Forschungswerkstatt ohne mich

Ja, also geärgert habe ich mich nun schon genug, dass die Forschungswerkstatt, die ich zusammen mit Peter Baumgartner geplant hatte, am vergangenen Wochenende (wegen Krankheit) in Wien ohne mich stattfinden musste (hier die Ankündigung). Dabei wäre es doch MEIN Thema gewesen – das heißt, es hat die Frage nach verschiedenen Wegen der Erkenntnis in den Bildungswissenschaften zum Gegenstand gehabt. Und dieses Thema treibt mich ja schon länger nicht nur aufgrund abgelehnter Forschungsanträge um ;-), sondern auch, weil es unser tägliches Tun (neben der Lehre) unmittelbar berührt.

Die Forschungswerkstatt richtet sich vor allem an die Doktoranden im Umkreis an Peter. Doch seine Grundidee ist die, jede Forschungswerkstatt mit einem Partner zu machen (vor einiger Zeit war das Christian Kohls zu „Pattern-Theorien“) und die Zielgruppe dann auch für andere zu öffnen – u. a. für die, die dann eher aus dem Umkreis eben des Workshop-Partners kommen. Das war auch diesmal so:

Mandy, Silvia, Tamara und Tobias (nicht mehr, aber früher Augsburg) bildeten diesen Kreis. Das Thema war schwierig für eine Forschungswerkstatt, das habe ich schon bei der Vorbereitung gemerkt: Sobald man auf eine Metaebene der Diskussion kommt, kann das Interesse der Teilnehmer schnell schwinden, denn leider ist die Einstellung verbreitet, dass dieses Thema (Was ist wissenschaftlich? Was ist empirisch? Wie kommt man zu Erkenntnis und wie nicht? Etc.) zu abstrakt sei und mit dem täglichen Tun nicht viel zu tun habe. Ich denke, das ist ein großer Irrtum: Es ist die Hintergrundfolie, vor der wir arbeiten, unsere Projekte planen, Anträge schreiben und andere bewerten. Auf dieser Hintergrundfolie finden sich zahlreiche Prämissen, die manchmal viel Konsens haben, oft genug aber unreflektiert übernommen und dann als „Wahrheit“ abgespeichert und nicht mehr in Frage gestellt werden. Ein solches Vorgehen mag in Kontexten wir dem Straßenverkehr durchaus funktional sein. In Kontexten wie der Wissenschaft aber ist das ein Risiko, weil Ideologien entstehen, denen Wissenschaft ja genau etwas Tragfähiges entgegensetzen sollte.

Die ersten Reaktionen auf die Forschungswerkstatt (z.B. hier und hier) kommen zu einer positiven Gesamtbilanz: Ertragreich scheint vor allem der gegenseitige Austausch zu sein. Die eben angesprochene Metadiskussion aber war wohl doch nicht so einfach anzukurbeln – keine Ahnung, ob es mir gelungen wäre. Ich hoffe nun, es gibt Gelegenheiten, dieses Thema anderweitig mit Nachwuchswissenschaftlern weiter zu verfolgen. An der Stelle aber noch einmal einen großen Dank an Peter, dass er es alleine durchgezogen hat!

Fußball-Sponsoring der anderen Art

Über Tech Pi und Mali Bu habe ich ja in diesem Blog des Öfteren schon berichtet. Ein bisschen ist es so etwas wie ein „Liebhaber-Projekt“ und wir freuen uns immer, wenn ein neues Modul finanziert werden kann. Im Moment suchen wir Finanzierungsmöglichkeiten für ein Modul passend zur Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Dabei soll es aber nicht primär etwa um einen Bewegungsinhalt gehen (wie der Fußballkontext vielleicht nahelegen könnte) und auch nicht – wie in den bisherigen Modulen vorrangig der Fall – um naturwissenschaftliche, sondern um soziale Themen. Ein Trailer, um Lust auf die Sache zu machen, ist nun online. Mehr Infos gibt es auch hier bei Frank. Wer Idee hat, wo man dafür eine Förderung bekommen könnte, möge sich melden.

