Natürlich können sie lesen

Auf der Web-Seite von Deutschlandradio Kultur kann man hier ein Interview mit dem Gerhard Wolf, Professor für Ältere Deutsche Philologie, nachlesen, der darin den Studienanfängern eine äußerst defizitäre Sprachkompetenz bescheinigt. Nun habe ich ja in diesem Blog auch schon ein paar Mal über die sprachlichen Probleme geschrieben, die mir vor allem immer zu Zeiten der Korrektur etwa von Hausarbeiten und anderen schriftlichen Leistungen der Studierenden auffallen (z.B. hier und hier).

Der Hintergrund ist eine Umfrage von Professoren an insgesamt 135 Fakultäten, die wohl regelmäßig durchgeführt wird. Die aktuelle Umfrage nun habe Ergebnisse zu Tage gefördert, die massive Kritik an der Sprachkompetenz von Studienanfängern beinhaltet. „Wir waren … über die Wucht der Kritik selbst überrascht“, so Wolf. Lustig ist, dass er die KMK mit den Ergebnissen nicht beunruhigen will, weshalb die Ergebnisse nicht veröffentlicht werden (wobei sie auch nicht zur Veröffentlichung gedacht waren). Ich gehe aber mal davon aus, dass die Online-Verbreitung dieses Interviews bei weitem über das hinausgeht, was man an Verbreitung mit einem wissenschaftlichen Artikel erreicht hätte.

Was beklagen die Profs an den Philosophischen Fakultäten nun genau? Schwierigkeiten bei der Rechtschreibung und Grammatik, Probleme beim selbständigen Formulieren und beim Schreiben zusammenhängender Texte, aber auch mangelnde Lesefähigkeit. „Also, natürlich können sie lesen“, so Wolf, „Aber es fällt ihnen sehr schwer, den roten Faden eines Textes zu begreifen“. Ich kann das durchaus bestätigen, habe aber den Verdacht, dass es mindestens AUCH am Wollen liegt: Komplexere Texte sind eben anstrengend zu lesen; das gilt auch für das Formulieren präziser Sätze, die eine verständliche Aussage haben. Und viele wollen sich schlicht nicht so gerne anstrengen. Ich stelle das jetzt einfach mal als These in den (virtuellen) Raum …

Etwas seltsam ist Wolfs Auffassung von Medienkompetenz: Jüngere Leute könnten heute auch einiges besser als frühere Studierende; sie seien z.B. flexibler und hätten auch mehr Medienkompetenz. Es gehört also offenbar nicht zur Medienkompetenz, die eigene Sprache rezeptiv und produktiv zu beherrschen. Na ja, das liegt jetzt nicht allein an Wolf; viele Medienkompetenzdefinitionen übersehen das tatsächlich. Aber bitte: Es gibt nicht nur Fotos und Videos im Internet – will man das Netz vernünftig nutzen, sollte man eben auch sprachlich einigermaßen zurechtkommen, oder?

Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens gegebenenfalls erläutern

„Der Allgemeine Fakultätentag (AFT), die Fakultätentage und der Deutsche Hochschulverband (DHV) haben unter Einbeziehung der fachspezifischen Besonderheiten und Belange gemeinsame, für alle Wissenschaftsdisziplinen geltende Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis für das Verfassen wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten (Bachelorarbeit, Masterarbeit, Dissertation und Habilitationsschrift) formuliert. Diese Grundsätze seien als Handreichungen für Prüfer und Prüflinge, Wissenschaftler und Studierende konzipiert, da die Wissenschaft angesichts von Plagiats- und Fälschungsaffären der Selbstvergewisserung bedürfe“ – so steht es im aktuellen Newsletter des DHV. Das Positionspapier ist hier abzurufen.

