Autonomie der Zerstörung

Eine Universität wehrt sich – statt sich zu beugen und aus einer Angstmotivation heraus im vorauseilenden Gehorsam umzusetzen, was aus unerfindlichen Gründen gerade mal wieder postuliert oder angekündigt wird: Die Universität Hamburg – schon vor ca. knapp zwei Jahren in den Schlagzeilen, als die Dekane den Aufstand gegen das Präsidium wagten (erfolgreich!) – nimmt öffentlich (hier) zu den angekündigten Kürzungen von bis zu 10 Prozent Stellung. Die Folge wären, so wird vorgerechnet, ein „Wegfall von 60 Professuren (unter der Annahme, dass eine Professur inkl. Ausstattung im Schnitt etwa 300.000 EUR kostet)“ und die „Schließung von bis zu 30 kleinen und mittelgroßen Fächern.“ Große Worte (z.B. in diversen Reden von Leitungspersonen an Unis und Verbänden) kennt man ja, aber erfreulicherweise wurden gleich ganz konkrete Maßnahmen beschlossen; u.a. wird die Entwicklung eines Internationalisierungskonzepts ebenso ausgesetzt wie die des Strukturentwicklungsplans; auch Veranstaltungsbeteiligungen der Uni werden abgesagt. Da hat man das Gefühl, dass die Universitätsleitung hinter ihren Mitgliedern steht und nicht nur Handlanger der Politik ist. Gut so! Die Begründung für den Widerstand ist knapp und nachvollziehbar: „Das Präsidium tritt für eine Autonomie der Gestaltung ein, nicht für eine Autonomie der Zerstörung.“

Auf die Füße getreten

76 Kommentare in zwei Tagen auf einen ZEIT-Artikel – das ist durchaus beachtlich. Geschafft hat das ein Beitrag über die Studie ZEITLast, deren Ergebnisse nun in einem Buch erscheinen (Rolf Schulmeister, Christiane Metzger (Hrsg.): Die Workload im Bachelor: Zeitbudget und Studierverhalten. Eine empirische Studie. Waxmann 2011). ZEITLast möchte Transparenz in den tatsächlichen Zeitaufwand Studierender bringen und den vielen Vermutungen vor allem zum Zeitstress der Studierenden in den neuen Studiengängen objektive Zahlen entgegenhalten. Anders als viele andere Studien schätzen die Studienteilnehmer/innen ihren Zeitaufwand hier nicht retrospektiv, sondern erfassen laufend, wofür sie wie viel Zeit aufwänden.

Der Beitrag ist – wie das journalistische Texte zu speziellen Themen oft sind – stellenweise etwas unglücklich formuliert, enthält auch Fehler (Rolf Schulmeister wird zum Informatiker gemacht) und ist durch die Art der Darstellung schon etwas darauf angelegt zu polarisieren. Der wohl intendierte Effekt wurde denn auch erreicht – teilweise zeugen die zahlreichen Kommentare von erzürnten Reaktionen. Es wäre sicher ganz interessant, die Beiträge inhaltsanalytisch auszuwerten: Manche rechnen da ihr eigenes Zeitkonto nach, viele verweisen auf die (in der Studie ebenfalls festgestellten) Unterschiede zwischen Disziplinen und Fächern, einige bemängeln die Studienmethode (über die der Beitrag allerdings gar nicht viel sagt), ein paar machen auf den Unterschied zwischen Zeiterleben und faktisch gebrauchter Zeit aufmerksam (ein Punkt, der auch aus meiner Sicht sehr interessant ist) und sehr viele fühlen sich offenbar persönlich angesprochen und in der Folge massiv auf die Füße getreten.

Unabhängig von diesem Beitrag im Speziellen frage ich mich bei Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln über wissenschaftliche Ergebnisse oder Ereignisse (siehe auch die Plagiatsaffäre hier, hier und hier in diesem Blog) oft, ob die Relation zwischen dem damit erzielten Nutzen (breite Aufmerksamkeit für ein Thema) und dem potenziell angerichteten Schaden (verkürzte und/oder verfälschte – weil nicht richtig verstandene – Aussagen) noch ausreichend ausgewogen ist. Ich bin ja der Meinung, dass Wissenschaftler selbst mehr für die Verbreitung gesellschaftlich relevanter Erkenntnisse tun könnten und dies nicht nur den Journalisten überlassen sollten – digitale Medien haben dies immerhin sehr erleichtert. Allerdings – das liegt natürlich auf der Hand – erreicht man damit nach wie vor niemals eine solche Breite wie ein Beitrag etwa in Spiegel oder Zeit online. Aber drüber nachdenken könnte man ja mal.