Übrigens: Dass man sogar in einem Fußballstadion lernen kann, hat Frank auf der Online Educa in Berlin erfahren. Wer es nachlesen mag: Hier ein Kurzbericht.

eit gestern ist er online, der neue Trailer zum geplanten Modul „Fußballfieber“ (Trailer hier). Wir stimmen uns damit mit Blick auf Südafrika in das Fußballjahr 2010 ein. Es wird im neuen Modul um „soziale“ (mit der Lektüre von Latour ist dies ein schwieriger Begriff 😉 Themen im Fußballsport gehen, also nur vordergründig um Tore und Dribblings. Wie im letzten Blogbeitrag schon angedeutet (und die mich kennen wissen das), bietet der Sport durch seine Facetten viel Bildungspotenzial, aber er ist aufgrund seiner Komplexität und Medialität auch Ort vieler Probleme. Tech Pi & Mali Bu werden sich mit wenigen Teilen dieses Fragekomplexes (Ausgrenzung, Fair Play etc.) beschäftigen, in der Hoffnung, dass dies Anker für Diskussionen in Schule und Verein bieten kann (vgl. auch das Projekt Join the game). Im Zentrum stehen nicht die Vermittlung von Faktenwissen, sondern bestenfalls Modelle für den kreativen Umgang mit Problemen (wie uns das beim Inforadar – meine ich – ganz gut gelungen ist).

Soziale Innovationen Fehlanzeige

Die Schweizer haben abgestimmt: Der Export von Waffen bleibt erlaubt, der Bau weiterer Minarette wird verboten (Meldung z.B. hier). Neben dem Ergebnis schockieren vor allem die Werbeplakate, bei denen man irgendwie noch hofft, dass es Satire ist, um gleich darauf betroffen festzustellen, dass diese ziemlich ernst gemeint sind. Es werden schon die ersten Stimmen laut (z.B. hier), dass es in der deutschen Bevölkerung ähnliche Ängste vor einer Islamisierung gäbe – in der Bildungsrepublik Deutschland. Für mich ist das ein wichtiges Beispiel, an dem man aufzeigen kann, dass Bildung eben nicht nur Ausbildung für den globalen Arbeitsmarkt sein darf, sondern dass Bildung mehr ist und auch damit zu tun haben muss, Fähigkeiten für ein demokratisches und solidarisches Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Der permanente Ruf nach mehr naturwissenschaftlicher Bildung drängt – so meine Befürchtung – dieses wichtige Ziel von Bildung gerne in den Hintergrund. Ohnehin kann ich es nicht verstehen, dass man in den letzten Jahren mit einer solchen Ausschließlichkeit auf technische Innovationen setzt (die sich vermarkten lassen) und dabei vergisst, dass wir ein Jahrhundert haben, das auch soziale Innovationen mehr als nötig hat.

Das Kreuz mit dem Neuen

Wieder nichts Neues gehört – wer kennt dieses Gefühl nicht auf Tagungen und Messen, von denen viele dann gerne sagen, dass es ja ohnehin so zu erwarten ist und nur die soziale Interaktion und das „Networking“ investierte Zeit und Kosten rechtfertigen. Und so beklagt auch Jochen Robes (hier) am Ende der Campus Innovation 2009 in Hamburg, innovative Lernszenarien seien kein Thema gewesen. (Eine schöne Zusammenfassung speziell des E-Learning-Tracks der Konferenz befindet sich übrigens hier und Frank hat seine Eindrücke ebenfalls bereits hier zusammengefasst.)