Zu den Grundsätzen wissenschaftlicher Praxis heißt es unter anderem:

„Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit. Der redliche Umgang mit Daten, Fakten und geistigem Eigentum macht die Wissenschaft erst zur Wissenschaft. Die Redlichkeit in der Suche nach Wahrheit und in der Weitergabe von wissenschaftlicher Erkenntnis bildet das Fundament wissenschaftlichen Arbeitens. … Die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens sind in allen Wissenschaftsdisziplinen gleich. Oberstes Prinzip ist die Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und anderen. Forschungsergebnisse und die ihnen zugrunde liegenden Daten müssen ebenso genau dokumentiert werden und überprüfbar sein, wie die Interpretationsleistungen und ihre Quellen. Die Bereitschaft zum konsequenten Zweifeln an eigenen Ergebnissen muss selbstverständlich bleiben.“ (S. 2)

Für das Verfassen wissenschaftlicher Qualifikationsarbeiten werden insgesamt elf Punkte aufgelistet: Originalität und Eigenständigkeit (gelten als die wichtigsten Qualitätskriterien jeder wissenschaftlichen Arbeit); korrekte und sorgfältige Recherche und Zitation; Offenlegen von externen Einflüssen; sorgfältige Zuschreibung von Aussagen (anderer Autoren); sorgfältige Übersetzungen (wenn es welche gibt); Verwendung tradierten Allgemeinwissens einer Fachdisziplin ohne Zitierungen (was jeweils nur die Fachdisziplin entscheiden kann); keine Plagiate und Datenmanipulation; Kennzeichnung eigener Arbeiten und Texte („Die Übernahme eigener Arbeiten und Texte verstößt dann gegen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, wenn diese Übernahme in einer Qualifikationsarbeit nicht belegt und zitiert wird“); Ablehnung jeglicher Form von „Ghostwriting“; keine Autorenschaft, wenn man nicht nachweislich mitgearbeitet hat; doppelte Verantwortung für das Ergebnis („Die Verantwortung für die Einhaltung der Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens trägt in erster Linie der Verfasser einer wissenschaftlichen Qualifikationsarbeit. Aber auch den Betreuern und/oder den Prüfern kommt Verantwortung zu. Die Aufgabe der Betreuer ist es, den Prüflingen vor Beginn der Arbeit die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens mitzuteilen und gegebenenfalls zu erläutern. Die Aufgabe der Betreuer und Prüfer ist es auch, Zweifeln an der Einhaltung der Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens bei einer Qualifikationsarbeit konsequent nachzugehen.“).

Die etwas inkonsistent gestalteten Grundsätze treffen sicher die wichtigsten Punkte, die fächerübergreifend gelten sollten. Da es Grundsätze sind, ist auch nachvollziehbar, dass es sich um selbstverständliche Forderungen handelt, von denen man an sich meinen könnte, dass sie nicht gesondert formuliert werden müssen. Viele Verstöße, die in den letzten beiden Jahren aufgedeckt und diskutiert wurden, machen es aber offenbar nötig, immer wieder daran zu erinnern. Schwierig finde ich allerdings des Passus „Kennzeichnung eigener Arbeiten und Texte“, insbesondere für Dissertationen und Habilitationsschriften: Geht es um empirische Befunde, die man schon einmal publiziert hat, lässt sich der Grundsatz natürlich ohne weiteres anwenden. Aber wenn es um die gedankliche Arbeit an Begriffen und theoretischen Konstrukten geht, wird es schon schwierig: Man erfindet in neuen Texten/Arbeiten im Laufe des eigenen wissenschaftlichen Qualifikationsprozesses seine Gedanken nicht immer wieder völlig neu, sondern baut auf diesen auf.  Soll man sich hier in jedem zweiten Satz selbst zitieren oder wie hatten sich das die Verfasser genau vorgestellt? Erstaunt aber hat mich vor allem die Formulierung, dass es Aufgabe der Betreuer sei, „den Prüflingen vor Beginn der Arbeit die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens mitzuteilen und gegebenenfalls zu erläutern.“ Was ist das denn für eine Auffassung von Hochschullehre? Habe ich das richtig verstanden? Mal eben etwas mitteilen und gegebenenfalls (also wirklich nur, wenn das nötig ist) erläutern? Da haben wir jetzt (oder nicht?) solche Hoffnungen in den Qualitätspakt Lehre gesetzt, um das zu lesen?

Autoritätshörigkeit und moralischer Konformismus

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft findet sich erfreulicherweise auch ein offen zugänglicher Beitrag, der aus meiner Sicht höchst lesenswert ist: Der Text stammt von Axel Honneth und trägt den Titel „Erziehung und demokratische Öffentlichkeit. Ein vernachlässigtes Kapitel der politischen Philosophie“. Es handelt sich um die schriftliche Fassung des Festvortrags, den Honneth zur Eröffnung des DGfE-Kongresses im März 2012 gehalten hat. Honneth bezieht sich in seiner Argumentation vor allem auf die Schule; aus meiner Sicht aber haben viele seiner Überlegungen auch für die Hochschule Gültigkeit.