Studierende als Untergattung des Schwamms

„Mach was du willst …. und da habe ich eigentlich erst gelernt zu studieren“ – so beginnt ein Film zum Thema Hochschullehre mit dem Titel LehreN (das Projekt LehreN ist ein Gemeinschaftsprojekt der Alfred Töpfer Stiftung, der Universität Hamburg und der Nordmetall Stiftung). Der Film soll die Ergebnisse aus mehreren Workshops (mit Beteiligten aus einem Netzwerk aus Hochschullehre, -leitung, -management, und -didaktik) kompakt zusammenfassen und vor allem die Entwicklungspotentiale für die Lehre an den Hochschulen deutlich machen. Das Eingangszitat stammt von Ulrich Wickert, der von seinen Studienerfahrungen berichtet, und ob das so glücklich gewählt ist, wenn man auf die Notwendigkeit hochschuldidaktischer Bemühungen hinweisen will, sei dahingestellt (angesichts der vielen „Bologna-Zwänge“ freut man sich erst einmal über solche Aussagen – auch ich – und nickt zustimmend, aber wenn man es zu Ende denkt …). Auch Schüler kommen im Film kurz zu Wort: „In der Schule ist alles kurzlebig. Man bearbeitet ein Thema zwei Wochen lang und dann kommt das nächste. Wenn man einfach nur auswendig lernt, reproduziert und danach wieder vergisst, kommt man damit sehr weit in der Schule.“ Der Schüler, der diesen traurigen Umstand treffend feststellt, hofft auf die Hochschule – dass es dort anders sein möge. Anders aber könne es langfristig nur werden, so Dieter Lenzen im Film, wenn bei Lehrenden und Lernenden die Bereitschaft da ist, Experimente zu machen. Recht hat er (aus meiner Sicht): Nur haben das Akkreditierungsagenturen und Ministerien noch nicht verstanden, denn: Kontrollwahn lässt sich mit Experimenten in der Lehre genau nicht vereinbaren. Nicht vereinbar wäre dies auch mit der Haltung, dass Studierende eine „Untergattung des Schwamms“ sind, die „Wissen in großen Mengen aufsaugen, um es bei Bedarf wieder abzusondern“ – so die Comic-Darstellung im Film. Wollen wir hoffen, dass alle die Ironie in dieser Darstellung auch klar erkennen.

Schluss mit professionellem Dilettantismus

Geschichten sind eingängig und wenn sie auch noch wahr sind, regen sie besonders zum Nachdenken an. Ich hätte da eine Geschichte:

„Wie andere Produktionsbetriebe auch, war die Schuhindustrie in der Sowjetunion [Anm.: zur Zeit des Prager Frühlings] durch geringe Arbeitsproduktivität und eine gewaltige Ressourcenverschwendung geprägt. Niemand hatte einen Anreiz, sich Mühe zu geben […]. Die nächstliegende Lösung, nämlich die Einführung von Märkten, war aus ideologischen Gründen nicht möglich. So blieben nur künstlich inszenierte Wettbewerbe, um bestimmte positive Effekte einer Marktwirtschaft zu simulieren … Also begannen die Wirtschaftsexperten mit der Suche nach Leistungskriterien, um deren Erfüllung sich die Arbeiter dann einen Wettbewerb liefern sollten. Für die Schuhindustrie kamen die Experten auf die brillante Idee, einen Wettbewerb um möglichst hohen Materialverbrauch zu veranstalten und den besten Arbeitern dann entsprechende ´Leistungsprämien´ zu zahlen. Der Gedanke hinter dieser Tonnenideologie ist durchaus nachvollziehbar. Wer mehr Schuhe produziert, braucht mehr Material, dessen Verbrauch sich wiederum in Gewichtseinheiten messen lässt. Doch das Resultat war anders, als die Experten sich dies vorgestellt hatten. Im Verlauf weniger Jahre wurden die Schuhe immer schwerer. Die zuvor nur wenig motivierten Arbeiter in der Schuhindustrie zeigten sich plötzlich innovativ und entwickelten kontinuierlich neue Modelle, bei denen sie noch mehr Material verwenden konnten“ (Binswanger, 2010, S. 47 f.).