Wo bleiben die Innovationen? Warum hören wir nichts Neues? Wir hören alle gerne etwas Neues, denn das vertreibt die Langeweile. Wir hören auch gerne etwas Provokatives, denn das fordert unsere Aufmerksamkeit. Man kann das auf Tagungen gut beobachten: Schlaue Redner nutzen diesen Effekt. Sie polarisieren, wagen konträre Thesen zum Mainstream, sprechen den Zuhörer an und liefern spektakuläre Beispiele. Das ist einerseits in Ordnung so, denn das regt Diskussionen an. Es ist andererseits auch gefährlich, weil es die Vernunft auch mal zeitweise vernebeln kann. Nun mag das bei unseren Themen nicht so schlimm sein (anders als bei politischen Themen), aber zum Problem wird es dann doch, wenn die Kluft zwischen dem Bildungsalltag und den Vortragsinhalten zu groß wird.

Also schön auf dem Teppich bleiben? Einen Großteil eines Vortrags nutzen, um Kooperationspartner in Projekten aufzuzählen, die immer gleichen gesellschaftlichen, institutionellen und organisationalen Rahmenbedingungen vortragen und am Ende bei einem Screenshot landen? Nein, wollen wir auch nicht. Das unterhält einen nicht und beinhaltet keine überraschenden Momente, auf die der Mensch nun mal gepolt ist. Aber Moment: Brauchen wir das Neue, die Innovation nur zur Unterhaltung? Manchmal habe ich genau diesen Eindruck.

Seien wir doch mal ehrlich: Wenn wir z.B. an der Hochschule etwas verändern, wenn wir die Lehre an einzelnen Stellen besser machen und was Neues ausprobieren, dann ist das als „Erzählstoff“ meistens nicht so rasend spannend. Es sind in der Regel „inkrementelle Innovationen“, die per definitionem keine nach außen deutlich erkennbaren Veränderungen anstoßen, weil sie am Bestehenden ansetzen und dieses weiterentwickeln. Es gibt viele (nein, bestimmt nicht die Mehrheit, das ist auch klar) Lehrende, die genau das jedes Semester machen oder versuchen. Flammende Reden kann man darüber leider kaum schwingen. Innovationen, die auf einen Schlag zeigen, dass man es auch anders machen kann, sind in der Bildungspraxis, so meine Ansicht, wohl in hohem Maße daran gekoppelt, dass man neben Medien und Methoden in der Lehre auch Rahmenbedingungen ändert. Die wohl wirkungsvollste Rahmenbedingung ist das Prüfungswesen, das jedes Studium lenkt wie kein anderer Umstand. Ein anderer Aspekt sind hier sicher die Ressourcen und auf jeden Fall auch Dinge, wie die Länge eines Studiums (weshalb ja auch Bologna deutlich sichtbare Veränderungen bewirkt hat) oder die schleichende bis offene Ökonomisierung der Bildungslandschaft. Das ist der Stoff für Keynotes, hier kann man bestehende Bedingungen anprangern und Visionen für die Zukunft ausmalen und wenn es hier tatsächlich mal zu revolutionären Änderungen käme, hätte man von einer deutlichen Innovation zu berichten.

Vielleicht müssten wir uns auf Konferenzen hierüber mehr Klarheit verschaffen. Wenn man auf einer Konferenz ein, zwei „echte“ Keynotes hört, die unterhaltsam sind, weil sie handwerklich gut gemacht sind und inhaltlich durch deutlich erkennbar neue Ideen und Gedanken zum Nachdenken über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auffordern, und wenn man darüber hinaus über Projektbeispiele und die dort gemachten Erfahrungen mit den naturgemäß mühsamen und langsamen kleinen Schritten informiert wird, dann ist das aus meiner Sich durchaus in Ordnung so. Wir müssten uns vielleicht klarer über unsere Erwartungen werden und nicht mit einem diffusen Unterhaltungsbedürfnis im Plenum sitzen: Was leistet eine gute Keynote, was leistet ein Projektbericht und was erwarten wir uns von den Diskussionen, die hoffentlich auch noch stattfinden, und was erhoffen wir uns von anderen Formaten wie BarCamps u. ä.? Eine ähnliche Frage kann man schließlich auch inhaltlich stellen: Was erwarten wir uns von Innovationen in der Bildung, wie viel Neues brauchen wir und was genau müssten wir erneuern? Wie viel revolutionäre Ideen brauchen wir (und wir brauchen sie), wie viele sind aber auch genug und wo mangelt es eher an den vielen kleinen, aber konkreten Beispielen für neue Strukturen und Prozesse für die Lehre? Es kann auf keinen Fall sein, dass wir Konzepte entsorgen, weil sie als Schlagwort nicht mehr ziehen und bei der Umsetzung (erwartungsgemäß) Probleme bereiten, um uns auf die Suche nach wieder neuen Begriffen zu machen – die erneut zur Unterhaltung taugen.