Im Kern geht es Honneth darum, das „Verbindungsglied zwischen … Bildungskonzeption und politischer Philosophie“ (S. 2) in Form der „Idee des guten Bürgers“ zu beleuchten. Er kommt (in Teil I) zu dem Schluss, dass uns heute genau dieses Verbindungsglied abhanden gekommen ist: „Die Demokratietheorie hat sich von ihrer Zwillingsschwester, der Lehre von der angemessenen Organisation und Methode einer demokratischen Bildung, verabschiedet …“ (S. 3). Dies könne, so Honneth, nicht einfach nur als Folge der zunehmenden Differenzierung der Wissenschaften betrachtet werden, da organisierte Bildung viel zu umfassend zu den Bestandsvoraussetzungen des demokratischen Rechtsstaats gehöre. Umgekehrt gelte natürlich auch, dass speziell die schulische Erziehung zur schleichenden Untergrabung einer Demokratie beitragen könne, „wo sie nämlich Autoritätshörigkeit und moralischen Konformismus vermittelt“ (S. 4). Honneth vermutet zum einen, dass man in unserer Gesellschaft den Glauben daran verloren hat, organisierte Bildung habe großen Einfluss auf die Demokratie (positiv wie negativ); zum anderen macht er Prozesse der Ökonomisierung (Karriereförderung als Lehr-Lernzweck) für die Trennung von Bildung und Demokratie verantwortlich.

Im mittleren Teil seines Beitrags liefert Honneth eine Gegenüberstellung der Auffassungen zur demokratischen Erziehung (und zwar in öffentlichen Einrichtungen) von Kant, Durkheim und Dewey, deren Aktualität er für heutige Herausforderungen deutlich machen will. An manchen Stellen dieses Teils (Teil II) musste ich an die immer wieder aufflammende Diskussion über Vor- und Nachteile formalen und informellen Lernens und an die aus meiner Sicht überhöhte Vorstellung vom Segen informeller Bildung denken – aber das versteht man wohl nur, wenn man den Text selbst gelesen hat. Letztlich geht es Honneth darum, die „öffentliche Erziehung als zentrales Organ der Selbstreproduktion von Demokratien zu begreifen“ (S. 11). Meiner Einschätzung nach können auch Hochschulen als ein solches Organ der Selbstreproduktion von Demokratien gesehen werden! Denn auch hier besteht die Gefahr, durch die Fixierung auf ökonomisch verwertbare Kenntnisse, Fertigkeiten und Haltungen diejenigen zu vernachlässigen, die wir für die Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschaft brauchen.

Mit Anforderungen an solche Weiterentwicklungen endet auch Honneths Text (Teil III), indem er auf zwei große Trends aufmerksam macht: zum einen auf den wachsenden Multikulturalismus und zum anderen auf die „Digitale Revolution“ (S. 12). Letztere stelle neue Instrumente der politischen Wissensbildung bereit, und junge Menschen müssten lernen, sich dieser Instrumente zu bedienen. Zugegebenermaßen ist Honneth auf diesen letzten Seiten etwas dünn, aber er ist ja auch kein Bildungswissenschaftler. In seinen Aussagen zur Verknüpfung von Bildung und Demokratie jedoch liefert er für mich einige überzeugende Argumente dafür, die Verantwortung von Bildungsorganisationen (ihr Zweck und ihre Ziele) einerseits und die von Lehrenden (jenseits ihrer Rolle als bloßer Begleiter und Coach) andererseits wieder stärker in den Blick zu nehmen und die Rolle der Bildung für die Demokratie neben der Rolle der Bildung für die Wirtschaft nicht systematisch aus dem Bewusstsein zu drängen.