Wem kommen da nicht sofort analoge, aktuelle Beispiele aus dem eigenen Bereich der Forschung und Lehre in den Sinn? Künstlich inszenierte Wettbewerbe haben sich ja geradezu zum Leitparadigma der Hochschulpolitik und Hochschulen entwickelt. Auch dazu weiß Mathias Binswanger, Professor für Volkswirtschaftslehre, in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren“ (2010 im Herder Verlag erscheinen) zu berichten. Werner Hartmann hat mich auf das Buch aufmerksam gemacht und ich habe es mit Gewinn gelesen.

Insbesondere der erste Teil war für mich sehr interessant: Hier zeichnet Binswanger anhand anschaulicher Beispiele die Genese der heute allgegenwärtigen Marktgläubigkeit nach und beschreibt die Illusionen, die mit künstlichen Wettbewerben ohne echten Markt geschürt werden. Zudem begründet er nachvollziehbar, dass man qualitative Leistungen nicht mit Kennzahlen messen kann, und warum man, wenn man es dennoch macht, Unmengen von Bürokratie und perverses Verhalten erzeugt. Im zweiten Teil wendet er seine Überlegungen auf die Bereiche Wissenschaft, Bildung und Gesundheitswesen an. Seine Folgerungen am Ende des Buches sind entsprechend konsequent. So bezeichnet es Binswanger (2010, S. 216) z.B. als kontraproduktiv, „Wissenschaftler, Professoren, Lehrer oder Ärzte unter den Generalverdacht der Leistungsverweigerung zu stellen und in jedem ein potentiell schwarzes Schaf zu vermuten, aus dem man eine gute Leistung mit einem Zuckerbrot herauskitzeln oder mit der Peitsche herausprügeln muss.“ Er plädiert dafür, wieder subjektive Verantwortung zu übernehmen, statt sich auf pseudo-objektive Zahlen zu verlassen: „Ein begründetes subjektives Urteil kann man nur abgeben, wenn man über das zu beurteilende Individuum und dessen inhaltliche Tätigkeit Bescheid weiß. Doch dieser Mehraufwand lohnt sich. Die Verdrängung des Inhalts durch Form ist nämlich eines der Hauptprobleme der Verwendung von ´objektiven Kennzahlen´. Immer mehr ´Leistungen´ und ´Qualitäten´ werden gemessen, evaluiert und beurteilt, ohne dass irgendjemand Ahnung hat, was sich inhaltlich dahinter verbirgt. Und mit diesem professionellen Dilettantismus gilt es aufzuhören“ (Binswanger, 2010, S. 223). Man ist angesichts solcher Zitate in Versuchung, das Buch allen Unileitungen zu empfehlen.

Über den Tag hinaus denken

„Oberstes Gebot der Kommunikation in den Wissenschaften ist es, Wissen genau und unmissverständlich zu kommunizieren. Texte stellen dabei eine Art Transportmittel für Wissen dar. Das Wissen muss im Text so ´verpackt´ sein, dass es den Transport heil übersteht und vom Empfänger wieder dem Text entnommen werden kann“ (Kruse, 2010, S. 57). Dass es viel Scherben auf diesem Transport geben kann, ist mir in den letzten Tagen wieder so richtig bewusst geworden, als ich etliche Hausarbeiten von Studierenden gelesen, kommentiert und bewertet habe. Nicht bei allen, aber bei vielen dieser Arbeiten stehe ich ratlos vor einzelnen Sätzen, Abschnitten oder ganzen Kapiteln und frage mich, was wohl der eigentliche „Transportgegenstand“ war und wie es sein kann, dass ich so viele Verständnisprobleme allein auf der sprachlichen Ebene habe. Ich sitze da mitunter vor Sätzen, die ich aufschlüsseln muss wie einen lateinischen Text, erahne dann allenfalls die Botschaft, die da „verpackt“ wurde, und frage mich natürlich: Woher kommt das? Die meisten dieser Studierenden können z.B. bei mündlichen Präsentationen doch einigermaßen schlüssig formulieren, einige auch argumentieren. Die Schriftform scheint dann wie ein Katalysator für eine Entstellung dessen zu wirken, was man mitteilen möchte. Auch bei Doktoranden gibt es das bisweilen: Schachtelsätze, Nominalstil und neutrale sowie Passivkonstruktionen scheinen eine wissenschaftliche Verpackung zu signalisieren. Schlimm ist dann nur, wenn man nach dem mühevollen Auspacken erkennen muss, dass das Innere leer ist. Neben diesen Sprachproblemen, die aus meiner Sicht massiv unterschätzt werden, sind es natürlich die bekannten Hürden, über die Studierende stolpern: keine genaue Eingrenzung des Themas, zu wenig oder zu diffuse Recherche, handwerkliche Fehler beim Zitieren und Schwierigkeiten, eine klare Struktur und Argumentationslinie zu finden. Ich bemühe mich in der Regel, ausführlich Rückmeldung zu geben – immer mit dem Bewusstsein, dass dieses Feedback womöglich gar nicht gelesen, oder aber nicht verstanden, oder aber emotional abgelehnt wird (siehe zu diesem Problem auch die interessante Diskussion in Christians Blog: hier).