E-Portfolios: Königsweg oder Sackgasse?

Viele bekannte Namen tummeln sich auf der diesjährigen Campus Innovation-Konferenz, die zusammen mit dem VI. Konferenztag Studium und Lehre in Hamburg (vom 26. bis 27.11.2009) veranstaltet wird. Das Programm kann man hier abrufen. Meinen Vortrag am Morgen des zweiten Konferenztages, der dem Thema E-Portfolios gewidmet ist, stelle ich gerne als Textfassung bzw. als Preprint zu Verfügung. Ich weiß, dass ich wieder mal (zu) viele Informationen und Gedanken hineingepackt habe, hoffe aber, dass sich das durch die verfügbare Textfassung zum Nachlesen kompensieren lässt. Unterstützt hat mich bei der Erarbeitung des Beitrags Silvia Sippel.

Artikel_Hamburg_CampInnovation09

Zeit für ein Resümee

Der Bildungsstreik ist ein guter Zeitpunkt für ein persönliches Resümee zum Thema Bologna, wie es mich nun seit gut neun Jahren begleitet – und zwar nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, denn: Bereits im Wintersemester 2001/02 haben wir mit unserem Studiengang „Medien und Kommunikation“ in Augsburg begonnen – quasi in einer Phase, wo man noch nicht mit allzu vielen Regeln konfrontiert war.

Ich habe meine Gedanken mal auf ein paar Seiten zusammengestellt – meine Gedanken dazu, wie ich mir inzwischen einen „idealen Studiengang“ vorstellen könnte – vielleicht ein Bologna oder Bachelor 2.0 ;-). Zu verstehen ist das also als Gedankenskizze, die vorrangig auf meinen eigenen Beobachtungen und Vorstellungen aufbaut. Ich freue mich auf Kommentare und weitere Anregungen!

Der ideale Studiengang

Freizeit und Beruf oder: Warum man Unternehmer, Wissenschaftler oder Künstler werden sollte

Psychologie in Beruf und Praxis (PBP) – so lautet der Name eines Vereins, der 2007 an der LMU München von Studierenden gegründet wurde. Auf der Web-Seite heißt es: „Die Veranstaltungen von PBP sollen zum festen Bestandteil des Psychologiestudiums an der Ludwig-Maximilians-Universität werden. Die Studenten lernen so bereits früh im Studium die vielfältigen Anwendungsbereiche der Psychologie kennen und treten in Dialog mit erfahrenen Psychologen aus der Praxis. So entstehen Netzwerke zwischen Studenten, erfahrenen Praktikern und Dozenten, von denen alle Beteiligten profitieren.“

Heute nun fand der dritte Berufsinformationskongress des Vereins statt. Ich war als Referentin eingeladen. Einen genauen Überblick über die Zahl der Referenten hatte ich nicht, aber entsprechend des Übersichtsplans schätze ich mal, dass es an die 40 waren, die in Paralleltracks über ihren persönlichen Werdegang, ihre tägliche Arbeitstätigkeit, ihre Motivation und Herausforderung berichteten sowie Interessenten Tipps und Hinweise etwa zu Arbeitsmarktlage geben sollten – so jedenfalls lauteten in etwa die Instruktionen.

