wurde noch kaum bewerkstelligt. Sehr viele Fragen rankten sich um Details, die ich niemals abfragen würde (und wenn ich es täte, hätte ich eine aufgebrachte Menge von Studierenden vor mir).

Nach Schließen der ersten Runde habe ich alle Beiträge im Wiki ausführlich kommentiert, die Probleme aufgezeigt und Alternativen angeboten. Auf einer zweiten Wiki-Seite habe ich dann ein korrigiertes Set an Fragen und Antworten zur Verfügung gestellt. Die zweite Runde lief daraufhin bereits wesentlich besser. Viele Fehler, auf die ich hingewiesen hatte, wurden weniger gemacht. Langsam fingen die Studierenden auch an, sich gegenseitig zu verbessern – ein Aspekt, der in der ersten Runde noch kaum auftrat. Dennoch zeiget sich auch in der zweiten Runde noch großes Verbesserungspotenzial. Also habe ich auch diese zweite Runde ausführlich online kommentiert und wiederum eine verbesserte Fassung zur Verfügung gestellt. Das ist aufwändig, aber es war auch sehr interessant. Interessant nämlich ist zu sehen, wo die Studierenden Schwierigkeiten haben, was typische „Anfängerfehler“ sind etc. All das bekommt man ja normalerweise gar nicht mit und kann darauf auch entsprechend nicht reagieren. Sollten meine Kommentare gelesen werden (ich gehe schon davon aus, dass dies die aktiv Beteiligten tun), dann könnte man zumindest einen Lerneffekt erwarten, weil sich meine Hinweise direkt auf die Aktionen der Studierenden beziehen.

Heute nun hatten wir ein Präsenz-Tutorium, in dem die Herausforderungen und Schwierigkeiten noch einmal diskutiert wurden. In den kommenden beiden Wiki-Runden werde ich meinen Support etwas zurücknehmen und ganz schräge Fragen oder Fehler einfach kommentarlos löschen und nur da eigene Verbesserungen anbringen, wo ich das Gefühl habe, dass das Dinge sind, die die Erstsemester noch nicht wissen können. In der zweiten Hälfte der Themen (Thema fünf bis acht) wird diese Unterstützung weiter ausgeblendet. Ziel ist es, dass die Studierenden selbst in der Lage sind, Fragen und Antworte mit angemessener Qualität hinzubekommen. Begleitet werden sie dabei aber weiterhin von studentischen Tutoren und durch drei weitere Präsenz-Tutorien, die ich selbst mache. Am Ende jeder Runde können sich die Studierenden natürlich darauf verlassen, dass ausschließlich richtige Fragen und Antworten im Wiki stehen. Wenn die vorgeschlagenen Fragen und Antworten aber schlecht oder fasch waren und gelöscht wurden und am Ende zu wenige Fragen/Antworten im „Pool“ sind, müssen die Studiereden damit rechnen, dass ich in der Klausur eigene Fragen beisteuere. Anbei die Folien aus dem heutigen Tutorium: VL_Tutorium1

Warum mache ich das? Nun ich denke, wer nicht aktiv mitmacht und auf Auswendiglernen setzt, für den bleibt es weitgehend gleich, ob er 160 Fragen und Antworten oder 120 Folien auswendig lernt, die man normalerweise in so einer Vorlesung mindestens präsentiert. Ich hoffe aber jetzt natürlich auf einen kleineren Prozentsatz von „Auswendig-Lernern“, die sich statt dessen doch lieber mit der sehr begrenzten Textlektüre auseinandersetzen, sich am Wiki beteiligen und auf diese Weise über ca. 10 Wochen lang kontinuierlich mit überschaubaren Zeitinvestitionen „aktiv lesen“, Fragen zum Text formulieren, diese beantworten und dabei auch darüber nachdenken, was in einem Text wohl wichtig ist und was nicht, was man wissen und sich merken sollte. Wer auf diese Weise mitarbeitet, wird sich in sehr kurzer Zeit auf die Klausur vorbereiten können – immerhin hat er selbst an ihr mitgearbeitet. Einen Schaden sehe ich hier nicht – vielmehr hätte man erreicht, was man sich immer wünscht, nämlich eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Lektüre, die man zum Semesterbeginn als lesenswert recherchiert und/oder für die Studierende aufbereitet hat.

Nach zwei Wochen muss ich das Experiment immerhin nicht abbrechen. Bis jetzt scheint der Weg gangbar, auch wenn die ersten Steine erst mal aus dem Weg geräumt werden mussten. Ich bleibe optimistisch und bin gespannt auf den weiteren Verlauf. Jedenfalls zeigen mir die ersten Wochen, dass es sinnvoll ist, die Studierenden dazu anzuregen, selbst Fragen zu stellen – das ist nämlich, wie jetzt viele feststellen, gar nicht so einfach, aber man kann es lernen!