Nun ist mir vor kurzem ein dazu wunderbar passendes Buch in die Hände gefallen: Lesen und Schreiben von Otto Kruse, das sich an Studienanfänger richtet. Ich habe es gelesen und kann es JEDEM empfehlen – Studierenden wie auch Doktoranden (!), weil es auf einfache und klare Weise deutlich macht, dass und wie Lesen und Schreiben integraler Bestandteil jeder Wissenschaft sind, geübt werden wollen und zum Denken dazugehören! „Ich muss das jetzt nur noch runterschreiben“ – diesen Satz höre ich manchmal auch von Doktoranden und genau das deutet auf ein fundamentales Missverständnis der Funktion speziell des Schreibens für wissenschaftliches Denken und Handeln hin. Kruse bezeichnet es als „epistemisches Schreiben“ (dazu gibt es auch einen Blogbeitrag von Peter Baumgartner: hier), was ich hier meine: also ein „Schreiben zur Wissensgewinnung“. Otto Kruse gibt den Studierenden gegen Ende seines Buches einen guten Rat, den ich nur unterstreichen kann: „Wenn Sie lernen wollen, kompetent mit Sprache in Wissenschaft und Beruf umzugehen, müssen Sie über den Tag hinaus denken. Literalität ist nicht einfach Erwerb einiger Teilkompetenzen, die sich dann zu perfekter Handlungsfähigkeit verbinden, sondern Literalität ist integraler Bestandteil Ihrer intellektuellen und fachlichen Entwicklung. Lesen und Schreiben trainieren Selbständigkeit im Umgang mit Wissen, sie verhelfen Ihnen zur Entwicklung eigener Expertise und verlangen von Ihnen, eigene Standpunkte zu vertreten wie auch die anderer zu erkennen“ (S. 152).

Antiintellektueller Wissenschaftspopulist

Sehr schön – ich würde mir das an die Bürotür schreiben: „antiintellktueller Wissenschaftspopulist“ – so die Bezeichnung, die Christian Spannagel laut eigener Aussage bereits (unter anderem) erhalten hat. In welchem Zusammenhang er das sagt, kann man sich in einem sehenswerten kurzen Film anschauen (hier), der bereits durch diverse Blogs wandert. „Mut haben“ und „Mut entwickeln“ spielt als (berufliches und persönliches) Thema in dem Film bzw. in Christians Aussagen eine große Rolle – was freilich nicht verwundert, wenn man seine Blogbeiträge kennt. Aus meiner Sicht treffend ist auch der Satz: „Wenn man sehr präsent ist im Web 2.0 und ´öffentliche Wissenschaft´ betreibt, dann darf man zu allererst mal sich selbst nicht allzu ernst nehmen“. Vielleicht ist das der Grund, warum es so vergleichsweise wenige bloggende Professoren gibt? 😉 Und: „Man darf keine Angst vor Fehlern haben“. @Christian: da gebe ich dir Recht!