Tokens für das Selbststudium

Früher war das Selbststudium etwas, was einem schlicht selbst überlassen war – darum heißt es ja wohl auch SELBTstudium: Ob und wie intensiv ein Studierender Veranstaltungen vor- und nachbereitet hat, ob und wie er sich Wissen und Können angeeignet hat, das plötzlich vorausgesetzt war, ohne dass es man es offiziell vermittelt bekommen hat, ob und wie er sich Bücher beschafft, diese gelesen, etwas daraus exzerpiert und sich auch für Inhalte interessiert hat, die nicht genau so auch in Prüfungen verlangt sind etc. – na ja, das war halt einem selbst überlassen. Und ist es das jetzt nicht mehr? Irgendwie schon und dann doch wieder nicht:

Es gibt für das Selbststudium nun mal Credit Points, also man bescheinigt Studierenden ganz konkret eine Leistung, ohne dabei gewesen zu sein, und macht das an den vermuteten oder erhofften investierten Stunden fest. Dass das hinten und vorne nicht stimmt, haben wohl alle schon lange geahnt und ist jetzt unter anderem mit der von Rolf Schulmeister initiierten Zeitlast-Studie sozusagen evidenz-basiert. Ob das früher anders war: Ich weiß es nicht. Die Zeitlast-Studie hat auch große individuelle Unterschiede entdeckt – ich nehme mal an, genau so war das früher auch. Jetzt aber gibt es dafür Punkte und ich muss in diesem Zusammenhang immer wieder an sogenannte Token-Systeme denken, die ich aus dem Psychologie-Studium kenne (ich meine da ging es vor allem um Untersuchungen mit Affen!) In Wikipedia heißt es: „Ziel eines Token-Systems ist der Aufbau erwünschten Verhaltens durch Verwendung systematischer Anreize. … Ein Token ist … einem echten Tauschmittel zur Erlangung des primären Verstärkers vergleichbar, funktioniert allerdings nur in seinem System …. Als Tokens eingesetzt werden können z.B. Chips, Punkte, Smilies, Murmeln, Kredit in einem Kreditkartensystem, Scheckheftsystem etc.“ – na also, passt doch!

Aber dieses System will nicht so recht funktionieren: Weil niemand das Selbststudium kontrolliert, man also seine Tokens unkontrolliert bekommt, wird auch kein oder nur wenig Selbststudium praktiziert, z.B. weil (angeblich) keine Zeit dazu ist, weil es andere (wichtigere, schönere) Dinge gibt, weil man gar nicht weiß, wie man das anstellen soll, weil einem niemanden dabei hilft, weil ….

Nun gibt es Fächer, bei denen das nicht sofort auffällt. In Fächern wie Mathematik aber bekommt man die Quittung für fehlendes Wissen und Können – das vielleicht fehlt, weil man eben das großzügig bemessene Selbststudium nicht adäquat nutzt – sofort. Entsprechend hoch sind die Abbrecherquoten nicht nur in Mathematik, sondern überall da, wo Mathematik zu den Voraussetzungen gehört. Das Projekt OPTES nimmt sich diesem Problem nun an. Wir dürfen dieses Projekt wissenschaftliches begleiten – das heißt: Wir entwickeln selbst keine Konzepte für das Problem und erproben auch nichts, sondern wir beraten didaktisch, begleiten im Prozess und evaluieren Ergebnisse der Teilprojekte von vier Partnern in einem BMBF-Verbundprojekt, die das Selbststudium „optimieren“ wollen (hier die Projektskizze auf unserer Web-Seite).

Ich bin sehr gespannt, wie gut wir diese Rolle ausfüllen können werden. Interessant werden auch die angestrebten Ergebnisse zur Verbesserung des Selbststudiums sein – einem Thema, dem man aus meiner Sicht bisher zu wenig hochschuldidaktische Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Hoffen kann man ja

Hauptbeschäftigung der letzten Tage war für mich mal wieder die Prüfungskorrektur bzw. genauer: die Korrektur von Fallbearbeitungen von über 80 Studierenden (in Zweierteams). Bereits an der Universität Augsburg hatte ich mit dieser Assessment-Form gearbeitet und damit gute Erfahrungen gemacht. Die Studierenden erhalten einen kurzen Fall (wobei mehrere Fälle konstruiert werden, damit immer nur eine bestimmte Anzahl von Zweierteams den gleichen Fall erhält) und dazugehörige Teilaufgaben, die fallbezogen mit einer eher eng begrenzten Textmenge zu bearbeiten sind. Zur Bearbeitung sollen die Inhalte zweier vorausgegangener Veranstaltungen und die dort verwendeten Ressourcen (vor allem der Studientext Didaktisches Design) verwendet werden. Die Studierenden erhalten morgens die Angabe und müssen die Lösung 24 Stunden später eingereicht haben. Es gibt hier natürlich keine eindeutigen Lösungen. Zwar habe ich selbst Elemente denkbarer Musterlösungen erstellt, die mir bei der Korrektur helfen, aber je nach Argumentationsfähigkeit und Einfallsreichtum sind bei einigen der Teilaufgaben auch Ausführungen möglich, an die ich vorab nicht gedacht habe. Die Korrekturen sind daher schon ein bisschen aufwändig. Inzwischen aber brauche ich nur ca. 15 Minuten für sehr gute Arbeiten und bis zu 25 Minuten für sehr schlechte (das zur Orientierung, falls jemand das auch mal ausprobieren möchte).