Wenn ich irgendwelche Formulare ausfülle, stolpere ich oft über die Zeile “Beruf“: Was schreibt man da rein? Hochschullehrer? Wissenschaftler? Und wie wird man das? Das musst ich mich bei der Vorbereitung auf den Vortrag selbst erst mal fragen, zumal da ich im Rückblick erstaunlich wenig geplant hatte. Mein Werdegang ist nicht sonderlich spektakulär, also verwendete ich mehr Zeit darauf zu beschreiben, was man denn eigentlich so macht, wenn man Lehre praktiziert, Forschungsprojekte durchführt, publiziert und sich durch das bürokratische Dickicht der Verwaltung schlägt. Welche Empfehlungen also soll man jemandem geben, der eine wissenschaftliche Karriere anstrebt? Das war wohl am schwersten. Meine vier Kernempfehlungen lauteten in etwa so:

  • Versuchen Sie, immer auch zugleich was anderes werden zu wollen. Nicht nur meine persönliche Beobachtung, sondern auch verschiedene Studien zeigen, dass speziell in Deutschland die Planung einer wissenschaftlichen Karriere schwierig ist und zahlreiche Unwägbarkeiten mit sich bringt. Es kann daher nicht schaden, sich immer auch noch etwas anderes vorstellen zu können, um sich mental nicht von einem einzigen Weg abhängig zu machen.
  • Suchen Sie früh den Kontakt zum wissenschaftlichen Personal während des Studiums. Werden sie studentische Hilfskräfte und engagiere Sie sich in Projekten, in denen Sie mit Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammenarbeiten können. Engagieren Sie sich aber auch in Ihren Lehrveranstaltungen: Stellen Sie Fragen, denken Sie mit und zeigen Sie Ihr inhaltliches Interesse, statt es zu verstecken. Als Lehrender mit etwas Erfahrung erkennt man schnell die möglichen Nachwuchskräfte – aber nur, wenn sie sich sichtbar und hörbar machen.
  • Machen Sie sich gegen Ende des Studiums kundig, wie an der Universität, an der Sie weitermachen wollen, die Bedingungen für Promotionen wie auch für Habilitationen sind. Natürlich ist es die beste Möglichkeit, zu promovieren und zu habilitieren, wenn man an der Universität eine Stelle hat. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten: Stipendien z.B. oder der Versuch, diese Qualifikationen berufsbegleitend zu machen. Ich habe selbst mehrere Doktoranden, die diesen dritten Weg beschreiten, der allerdings mit Sicherheit der härteste ist.
  • Bleiben Sie sich selbst treu. Wie in anderen Berufen, so gibt es auch beim Beruf des Wissenschaftlers bzw. Hochschullehrers je nach Fachgebiet innerhalb der Psychologie und benachbarter Disziplinen mehr oder weniger enge Netzwerke, es gibt einen inhaltlichen und vor allem methodischen Mainstream und es gibt viele implizite Regeln. Auf der einen Seite müssen Sie versuchen, all dies kennenzulernen und auszuprobieren. Sie müssen eigene Erfahrungen machen und sich in so manches Spiel einfach hinein bewegen, um dabei zu sein. Auf der anderen Seite sollte Sie neben diesen für eine Karriere unabdingbaren Anpassungen nicht vergessen, warum Sie Wissenschaftler werden wollen, nämlich – hoffentlich – weil Sie von der Wissenschaft begeistert sind. Das aber, so meine ich, verpflichtet Sie auch dazu, eine eigene Position zu entwickeln und hinter dieser auch dann zu stehen, wenn sie gerade mal nicht in die Landschaft passt – auch wenn das mit Nachteilen verbunden ist.