Topfschlagen in der Forschung

„Bitte stellen Sie den Ablauf der drei geplanten Workshops mit den Partnern dar“ – so lautete kürzlich eine von mehreren Rückfragen an uns im Rahmen eines Beantragungs- und Begutachtungsprozesses bei einem der großen staatlichen Forschungsförderer. Die Workshops, die im Falle der Bewilligung des Projekts nach einem halben Jahr, nach einem Jahr und nach eineinhalb Jahren stattfinden würden, sollten wir also jetzt mit Agenda und Zeitplan versehen. Ich war versucht, auch die Getränke mit aufzulisten. Während man sich über derlei Nachfragen zumindest noch amüsieren kann, rauft man sich die Haare bei anderen Rückfragen oder auch Ablehnungsgründen, die z.B. in die Richtung gehen, dass die Methoden bzw. konkreten Instrumente für eine Erhebung nicht deutlich geworden seien, man ergo davon ausgehen müsse, dass man noch nicht genug Vorarbeit geleistet oder aber nicht kompetent genug sei, ein Forschungsprojekt präzise zu planen. In einem aktuellen Artikel hat nun der Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer, aufbauend auf einer soziologischen Studie von Cristina Besio (über Funktionen und Folgen des Projekts als Organisationsform in Universitäten und Forschungsinstituten) die Möglichkeiten, vor allem aber die Grenzen der Forschung in „Projektform“ in einem Artikel in der Zeitschrift für Erziehungswissenschaft reflektiert. Eine Kurzfassung des Beitrags findet sich hier online in der Zeitschrift „Forschung und Lehre“.

Ich stimme nicht allen Punkten dieses Beitrags zu. Vor allem teile ich nicht die Einschätzung, es würden heute vorzugsweise anwendungsorientierte Vorhaben gefördert (das kommt wohl sehr auf die Disziplin und die Art der Forschungsförderung an). Große Zustimmung aber kann ich dem Beitrag in Bezug auf die Feststellung geben, dass die momentan geförderte Form der Forschung, nämlich organisiert als in der Regel maximal zweijährige (vielleicht auch mal dreijährige) Projekte, ganz massiv die Wege und damit auch Ergebnisse wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse beeinflusst. Sehr treffend macht Zierer das Paradoxon der projektorganisierten Forschung mit folgendem Satz deutlich: „Forschungsprojekte geben vor, etwas nicht zu wissen, um gleichzeitig aber auch zu belegen, dass der Weg zu diesem Wissen planbar, also bereits bekannt ist“ – das beginnt bei der Ausgestaltung eines Erhebungsinstruments und endet inzwischen offenbar bereits beim genauen Ablauf eines Workshops. Zwar bin ich mir nicht sicher, ob es wirklich die Projektform an sich ist, die das Problem darstellt, sondern eher die Art, wie man in Begutachtungsprozessen die Qualität eines Projektplans bewertet. Allerdings sind die expliziten Vorgaben (und impliziten Botschaften), wie man einen Projektantrag auszuarbeiten hat, inzwischen dergestalt, dass es kaum Freiraum für themenangepasste Formen der Planung und Begründung gibt. Insbesondere Projektanträge, die sich auf Ausschreibungen beziehen, haben im Entstehungsprozess mitunter etwas von Topfschlagen beim Kindergeburtstag – ohne freie Sicht auf die Intentionen derjenigen, die eine Ausschreibung verfasst haben, versucht man die Richtung zu erahnen, tastet sich langsam heran, freut sich über Hinweise, ob und wann es „wärmer“ wird und lässt sich auf diese Weise in genau die Richtung locken, in die man gefälligst gehen soll. Zierer formuliert das so: „Hält man sich … vor Augen, dass die Finanzierung des Projektes auf dem Spiel steht, dann liegt auf der Hand, dass bei der Wahl der Theorie und auch der Methode auf jene Theorien und Methoden zurückgegriffen wird, die verbreitet und unumstritten sind“. Etwas polemischer bringt Klaus Leggewie (in: „Die akademische Hintertreppe“) die bisweilen absurde Situation der Beantragung von Drittmittelprojekten auf den Punkt: „Die Hürden türmen sich am Eingang, was dazu führt, dass der Antrag bereits den wesentlichen Teil des in Aussicht gestellten Ertrags der Forschung enthält und die Projektleiter zwecks Versorgung neuer Mitarbeiterinnen und Doktoranden umgehend den nächsten Antrag angehen. … Konformismus ist eine Folge, Zynismus die andere“ (S. 75). Ich spüre inzwischen einen Hang zu letzterem.