Dass gegenseitig abgeschrieben wird, habe ich noch nie erlebt – es würde auch wenig sinnvoll sein. Dass dabei nur sehr gute Ergebnisse resultieren, habe ich leider auch noch nicht erlebt. Vielmehr sind die Ergebnisse in ihrer Qualität höchst (!) unterschiedlich und reichen von sehr guten Lösungen bis zu solchen, die man nicht annehmen kann.

Man sieht an den Lösungen gut, wer Fachbegriffe und Konzepte verstanden hat und diese argumentativ anwenden kann. Man erkennt auch sofort diejenigen Studierenden, die enorme sprachliche Probleme haben oder Sprache bereits kompetent als Denk- und Darstellungswerkzeug nutzen. Das kommentiere ich dann immer ausführlich mit Hinweisen, was die Studierenden versuchen sollten zu verbessern, denn: Wenn diese Dinge im ersten Studienjahr deutlich werden, hat man immerhin noch Zeit, daran zu arbeiten. Von allen schriftlichen Formen der Prüfung jenseits der Hausarbeit liefern mir diese Arbeiten meiner Einschätzung nach stets ein sehr gutes Bild über die Potenziale, aber auch über die Motivation der Studierenden. Was mich immer wieder verwundert ist, dass es auch Studierende gibt, die solche Prüfungsleistungen offenbar abgeben, ohne diese korrekturgelesen zu haben. Da schließe ich dann schon auch auf fehlende Motivation.

Da ich nächstes Jahr andere Fälle konstruieren werde (ich arbeite maximal zweimal hintereinander mit denselben oder ähnlichen), möchte ich diese hier online zur Anschauung zur Verfügung stellen. Wie ich die Lösungen korrigiere, kann ebenfalls im zweiten Dokument nachgelesen werden. Dabei bin ich übrigens dazu übergegangen, die Fehler direkt im Dokument zu kommentieren. Ob die Studierenden das auch lesen und versuchen, daraus zu lernen, weiß ich nicht. Ich hoffe halt einfach immer, dass ein paar dabei sind, die das tun, dabei erkennen, wo ihre Schwächen sind und dies zum Anlass nehmen, dagegen etwas zu unternehmen. Hoffen kann man ja …

Beispiel_Fallaufgaben_Sommer2012

Fallaufgabe_Korrekturhinweise

Soll er doch zu Facebook gehen

Seit der letzten „Bahnhofsgeschichte“ sind jetzt mehrere Jahre vergangen (siehe hier und hier). Es ist nicht so, dass sich in Zügen und auf Bahnhöfen für mich so lange nichts ereignet hätte, aber offenbar hat es für einen Blogbeitrag doch nicht recht gereicht. Heute aber möchte ich von einer ganz kleinen, aber doch sehr bezeichnenden Episode vor einer Zugfahrt nach Karlsruhe berichten.

Es ist 6.30 Uhr und die Menschenschar am Hauptbahnhof in München ist noch einigermaßen überschaubar. Ich stehe an einem der vielen „Backwaren-Verkaufsinselns“ und bestelle einen Latte Macchiato. Während ich auf meinen Pappbecher warte und mir wie immer denke, wie schön doch jetzt eine Porzellantasse wäre, höre ich unweigerlich zu, wie sich die beiden jungen Verkäuferinnen im Innern ihrer Insel in aller Kürze austauschen. „Da war gerade wieder dieser Typ.“ – „Schon wieder?“ – „Der fragt immer, wie es uns geht.“ – „Hm.“ – „Du, ich glaub, der will mit uns reden, so wie der immer fragt.“ – „Dann soll er doch zu Facebook gehen!“ …. „Bitteschön, Ihr Latte.“