Neben mir war im Track „Pädagogische Psychologie“ Jens Uwe Martens zu Gast, der bereits sein siebtes Lebensjahrzehnt begonnen hat, das man ihm nun wirklich überhaupt nicht ansieht. Er berichtete vom „Leben in der Selbständigkeit“, nämlich als Berater, Coach und Trainer. An manchen Stellen hatte er durchaus vergleichbare Empfehlungen und persönliche Folgerungen, z.B. was die Verknüpfung von Arbeit und Leben, gewisse Formen von Autonomie und die Flexibilität betrifft, die aber auch mit einem eher wenig planbaren Freizeitbudget gekoppelt ist. Letzteres beunruhigte einen der Zuhörer besonders, der mehrfach nachfragte, wie es denn mit der Chance aussähe, auch mal zwei Monate nichts zu machen. Das ginge nicht, meinte Martens, der diese Probleme dann aber auf eigene Art löst: „Ich wollte unbedingt mal nach Südafrika. Also habe ich das mit dem Besuch eines Kongresses verbunden, den man immerhin von der Steuer absetzen kann. Als ich dort war, war ich begeistert. Also habe ich mit zwei Südafrikanern eine Dependance meiner Firma in Südafrika gegründet – so habe ich die Freizeit mit Arbeit verbunden“. Da hat sich sogar die Miene des freizeitbesorgten Teilnehmers aufgehellt. Mein persönliches Fazit: Wer einigermaßen autonom sein und Spielraum für solche und andere kreative Problemlösungen haben will, werde Wissenschaftler, Unternehmer oder Künstler.

Sie wollen Tools, Techniken und Tricks

Also es ist jetzt nicht gerade eine Neuigkeit, denn dass die Abschiedsvorlesung von Friedemann Schulz von Thun hier online zugänglich ist, wurde schon auf vielen Blogs verbreitet. Um sich diese ganz anzuhören, muss man aber schon ein bisschen Zeit mitbringen (oder sie sich nehmen) und dazu bin ich erst heute gekommen. Ich habe es nicht bereut!

So stellt man sich eine Abschiedsvorlesung vor! Wie oft bekommt man eine solche zu hören? Ich würde mal sagen: Nicht oft. Da wird Biografisches mit inhaltlichen Erkenntnissen verknüpft, es werden Anekdoten aus dem universitären Alltag berichtet, aber auch Schlüsselerlebnisse für den eigenen Werdegang geschildert und geschickt mit Botschaften aus dem eigenen Forschungsgebiet verbunden. An manchen Stellen wird fast ein bisschen (locker verpackte) Wissenschaftsgeschichte hörbar, gepaart mit Selbstkritik, denn natürlich kann wohl jeder Wissenschaftler mit Blick zurück seine Irrwege oder ein noch fehlendes Verständnis feststellen – nur machen es nicht viele, obschon es doch so lehrreich ist.

„Sie wollen Tools, Techniken und Tricks“, sagt Schulz von Thun etwa von den Unternehmensvertretern. Er sagt es mit leiser Ironie in der Stimme, um dann sogleich Verständnis zu zeigen, denn die eigene Professionalität verlange es eben, praktisch einsetzbare Instrumente zu kennen und zu nutzen. Und dann kommt er auf die „Entwicklung des inneren Menschen“ zu sprechen und bringt später auch ein persönliches Beispiel: den zermürbenden Umgang mit marxistischen Gruppen in den Hörsälen der 1980er Jahre (die ich in meinem Studium auch noch beobachten, aber damals überhaupt nicht einordnen konnte). Fast schon bewegend schildert er, wie er sich in der Auseinandersetzung mit diesen Gruppen von außen betrachtet acht Jahre lang – man könnte sagen – „tapfer geschlagen“ hat und wie sehr es ihn doch im Inneren nicht nur zermürbt, sondern verletzt hat – am Rande zum Burnout.