Wissenschaft als Hochleistungssport

Herzlichen Dank am Marc Dettler, der in einem Kommentar zum letzten Blog-Post zur „Akte Guttenberg“ auf einen aktuellen und höchst interessanten Beitrag von Manuel Scheidegger und Johannes Schneider im Tagesspiegel (Mehr als nur ein Titel) hingewiesen hat. Dieser Beitrag greift genau die Frage auf, die mich beim Lesen des Münch-Interviews eben auch sehr beschäftigt hat, nämlich: Was ist das für ein Verständnis von Wissenschaft und speziell von Dissertationen, das in der aktuellen Medienkommunikation gerade öffentlich verbreitet wird? Dieses Verständnis geht nämlich dahin, dass Wissenschaft in gewisser Weise „l´art pour l´art“ sei und eine wissenschaftliche Ausbildung im Rahmen einer Promotion mit beruflicher Tätigkeit außerhalb der Hochschulen völlig unnütz sei. „Warum denkt eigentlich kein Mensch zur Zeit umgekehrt daran, dass ein Doktor, der am Ende einer wissenschaftlichen Ausbildung steht, die ernsthaft und eben nicht blödsinnig verfolgt wurde, etwas beitragen kann zu dem, was wir von Politikern verlangen?“, fragen Scheidegger und Schneider, und ich würde ergänzen: zu dem beitragen, was wir von Menschen in Berufen erwarten, die komplexe Probleme lösen sollen (wozu Politiker eindeutig auch gehören). Und weiter heißt es in dem Beitrag: „Das Studium ist letztlich vor allem ein Training in Problemlösekompetenz, sollte das zumindest sein. Wissenschaft, wenn sie forscht und entwickelt, ist Hochleistungssport: Es braucht jahrelanges Training, mitunter in einer Doktorarbeit absolviert, sein Denken zu schulen und zu entwickeln, bis Ideen punkten und andere überzeugen“. Ja, genau so ist das – Hochleistungssport und den macht man eben auch nicht nebenbei, für den braucht man ein Höchstmaß an Motivation und Disziplin. Und zwei weitere Sätze der beiden Autoren kann ich nur unterstreichen, weil sie noch einmal auf den Punkt bringen, was mir auch in den letzten beiden Blog-Posts wichtig war: „Die Universitäten müssen Sorge tragen, dass ein Doktorstudium zu einer Qualifikation führt, die auch Nicht-Akademiker davon überzeugt, sinnvoll Geld für kompetente Problemlöserinnen ausgegeben zu haben. Die Gesellschaft muss im Gegenzug wahrnehmen und zugestehen, dass es sehr wohl Sinn ergeben könnte, wenn ein Minister die Qualifikation eines Doktors mitbringt“. Danke für die klaren Worte!

Haltet den (Text-)Dieb!

Was für eine Steilvorlage für mehr Bemühungen im Einüben wissenschaftlichen Arbeitens für Studierende der beiden Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg: Der Verteidigungsminister wird in seiner Doktorarbeit des Plagiats bezichtigt. Die Medien machen sich gierig darüber her – teilweise sogar mit dem Anspruch, der nicht-wissenschaftlichen Öffentlichkeit zu erklären, was denn ein Plagiat in der Wissenschaft überhaupt ist.

Das ist kein so leichtes Unterfangen, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen möchte – und in ein paar wenigen Sätzen lässt es sich schon gar nicht darstellen (eine Liste mit Büchern zum Plagiat findet sich z.B. hier): Wenn jemand eine fertige Arbeit oder ganze Kapitel einfach kopiert, ist es simpel, ein Plagiat nachzuweisen. Wenn aber Unregelmäßigkeiten beim Zitieren auftreten, einzelne Gedanken mal fast wörtlich, mal paraphrasiert an einzelnen Stellen auftauchen, die bereits in anderen Veröffentlichungen zugänglich sind, wird es schon schwieriger. Der für die Öffentlichkeit leicht verdauliche Ausdruck „abgeschrieben“ trifft es da nicht mehr.