Alles eine Frage des Geldes

Am Wochenende bin ich in der ZEIT (vom 14. Juni) unter der Rubrik „Chancen“ an folgender Überschrift (natürlich) hängen geblieben: „Die Edupunks kommen!“ (Jochen Robes war mal wieder schneller und hat hier bereits davon berichtet). Es handelt sich um ein Interview mit Ayad al-Ani von der ESCP Europe Wirtschaftsschule Berlin. In dem Interview stellt al-Ani einige Prognosen auf, die inhaltlich nicht weltbewegend sind und nur thematisieren, was seit Jahren in Zeitschriften und Büchern publiziert wird (und wohinter vereinzelt auch theoretische Konstrukte, vor allem aber Einzelentwicklungen wie auch zahlreiche Erprobungen mit Pilotcharakter stecken): also z.B. Vorlesungsaufzeichnungen und andere freie Bildungsressourcen, die offen zugänglich sind, Nutzung von Wikis etc. Sicher hat al-Ani Recht, wenn er bedauert, dass „innovative Lerntechnologien“ noch zu wenig Thema an deutschen Hochschulen sind. Zudem spricht er verschiedene Blended Learning-Möglichkeiten an, die dazu führen könnten, Präsenzzeit sinnvoller als für reine Vermittlung zu nutzen, die man auf andere Art und Weise, nämlich auch online, relativ gut umsetzen kann. Auch darin kann ich al-Ani durchaus zustimmen. Insbesondere ist das keine Vision, sondern wird durchaus von einer ganzen Reihe von Lehrenden schon seit längerem so praktiziert – aber sicher nicht flächendeckend – das ist richtig.

Ich habe mit diesen Aussagen also kein Problem. Ein Problem aber habe ich mit Thesen wie: „Die Studenten werden sich ihre eigene Lernbiografien zusammenstellen und dabei nicht unbedingt ein bestimmtes Studienfach an einer einzelnen Hochschule wählen“ (das sind dann übrigens die Edupunks). Mit dieser Prognose beginnt das Interview. Alexandra Werdes, die das Gespräch führte, fragt gegen Ende desselben kritisch, ob das nicht überfordernd für die Studierenden sei; al-Anis Antwort lautet: „Wahrscheinlich wird es Scouts geben, die gemeinsam mit den Studenten Lernpfade festlegen. Das Lernpfad-Management kann ähnlich wie die Studienberatung in der Uni stattfinden oder auch von unabhängigen Dienstleistern angeboten werden. Auch eine Internetplattform ist denkbar: Da gibt man dann die Interessen und das Budget an, und die Agenturen suchen entsprechende Möglichkeiten heraus“.

Es wäre wohl besser gewesen, diese Aussage wäre am Anfang des Interviews gestanden, dann hätte man sich den Rest sparen können: Profs – aber bitte nur die „Medienstars“ – produzieren Hochglanz-Lernangebote, legen diese quasi in virtuellen Regalen ab und Scouts oder Lernpfad-Manager stellen dann für den Studierenden je nach Budget mehr oder weniger attraktive Lernmodule zusammen – ist dann halt alles eine Frage des Geldes. Im Trend der Ökonomisierung auch der Hochschulbildung hat das in gewisser Weise etwas von Konsequenz. Was das mit Punk zu tun hat (war das nicht mal die Idee von unangepasstem Verhalten, Provokation und Rebellion – bevorzugt auf der Straße und in der Musik?) müsste mir Herr al-Ani allerdings erst mal erklären. Aber es macht sich halt gut, progressiv klingende Schlagworte mit neuen Geschäftsideen zu verbinden und mit einem Hauch von Bildung für alle zu umgeben.

Nur zweite Garnitur

Dieter Lenzen – einst Befürworter der Reformen in der deutschen Hochschullandschaft – hat in den letzten beiden Jahren des Öfteren einen kritischen Ton angeschlagen, was die Anforderungen und vor allem Veränderungen an unseren Hochschulen betrifft – zu Recht wie ich finde. Aktuell gibt es einen kurzen Beitrag auf Spiegel online von ihm (hier), in dem er anmahnt: „Wir brauchen ein Wettbewerbsmoratorium. In den nächsten zehn Jahren darf es solche Großwettbewerbe nicht geben, weil die Universitäten sich nicht selten entweder fast ´zu Tode gesiegt´ oder an den Rand der Erschöpfung ´geantragt´ haben.“ Er plädiert zum einen für „Planungsruhe“ und zum anderen für einen neuen Blick auf die Leistungsfähigkeit und Kreativität Einzelner oder kleiner Gruppen: „Die Republik kann es sich nicht leisten, diese kleineren Einheiten zur ´zweiten Garnitur´ verkommen zu lassen, sondern die nächste große Welle muss die Förderung der Potentialbereiche enthalten und dieses unter Bedingungen von Transparenz, unter Relativierung des ´Klumpenprinzips´ und im Vertrauen auch auf die Exzellenz einzelner.“