Schulz von Thun erzählt (zu diesem Thema siehe auch hier) – man hört ihm zu und die 100 Minuten, die er spricht, wirken nicht ermüdend. An vielen Stellen unterhält er seine Zuhörer, blickt mit Witz und Humor auf sich, seine Kollegen und auch die Sache, die ihn bis heute begeistert. Aber er hat durchaus auch inhaltlich etwas zu sagen – sehr dosiert, aber dafür scheinen ihm die ausgewählten diese Botschaften sehr wichtig zu sein: allem voran die Stimmigkeit – ein Konzept, von dem er befürchtet, dass man es unterschätzt und angesichts der Popularität seines „Vier-Ohren-Modells“ als „Oberideal“ vergisst. Gemeint ist die Stimmigkeit zwischen Innen und Außen, zwischen Selbstbewusstsein und Systembewusstsein.

Es ist freilich keine „normale Vorlesung“; es ist eine Abschiedsvorlesung, in der man sich nicht genötigt fühlen muss, besonders viele Inhalte zu vermitteln. Trotzdem kann man an dieser erkennen, was Schulz von Thun auch in seiner Rede (das ist vielleicht der bessere Begriff) an einer Stelle sagt, nämlich, dass man die Menschen bewegen muss, wenn man ihnen etwas vermitteln will. Die große Frage ist, wie man sie bewegen kann und diese Rede zeigt, dass man dazu keine lauten Effekte braucht. Es genügt die eigene Begeisterung für eine Sache, die authentische Darstellung und Sensibilität für das Publikum. Wenn man das am Ende seiner Laufbahn so hinbekommt, dann darf man sich vielleicht ein bisschen auf die Schulter klopfen, ohne sagen zu müssen: „In meiner Haut möchte ich nicht stecken“ (Schulz von Thun, 2009).

Up-to-date, broad and authoritative

Für das Jahr 2011 (ist also noch eine Weile hin) ist eine große Enzyklopädie zum Thema Lernen geplant. Die „Encyclopedia of the Sciences of Learning“ hat eine eigene Web-Seite und alle beteiligten Autoren nutzen diese auch zur Einreichung ihrer Beiträge. Der „Editor-in-chief“ (also der Chef-Herausgeber, oder wie übersetzt man das jetzt?) ist Norbert Seel. Die Beiträge sollen interdisziplinär über mehrere Kategorien bzw. Themengebiete gestreut sein. Unter der Zielsetzung des Projekts heißt es: „The Encyclopedia provides an up-to-date, broad and authoritative coverage of the specific terms mostly used in the sciences of learning and its related fields, including relevant areas of instruction, pedagogy, cognitive sciences, and especially machine learning and knowledge engineering.”

Ich habe mich bereit erklärt, einen Beitrag zur “Wissensorganisation” zu leisten – wenn ich sonst schon nicht oder kaum Englisch publiziere, habe ich diese Chance ergriffen und bin also auch dem Ratschlag der Gutachter (hier) unseres Forschungsantrags gefolgt (nein, Blödsinn, das hatte ich vorher zugesagt). Da der Beitrag noch einem Peer Review (!) unterzogen wird und entsprechend einige Änderungen möglich oder wahrscheinlich sind, kann/darf ich die nun vorliegende erste Fassung auch online zugänglich machen. Hier ist sie:

preprint_knowledge_organization_Reinmann

Ja, nun könnte man natürlich einwenden, das man das doch gleich online und offen machen könnte. Ja könnte man wohl. Allerdings ist es schon eine riesige Koordinationsleistung, die da jetzt vollbracht wird, wofür sicher einiges an Geld in die Hand genommen wird. Wie gut das jetzt ohne diese Koordination funktionieren würde, kann ich wirklich nicht sagen. Ich denke, wir sind da im Moment am Übergang zweier Publikationszeitalter. Vielleicht aber wird es auch noch lange zwei Modi nicht nur der Distribution, sondern eben auch der Entstehung von Inhalten geben. Ich wage da keine genauen Prognosen.