Und was sagen die Medien nun dazu? Die SZ macht einen interessanten Vergleich zwischen Kunst und Wissenschaft auf: In der Kunst sei es quasi erlaubt, ja vielleicht sogar schmeichelhaft, wenn sich jemand der eigenen Ideen, Gedanken und Entwürfe bediene – in der Wissenschaft aber (leider) nicht: Pech für Guttenberg? Die taz dagegen will bereits wissen, dass auch die Bewertung seiner gesamten Dissertation unangemessen, nämlich viel zu gut sei. Jeder, der weiß, wie unterschiedlich Dissertationen in verschiedenen Disziplinen und Fächern entstehen, betreut und bewertet werden, wird hier wohl schon die Stirn runzeln. Ein bisschen sachlicher behandelt man das Thema bei Spiegel online; da heißt es unter anderem (ich zitiere ein nicht genau ausgewiesenes Zitat im Zitat!!): „Es bestehe der Verdacht, dass Guttenberg mit ´eklatanten Lücken´ bei Fußnoten und Literaturliste ´mindestens gegen die guten wissenschaftlichen Sitten verstoßen´ habe“. Ein bisschen nach vorne blickend geht es schließlich in einem Interview des Handelsblattes zu. Auf die Frage „Was können Universitäten tun, um Plagiatsfälle zu vermeiden?“ sagt Debora Weber-Wulff „Aufklären! Wir müssen viel mehr unterrichten, was wissenschaftliches Schreiben ist, viel mehr betreuen und begleiten. Das kann man aber nicht, wenn es 100 Personen in einem Proseminar gibt, das geht nur in kleinen Klassen.“ „Aufklären“ – ja, das würde man sich von den Medien bisweilen auch mehr wünschen, wären doch Ereignisse wie diese eine schöne Möglichkeit, Wissenschaft und Forschung mal aus einer anderen Perspektive als unter der ökonomischen („Mehr Innovation und Wohlstand durch Forschung“) zu beleuchten. Aber was bleibt? Das Plagiat als moralischer Fehltritt neben Spenden- und Sex-Affären – ausgeschlachtet für die Politik, nicht aber für die (wissenschaftliche) Bildung.

Nachtrag (am 19.02.2011): Ist eigentlich schon jemandem aufgefallen, dass man sich in der Öffentlichkeit nicht über die Betreuer/Gutachter von Guttenbergs Dissertation wundert? Ich meine, wenn man einen Doktoranden gut betreut UND dann auch ein gewissenhaftes Gutachten macht, sollte so etwas an sich früher auffallen. Oder nehmen es da manche Betreuer/Gutachter nicht so genau?

Der wissenschaftliche Gott schütze uns vor den Qualitätsschützern

Unregelmäßig, aber wiederkehrend habe ich das Bedürfnis, Modulhandbücher, Studiengangskonzepte, Formulare aller Art, Ausschreibungstexte, Pflichtlektüre zur Orientierung darüber, was es Neues gibt, etc. auf die Seite zu legen und Texte (oder Bücher) zu suchen und zu lesen, die mich auch zum Nachdenken anregen. Wenn die Zeit sehr knapp, aber dieses Bedürfnis dennoch sehr groß ist, schaue ich ganz gern nach Reden – also richtige Reden jenseits der PowerPoint-Präsentation, denen dann auch (wie vorteilhaft) ein Manuskript zugrundliegt. Am Wochenende bin ich bei zwei besonders bekannten Personen fündig geworden, die sich – aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und doch mit ein paar gemeinsamen Gedanken – um die Rolle der Wissenschaft in unserer Gesellschaft ihre Gedanken gemacht haben: Helmut Schmidt (eine Rede vom Januar 2011) und Jürgen Mittelstraß (eine Rede vom Februar 2010).

Das Gemeinsame vorweg: Es geht um die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und damit auch um die Frage der Verantwortung, die der Wissenschaft bzw. dem einzelnen Wissenschaftler obliegt.

Helmut Schmidt beginnt mit einem Überblick über drängende globale Probleme: ungebremstes Bevölkerungswachstum, Weltwirtschaftskrisen, ungehemmter Rüstungswettlauf, religiöse und kulturelle Konflikte und unaufhaltsamer Klimawandel. Und genau hier fordert er ein größeres und sichtbareres Engagement der Wissenschaftler, wenn es sagt:

„Es mag ja sein, dass ein Wissenschaftler jemand ist, dessen Einsichten größer sind als seine Wirkungsmöglichkeiten. Es mag auch sein, dass Sie, meine Damen und Herren, Politiker für Menschen halten, deren Wirkungsmöglichkeiten größer sind als deren Einsichten. Gleichwohl können Wissenschaftler nicht beanspruchen, unbehelligt von den Weltproblemen, unbehelligt vom ökonomischen und politischen Geschehen, unbehelligt von den Zwängen, denen ansonsten die Gesellschaft unterworfen ist, ein glückliches Eremitendasein zu führen. Denn auch als hoch spezialisierter Forscher bleiben Sie ein Zoon politikon. Und deshalb ist Wissenschaft heute nicht nur, wie Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt hat, ´sozial organisierte Erkenntnissuche´ – sondern Wissenschaft ist zugleich eine der sozialen Verantwortung verpflichtete Erkenntnissuche!“