Um den Exzellenzbegriff wird es übrigens auch auf dem diesjährigen GMW-Jahreskongress in Wien gehen (Motto „Digitale Werkzeuge für exzellente Forschung und Lehre“) – meiner Ansicht nach in der Wissenschaft ein eher überflüssiger Begriff, wenn man davon ausgeht, dass Wissenschaft immer daran gelegen ist (oder sein sollte), über den bloßen Schein „hinauszugehen“ (also dann auch „herauszuragen“ – lat. excellere), um den Dingen auf den Grund gehen zu können.

Wie ein Krebsgeschwür

Auf unserer Seite mit den Forschungsnotizen (hier) war es in letzter Zeit etwas ruhiger. Das lag bzw. liegt nicht an mangelnden Ideen, sondern wie wohl überall an der knappen Zeit. Ich ärgere mich relativ oft darüber, dass so unglaublich viel Zeit auf Dinge draufgeht (Stichworte: Management und Bürokratie), die einem fehlt, um interessante Erfahrungen aus der Lehre, aus laufenden Projekten, aus Tagungen und infolge von Lektüre aufzuarbeiten und daraus auch neue Gedanken zu entwickeln. An sich gehört das zu den Kernaufgaben eines Wissenschaftlers, die aber zunehmend von wissenschaftsfernen Aufgaben verdrängt werden – da schiebt sich fast unweigerlich das Bild eines Krebsgeschwürs in den Vordergrund. Aber na ja, wollen wir es nicht dramatisieren. Ab und zu kann man das Wachstum mit ausgeprägtem Willen auch bremsen und dann ZUMINDEST mal ein kleines Publikationsformat wie unsere Forschungsnotizen bedienen. Die sind dann auch immer so eine Art „Mahnmal“: Was in einer Forschungsnotiz skizziert ist, sollte auch größer bzw. weiter vorangetrieben werden. Ich hoffe, das gelingt beim Thema der Forschungsnotiz 11 mit dem Titel „Empirie verstehen – Forschendes Lernen mit einem Online-Werkzeug“.

Nicht optimal, aber unter den gegebenen Umständen sinnvoll?

In Augsburg hatten wir zur Betreuung bzw. Begleitung der Studierenden beim Verfassen ihrer Bachelorarbeiten eine eigene Veranstaltung im Curriculum vorgesehen. In München ist das bei unserem bildungswissenschaftlichen Studiengang leider nicht der Fall. Aus meiner Sicht ist das ein Fehler, da die meisten Studierenden Unterstützung bei dieser Arbeit brauchen und die individuelle Betreuung ohne Veranstaltung schnell sehr zeitintensiv wird und nicht mehr zu leisten ist. Da ich ohnehin schon mehr Lehre mache als ich machen müsste, habe ich mir nun überlegt, wie man die Studierenden möglichst gezielt und damit für beide Seiten effizient betreuen kann. Ich halte das nicht für die optimale Lösung, aber für eine, die mir unter den gegebenen Umständen zumindest sinnvoll erscheint. Da ich davon ausgehe, dass wir nicht die einzigen mit diesem Problem sind, habe ich die für die Online-Betreuung zusammengestellten Unterlagen frei zugänglich gemacht:

Link direkt zu den Unterlagen der Online-Betreuung

Von außen nicht zugänglich sind natürlich die Gruppen, in denen die Studierenden eines Jahrgangs, die bei uns ihre Bachelorarbeiten schreiben, austauschen können. Ebenfalls auf diese Studierenden beschränkt sind automatische Erinnerungen an spezielle Unterlagen zu bestimmten Zeitpunkten: Die Studierenden sollen nicht nur EINMAL alle Unterlagen ansehen (und wieder vergessen, bis sie relevant werden), sondern gezielt an „neuralgischen“ Stellen der Bachelorarbeitsphase noch einmal darauf zurückgreifen.

Wenn jemand die Unterlagen nutzt (oder auch anpasst) und damit Erfahrungen macht, freue ich mich natürlich über Rückmeldungen!