Hier würde Jürgen Mittelstraß wohl zustimmen, denn auch er formuliert den Anspruch einer gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft – wenn auch in anderen Worten, nämlich so:

„Wissenschaft ist nicht länger ein nur beobachtendes und analysierendes Tun, zur selbstverliebten Freude der Vernunft oder des Geistes mit Sitz in Elfenbeintürmen, sondern ein weltgestaltendes und weltveränderndes Tun … Dabei bedeutet die Verwissenschaftlichung der Welt auch die Verweltlichung der Wissenschaft, womit sich auch die Zuständigkeiten und die Erwartungen an Wissenschaft ändern. Pointiert formuliert: Während es bisher so scheinen mochte, dass zu erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält, die alleinige Aufgabe der Wissenschaft war, ist es in einer Leonardo-Welt mehr und mehr die Notwendigkeit, die Welt (wissenschaftlich und technisch) zusammenzuhalten. Die Vorstellung, dass Wissenschaft nützlich ist bzw. nützlich sein soll, hat nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftstheoretisch gewaltig an Aktualität gewonnen.“

Die Frage ist jetzt nur, wie die Wissenschaft dahin kommt, dieser Verantwortung gerecht zu werden. Und da beide Redner die Verantwortung als Postulat formulieren, können wir davon ausgehen, dass beide hier entsprechende Defizite erkennen (Helmut Schmidt sagt das explizit, Jürgen Mittelstraß nur indirekt, indem er als Einstieg die Trennung der Welt zwischen Wissenschaft und Kultur beklagt).

Schmidt plädiert (als Politiker) dafür, dass Wissenschaftler ihre Distanz zur Politik reduzieren sollten – nicht die Distanz zur Tages- und Parteipolitik, aber die Distanz zur politischen Mitbestimmung und -gestaltung über Entwicklungen unserer Gesellschaft. Dafür, so Schmidt, bräuchten Wissenschaftler Weitsicht und Urteilskraft, die mit der zunehmenden fachlichen Spezialisierung zwar immer schwieriger wird, deswegen aber nicht abgelehnt werden könne.

Mittelstraß wirbt (als Wissenschaftler) für das Vertrauen in genuin wissenschaftliche Prinzipien. Er zeigt sich überzeugt, dass Wissenschaft auch in Anwendungsdingen erfolgreich sein kann (und man dies auch erwarten darf), aber nur in Verbindung mit der Einsicht, dass Wissenschaft dazu ihren eigenen Gesetzen und nicht etwa ökonomischen und/oder bürokratischen Regeln folgen muss. Besonders hart geht er dabei mit dem „wissenschaftlichen Markt“ und seiner eigene Logik der Qualitätssicherung ins Gericht, wenn er sagt: „Der wissenschaftliche Gott schütze uns vor den Qualitätsschützern!“ Das eigentlich Beunruhigende aber sei, dass der prüfende und verwaltende Verstand den wissenschaftlichen Verstand immer mehr verdränge.

Auffällig ist, dass in Schmidts Rede der Begriff der Anwendungsforschung fällt und favorisiert wird, während Mittelstraß den Begriff der Grundlagenforschung bemüht, beide aber Wissenschaft und Gesellschaft wieder näher zusammenbringen wollen. Gleichzeitig liegt in den Reden die Assoziation in der Luft, Anwendungsforschung sei vor allem Auftragsforschung und Grundlagenforschung prinzipiell nutzlos. Womöglich würden wir uns einen Gefallen tun, wenn wir diese unsägliche Dichotomie aufgeben würden – Schmidt und Mittelstraß könnten ja mal den Anfang machen. In beiden Reden, die mir sehr gut gefallen und deren Lektüre ich empfehle, vermisse ich allerdings Hinweise auf die Rolle der Bildung bei diesem Thema: Die Lösung von Weltproblemen mithilfe von Wissenschaft (Schmidt) und die Wissenschaft als Form der Wissensbildung, als Institution und als Idee und Lebensform (Mittelstraß) haben nur auf der Grundlage einer gebildeten Bevölkerung eine Chance. Bildung als wissenschaftlicher Gegenstand (was leider keiner von beiden thematisiert) und Bildung als Grundlage für Wissenschaft und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ist aus meiner Sicht essenziell. Und auch Verantwortungsübernahme – dem Kern der beiden Reden – erscheint mir ohne Bildung wenig wahrscheinlich.